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7.

Im Jahre 1847 herrschte in Deutschland ein wahres Auswanderungsfieber. Auch mein Mann wurde davon ergriffen. Er war damals Wirtschaftsinspektor bei einem kleinen Rittergutsbesitzer in Schlesien, hatte nur ein geringes Einkommen und wenig Aussicht auf eine bessere Stellung. Vielleicht hätte er eine solche nach jahrelangem Ringen wohl erhalten können, aber zur Ausdauer, Geduld und Beharrlichkeit waren die natürlichen Anlagen meines Gustav nicht geeignet.

Die verlockenden Berichte aus Amerika, wie man dort mit geringen Mitteln sich leicht ein sorgenfreies Dasein, ein Leben in Freiheit und Unabhängigkeit erringen könne, verführten die Europamüden. Es hatte sich der sogenannte »Adelsverein«, an dessen Spitze Prinz Solms stand, gebildet. Die Versprechungen waren verlockend. Der Verein hatte einen bedeutenden Landstrich in Texas erworben und jedem Auswanderer wurden 444 Acker Land und jede mögliche Hilfe zum Anfange versprochen.

Man kann sich denken, welch schweren Kampf es meinem lieben, guten Vater kostete, mich mit meinen zwei Kindern in die ungewisse Ferne ziehen zu lassen.

Endlich wurde beschlossen, daß mein Mann zunächst allein dorthin reise. Sollte er sich in seinen Erwartungen getäuscht finden, so war es für ihn allein leicht, wieder zurückzukehren. Dieser Beschluß wurde ausgeführt. Gustav reiste ab.

Nach sechs Monaten kam ein Brief, er würde dort bleiben; mit dem sogenannten Grand (Landstriche) stände es faul. Das Land liege tief im Innern, im Indianer-Territorium und sei noch gar nicht zu bebauen. Der größte Teil der Familien, die mit ihm gegangen und sich auf die Versprechungen der Agenten verlassen hätten, sei auf dem Wege dahin umgekommen, andere seien auf eigene Hand an diesem und jenem Orte geblieben; er selbst sei in der ersten Hafenstadt Galveston geblieben, um Näheres zu erfahren. Man hatte ihm den Rat gegeben, für sich allein zu sorgen, etwa hundert Meilen weit ins Innere zu gehen, bei einem Amerikaner Dienste zu nehmen, um zu lernen und erst abzuwarten.

Dieser Rat war gut und wurde von Gustav befolgt. In das Hotel, wo er logierte, kommt eines Tages ein biederer amerikanischer Farmer aus dem Innern des Landes. Die beiden Männer lernen sich kennen, gewinnen Vertrauen zueinander, und der Farmer schlägt meinem Manne vor, bei ihm einzutreten. Sie werden einig, und sobald der Farmer seine Baumwolle verkauft und seine Bedürfnisse fürs Jahr an Kaffee, Zucker, Weizen, Mehl, Whisky (irischer Branntwein) und Kleidungsstücken, auch für seine Sklaven, eingehandelt hat, reisen sie ab. Es war die höchste Zeit; denn das gelbe Fieber grassierte in Galveston und der nächsten zu passierenden Stadt Houston.

Der Amerikaner, Mr. Tomson, sowie seine ganze Familie waren gute Menschen. Gustav lernte den dortigen, von dem deutschen total verschiedenen, Ackerbau, kennen; lernte bei einem Schmiede gründlich Wagen beschlagen und vieles andere.

Nach Verlauf von einundeinhalb Jahren schrieb er mir: »Komme!«

Ich mußte nun die Reise mit meiner zweijährigen Tochter Anna antreten; Emilie, die ältere, die in Gn. zur Erziehung war, mitzunehmen gestatteten meine Eltern nicht. Sie sollte bleiben, bis die Ausbildung in der Anstalt vollendet war und wir in Amerika festen Fuß gefaßt hätten. Alsdann sollte sie mit passender Gelegenheit nachkommen. Der Schmerz meines alten Vaters war groß; er ahnte, daß die Trennung fürs Leben galt.

Während ich packte, wollten meine Eltern Anna noch bei sich haben. Sie erkrankte dort, bekam Gehirnentzündung, und ich mußte meine Reise aufschieben, bis mein Kind wieder gesund wurde.

Unterdessen war das Schiff, auf dem ich überfahren wollte, von Hamburg abgegangen, und ich mußte warten, bis ein anderes nach Neuyork segelte.

Endlich erhielt ich vom Agenten die Mitteilung, daß ein Schiff zur Abfahrt bereit liege.

Als ich in Hamburg ankam, war die Elbe blockiert. Es war im Jahre 1848. Der Krieg mit Dänemark war ausgebrochen. Kein Schiff durfte den Hafen verlassen; nur ein kleines englisches Kohlenschiff erhielt dazu Erlaubnis. Dies erbärmliche Ding wurde eiligst hergerichtet, um fünfundsiebzig Auswanderer aufzunehmen, und fort ging es, ohne Kajüte, ohne jede Bequemlichkeit. Die Verpflegung war miserabel. Ich und eine allein reisende pommersche Gutsbesitzersfrau ließen unsere Koje verschlagen, um etwas isoliert von den andern zu sein. Dies war der schlimme Anfang unserer mit unendlichen Hindernissen und Strapazen verknüpften Reise.

Wir brauchten zehn Wochen, um Neuyork zu erreichen. Während der Überfahrt hatten wir an einundzwanzig Tagen heftigen Sturm, verloren den Mast, der nur notdürftig ersetzt werden konnte; der Mundvorrat ging zu Ende und das Wasser wurde schwarz und übelriechend, so daß mein armes Kind Skorbut bekam. Zum Glück war ein Arzt unter den Passagieren, der Anna das Zahnfleisch brannte.

Nach zehn qualvollen Wochen, deren Leiden zu schildern zu weit führen würde, kamen wir in Neuyork an und wurden ans Land gesetzt, um uns, der englischen Sprache fremd, selbst weiter zu helfen.

Mein freundlicher Agent in Hamburg, in dessen Wohnung ich logierte, hatte mir ein Empfehlungsschreiben an einen deutschen Hotelwirt mitgegeben, wobei er bemerkte: »Er ist von den Schuften noch der beste.« Das klang nicht ermutigend. In dem Briefe bat er den Wirt, mich gut aufzunehmen und mir zu meiner Weiterreise auf einem Dampfer (Steamer) behilflich zu sein.

Die Aufnahme war sehr gut, denn der Landsmann richtete sein Augenmerk auf die vielen Koffer und Kisten und hatte die »edle« Absicht, mich nicht eher weiter reisen zu lassen, bis diese mit ihrem Inhalte in seinen Besitz gelangt seien. Anstatt mich auf ein Dampfschiff zu führen und mir weiter zu helfen, verzögerte er meine Abfahrt nach Neuorleans trotz meiner Bitten von Tag zu Tag, bis mir das Gebühren des Mannes verdächtig wurde und ich im stillen beschloß, mir selbst zu helfen. Wie sollte ich aber in dieser Welt- und Hafenstadt, allein mit meinem Kinde, ohne ein Wort Englisch zu verstehen und zu sprechen, das betreffende Dampfboot finden?

Doch in höchster Not und auf sich allein angewiesen findet man Hilfe. Unter den Mitpassagieren von Hamburg her befand sich auch ein gebildeter Jude, der sich auf mein Empfehlungsschreiben verlassend, mit mir das nämliche Hotel aufgesucht hatte. Diesem klagte ich mein Leid und bat ihn, mir beim Aufsuchen eines Schiffes behilflich zu sein. Als er hörte, daß ich zu dem Wirte kein Vertrauen habe, teilte er mir mit, dieser habe ihm Geld angeboten, wenn er mich bereden wolle, da zu bleiben unter dem Vorwande, das gelbe Fieber wüte in Texas. Nun lag die schlechte Absicht meines Wirtes klar zu Tage.

Der Jude war bereit, mir fortzuhelfen. Da er ein wenig englisch verstand, gingen wir eine weite Strecke, bis wir eine Schiffswerft fanden mit den nach Neuorleans bestimmten Fahrzeugen. Auch trafen wir eine Anzeige, daß noch denselben Nachmittag ein Steamer nach Neuorleans abgehen sollte. So las wenigstens mein gütiger Dolmetscher.

Freudig gingen wir aufs Schiff, den Folkon und fragten nach dem Kapitän. Dieser war nicht anwesend, wohl aber der Kassierer. Mein jüdischer Freund unterhandelte mit ihm und erklärte sich mit der Forderung einverstanden. Ich bezahlte die Überfahrt und begab mich eilends ins Hotel zurück, um meine Sachen zu holen und die Rechnung zu begleichen.

Der Wirt stand sprachlos vor Erstaunen vor mir, als ich ihm erklärte, daß ich sofort abreisen wolle. Er hatte mein vieles Gepäck wohl schon als sichere Beute betrachtet; nun entschwand es dem Auge des »Biedermannes« auf mehrere Wagen verladen. Ich nahm mein Kind und folgte meinen Sachen nach.

Das Einladen meiner Habseligkeiten ins Schiff mußte ich selbst beaufsichtigen. Aus meiner Unkenntnis der englischen Sprache entstanden zahllose Mißverständnisse, die mich in Angst und Sorge versetzten. So konnte ich mich wegen einer Kabine nicht verständigen, bis ein junger Deutscher, der meine Not sah und mich verstand, sich meiner annahm und den Sachverhalt aufklärte. Endlich konnte ich beruhigt aufatmen.

Der junge Mann setzte sich zu mir und meinem Kinde. »Sie reisen so allein nach Kalifornien?« fragte er mich.

»Nein; ich fahre nicht nach Kalifornien,« antwortete ich und erzählte ihm mein Reisegeschick. Da sah er mich mitleidig an und sprach: »So wissen Sie nicht, daß Sie auf einem Kalifornier Steamer sind?«

Meinen Schreck bei dieser Mitteilung sich vorzustellen, ist unmöglich. Ich kam mir wie völlig vernichtet vor. Mein Gott, was sollte aus mir und meinem Kinde werden?

Der junge Mann hatte Erbarmen mit mir in dieser verzweifelten Lage, ging zum Kapitän und brachte mir nach Rücksprache mit diesem folgende Mitteilung: Wenn das Schiff in Havana, wo es anlegen soll, nicht genug Kohlen für den großen Reisebedarf nach Kalifornien bekäme, so wäre der Kapitän genötigt, Neuorleans zu berühren, um dort das Fehlende einzunehmen und ich könne daselbst landen.

Ich blieb also in qualvollster Ungewißheit, bis das Schiff bei Havanna anlegte. Es war bereits Abend, als geankert wurde. Die furchtbare Aufregung ließ mich kein Auge schließen. Früh am nächsten Morgen höre ich Lärm, sehe zum Fenster meiner Kabine hinaus und erblicke Boot an Boot, mit Kohlen befrachtet, dem Schiffe zusteuern. O Gott, so führt mich also das Schicksal nach Kalifornien!

Da klopft es an die Tür. »Mißtreß Trautmann! der Kapitän bekommt nicht ausreichend Kohlen und muß Neuorleans anfahren!«

Gott sei gelobt! Erst jetzt lebte ich wieder auf. Mein junger Landsmann hatte mir diese erlösende Kunde gebracht; denn mit niemand sonst konnte ich sprechen. Wir beiden waren die einzigen Deutschen an Bord, alle übrigen Amerikaner.

In Neuorleans angelangt, half mir mein junger Freund mein Gepäck ausladen und verschaffte mir Unterkunft in einem ihm bekannten Hotel, bis ich mit einem anderen Steamer nach Galveston in Texas weiter reisen konnte. Dort angekommen, suchte ich sofort einen River-Steamer (Flußdampfer) nach Houston. Als ich alles zur Weiterbeförderung besorgt hatte und nochmals ins Hotel zurückgehe, kommt mir plötzlich Gustav, mein Mann, entgegen. Um ein Haar hätten wir uns bald verfehlt, obgleich er hierher gekommen war, um mich abzuholen. Nun war ich froh und dachte alles überstanden zu haben.


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