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Viele Jahre waren verflossen. Julie Börner hatte, nachdem sie aus der Volksschule entlassen worden war, eine höhere Töchterschule besucht und war zur blühenden Jungfrau herangewachsen. Ihr Vater hatte sich durch Herausgabe wissenschaftlicher Bücher über Forstkultur einen Ruf erworben, und es waren ihm sehr einträgliche Stellungen angeboten worden; er hatte sie aber ausgeschlagen mit dem Bemerken, von seinem lieben Breitenberg könne er sich nicht trennen. Herr Börner gehörte zu jenen Charakteren, die sich von dem, was sie unter schwierigen Verhältnissen geschaffen haben, sehr schwer trennen können und gerade das am meisten lieben, was ihnen unsägliche Mühe bereitet hat.
Eduard, der älteste Sohn des Oberförsters, hatte einige Jahre die Universität besucht und Jurispundenz studiert, aber das erste Staatsexamen nicht bestanden. Nun wollte er sich für das Forstfach vorbereiten. Er war in mehr als einer Hinsicht das Gegenteil von seinem Vater: leichtlebig und leichtsinnig strebte er nach einer einträglichen Stellung und scheute doch die Mühe, sich eine solche zu verdienen.
Die beiden jüngeren Brüder Julchens besuchten das Gymnasium. Julie half bei den häuslichen Arbeiten und schaffte in Küche und Keller nach der Mutter Anleitung. Ganz besonders aber nahm sie sich der Pflege des Gartens an. Hierbei kam ihr das Schönheitsgefühl, mit dem sie der Schöpfer bedacht hatte, vortrefflich zu statten. Sie war stolz darauf, Freunde der Familie, die sie zur Sommerszeit besuchten, in den Garten zu führen, ihnen die prächtigen Blumenanlagen zu zeigen und ihnen Proben von den köstlichen Früchten vorzusetzen, die sie selbst gezogen hatte.
Klar und geschäftig wie das Bächlein, das von den Bergen hinab ins Tal eilt, so floß das Leben Juliens dahin. Ab und zu fanden sich in der Oberförsterei Verwandte und Bekannte zum Besuch ein, und während der Ferien weilten Kameraden der Brüder oft wochenlang daselbst. Sie wurden freundlich aufgenommen, vortrefflich bewirtet und gingen, ohne besonderen Eindruck zu hinterlassen, wieder von dannen.
In Breitenberg befand sich ein großes herrschaftliches Gut, das von dem Wirtschaftsinspektor Müller verwaltet wurde. Ihm stand ein Assistent zur Seite, denn Herr Müller war bereits an Jahren weit vorgeschritten. Die Assistenten hielten nie lange auf ihrem Posten aus, weil der Inspektor hohe Anforderungen an sie stellte und unnachsichtlich jede Pflichtverletzung seines Untergebenen rügte. Andererseits war er aber auch darauf bedacht, pflichtgetreuen Beamten zu einer selbständigen Stellung zu verhelfen. Eine Empfehlung des Inspektors hatte stets guten Erfolg.
Gegen Ende der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts bewarb sich um die Assistentenstelle in Breitenberg Gustav Trautmann. Er war der einzige Sohn des Gymnasiallehrers Friedrich Trautmann in N., hatte das Gymnasium bis Prima besucht, sich ein halbes Jahr für den Postdienst vorbereitet, sich darauf dem Forstfache zugewandt und schließlich zum Landwirt ausgebildet. Sein Vater war mit Herrn Müller befreundet und dank dieser Freundschaft erhielt er den Posten.
Herr Trautmann stand im Alter von etwa dreißig Jahren, war hoch gewachsen, hatte eine frische, etwas gebräunte Gesichtsfarbe, trug einen Vollbart und erfreute sich einer festen Gesundheit. Seine Bescheidenheit, sein freundliches Benehmen gegen jedermann, auch gegen den geringsten der Arbeiter, erwarben ihm nicht nur die Zuneigung seines Vorgesetzten, sondern auch die Liebe und das Vertrauen der Untergebenen. Die Pflichten seines Berufes erfüllte er treu und gewissenhaft, und nachlässigen Arbeitern gegenüber konnte er ganz energisch auftreten, so daß ihn diese fast mehr fürchteten als den Inspektor.
In seinen Entschlüssen und Plänen beachtete der neue Assistent das Sprichwort nicht: »Eile mit Weile.« Von den Lichtseiten eines Gegenstandes wurde er nicht selten so eingenommen, daß er sich um die Schattenseite gar nicht kümmerte. Nach seinem augenblicklichen Gefühl richtete sich gewöhnlich auch seine Handlungsweise, und weil er zu wenig erwog, bedachte und überlegte, so mußte er manch bittere Erfahrung machen.
In den Mußestunden las Herr Trautmann gern Reisebeschreibungen und Schilderungen von fremden Ländern und Völkern. Für diese Lektüre war er so eingenommen, daß sein Vorgesetzter manchmal scherzweise die Bemerkung hinwarf: »Sie scheinen in der neuen Welt fast besser bekannt zu sein, als in der alten. Zuweilen erhob auch der Inspektor drohend den Finger, wenn sein Assistent die Vorzüge und Annehmlichkeiten ferner Länder rühmte und rief ihm das Dichterwort zu: »Warum denn in die Ferne schweifen? Das Gute liegt so nah.«
Der neue Wirtschaftsassistent machte natürlich auch auf der Oberförsterei seinen Antrittsbesuch. Sein liebenswürdiges Wesen gefiel auch hier, und da es sich herausstellte, daß er nicht nur ein Freund der Musik sei, sondern diese schöne Kunst selbst übe und pflege, so wurde er eingeladen, recht bald seinen Besuch zu wiederholen.
Mit Vergnügen machte Herr Trautmann von dieser Einladung Gebrauch. Er spielte meisterhaft die Violine, und Julie übernahm die Begleitung auf dem Flügel. Zuweilen wurde auch vierhändig auf dem Flügel gespielt oder es wurden Lieder mit Klavierbegleitung gesungen. An Juliens Eltern hatten die Musizierenden aufmerksame und sachverständige Zuhörer.
Wie die Töne harmonisch zusammenklangen, so harmonisch stimmten bald die Herzen überein. Kaum war ein halbes Jahr verflossen, da wurden Julie und Gustav in Breitenberg als Verlobte angesehen, obgleich der Assistent noch keinen förmlichen Antrag bei den Eltern Juliens gestellt hatte. Gegen die ernstlichen Absichten des strebsamen und soliden Beamten hätten diese auch nichts einzuwenden gehabt, wenn er nur erst zu einer Stellung gelangt wäre, in der er einen eigenen Herd gründen konnte. Daß Herr Trautmann wünschte, recht bald einen solchen Posten zu erhalten, kann man sich leicht denken. Er las mehrere landwirtschaftliche Zeitschriften und stieß eines Tages auf ein Inserat, in dem ein Ökonom zur selbständigen Verwaltung eines herrschaftlichen Gutes gesucht wurde. Er bewarb sich um die Stelle, erhielt vom Inspektor Müller ein vortreffliches Zeugnis und wurde als Inspektor eines kleinen herrschaftlichen Gutes angestellt.
Wenige Wochen darauf, nachdem Herr Trautmann den neuen Posten angetreten, führte er Julie als Braut heim, und das jugendliche Paar verlebte glückliche Tage. Als ihm aber Gott zwei Kinder geschenkt hatte und Dienstboten gehalten werden mußten, wollte das Gehalt nicht mehr ausreichen. Trautmann sah, daß seine Frau manches entbehren mußte, was anderen Frauen in gleichem Stande zu Gebote stand, und das tat ihm weh. Er dachte auch an die Zukunft und an die Versorgung seiner Kinder und sann auf Mittel, wie er sein Einkommen verbessern könne, entdeckte aber keine in der Nähe. Da ließ er den Blick wieder in die Ferne schweifen und »Wer sucht, der findet«.
Was Herr Trautmann gefunden und wie es ihm und seiner Frau in der Ferne ergangen, das soll uns diese in den folgenden Kapiteln erzählen.