Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Annchen war infolge des Skorbuts noch sehr leidend und von Moskitos so zerstochen, daß der Vater sein Töchterchen nicht wiedererkannte! Wir rasteten bis zum nächsten Abend in Galveston, fuhren dann mit dem Steamer nach Houston, wo mein Mann Pferde und Wagen bereit stehen hatte. Von hier ging es mehrere hundert Meilen weiter ins Innere des Landes. Vorher hatte es lange Zeit geregnet; daher waren die Wege grundlos. An gebahnte Wege war überhaupt nicht zu denken; es zeigten sich nur Wagenspuren durch die endlose Prärie. Die Sonne war unser einziger Wegweiser.
Meine Koffer und Kisten hatte Gustav zum Teil einem bekannten Fuhrmann mit der Weisung übergeben, sie ihm nach seiner gepachteten Farm abzuliefern. Der Mann fuhr ab, während wir bei Bekannten Trautmanns zwei Tage ausruhen und uns zur Fortsetzung der beschwerlichen Reise stärken wollten. Der Weg war so grundlos, daß wir drei Wochen brauchten, ehe wir an das Ziel unserer Reise gelangten, und während dieser Zeit fanden wir nie ein Obdach.
Früh morgens brachen wir täglich auf. Mittags wurde in der Prärie Halt gemacht, Feuer angezündet und von unseren mitgeführten Vorräten das Mahl bereitet. Anfangs hatten wir noch Weizenbrot; als dies ausging, wurde Maisbrot gebacken. Kaffee, Speck und Gefäße zum Kochen und Backen hatten wir mitgenommen. Wenn unser Essen verzehrt war, rasteten wir ein Weilchen, bis die Rosse satt gegrast und ausgeruht hatten. Dann ging die mühselige Fahrt weiter bis zum Abend. Gustav hatte vorsorglich ein Zelt für uns mitgenommen und ich einige Kissen. Mein Mann legte sich unter den Wagen; Anna und ich schliefen im Zelt. So verbrachten wir jede Nacht. Die Pferde wurden gekoppelt und freigelassen, um sich ihr Futter zu suchen, das sie am Wege fanden. Mit Tagesanbruch, nach dem Frühstück, wurde aufgepackt und weitergezogen.
Oft blieb der Wagen bis über die Achsen im Sumpfe oder Moraste stecken, und natürlich mußte ich mit Hand anlegen, ihn wieder flott zu machen.
Bereits vierzehn Tage hatten wir uns in dieser Weise gequält; da begegneten wir einem deutschen Fuhrmann, der sich erbot, einen sehr schweren Koffer von uns auf seinen Wagen zu laden, damit wir leichter fortkämen. Er hatte sechs Joch Ochsen und sein Sohn stand ihm helfend zur Seite. Ich war dagegen, denn der Mann flößte mir Mißtrauen ein; mein Mann schalt mich jedoch darüber aus und meinte, in Texas würde nicht gestohlen. Somit wurde der Koffer umgeladen. Wir waren im Weiterfahren bedeutend erleichtert, aber ich befand mich in beständiger Unruhe und Sorge.
Anfangs blieb der Fuhrmann bei uns und man half sich gegenseitig, bis wir in einen großen Wald einlenkten. Nur wenige Tagereisen vom Ziele blieben wir wieder mit dem Wagen stecken. Der Mann vor uns merkt es nicht und will's nicht merken; er fährt ruhig weiter. Wir quälen uns entsetzlich, kommen endlich los und gelangen an den Ort, wo die Nacht kampiert werden sollte; doch ein Fuhrmann war hier weder zu sehen noch zu hören. Gustav durchsuchte die ganze Umgebung, jedoch vergeblich. Keine Spur von dem Treulosen war zu finden. Unser Koffer war und blieb verschwunden, und nie habe ich ein Stück seines Inhalts wiedergesehen. Meine Ahnung hatte mich nicht betrogen. Vieles Wertvolle war in dem Koffer: sämtliche Wäsche und Kleidungsstücke, die wir auf der zwanzig Wochen dauernden Reise benutzt hatten. Trautmann war außer sich vor Ärger, ich tief betrübt und bekümmert. Auf der langen Reise allein hatte ich nicht einen Pfennig eingebüßt und nun dieser große Verlust! Wir haben später noch alles durchforscht und fanden den Koffer nach Jahresfrist leer im Walde, halb verrottet.
Wir fuhren traurig weiter und kamen endlich an die ersehnte Farm. Mein Mann hatte mir unterwegs erzählt, wie hübsch diese sei, wie wir uns einrichten wollten, wie viel Feld schon bestellt sei usw. Ein Anfang mit Kühen war bereits gemacht; acht Kälber hatte er schon aufgezogen. Ich freute mich und wartete begierig der Dinge, die da kommen sollten.
Die Gegend wurde immer schöner, gebirgig und anmutig, herrliche Vegetation; die Felder prangten in üppigster Blüte und Ernte zugleich. Sie waren nämlich mit Baumwolle bepflanzt, die vom Mai bis Dezember blüht und Früchte trägt, bis der erste Nordwind kommt. Voll freudiger Hoffnung sah ich der Zukunft entgegen, war aber auch bereit, mich in den Willen Gottes zu fügen, es komme, wie es kommen möge. Die Brücke, die mich in die alte Heimat führte, war abgebrochen. Ein Zurückblicken wäre nutzlos gewesen: Also mutig vorwärts!
Als wir ans Haus der Farm kamen – ein ganz hübsches Blockhaus – sahen wir zu unserem Erstaunen, daß es bewohnt war. Ein Texas-Gentleman kam heraus.
»Hallo, Mr. Struwe, wie kommen Sie hier in meine Farm?« rief ihm mein Mann zu, da er in dem Bewohner des Blockhauses einen alten Bekannten aus Niederschlesien erkannte.
Dieser erwiderte: Woher kommen Sie, Master Trautmann? Ich freue mich, Sie mit Ihrer Familie bei mir zu sehen. Erst vor einer Woche habe ich die Farm von einem deutschen Besitzer, namens Meier, gekauft.«
Das war der zweite schmerzliche Schlag für uns, der von einem Landsmanne ausgeführt wurde.
Trautmann hatte die Farm von Meier gepachtet und das Feld bestellt. Meier wußte, daß mein Mann nur verreist war, um mich und mein Kind abzuholen. Ohne Wissen und Willen des Pächters verkaufte er in dessen Abwesenheit die Farm. Durch diese »Heldentat« waren wir buchstäblich an die Luft gesetzt.
Master Struwe hatte keinen Teil an dieser Schurkerei; wir taten ihm leid, und er bot uns einen kleinen Anbau seines Hauses zur einstweiligen Unterkunft an, bis wir ein anderes Unterkommen gefunden haben würden.
Die Sachen, die wir dem Fuhrmanne aus Houston übergeben hatten, waren alle richtig angekommen und wurden einstweilen unter einem Schuppen im Trocknen aufbewahrt.
Anna und ich fielen bald nach unserer Ankunft in ein hitziges Fieber infolge der Überanstrengung. Kein Arzt war zu erreichen. Gustav, der zwei schöne Pferde besaß, ritt nach der nächsten, etwa zwölf englische Meilen entfernten Stadt, um Chinin zu kaufen, und damit kurierten wir uns selbst. Die anstrengende Reise und das Kranksein hatten uns hart zugesetzt.
Mißtreß Struwe, wie es einfach in Amerika heißt, war eine gute, liebenswürdige und feingebildete Frau. Sie stammte aus Berlin, wo ihr Vater Stallmeister des Königs gewesen war. Mit den königlichen Kindern war sie aufgewachsen. Nun lebte sie hier in Texas, arbeitete und kleidete sich wie alle Farmersfrauen. Sie trug einen blauen Kattunrock, mit ebensolcher Jacke, der Hitze und Arbeit wegen das Haar kurz geschnitten à la payan, was sie ganz gut kleidete, da sie hübsch war. Diese Frau half mir über manche Klippe hinweg und lehrte mich texanische Küche. Sie fühlte sich sehr unglücklich. Früher an Arbeit nicht gewöhnt, mußte sie hier die Kühe melken, ihr Maiskorn auf einer Handmühle selbst mahlen, kochen, backen, buttern, waschen, scheuern, kurz jede Arbeit verrichten. Von ihrem Manne, der am »Faulfieber« litt, wie es in Texas heißt, wurde sie nur wenig unterstützt. Wir halfen uns gegenseitig und gewannen uns lieb; denn ein gleiches Los vereinte uns, indem wir uns fremden Verhältnissen anpassen mußten. Mißtreß Struwe hatte drei Kinder, zwei Stiefsöhne und ein eigenes kleines Mädchen im Alter meiner Anna.
Trautmann war fleißig und half mir, wo und wie er konnte. Zu pachten war jetzt, mitten im August, nichts; wir mußten warten bis Dezember und uns durchhelfen so gut es ging. In dem winzig kleinen, uns bewilligten Raume, den Master Struwe selbst recht notwendig hätte gebrauchen können, konnten wir mit all' unseren Koffern und Kasten nicht bleiben; aber was beginnen?
Mein Mann hatte noch einen Bekannten in der Nähe, einen Deutschen, namens Martell. Die Amerikaner wohnten alle weiter entfernt von uns. Dieser Landsmann gab uns den Rat, vorläufig eine leerstehende Farm zu beziehen. Der Eigentümer dieser Farm hatte Neger gestohlen und war, um nicht gelyncht zu werden, flüchtig geworden. Bevor die Wut und der Rachedurst gegen ihn sich nicht gelegt hatten, war seine Rückkehr nicht denkbar.
Wir packten also unseren Wagen, nahmen zum Glück nur das Nötigste mit, begaben uns aufs Suchen und fanden glücklich die Farm. Wir waren außerordentlich froh, endlich ein Obdach gefunden zu haben; denn hier gedachten wir zu bleiben, bis wir in den Besitz eines eigenen Hauses gelangten. Die Gebäude waren in gutem Baustande und mit allem Nötigen versehen; selbst ein Haus zum Räuchern des Fleisches war vorhanden. Wir bereiteten unser Diner (Mittagessen) und verzehrten es, auf der Erde gelagert, frohen Herzens mit dem innigsten Wunsche, hier dauernd bleiben zu können, was ich immer noch nicht zu hoffen wagte, während mein Mann mir versicherte, die Farm stehe schon lange leer und der Eigentümer würde sobald nicht wagen, heimzukehren.
Wir machten uns also an das Abladen unseres Wagens. Da kommt ein amerikanischer Gentleman geritten und ruft: »Hallo! Was tun Sie hier?«
Mein Gustav erklärt ihm unsere Lage und teilt ihm mit, daß wir nach dem Rate des Mstr. Martell im Begriffe ständen, vorläufig die verlassene Farm zu beziehen. Darauf erhielten wir den Bescheid, daß der Gentleman als ein Cousin des Besitzers ebenfalls willens sei, von der Farm Besitz zu nehmen. Das war für uns wieder ein harter Schlag.
Der Wagen mit all den Sachen, die sich darauf befanden, wurde stehen gelassen; denn in Texas wird wirklich nicht gestohlen, wie ich mich im Laufe der Zeit überzeugte; der Fall mit unserem verschwundenem Koffer stand einzig da. Wir setzten uns zu Pferde, ich mit meinem Kinde, und fort ging's, zu unserem Berater. Nach vielfachem Nachdenken und Überlegen fiel diesem eine zweite leerstehende Farm ein, deren Besitzer auf einer anderen Ansiedelung wohnte.
In aller Eile ritten wir zurück, um den Wagen zu holen und hier unser Heil zu suchen. Gott sei Dank! Die Farm war leer, und wir konnten sie beziehen. Erst am nächsten Morgen ritt Gustav zu dem Eigentümer, der in erreichbarer Entfernung wohnte und erhielt gern und ohne Umstände die Erlaubnis, die Farm zu bewohnen, bis wir anderweitig pachten konnten.