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In jener Zeit erschien durch einen Herrn von Bülow eine Broschüre über Zentral-Amerika, die schnell allgemeine Verbreitung fand. In dieser Schrift wurde geschildert, wie leicht dort Land zu erwerben, wie das Klima herrlich und der Boden paradiesisch schön und so fruchtbar sei, daß in einem Jahre dreimal gesäet und geerntet werden könne. Auch freie Arbeiter sollten dort zu haben sein usw.
Trautmann las mit großem Interesse das Büchlein, ward unruhig und sehnte sich nach dem »gelobten Lande«, um der schweren Arbeitslast sich zu entziehen.
Ich bat und beschwor ihn, auf unserem Eigentum und bei unserer gewohnten Arbeit zu bleiben. Wir waren ja wirtschaftlich vorwärts gekommen; unser Viehstand hatte sich auf 48 Rinder vermehrt; wir besaßen sechs schöne Pferde, Borstenvieh und allerlei Geflügel in Menge. Aber meine Bitten waren vergeblich; es gab keinen Halt mehr bei meinem Manne, und ich mußte mich ins Unvermeidliche fügen.
Nun wurde alles verkauft, die Farm und was zur Bewirtschaftung derselben gehörte. Die anderen Sachen wurden gepackt, und nun hieß es: Fort nach dem neuen gesegneten Lande!
Einige Wochen vor unserer Abreise waren neue Ansiedler aus Europa angekommen. Eine Familie hatte eine Amme mitgebracht, die sie nicht länger bedurfte, denn das Kind war auf der Seereise gestorben, und da ihre Existenzmittel knapp waren, so konnte die Herrschaft das Mädchen nicht erhalten. Sie war froh, als ich es ihr abnahm.
Auch ein junger Ökonom war mitgekommen; mittellos, im jammervollsten Zustande, bat er uns um Aufnahme und versprach, uns bei der Arbeit zu helfen.
Wir hatten also zwei uns verpflichtete Gehilfen für die neue Ansiedelung in Nicaragua, wohin zu gehen beschlossen worden war.
Erst reisten wir nach Galveston, um dort den Abgang eines Dampfers nach Neuorleans abzuwarten. Bis dahin verging längere Zeit, weshalb wir bei einem deutschen Austernfischer Quartier nahmen. Der Fischer und seine Familie waren freundliche, gute Menschen. Trautmann und der uns begleitende Ökonom unterhielten sich mit dem Fischer, fuhren mit ihm zum Fange aus und schwelgten im Genüsse der delikaten Austern, die dort reichlich erbeutet wurden.
Endlich, nach vierzehn Tagen, sollte ein Dampfer abfahren. Wir nahmen daher unser Gepäck und begaben uns auf das für die Reise bestimmte Schiff. Leider hatte mein Mann noch wichtiges vergessen und kehrte mit seinem Gehilfen ans Land zurück. Ich, in Angst, das Schiff möchte in dieser Zeit auslaufen, wollte ihn nicht weggehen lassen, aber ich vermochte nicht, ihn festzuhalten. Kaum war er fort, da setzte sich der Steamer in Bewegung. Ich eilte zum Kapitän, um ihn zu bitten, noch einige Minuten zu warten. Da sehe ich meinen Mann mit seinem Gehilfen in einem kleinen Fischerboote herankommen. Die Matrosen werfen ihnen Taue zu, wovon Trautmann eines erfaßt. Er wird aufgewunden, kommt jedoch dem Rade der Maschine zu nahe und muß das Tau loslassen, um nicht zu verunglücken. Der Dampfer setzt seinen Lauf ruhig fort, und die beiden bleiben zurück ohne Geld und Lebensmittel. Ich hatte alles an Bord. Ich war ganz außer mir, und alle Passagiere bezeigten mir ihre Teilnahme in meiner verzweifelten Lage; der Steamer aber ließ sich in seiner Fahrt nicht stören.
Was sollte aus den Zurückbleibenden werden? Ich kam wieder allein in die große Welt- und Hafenstadt Neuyork. Jetzt konnte ich wenigstens englisch sprechen, mein Kind war größer und kräftiger geworden, und ich hatte eine Dienerin bei mir, die unsere Sachen beaufsichtigen konnte, während ich nach einer Wohnung suchte. Diese wurde nach langem Umherirren bei freundlichen Leuten gefunden. Wir richteten uns für acht Tage ein, da das nächste Schiff nach dieser Pause aus Neuorleans hier eintreffen sollte. Ich hoffte, mit ihm würde auch mein Gustav kommen. Die Zeit verstrich, aber es kam kein Schiff.
Zufällig lernte ich während dieser Zeit einen Herrn kennen, der früher Reisegefährte meines Mannes gewesen war und in Neuyork ein Zigarrengeschäft betrieb. Dieser nahm sich meiner in der Verlassenheit an. Er holte mich jeden Abend ab, um mit mir auf die Werft zu gehen, wo die Schiffe ankommen und daselbst Nachforschungen nach Trautmann anzustellen. Wie hätte ich mich ohne männlichen Schutz in dem Drängen und Treiben dieser Weltstadt zurechtfinden können? Eine Polizeikontrolle der ankommenden Fremden wie in Europa gibt es hier nicht.
Es vergingen drei Wochen in fruchtlosem Hoffen und Harren; jeden Abend kehrte ich trostlos heim. Meine Wirtsleute, außerordentlich brave und gutmütige Menschen, sahen mich scheu und mitleidig an und erzählten sich leise und heimlich von einem untergegangenen Dampfer. Die schlimmsten Befürchtungen folterten mich, und zuletzt brachte ich den ganzen Tag auf der Werft zu, neben mir Anna und im Innern fast verzweifelnd.
Da bringt mir eines Tages mein Wirt die Botschaft, es warte zu Hause ein Bekannter meiner, um mich zu sprechen. Sogleich eile ich heim und finde – meinen Mann.
Gott hatte es gefügt, daß er mich sogleich gefunden, nachdem er ans Land gestiegen war. Mit einigen Leidensgefährten war er in einem Austern-Salon eingekehrt, um sich zu erholen und zu stärken. Hier äußerte er, wie es wohl möglich sein dürfte, Frau und Kind in dieser großen, ihm unbekannten Stadt aufzufinden. Der Kellner hatte die Äußerung gehört und meinte, vielleicht könne er sogar bald die Spuren aufsuchen helfen. Er beobachte täglich eine Dame, die mit einem kleinen Mädchen an die Werft komme und sehnsüchtig nach den anlaufenden Schiffen ausschaue.
Trautman ließ sich nur die Straße zeigen, von wo die Dame kam und wohin sie zurückkehrte. Auf diese Weise fand er bald meinen Aufenthaltsort.
Mein armer Mann war ganz erschöpft nach den überstandenen Strapazen auf dem Schiffe. Der Dampfer, auf dem er übergefahren war, hatte zu dieser Fahrt nicht weniger als drei Wochen Zeit gebraucht; denn die Maschine war gebrochen, und ehe sie wieder hergestellt wurde, ging der Proviant aus, und die Reisenden mußten Hunger und Durst leiden. Zu unserm Leidwesen war das Schiff, auf dem wir bis an das Endziel unserer Fahrt gelangen wollten, abgesegelt, und wir blieben wieder wochenlang in Neuyork sitzen und warteten auf die Abfahrt eines Dampfers nach Nicaragua.
Inzwischen erkundigte sich mein Mann eingehend nach den Verhältnissen in dem fremden Lande bei Personen, die aus eigener Erfahrung sprechen konnten. Er traf Reisende, die mit dem Steamer aus Kalifornien über Greytown-Nicaragua gekommen waren. Als diese hörten, wir beabsichtigten in das Innere des Landes einzudringen, meinten sie einstimmig: »Tut das nicht! Bleibt in Greytown; dort fehlt es gänzlich an einem Hotel.« Sie rieten Gustav, ein solches dort zu errichten. Tausende von Auswanderern und Reisenden, die von und nach Kalifornien über diesen lebhaften Hafenplatz gingen, fänden kein Unterkommen; mithin könnten wir binnen kurzer Zeit viel Geld erwerben. Im Lande selbst, sagten sie, seien noch ganz ungeregelte Zustände. Es sei darum ratsam, andere, und zwar günstigere Zeiten abzuwarten.
Trautmann war voll Feuer und Flamme für den neuen Vorschlag und teilte mir seinen Entschluß, darauf einzugehen, mit.
Ich erschrak bei dem Gedanken: Ich, eine Hotelwirtin! Was würden meine Angehörigen in der alten Heimat dazu sagen? Würde ich den Anforderungen, die an eine Gastwirtin gestellt werden, gewachsen sein? Es schien mir unmöglich, auf das Vorhaben meines Mannes einzugehen; ich versuchte, ihn von seinem Plane abzubringen. Gustav verließ mich ganz niedergeschlagen, kam aber mit neuen Nachrichten und neuen Plänen zurück, um meine Zustimmung zu erlangen. Er war überzeugt, daß ich den Anforderungen, die an mich gestellt würden, vollständig gewachsen sei, und daß das Unternehmen gelingen müsse. Es fehle mir nicht an einer Gehilfin und ebenso wenig an einem Gehilfen für den Schenktisch, und somit würde die Sache wohl gehen.
Nach einigen Tagen teilte mir Gustav mit, daß er soeben ein fix und fertiges, transportables Haus gekauft, sowie alle für eine Gastwirtschaft nötigen Vorräte an Getränk usw. angeschafft habe. Die Angelegenheit war also eine festbeschlossene Sache und weiteres Widerstreben meinerseits wäre zwecklos gewesen. Deshalb blieb mir nichts übrig, als selbst mit Hand ans Werk zu legen.
Betten und Wäsche besaß ich wohl reichlich, aber nicht für dreißig bis vierzig Nachtgäste. Wir brauchten jedoch nur Matratzen, Kissen, wollene Decken und Bettlaken nebst Moskitonetzen zu kaufen.
Man machte uns noch darauf aufmerksam, daß zum Zusammenfügen des Hauses an Ort und Stelle es an Zimmerleuten mangeln dürfte. Außerdem sollten wir Bretter zum Verschlagen der Wände, ferner Zelte und eine improvisierte Küche mitnehmen. Wir befolgten die Ratschläge und fanden später, daß sie sehr gut waren.
Endlich reisten wir mit einem Schnellsegler ( Clipperbrigg) mit großer Fracht und vollständigem, aber zerlegtem Hause ab. Unsere Fahrt ging gut und schnell von statten, nur war es etwas eng und unbequem auf dem Schiffe. Der Kapitän, ein Amerikaner, war ein netter, freundlicher Mann.
Anna bekam die Masern, doch verlief die Krankheit ohne Arzt bei der heißen Luft recht schnell.
Nach vierzehntägiger Fahrt kam eines Tages der Proviantmeister des Schiffes und meldete: »Die Wasserfässer sind leer.«
Das war eine sehr schlimme Nachricht, da weder Wasser zum Trinken noch zur Bereitung von Tee und Kaffee zu erlangen war, und im günstigsten Falle dauerte die Fahrt mindestens noch acht Tage. Ein Nordamerikaner an Bord, der vielerlei spirituöse Getränke, besonders Wein, bei sich führte, um damit Geschäfte zu machen, mußte helfen. Diese Hilfe kostete den Kapitän viel, sehr viel Geld und nützte uns wenig; denn der Wein vermehrt den Durst, anstatt ihn zu löschen. So litten wir sechs Tage hindurch fürchterliche Qual in der tropischen Hitze; am meisten mein armes, krankes Kind und ich mit ihm. Endlich erscholl der Ruf: »Land! Land!«
Obwohl das Land, eine kleine Insel, nicht in unserem Kurse lag, ließ doch der Kapitän darauf lossteuern, um den Verschmachtenden Wasser zu verschaffen. Es war die Insel Cum-Island, die wir gegen Mittag erreichten. Das Schiff legte an, und sogleich kamen die ebenholzschwarzen Einwohner mit den herrlichsten tropischen Früchten, Kokosnüssen und klarem, frischem Quellwasser.
Die Eingeborenen schienen ein freundlicher, gutmütiger Menschenschlag, und das Eiland schien ein wirkliches Eden zu sein. Am liebsten wären wir hier geblieben, aber unsere Habseligkeiten waren tief im Schiffsräume verpackt und der Aufenthalt des Schiffes zu kurz, um sie ausladen zu können.
Unter all den Schwarzen lebte nur eine weiße Familie. Das Oberhaupt dieser war ein Kapitän, der Tauschhandel betrieb an den Küsten von Moskita, Hondura und Greytown.
Erquickt und gestärkt segelten wir weiter und kamen endlich nach vier Wochen in den ersehnten Hafen von Greytown oder San Juan del Norte.