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Der Hafen von San Juan del Norte ist schön und bequem. Obgleich bereits an die amerikanische Bevölkerung, an das heiße Klima und die Tropenvegetation gewöhnt, war uns doch hier alles fremd und neu und ganz verschieden von dem, was wir bisher gesehen hatten. Die eigentliche Stadt bestand zu jener Zeit nur aus Zelten, drei hölzernen und einem steinernen Hause. Das letztere gehörte einem Engländer, dem Kapitän eines Küstenfahrers, der sich hier angesiedelt hatte. Er war ein sehr wohlhabender Mann. Fast alles Land, das man übersehen konnte, war sein Eigentum, das er teilweise an Ansiedler verpachtete oder verkaufte. Der Mann war sehr liebenswürdig und angenehm in seinem Benehmen.
Der Anblick dieser Zeltstadt war eigentümlich. Ebenso machte die Bevölkerung einen ungewöhnlichen Eindruck. Sie bestand aus Eingeborenen – Halb-Spanier und Halb-Indianer, die in Hütten aus Palmblättern und Bambus wohnten –, aus Negern von Jamaika, Haity und den Nachbarinseln. – Diese wohnten außerhalb der Stadt am Urwald; – aus weißen Amerikanern, Engländern, Spaniern – meist Castilanern – Italienern und einigen wenigen Deutschen. Die Weißen boten alle einen entsetzlichen Anblick dar; sie glichen wandelnden Leichen. Welche Aussicht für uns!
Die Hitze war furchtbar; weshalb die farbige Rasse und die Eingeborenen ziemlich im adamitischen Kostüm einhergingen, was mir anfänglich sehr peinlich war. Nur wenige Männer trugen Beinkleider; die Frauen und Mädchen trugen nur kurze, weiße Röckchen; darüber einen Rock von dünnem Musselin; kein Hemd, sondern ein kurzes, loses, tiefausgeschnittenes Jäckchen, bis zur Taille reichend, mit kurzen Ärmeln, die Füße in buntseidenen Pantoffeln; das volle, rabenschwarze Haar gescheitelt und am Ohr aufgesteckt, stets mit Blumen geschmückt. Die Haut der Eingeborenen ist bronzefarbig und sammetweich; die Gesichtszüge sind sehr hübsch und ihrem Charakter nach sind die Eingeborenen gefühllos, schlaff und träg, aber auch ehrlich und gutmütig,
Die Eingeborenen waren gesund, die Weißen dagegen sahen gelb und abgezehrt aus und schlichen an Stöcken umher. Auf unsere Frage nach der Ursache dieser Erscheinung hieß es: »Daran ist das böse Fieber schuld; wir alle werden hier untergehen, und dabei muß man arbeiten, um nur das Leben zu fristen.«
Das klang nicht ermutigend für uns.
Zunächst bedurften wir eines Unterkommens. Wir durchwanderten daher die sonderbare Zeltstadt und sahen uns nach einem solchen um.
Jedes Zelt ist nach zwei Seiten hin offen, damit die Luft hindurchströmen kann. Neben dem Zelt befindet sich das Küchenzelt. Jedes Wohnzelt wird auch als Hotel benutzt, da der ganze Ort nur für Reisende errichtet ist, die entweder von Neuyork und Neuorleans nach Kalifornien gingen oder von da zurückkommend den Abgang der Dampfer erwarteten, um ihre alte Heimat wieder aufzusuchen.
Nach langem Suchen fanden wir endlich ein angefangenes Bretterhäuschen, das zwei junge deutsche Zimmerleute zu bauen begonnen hatten. Sie waren aber so elend geworden, daß sie es nicht vollenden konnten und ließen sich von Trautmann bewegen, ihm die Hälfte ihres unvollendeten Häuschens für mich, Anna und unser Dienstmädchen zu überlassen.
Das ganze Häuschen bestand nur aus einem viereckigen Raume mit Türen und Fenstern; diese ohne Scheiben. Ich war jedoch schon von Texas her an solche Fenster gewöhnt; Glas war eben damals noch in jenen Ländern ein unbekannter Luxusartikel. Ich nahm Bettlaken und zog damit eine Scheidewand zwischen uns und den Besitzern. Von Zelt-Leinwand, die wir mitführten, wurde neben dem Häuschen ein Zelt für meinen Mann und seinen Gehilfen errichtet. Das war einstweilen unsere Aushilfswohnung.
Als die andere Ladung vom Schiffe ankam, wurde zuerst ein Zelt aufgestellt, das mir zur Küche diente. Einen Ofen und vielerlei Nahrungsmittel hatten wir mitgebracht, doch fehlte so manches, was angekauft werden mußte, um kochen zu können. Da hieß es aber, man dürfe des Morgens nicht ausgehen, weil der Tau ungesund sei; mittags verbot die unerträgliche Hitze das Ausgehen und abends bekommt man erst recht das Fieber davon. Das war zum Verzweifeln! Um für die Mahlzeiten zu sorgen, mußte ausgegangen werden. In der vierten Woche bekam mein Dienstmädchen wirklich das hitzige Fieber, und den dritten Tag war es tot. Ein trauriger Anfang für uns!
Ich war nun mit meiner siebenjährigen Anna allein zu aller Arbeit, die jetzt erst recht beginnen sollte.
Unser Haus war zwar soweit beisammen, daß das Verschlagen der Wände und das Decken beginnen konnten. Die Wand an der Wetterseite hatte ein Zimmermann uns noch fertiggestellt; dann verließ er uns, um anderweitig zu helfen. Mein Mann mußte also mit dem Gehilfen das Haus vollenden. Die Seitenwände wurden mit Leinwand verschlagen, die wir mitgebracht hatten. Das Dach wurde aus Schindeln hergestellt. Es zeigte sich bald, daß unkundige Hände das Werk vollbracht hatten; denn es regnete so ein, als säßen wir im Freien.
Auf vieles Bitten ließ sich endlich der Zimmermann bewegen, wieder zu uns zu kommen und das Dach ordentlich herzustellen. Es war die höchste Zeit; denn die Regenzeit begann, und diese herrscht hier neun Monate lang. Es regnet zwar nicht unaufhörlich, aber an jedem Tage und manchmal wolkenbruchartig, alles überschwemmend und ebenso schnell wieder verlaufend. Oft löschte mir der Regen das Feuer im Küchenzelte aus, bis endlich die eigentliche Küche fertig geworden war.
Kaum war dies geschehen, so kamen auch schon die ersten Gäste aus Kalifornien. Wir besaßen weder Tische noch Stühle, aber die armen Leute waren froh, unter Obdach zu sein. Da es unter ihnen auch Tischler und Zimmerleute gab, die frisch angriffen und unsere Bretter, Nägel und Werkzeuge benützten, so entstanden bald Bänke und eine lange Tafel. Der obere Raum des Hauses wurde zu Schlafstellen bestimmt und hergerichtet. Die Bettvorrichtungen besaß ich fertig, und so konnten wir bald 36 Personen auf einmal aufnehmen. Anna und ich mußten stink Küche und Haus allein versehen, und Gustav mit seinem Gehilfen hatte am Schenktisch zu tun.
Natürlich waren wir gegen alle freundlich und gewannen dadurch die Herzen und den guten Willen der Leute. Sie halfen mir oft, wie und wo sie konnten und baten, mich und das fleißige Mädchen zu schonen. Aber so viel Hungrige wollten doch an drei Mahlzeiten des Tages gesättigt und außerdem auch besorgt sein.
Zum Frühstück gab es Kaffee und Tee, Beefsteak, Fleisch von Seekuh, Fisch, Schinken, Eier, Kartoffeln, geröstete Zwiebeln, die nie fehlen durften, und Weizenbrot. Dies alles kaufte Trautmann früh morgens ein. Anna rüstete den Tisch; deckte ihn jedesmal wieder ab und wusch das Geschirr, während ich das Haus in Ordnung brachte.
Unterdessen war die Stunde des Diners gekommen. Dies bestand aus den nämlichen Gerichten wie das Frühstück mit Hinzufügung einiger großen Braten von Seekuh, Schwein oder Tapier, verschiedener Kompotts der herrlichsten tropischen Früchte, potatoes, yams und zuletzt kam eine pie, d. h. ein großer, mit Frucht gefüllter Kuchen.
Anna räumte nach dem Essen mit Beistand des Gehilfen den Tisch wieder ab und wusch alles rein, während ich meine erschöpften Kräfte durch Ruhe ergänzen mußte, sonst hätte ich das Treiben nicht lange ausgehalten.
Gegen Abend kam das super (Abendbrot) mit ähnlichen Speisen, wie sie den Gästen zu den anderen Mahlzeiten vorgesetzt wurden. Es gab Tee und Kaffee, da man Suppe nicht kennt; dann meist kaltes Fleisch, gedämpfte Austern, Käse usw.
So waren die Mahlzeiten beschaffen, deren Bereitung all unsere Kraft beanspruchte. Glücklicherweise kam es nur dreimal im Monat vor, daß wir vier bis sechs Tage eine große Zahl von Gästen hatten; nach dieser Zeit wurden die Leute von den regelmäßig verkehrenden Dampfern weiter befördert. In den Zwischenpausen hatten wir vollauf zu tun, alles für die Neuankommenden vorzubereiten. Pfefferkuchen mußte gebacken und Bier mit Gewürz mußte gebraut werden, da beides lebhaft begehrt wurde. Die Wäsche mußte ohne fremde Hilfe gewaschen werden, da eine Wäscherin für ihre Dienstleistung monatlich 30 Dollar beanspruchte.
Nun aber erkrankten wir infolge übermäßiger Anstrengung in dem ungewohnten Klima. Mein Mann und Anna bekamen Dysenterie (Ruhr); sie konnten kaum noch einherschleichen; der Gehilfe bekam Knochenfraß in beiden Schienbeinen, ich selbst tiefe Wunden an beiden Füßen, Als neue Gäste ankamen, mußten wir trotz unseres jammervollen Zustandes für sie sorgen und unter den heftigsten Schmerzen umherkriechend sie bewirten.
Die Menschen aber waren mitleidig und gut; sie halfen uns nach Kräften, und die Erfahrung hatte sie ein Mittel gegen Trautmann's und Anna's Krankheit gelehrt. Es wurde nämlich ein Stück Flanell zu Pulver verbrannt und davon täglich zweimal ein halber Eßlöffel voll eingenommen. Binnen kurzer Zeit nach dem Gebrauche waren beide Patienten gesund. Auch für meine Wunden wußte jemand eine Salbe, die mir Linderung brachte, so daß sich drei von uns wieder erholten, nur bei unserem Gehilfen schlug kein Mittel an. Er lag als wahrer Lazarus da, und es blieb uns nichts anderes übrig, als ihn ins nördliche Klima nach Neuyork zu schicken. Nie haben wir später noch etwas von ihm erfahren.
Nun waren wir abermals auf uns allein angewiesen. Wir mußten hier aushalten; denn unser ganzes Vermögen bestand aus dem Hause und dem Mobiliar. Zum Verkaufe alles dessen war keine Aussicht. Also hieß es: abwarten und ausharren, bis sich eine passende Gelegenheit findet, das Haus mit seiner Einrichtung als Gastwirtschaft zu verkaufen. Dann wollten wir unser erstes Vorhaben ausführen, im Innern Nicaraguas eine Kaffeeplantage erwerben und uns daselbst ansiedeln; aber alles kam anders, als wir planten.