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Greytown war in der kurzen Zeit, als wir uns daselbst etabliert hatten, zu einer freundlichen, hübschen Stadt herangewachsen. Mit einer Schnelligkeit, wie sie nur in Amerika üblich ist, waren Hotels und Kaufhäuser errichtet worden und zahlreiche Amerikaner, Engländer und Deutsche hatten sich hier niedergelassen. Nahe dem Strande, auf der dem Hafen gegenüber liegenden Seite, hatte die Nicaragua-Transit-Kompany ihre Niederlassung.
Diese Gesellschaft hatte den Zweck, die Reisenden von und nach Kalifornien zu befördern. Das Land, auf dem sich ihre Niederlassung befand, war der Gesellschaft von der freien Stadt Greytown gegen die Verpflichtung überlassen worden, eine jährliche Pachtsumme und die üblichen Hafengebühren für die ein- und auslaufenden Schiffe zu zahlen. Anfangs kam die Gesellschaft ihren Verpflichtungen pünktlich nach, dann entstanden Zwistigkeiten zwischen der Stadt und der Kompany, die nach und nach immer ernster wurden. Die Kompany verweigerte die ausbedungenen Abgaben, während sie sich als Herrin des Platzes benahm. Zuletzt gingen die Feindseligkeiten so weit, daß die Reisenden gar nicht mehr ausgeschifft wurden, sondern auf Schiffen ihre Verpflegung erhielten, wenn diese auch sehr schlecht und mangelhaft war. Das geschah, um der Stadt zu schaden und ihr den Gewinn von der Aufnahme und Beköstigung der Passagiere zu entziehen.
Die Stadt dagegen rächte sich ihrerseits, indem sie ein Haus der Kompany, das diese auf städtischem Grund und Boden aufgerichtet hatte, eines Tages ruhig niederreißen ließ. Natürlich wurde dadurch die Erbitterung der Gesellschaft noch mehr gesteigert.
Der erste Beamte der Kompany, namens Scott, ärgerte sich an dem Aufblühen des Ortes und dem Wohlstande der Bürger. Er sann auf Rache und beschloß den Untergang der Stadt, wobei ihn der Präsident der Gesellschaft, ein gewisser J. W. in Neuyork unterstützte. Diese beiden Männer verfaßten und sandten eine Beschwerde an die Regierung der Vereinigten Staaten in Nordamerika, schilderten darin Greytown als ein Piratennest und verlangten ein Kriegsschiff, um die Stadt zu bombardieren. Alle Einzelheiten zu erzählen, die schließlich die furchtbare Katastrophe herbeiführten und uns mit allen Bewohnern der Stadt in namenloses Elend stürzte, würde zu weit führen. Mein Mann hat später ein Memorandum (Gedenkschrift) darüber mit allen Einzelheiten aufgesetzt, um es zu einer Klage auf Schadenersatz gegen die Nordamerikanische Staatsregierung zu benutzen; leider ohne Erfolg, da bald darauf der Krieg mit den Südstaaten ausbrach.
Ohne Untersuchung, ob die Beschwerden der beiden Kompany-Beamten begründet seien, schenkte die amerikanische Regierung ihnen Gehör und schickte wirklich ein Kriegsschiff. Kurz vorher hatte dieses unseren Hafen verlassen, nachdem es monatelang hier gelegen und Offiziere wie Mannschaften sich's unter uns hatten wohl sein lassen.
Obgleich seit zwei Jahren in unserer Stadt weder Magistrat noch Polizei existierten, waren nie Betrunkene aus den Straßen zu sehen; nie kam eine Ruhestörung, nie ein Diebstahl vor, so daß wir weder Schloß noch Riegel an unserem Hause hatten. Gingen wir einmal alle aus, so wurde die Tür mit einer Schnur an den Türpfosten befestigt. Das genügte vollständig, um Fremde von dem Eintritte in das Haus abzuhalten.
Zwar befanden sich in der Stadt ein englischer General-Konsul, ein Vize-Konsul und ein deutscher Konsul; diese hatten jedoch mit der Landjustiz nichts zu schaffen.
Als nun das Kriegsschiff erschien, hatten wir keine Ahnung von dem, was uns bevorstand; es war ja schon oft im Hafen gewesen. Plötzlich kamen sechs bis acht mit Mannschaften besetzte Boote ans Land. Die Besatzung stieg dicht bei unserem Polizeihause, das Waffen und einige Kanonen enthielt und wie die andern Häuser unverschlossen war, aus, drang in die Räume, nahm alles, was sie an Waffen fand, trug es auf ihre Boote und fuhr damit ab.
Jedermann in Greytown war über das Benehmen der Schiffsmannschaft erstaunt und niemand konnte sich den Vorgang erklären. Schließlich verfiel man auf den Gedanken, die Vereinigten Staaten seien Willens, Greytown zu annektieren und das Sternenbanner Nordamerikas würde bald an Stelle der Muskitoflagge aufgepflanzt werden. Diese Aussicht wurde von den Bewohnern der Stadt mit Jubel begrüßt.
Am nächsten Morgen aber wurden Plakate angeschlagen, die dahin lauteten, »daß, wenn nicht binnen vierundzwanzig Stunden eine Entschädigungssumme von 26 000 Dollar gezahlt würde, das Bombardement gegen den Ort früh neun Uhr beginnen solle.«
Eine Entschädigung wofür? Niemand wußte es, und keiner glaubte an den furchtbaren Ernst dieser Drohung. Weil jedem der ganze Vorgang grundlos und unfaßbar erschien, so dachte kein Mensch ans Zahlen oder traf sonst irgend eine Vorkehrung.
Ich war jedoch unruhig, packte in einen Koffer verschiedene Sachen und ließ ihn nebst einigen Betten in unser großes, im Hafen liegendes Boot schaffen. Man lachte mich aus, aber eine innere Stimme warnte und ermahnte mich zu tun, was ich tun konnte. Sogar meinen Mann bewog ich, die wertvollsten Sachen in den Garten zu schleppen; die schweren mußten wir leider stehen lassen, darunter einen Flügel, der erst vor acht Tagen angeschafft worden war, und dessen Besitz uns bei unserer Vorliebe für Musik sehr glücklich gemacht hatte. Dann verließ ich mit angstvollem, schwerem Herzen unser Hab und Gut, und wir begaben uns vereint auf unser Boot. Gustav wollte mich aufheitern und scherzte: »Wenn die Bomben durchs Haus fliegen, nagle ich die Löcher wieder zu.«
Die Stadt wurde menschenleer. Viele Einwohner fanden Aufnahme auf den fremden Schiffen, die im Hafen lagen. Die Eingeborenen flohen in die Wälder, und alle nahmen nur bares Geld, sonst nicht das geringste mit sich. Wir fuhren auf unserem Kanoe mitten in den Hafen.
Punkt 9 Uhr des nächsten Morgens drehte wirklich das Kriegsschiff seine Breitseite dem Hafen zu. Das Bombardement begann sogleich und währte bis nachmittags 2 Uhr, ohne bedeutenden Schaden anzurichten. Dann bemerkten wir, daß der Kapitän das Kriegsschiff verließ und in seinem Boote nach den Gebäuden der Kompany zum Diner fuhr.
Um 4 Uhr kehrte der Kapitän auf das Schiff zurück. Das Schießen begann abermals, wurde sehr heftig und dauerte zwei Stunden. Auf einmal verstummte es. Die Boote wurden sämtlich vom Schiffe herabgelassen, vollständig bemannt und segelten ans Land. Die Mannschaften stiegen aus und verteilten sich in der Stadt.
Was hatte das zu bedeuten? Uns war bang zumute. Ach, nur zu bald ging uns ein schreckliches Licht auf. Nach wenigen Minuten standen, wie auf Kommando, sämtliche Häuser in hellen Flammen; für uns alle ein entsetzlicher Anblick!
Mein Mann stürzte in seiner Verzweiflung auf ein kleines Boot, fuhr hinüber ans Land und schlich auf Umwegen durch Sumpf und Gestrüpp bis an unser in Flammen stehendes Haus. Er sprang hinein, und es gelang ihm mit verzweifelter Anstrengung den schwersten Koffer ins Freie zu schleppen. Angst und Aufregung gaben ihm Riesenkräfte.
Da setzte ihm unvermutet ein Marinesoldat das Gewehr an den Kopf und drohte ihn niederzuschießen, wenn er den geringsten Versuch mache, etwas von hier fortzuschaffen.
Mein armer Mann mußte, da er unbewaffnet war, der Gewalt weichen, sich zurückziehen und sah zähneknirschend, wie unser mühsam und redlich erworbenes Eigentum ein Raub der Flammen wurde. Er kam zu uns zurück, die wir jetzt so arm wie Bettler geworden waren. Und wie uns, so erging es allen, allen unsern Mitbürgern.
Von Haus zu Haus drangen die Brandstifter, nichts wurde verschont, und alles wurde niedergebrannt.
Fast all unser bares Vermögen steckte im Geschäft und in den großen, angeschafften Vorräten. Seit einem halben Jahre hatten wir bereits von unserem Barvermögen gelebt und nichts verdient, weil nur wenige Reisende durch unsere Stadt gewandert waren; unter diesen wenigen auch der bekannte Schriftsteller Friedrich Gerstäcker.
Jetzt war all unser Eigentum vernichtet und was sollten wir weiter beginnen?
Unterdessen war die Nacht herabgesunken. Kummer- und sorgenvoll verlebten wir diese auf unserem Boote. Von den weißen Familien waren wir die einzige, die sich am anderen Morgen nach der Brandstätte begab; alle übrigen wurden von den englischen Fahrzeugen, auf denen sie Aufnahme und Schutz gefunden hatten, dahin gebracht, wohin sie zu kommen wünschten: nach Korn-Island, Jamaika oder Bloomfield an der Mosquitoküste. Verpflegung gewährte den Armen einstweilen die englische Regierung.
Wir stellten auf dem Feuer- und Unglücksplatze Nachforschungen an, ob von unserer Habe noch irgend etwas übrig geblieben sei, fanden aber von unserem Heim nichts als ein paar eiserne Töpfe und einen kleinen eisernen Ofen. Diese Gegenstände hatten zwar auch vom Feuer gelitten, waren aber allenfalls noch brauchbar.
Der Regen ergoß sich in Strömen vom Himmel und hatte die Glut und das Feuer gelöscht; aber wir waren jetzt ohne Obdach und ohne Nahrung. In unserem Garten standen einige Platanenbäume mit unreifen, vom Feuer halbverbrannten Früchten. Damit stillten wir unseren Hunger. Seit vierundzwanzig Stunden hatten wir nichts genossen.
Wir gingen suchend weiter und hofften, irgendwo ein Obdach zu finden; aber auf der ganzen Brandstätte herrschte gleiche Öde. Am äußersten Ende der früheren Stadt trafen wir endlich ein winzig kleines Haus. Es war zwar auch Feuer daran gelegt worden, dieses hatte aber keine Nahrung gefunden und war erloschen. Somit war das leere Häuschen zu unserer Freude stehen geblieben. Als wir es mit erleichtertem Herzen betreten wollten, da zeigte es sich jedoch, daß diese Wohnung bereits besetzt war. Millionen Wespen, die hier gegen Rauch und Feuer einen Zufluchtsort gefunden hatten, machten uns den Besitz streitig. Sie stachen uns furchtbar; namentlich meine Anna hatte unter ihren Stichen zu leiden. Ihr Körper war so zerstochen, daß sich das arme Kind kaum mehr ähnlich sah. Allmählich gelang es uns aber, unsere kleinen Widersacher durch Rauch zu vertreiben. Mit dem Reste unserer Habe, einem Koffer und Betten, die wir in das Boot gebracht und so vor der Vernichtung gerettet hatten, bezogen wir die leere Hütte. Wiederholt suchten wir den Brandplatz nach etwas Eßbarem ab. Umsonst; alles war verbrannt und verkohlt.
Das Häuschen hatte zwar gute Dielen, aber es regnete durch das Dach, als wäre man unter freiem Himmel. Den kleinen halbverbrannten Ofen hatten wir zwar aufgestellt, aber nichts darauf zu kochen. Da erkrankten wir noch dazu; Anna und ich bekamen hitziges Fieber und lagen phantasierend auf unserer Lagerstatt.
Im Hafen lag noch ein englisches Schiff. Zu diesem begab sich mein Mann, um dem Kapitän unsere trostlose Lage zu schildern und sich von ihm einige Lebensmittel zu erbitten.
Der menschenfreundliche Mann schickte uns alsbald den Schiffsarzt, Medizin und Lebensmittel. Letztere ließen allerdings viel zu wünschen übrig; denn der Proviant war dem Schiffe ausgegangen und man wartete bereits seit einigen Tagen vergebens auf frische Sendung der Lieferanten. Wir waren froh, wenigstens etwas von Nahrungsmitteln bekommen zu haben, wenn auch das Brot grün und blau vom Schimmel überzogen und das Pökelfleisch hart und sehr alt war. Not bricht Eisen!
Bald wurde auch Trautmann aufs Krankenlager geworfen und keines von uns dreien war imstande, den andern zu helfen. Nur der kleine Doktor, Gott lohne es ihm! ging wie ein Engel der Barmherzigkeit bei uns hin und her. Manche Nacht verweilte und wachte er an unseren Schmerzenslagern, während wir in wilden Phantasien noch einmal den grauenvollen Brand durchlebten.
Endlich stellte uns der Arzt mit Gottes Hilfe wieder her.
Nach langem Warten kam auch ein Schiff mit frischem Proviant und mit Möbeln an. Ein Kaufmann hatte alles auf Spekulation bestellt, und wir schafften Tische und Stühle nebst Lebensmitteln für schweres Geld an.
Mittlerweile kehrten auch die geflüchteten Einwohner der Stadt aus den Wäldern zurück. Alle wurden krank aus Mangel an den notwendigsten Existenzmitteln; es gab weder Obdach noch Nahrung. Unter Bäumen und offenen Schuppen lagen sie elend und siech. Obgleich der kleine Doktor mit seinem Medizinkasten unter dem Arme von einem zum andern hilfsbereit wanderte, so starben doch viele.
Auch die zu Schiffe Ausgewanderten kehrten nach und nach zurück. Was sollten sie ohne Existenzmittel anfangen? Hier gab es nun Arbeit vollauf.
Trautmann hatte sich Handwerkszeug angeschafft und besserte unser Häuschen aus. Er, der früher nie einen Hobel zur Hand genommen hatte, verdingte sich jetzt mit vielen anderen bei der Kompany als Schiffszimmermann und erhielt als solcher täglich vier Dollar und freie Beköstigung. Er mußte jedoch die ganze Woche dort arbeiten und kam nur Sonntags zu uns heim. – Ein früherer deutscher Hotelbesitzer ging als Schiffskoch, ein anderer als Diener usw.; kurz, jeder, der leben wollte, mußte hart arbeiten lernen.
In jener traurigen, schweren Prüfungszeit kam unsere älteste Tochter, Emilie, die ich bei meiner Abreise von Deutschland im Pensionat zu G. zurückgelassen hatte, hier an. Mit einer befreundeten Familie war sie hierher gereist. Ich hatte also an meinen zwei Kindern Gehilfinnen, die ich recht gut gebrauchen konnte. Um mir nämlich etwas zu erwerben, fing ich nochmals an, Reisende zu beherbergen.
Andere bauten wohl auch ihre Häuser wieder auf, wir aber hatten keine Lust dazu.