Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Eines Tages kam der Direktor der Kompany in unser Häuschen und machte meinem Manne den Vorschlag, hinüber auf die entgegengesetzte Hafenseite zu ziehen; er wolle ihm gern wieder aufhelfen, uns dort ein kleines Häuschen überlassen und dazu ein Stück Land uns geben, worauf wir eine Kaffeeplantage anlegen könnten.
Obgleich das Häuschen recht beschränkt im Raume war, nahmen wir den Vorschlag dankbar an und quartierten uns in dem Häuschen ein, frohen Herzens, wieder ein unbestrittenes Eigentum zu besitzen. Immerhin war es ein Anfang zum Besseren und wir durften hoffen, allmählich wieder wirtschaftlich vorwärts zu kommen.
Der Direktor borgte uns Bretter, woraus wir uns eine Küche und ein größeres Haus herrichten lassen sollten. Mein Mann aber baute selbst, und unsere Töchter leisteten ihm Handlangerdienste. Dann bebauten wir ein hübsches Stück Feld mit verschiedenen Kartoffelarten, die in Deutschland unbekannt sind, pflanzten Platanen, Bananen und allerlei andere tropische Früchte. Einen halben Morgen bepflanzten wir mit Ananassen, die hier schon innerhalb zwei Jahren Früchte tragen.
Die Ernte hört in diesen Gegenden nie auf. Bananen und Platanen sind das ganze Jahr zu haben; ebenso frische Kartoffeln. Von diesen gräbt man nach Bedarf aus der Erde, bedeckt die Wurzeln wieder leicht mit Acker und in kurzer Zeit bilden sich neue Knollen.
Auch pflanzte ich Kaffee und Kakaobäumchen. Zwar blühten diese im dritten Jahre, aber Früchte davon sollte ich nicht ernten. Ein neues Mißgeschick brachte mich um den Erfolg meiner Tätigkeit.
Im dritten Jahre, als wir einer besseren Zukunft hoffnungsvoll entgegen sahen – wir konnten Schulden bezahlen und unsere häusliche Einrichtung verbessern und verschönern – kamen auf einmal mehrere Schiffe mit Landpiraten oder Flibustiern unter Führung eines Generals mit Namen Walker auf unsere Hafenseite und landeten daselbst. Sie kamen aus den Staaten Nordamerikas und hatten die Absicht, Nikaragua zu erobern. Die Kompany mußte sie ins Innere des Landes schaffen, und dies ging bei der großen Zahl von Menschen nur langsam von statten, weshalb wir das »Vergnügen« genossen, diese aus allen Herren Ländern zusammengewürfelte Bande in nächster Nachbarschaft zu haben. Auf die andere Seite des Hafens, wo die Stadt lag, durften diese Leute nicht kommen. Sie bestürmten uns mit Bitten, ihnen Speise und Trank zu verschaffen. Ich sah mich also genötigt, wieder zu kochen und zu braten; alles aber, was die Leute verzehrten, bezahlten sie bar, und es kam keine Unordnung vor.
Im Hafen lagen mehrere englische und amerikanische Kriegsschiffe, mit deren Kapitänen und Offizieren wir täglich freundschaftlich verkehrten. Diese hielten strenge Wacht über unsere Plantage. Dies wußten die Flibustier und wagten nicht, uns zu belästigen. Trotzdem schlief ich mit meinen Töchtern stets bewaffnet in unserem kleinen Hause; ebenso Trautmann im großen.
Eines Tages brannte meine Küche zur Hälfte nieder; doch war der Schaden nicht bedeutend, da es eigentlich nur eine Art Schuppen gewesen war. Ich mußte mich mit dem stehengebliebenen Reste behelfen, bis all unsere Kostgänger per Dampfer weiter expediert worden waren.
In dieser Zeit hatten wir viel Geld verdient. Trautmann fing gleich an, mir eine Küche zu bauen. Das Gerüst war so groß, daß ich beschloß, mein kleines Wohnhaus als Küche, und das neue Gebäude als Wohnhaus für mich und meine Töchter zu benützen.
So geschah es auch. Gustav errichtete mir ein hübsches Haus mit großen, bunten Glasfenstern und einer schönen Tür, die direkt in den Garten führte. So wohnten wir nun ganz komfortabel.
Der Garten war wirklich prächtig; denn ich hatte mir die schönsten Blumen und Gewächse von den Nachbarinseln Jamaika, Providence, Korn-Island usw. verschafft. Jede Gelegenheit, eine schöne Pflanze, eine schöne Blume zu bekommen, wurde von mir freudig und eifrigst benützt, und alle, die unseren Garten sahen, fanden ihn reizend und zum Entzücken schön. Manches Bukett wanderte auf die Kriegsschiffe zur Freude unserer Freunde, der Offiziere, die sich bei uns stets wohl und gemütlich fühlten. Durch die Flibustier erlitt dieser Verkehr aber eine Störung; denn diese gaben der Kompany die Dampfboote nicht zurück, und dadurch wurde die Verbindung mit Kalifornien unterbrochen. Es kam auch ein neuer Transport Flibustier, mit denen sich die Geschäfte nicht glatt abwickeln ließen. Nun wurden aber die ersten Flibustier im Innern des Landes von der Gesellschaft im Stiche gelassen; es fehlte ihnen an Geld und Proviant. Sie fingen an zu rauben, und die Zuchtlosigkeit riß unter ihnen so ein, daß sie sengten, plünderten und zerstörten. Zuletzt hörte alle Disziplin auf. Die Vorräte an Pulver explodierten und manches Schiff flog zertrümmert in die Luft. Man brachte verstümmelte und halbverbrannte Leute zur Pflege in unser Haus. Es war ein entsetzliches Wimmern und ein grenzenloses Elend.
Mit ihrem General Walker langten die ersten Flibustier nochmals unter großem Tumult auf unserer Hafenseite an. Sie wollten hier abwarten, bis sie Unterstützung, Proviant usw. erhielten.
Statt dessen erschien ein großes, amerikanisches Kriegsschiff und nahm alle samt ihrem General gefangen. Es wurde eine förmliche Menschenjagd abgehalten. Ein empörender, schrecklicher Anblick für uns. Viele der Verfolgten flüchteten zu uns, hier Schutz und Hilfe suchend, die wir ihnen nicht gewähren durften. Sie versteckten sich in unsere Plantage und sprangen bis an den Kopf in den Sumpf, um sich zu verbergen. Ich brachte ihnen Essen und tat zu ihrer Rettung, was ich zu tun imstande war. Schließlich wurden jedoch alle gefangen. Die meisten von ihnen waren nur verführt und irregeleitet worden. Viele stammten aus besseren Familien. Unter diesen waren zwei, die wir näher kennen gelernt hatten, ehe sie in das Innere des Landes gezogen waren, nämlich der Hauptmann von Schlichting und sein Leutnant; beide deutscher Abkunft. Sie hatten uns das Versprechen gegeben, sich von dem ganz verfehlten Unternehmen los zu machen. Es waren edle und liebenswürdige Männer. Hauptmann von Schlichting hatte aus eigenen Mitteln die Kompagnie gebildet, deren Führer er war. Diese beiden Freunde flogen mit ihrem Dampfboot in die Luft, und wir haben nur Stücke von ihnen wiedergesehen. Das Kriegsschiff beförderte alle Gefangenen nach Norden.
General Walker fiel später nochmals bei einem ähnlichen, mißglückten Unternehmen in Honduras ein und wurde dort erschossen.
Damit endeten diese kläglichen Expeditionen von eroberungslustigen Gesellschaften mit ihren abenteuerlichen Plänen.
Durch die geschilderten Ereignisse war unsere Existenz schon gefährdet worden. Unsere Lage verschlimmerte sich aber noch mehr, als die Kompany aufgelöst wurde, die meinem Manne bisher Arbeit und Verdienst gegeben hatte. Wir lebten nun von unseren Ersparnissen und den Erzeugnissen der Plantage. Das Dasein gestaltete sich immer kümmerlicher für uns.
Nach schwerem innerem Kampfe entschloß ich mich, für die Offiziere der im Hafen ankernden Kriegsschiffe zu waschen, um mir dadurch etwas zu verdienen. Wie peinlich es mir war, den Herren unsere traurige Lage zu entdecken, und wie schwer es mir wurde, mich dieser scheinbar erniedrigenden Arbeit zu unterziehen, daß weiß Gott allein.
Die Herren taten alles, um mir über das beschämende Gefühl hinwegzuhelfen und erwiesen mir noch mehr Achtung als zuvor.
Unter Beihilfe meiner Töchter wusch ich also; aber die Arbeit wurde uns doch blutsauer, und sie kam uns schwerer vor, als jede bisherige Beschäftigung. Dabei besuchten die Offiziere nach wie vor unser Haus und halfen sogar manchmal im Scherz. Sonntags schickten sie ein Boot, um uns zum Gottesdienste abzuholen und luden uns zum Diner ein. Kurz, die Herren machten in ihrem Benehmen gegen uns nicht den geringsten Unterschied und bezahlten die Wäsche gut, für ein Dutzend Hemden 2½ Dollar. Mit diesem zwar mühevollen, aber doch nicht unbedeutenden Verdienste konnten wir uns weiterhelfen.
Trautmann arbeitete auf dem Felde und brachte uns Fische und Austern, deren es in Menge dort gab, zur Mahlzeit.
Fünf Jahre lebten wir in dieser Weise; erwarben das nötigste zum Dasein, konnten aber für die Zukunft nichts zurücklegen. Von der Außenwelt waren wir abgeschnitten, lebten aber doch nicht ganz einsam. Die Woche verging stets unter harter Anstrengung. Die Sonntage widmeten wir vollständig der uns dringend notwendigen Ruhe. Gegen Abend stiegen wir hinauf zum Belvedere unseres neuen, großen Hauses, labten uns an der herrlichen Fernsicht über die Mündung des San Juan ins weite Meer hinaus, wo manch befreundetes Schiff in Sicht lag und hißten zur Begrüßung unserer dortigen guten Freunde unsere Flagge auf. Auch unser Abendbrot verzehrten wir dort oben und schwelgten im Genüsse eines mosquitosischen Abends. Der würzige Duft von Limonen, Orangen und andern blühenden Bäumen erfüllte die Luft, die wir mit Entzücken atmeten. Über uns der wolkenlose, tiefblaue Himmel mit den prachtvollen Sternbildern war herrlich anzuschauen. Es ist etwas wunderbares um den tropischen Abendhimmel, von dem man in Europa kaum eine Ahnung hat.
Ja, ein Zauberland kann man dieses Küstenland nennen, reich gesegnet vom Himmel. Hier gibt es ein Blühen und Ernten ohne Aufhören; hier findet man die köstlichsten Früchte jahraus und jahrein; hier stehen die tropischen Zierpflanzen, die man in Europa nur in Treibhäusern als Topfgewächse kennt, in Gestalt von blühenden Bäumen vor uns. Magnolien und Wachsblumen blühen in den Wäldern, wo die Bäume guirlandenartig umrankt werden von bunten Lianen und anderen farbenprächtigen Schlingpflanzen. Aber all diese Pracht und Herrlichkeit ist mit Gefahren und Unbequemlichkeiten aller Art verbunden. Ich erwähne hier nur die Schlangen, Skorpione, Taranteln, Muskitus. Am schlimmsten sind aber die Sandflöhe, vor denen man sich nicht genug hüten kann, da sie sich durch die Strümpfe in die Füße, am liebsten aber unter die Nägel der Zehen eingraben.
Das Tierchen ist winzig klein, wie ein Staubkörnchen und verursacht, sobald es eingedrungen ist, Jucken. Achtet man bald darauf und gräbt man mit einer Nadel sofort den kleinen Unhold aus, so schmerzt die Stelle wohl einige Tage, es entstehen aber weiter keine nachteiligen Folgen. Versäumt man dies jedoch und läßt man das Insekt erst seine Eier legen, so schwillt die Zehe alsbald an und wird blau. Das Tier sitzt nun so tief, daß es unmöglich ist, es herauszubekommen. In einigen Tagen bildet sich ein erbsengroßes Säckchen, das nun leicht entfernt werden kann und entfernt werden muß, da es Tausende von Eiern enthält, von denen jedes einzelne größer ist, als das alte Tierchen. Wird diese Operation verabsäumt, so geht das Fleisch unter dem Nagel in Fäulnis über, der Nagel löst sich schmerzhaft ab und man verliert nicht selten ein ganzes Glied der Zehe.
Ich mit meinen Kindern hielt jeden Tag genaue Untersuchung, und wir bohrten oft bis fünfzig dieser Plagegeister aus unseren Füßen. Trautmann, der weniger aufmerksam verfuhr, verlor die meisten seiner Zehennägel.
Früh morgens vor dem Ankleiden mußten wir erst alle unsere Kleidungsstücke genau untersuchen und ausschütteln, um das Ungeziefer daraus zu vertreiben, ehe wir sie in Gebrauch nehmen konnten. Oft machten wir des Nachts mit Licht Jagd auf Skorpione, Schlangen oder Santa-Fee. Man gewöhnt sich auch daran und schläft ruhig weiter.
Im Hafen wimmelte es von Alligatoren. Während wir badeten, mußte eines von uns immer mit dem Stocke am Ufer stehen und die Ungeheuer, die glücklicherweise sehr feig sind, verscheuchen. Einst hätte ich dies beinah verpaßt. Als ich mit jemand plauderte, sah ich plötzlich einen Alligator mit offenem Rachen, kaum sechs Schritte von meinen Kindern entfernt, auf diese losgehen. Es gelang mir aber noch, das Ungetüm von seinem Raubzuge abzubringen.
Ein Stück seitwärts unseres Hauses war ein kleines Eiland, Alligator-Island genannt. Dort lagen diese Reptile zu hunderten in der glühenden Mittagsonne neben- und übereinander. Mein Gustav fuhr zum Spaß manchmal auf einem kleinen Kahne in die Nähe und gab einen Flintenschuß ab in den lebendigen Hügel, der aussah, als bestehe er aus übereinander geworfenen Baumstämmen. Im Nu stoben die Tiere auseinander und stürzten sich blitzschnell ins Wasser. Ich schwebte dabei immer in Angst, das leichte Boot könne durch die starke Bewegung des Wassers umschlagen und der Scherz könne sich in traurigen Ernst verwandeln.