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Ganz unverhofft folgte uns nach zwei Jahren mein Bruder Eduard, nachdem er mit vieler Mühe endlich unsere Spur gefunden hatte. Er war anfänglich nach dem östlichen Texas gekommen, wo noch die ersten Ansiedler als rohes, wildes Volk am Trinity Hausen. Wir lebten jedoch westlich, auf St. Anton zu. Dem armen Eduard wäre es fast recht schlecht ergangen. Weil sein Geld zu Ende gegangen war, mußte er, um weiter zu kommen, Dienste bei Farmern nehmen. Eines Tages bekam er Streit mit Amerikanern, und man wollte ihn nach dortiger Sitte »federn«. Diese Prozedur, ebenso schmerzlich als schrecklich, besteht darin, daß man einen Menschen entkleidet, gänzlich mit heißem Pech bestreicht und ihn, mit Federn bestreut, seinem Schicksale preisgibt. Nur mit Hilfe eines Negers, der ihm das ~ schändliche Vorhaben enthüllte, war Eduard diesem Strafgerichte durch eiligste Flucht entgangen. Nach langer Irrfahrt hatte er uns endlich aufgefunden.
Als Eduard sah, wie wir, ich und mein Kind, die ungewohnten schweren Arbeiten verrichteten, vergoß er Tränen. Aber auch mein Mann war überbürdet. Er hatte fünfzig Acker Feld zu bestellen. Wenn ich ihm auch dabei half, so gut ich's vermochte, so war dies doch eine Arbeit, die seine Kräfte überstieg. Eduard blieb deshalb bei uns und half uns redlich arbeiten.
Zweimal des Jahres feiern die Amerikaner große kirchliche Feste unter Gottes freiem Himmel – camp-meeting –, gewöhnlich auf einem bestimmten freien Platze im Walde, drei Meilen von unserer Farm entfernt. Von allen Seiten weit und breit kommen die Farmer zu diesen Andachten, den einzigen im ganzen Jahre, herbei und zwar mit Sack und Pack, mit Negern und Vieh, mit Gerät zum Kochen und mit Zelten. Diese werden aufgeschlagen, und man richtet sich häuslich darin ein, da diese religiösen Zusammenkünfte vierzehn Tage dauern. Geistliche aller Sekten sind hier vertreten; sie predigen abwechselnd friedlich nebeneinander auf einer etwas erhöhten Plattform stehend. Da gibt es Methodisten, Baptisten, Quäker, Schakens usw. Von jeder Sekte sind mehrere Geistliche da, um einander abzulösen, da der Gottesdienst den ganzen Tag lang währt, oft bis tief in die Nacht hinein. Die Neger kochen, braten und backen indessen. Die Kühe werden gemolken, ganze Schweine werden gebraten und zwischen und in den Zelten herrscht ein lautes und lebhaftes Treiben.
Die Neger, die gern den Weißen alles nachahmen, haben auch ihre schwarzen Prediger, nur gestaltet sich bei ihnen alles zur Karrikatur.
Anfänglich regten mich die bei dem Gottesdienste vorkommenden Szenen sehr auf. Da standen auf der Plattform acht bis zehn Geistliche, nicht im Ornat, sondern im langen, schwarzen Gehrock. Vor ihrem Standpunkte sind zwei Abteilungen für die männlichen und weiblichen Sünder. Wer sich als solcher fühlt, der geht hinein. Der Boden ist dick mit Maisstroh belegt. Die übrige Gemeinde sitzt außerhalb im Freien, andächtig Lieder singend, bis einer der Prediger zu sprechen beginnt. Die Prediger halten ergreifende Bußreden, um die Sünder zu bekehren. Sie geraten nach und nach in die höchste Eckstase, als wären sie der Welt entrückt. Ebenso die armen Sünder, wenn, wie sie glauben, der heilige Geist über sie kommt; sie weinen, schreien, wälzen sich auf der Erde und verfallen in Krämpfe. Die Sünder steigen dann über die Umzäunung, den Sünderinnen Trost zuzusprechen und umgekehrt steigen die Sünderinnen zu den Sündern. Oft steigt der Geistliche herab, beugt sich über die Zerknirschten, ermahnt und tröstet sie, während die übrigen Glieder der Gemeinde ruhig weiter singen.
Über mich kam eine solche Aufregung und Angst, daß ich den Personen, die ich für krank hielt, zu Hilfe eilen wollte. Meine Nachbarin hielt mich jedoch zurück mit den Worten, die Lady sei nicht krank; nur der holy spirit (heilige Geist) sei in ihr.
Plötzlich springt dieser und jener auf, schlägt in die Hände und ruft mit strahlendem Gesicht: »Ich sehe den Himmel offen.« Er singt und predigt, was der Geist ihm eingibt, und manches darunter ist recht gut.
Ein junger Mann, über den ein Prediger sich tröstend neigt, springt plötzlich in religiöser Verzückung auf, stößt einen andern Verzückten fort, schwingt sich über den Zaun und große Purzelbäume schlagend bewegt er sich durch die ganze Versammlung bis zu einem Baume. Mein Mann lief ihm mit vielen andern Neugierigen nach, um zu sehen, was der Mann noch weiter beginnen würde, da der »hl. Geist« über ihn gekommen war.
Unter dem Baume angekommen, machte der Mensch Halt, zog seine Stiefel aus, und mit dem Ausrufe, »ich sehe den Himmel offen«, schwang er sich auf den Baum. Der Mensch war völlig »übergeschnappt«. Es mußte ein Prediger geholt werden, der ihn durch frommes Zureden endlich bewog, wieder herabzukommen, was nicht gefahrlos war. Man fürchtete jeden Augenblick, ihn herabstürzen zu sehen. Indessen gelangte er ohne Unfall herab.
In der geschilderten Weise geht es vierzehn Tage fort. Wir ritten manchen Abend hinüber; denn es lag ein eigentümlicher Reiz in diesen Szenen, und die Abwechselung in diesem einförmigen, arbeitsvollen Dasein war uns wohl zu gönnen.
Kam der Winter, d. h. die Zeit der Nordwinde, so wurde die Geselligkeit gepflegt. Man ist in Mexiko und Texas sehr empfindlich gegen die Kälte und bedarf nach schwerer Arbeit notwendig einiger Ruhetage. Wir Frauen hatten freilich bei den geselligen Zusammenkünften viel zu schaffen, aber wir taten es gern, und die Farm liefert alles, was man zur gastlichen Bewirtung bedurfte. Hier kennt man kein ängstliches und berechnetes Abwägen wie in Deutschland; frei bietet und frei empfängt man Gastfreundschaft.
Meine Anna, bereits fünf Jahre alt, war schon so amerikanisiert, daß sie für mich eine Arbeitskraft abgab. Während ich meine Kuhwirtschaft besorgte, bereitete sie das Frühstück, bestehend aus Maisbrot und Kaffee nebst Speckeiern oder Beefsteak (Rindfleischschnitte) mit sweet-potatoes. Dann ritt sie mit uns aufs Feld und half bei allen unseren Verrichtungen.
An unsere harte Arbeit hatten wir uns bereits gewöhnt, und wir haben damals im wahren Sinne des Wortes »im Schweiße des Angesichts« unser Brot gegessen. Zuweilen, wenn unsere Kraft erlahmen und wir zusammenbrechen wollten, trieb uns der Gedanke: »es gibt keine Hilfe; entweder strebe vorwärts oder du mußt zugrunde gehen« zu neuer Kraftentfaltung an.
Unsere Mittel reichten nicht aus, einen Neger zu kaufen als einzige Arbeitshilfe, die man hier erlangen kann; denn der Mann kostet 1000 bis 1200 Dollar, das Weib 800 bis 1000 Dollar. Trautmann mußte mithin sein Feld mit Frucht allein bestellen; ich mußte mit Anna fleißig schaffen, um 28 Kühe, sowie Wäsche und Haushalt zu besorgen.
Im dritten Jahre unseres Farmerlebens starb eine Tante meines Mannes in Europa. Sie hinterließ ihm ein paar Tausend Taler, und wir konnten uns einige Erleichterung im Arbeiten verschaffen. Wir kauften für 400 Dollar ein zehnjähriges Negermädchen und bezahlten die Farm, anstatt sie länger zu pachten. Mein Mann hatte freilich noch immer die gleiche Arbeitslast auf sich.