Karl Kraus
In dieser großen Zeit – Aufsätze 1914-1925
Karl Kraus

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Ein Ereignis

ist es, daß, wahrscheinlich zum erstenmal, im Namen der Republik ein Monarchist oder was sich so nennt nicht freigesprochen, sondern verurteilt wurde; zu zwei Monaten Kerkers, wegen einer nach jahrelanger Belästigung erfolgten gefährlichen Bedrohung meiner Person. In der Verhandlung selbst waren allerdings Furcht und Unruhe wesentlich von der Heiterkeit zurückgedrängt angesichts einer legitimistischen Sehnsucht in Gestalt eines mit eigenhändigem Handschreiben desselben ernannten »Kanzleidirektors« und nach wiederholter psychiatrischer Überprüfung für minderwertig befundenen Hausierers mit Kaiser-Ansichtskarten, der diese doppelte Chance bisher zu allerlei Unfug gegen die Republik benützen konnte, nachdem er im Namen Seiner Majestät öfter vorbestraft war. Der Gerichtshof erkannte die psychische Minderwertigkeit, die sich in der Ablehnung der republikanischen Justiz hervortat, zwar als mildernden Umstand an, aber auch als die Gabe eines Mannes, der hinreichend geistesgegenwärtig ist, um sie für sein Fortkommen zu verwerten. Der Fall, soweit er leider und mit einer gar nicht zu beschreibenden Nerventortur mich betroffen hat, hat die Vorgeschichte, welche in den folgenden Zeugenaussagen, die ich vor den Untersuchungsrichtern zweier Prozesse zu Protokoll gab, dargestellt ist. Denn schon im Herbst 1922 führte die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung wegen gefährlicher Drohung oder eigentlich Erpressung, deren Objekt ich war. In einem jener monarchistischen Hanswurst- und Kasmaderblätter, die immer wieder eingehen, um auf rätselhafte Art wieder Subsistenzmittel zu erhalten (da doch die am Altar des Vaterlands niedergelegten Spenden laut Ausweis den Betrag von 10 000 Kronen nicht zu übersteigen pflegen), waren nach vorangegangenen anonymen Drohbriefen Artikel erschienen, die abgesehen von ihrer für den monarchistischen Gedanken tödlichen Dummheit keineswegs unbedenklich schienen und die Staatspolizei auch zu entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen veranlaßten. Besonders auf einen dieser Artikel beziehen sich die folgenden Aufzeichnungen, die ich damals, dem Sinn oder Wortlaut nach, zu Protokoll gegeben habe:

»– In diesem Artikel wird ausdrücklich zugegeben, daß durch eine vorangegangene Drohung mit Tätlichkeiten ein Druck auf mich ausgeübt werden sollte, um eine Unterlassung der den Monarchisten nicht genehmen und anläßlich des Todes des Exkaisers zu erwartenden Publikation zu erzwingen, und es wird – wenngleich natürlich mit Unrecht – stolz darauf hingewiesen, daß diese Drohung bereits den angestrebten Erfolg erzielt habe. Es wird von einer »Gefahrzone« gesprochen, um die ich – in der nach dem Tode des Exkaisers veröffentlichten Äußerung, die eben beeinflußt werden sollte – angeblich schön vorsichtig herumgegangen sei; »ängstlich« hätte ich es vermieden, die legitimistischen Kreise zu reizen, und »vorgezogen, den Zorn der Kaisertreuen nicht herauszufordern«. Es wird expressis verbis gesagt, daß »halt doch nur ausschließlich solche Argumente auf Federhelden meiner Art Eindruck machen«. Indem sogar ein Erfolg der Erpressung behauptet wird, erscheinen die Anforderungen des § 98 b noch überboten. So naiv oder unaufrichtig nun die Vermutung sein mag, daß meine literarische Produktion den Wünschen oder Drohungen irgendeines Faktors angepaßt sein könnte, so klar ist die Absicht, durch das Aussprechen solcher Wünsche oder Drohungen eine Einschüchterung zu erzielen, und gewiß ist, daß dieses Eingeständnis und diese Wiederholung nicht geeignet ist, mich über meine persönliche Sicherheit zu beruhigen. Denn das Wesen der Erpressung besteht nicht darin, daß sie durch tatsächliche Beeinflussung meiner geistigen Tätigkeit den gewünschten Erfolg herbeiführt, den herbeigeführt zu haben, sie so offen, wenngleich fälschlich, sich rühmt, sondern darin, daß sie mich bei aller Unerschütterlichkeit in der Ausführung meiner literarischen Absichten von dem Augenblick an, wo diese geschehen ist, also vom Verlassen des Schreibtisches an, in meiner privaten Sicherheit bedroht und geeignet ist, dem Bedrohten gegründete Besorgnisse einzuflößen. (Wozu übrigens noch kommt, daß nach oberstgerichtlichen Entscheidungen als Tatbestandsrequisit der Erpressung nicht einmal erfordert wird, »daß eine Drohung gegründete Besorgnisse wirklich eingeflößt habe«, da »es genügt, daß sie hiezu geeignet war«; ja »selbst die ausdrückliche Versicherung des Bedrohten, daß er keine Besorgnis gehegt habe, schließt die Anwendung des Gesetzes nicht schlechthin aus«.) Besonders kennzeichnend für die Auffassung, die durch Statuierung einer Brachialjustiz über die gesetzlich gewährleistete Freiheit der Meinungsäußerung für ihre Wünsche verfügen zu können wähnt, ist der ungescheute und bei aller Scherzhaftigkeit gewiß ernst zu nehmende Hinweis auf den Plan, mich, weil ich mich einmal »gar zu exzessiv benahm ... zu einer Automobiltour nach Ungarn einzuladen«. Wenngleich es sich nur um eine Großsprecherei von Terroranfängern handeln dürfte, so wird doch nicht geleugnet werden können, daß gerade damit die Methode, Furcht und Unruhe zu erzeugen, illustriert wird und daß ich eben an der Fortsetzung eines Benehmens, welches den Leuten gar zu exzessiv vorkommt, gehindert werden soll. Schließlich sei darauf hingewiesen, daß aus dem Schlußpassus des anonymen Artikels die Identität des Autors mit der Person, die den dreisten Telephonanruf »Hier Staatspolizei, Polizeirat Dr. Hedrich« unternommen hat, um sich zu überzeugen, ob ich den Drohartikel erhalten habe und die Polizei verständigen werde, unzweideutig hervorgeht, da außer mir und jenem Mystifikator niemand von solcher Tatsache und solcher Möglichkeit wissen konnte.«

Die Staatsanwaltschaft hatte damals die Sache ad acta gelegt, wohl in der leider nicht unzutreffenden Befürchtung, daß sich die monarchistischen Attentatsversuche dieses Landes vor den Geschworenen, an die die Angelegenheit als Preß-Sache gekommen wäre, in Heiterkeit aufzulösen pflegen. Die Folge war natürlich, daß die Belästigung, auf die das Delikt nunmehr reduziert war und gegen die es zunächst nur polizeiliche Remedur gab, in öffentlichen Lokalen fortgesetzt wurde, bis sie die Form einer gefährlichen Drohung annahmen, die, mündlich ausgesprochen, strafrechtlich nicht mehr zu übergehen war. Darüber gibt nun das folgende Protokoll Aufschluß:

»Ich kenne den Inkulpanten, der mir persönlich unbekannt ist, vom Sehen seit etlichen Jahren und er hat mich durch alle die Zeit, wo immer er meiner ansichtig wurde, belästigt. Während des Krieges tauchte er im Café I., wohin ich damals öfter am Nachmittag kam, auf, ging grinsend an meinem Tisch vorbei, machte unverständliche Zurufe von dem seinen und wurde, wie ich erfuhr, schließlich, da er auch sonst durch sein Gebaren peinliches Aufsehen erregte, aus dem Lokal gewiesen. Nach dem Krieg hörte ich einmal, daß er eine Dame, die Frau eines mir befreundeten Schriftstellers und Beamten, auf der Straße angesprochen und ihr die Drohung mitgeteilt hatte, daß es, »wenn ich es mir noch einmal einfallen ließe, ›Die Ballade vom Papagei‹ vorzutragen, um mich geschehen sei« oder dgl. Später erhielt dieselbe Dame einen Brief von ihm, worin er den Wunsch aussprach, mit ihr »in einer einen bekannten Schriftsteller betreffenden Angelegenheit« zu sprechen. Die Dame reagierte auf dieses Ansinnen nicht, es stellte sich aber bald heraus, daß er wieder die Mitteilung einer Drohung beabsichtigt hatte, denn gleichzeitig kamen anonyme Drohbriefe von monarchistischer Seite an mich, die unverkennbar auf seine Autorschaft schließen ließen, und in der von ihm mitredigierten und wahrscheinlich geschriebenen Zeitung 'Die Monarchie', die seither eingegangen ist, erschienen heftige Drohartikel, die der Herausgeber mir selbst als rekommandierte Poststücke (mit Retourrezepiß) zusandte. In einem dieser Artikel war unter anderm mitgeteilt, daß einmal der Plan bestanden habe, mich per Automobil nach Ungarn zu verschleppen (daß man davon nur Abstand genommen habe, weil von einem der ungarischen Machthaber, bei dem man angefragt hatte, ob mein Aufenthalt genehm sei, die lapidare Antwort kam: »Wird sofort aufgehängt«, was man aber nicht wünschte, da ich ohnedies dem Richter in der künftigen Monarchie wegen hundertfachen Hochverrats aufgehoben sei. Die Kaisertreuen mögen darum auch in Wien sich nicht an mir tätlich vergreifen, doch könne man freilich, wenn ich so fortfahre, für nichts gutstehen u. dgl.) Die Polizei befaßte sich mit der Angelegenheit dieser Drohbriefe und Drohartikel und erkannte die Situation immerhin als so gefährlich, daß sie mir aus eigenem Antrieb durch fast drei Wochen zwei Kriminalbeamte zu meinem persönlichen Schutz beistellte und sich seit damals auch veranlaßt sah, jede meiner Vorlesungen besonders zu überwachen. Die Staatsanwaltschaft, an die die Anzeige von der Polizei weitergeleitet wurde, hat wohl eine Untersuchung in der Richtung der Erpressung geführt – es waren Drohungen insbesondere für den Fall einer den Monarchisten nicht genehmen Äußerung der Fackel zum Tode des Exkaisers ausgesprochen worden –, die briefliche Drohung war aber anonym und an der durch die Presse begangenen konnte vielleicht die Urheberschaft des Inkulpanten nicht so sichergestellt werden, daß die Anklage vor dem Schwurgericht einen Erfolg ermöglicht hätte. Kurz vor dieser Begebenheit, am Tag nach dem Tode des Exkaisers, war ich durch Zufall in Gesellschaft einer Dame im Café F. Der Inkulpant, der dort in einer Fensternische saß und den ich sofort erkannte, wiewohl er inzwischen seine Barttracht verändert hatte, erhob sich, als er meiner ansichtig wurde, ging an unserem Tisch vorbei und begann die wüstesten Schmähungen gegen die »elenden Kanaillen von Republikjuden« auszustoßen, schrie: »Aufhängen sollte man die Bagage!«, »Die haben unsern armen Kaiser gemordet!«, »Am 12. November 1918 hat das Verbrechen begonnen!« u. dgl. Dies alles rief er zu unserem Tisch und vor den aufhorchenden, teilweise belustigten Gästen und Kellnern. Als wir bald darauf das Lokal verließen, saß er wieder in seiner Nische, spuckte aus und rief uns noch ein »Pfui!« nach. Eine ähnliche Szene hat er vor einigen Monaten in einem anderen Lokal aufgeführt, indem er in das Seitenzimmer hinein, wo ich in Gesellschaft saß, die Worte rief: »Pfui Kaisermörder, schäm dich!« All dies sind zwar im höchsten Maße peinliche, widerliche und unerträgliche Belästigungen, doch habe ich in solchem Benehmen keine persönliche Drohung erblickt. Noch als der Mann vor etwa 14 Tagen nachts auf der Terrasse des Café I. erschien, wo ich mit zwei Bekannten saß, und, nachdem er an unserem wie an andern Tischen mit Ansichtskarten des Exkronprinzen Otto hausiert und die Worte gebraucht hatte: »Seine Majestät der Kaiser! Letzte Aufnahme seiner Majestät!«, das folgende unternahm. Er setzte sich, von uns wie von andern mit seinem Angebot abgewiesen, an einem Tisch auf die Terrasse, schrieb etwas auf eine Karte, trat dann ganz dicht an uns heran und warf die Karte zu mir hin. Die Adresse lautete: »An den Kaisermörder Karl Kraus« mit Angabe der Wohnung. Der Text: »Ex ossibus ultor!« war von seinem Namenszug unterschrieben. Selbst diesem Vorfall, den ich allerdings doch der Polizei am andern Tag telephonisch mitteilte, habe ich keine Bedeutung beigemessen, denn ich konnte mich bei dem Gedanken beruhigen, daß es sich zwar um einen äußerst lästigen, aber mehr absonderlichen als gefährlichen Menschen handle, von dem bekannt ist, daß er sich in der Republik zum »ehemaligen Kanzleidirektor Seiner Majestät« ernannt und sich diesen Rang auch auf Visitkarten bestätigt hat. Erheblich anders wurde die Situation am nächsten Tage, als ich allein des Nachts auf der Terrasse des Café I. saß. Er hatte es sich offenbar gemerkt, daß ich dort um diese Stunde zu treffen sei, und erschien wieder, diesmal ohne Ansichtskarten, aber dafür mit zwei jungen Burschen, denen er sofort, als er meiner von der Straße ansichtig wurde, aus einer Entfernung von nicht mehr als zwei Meter auf mich zeigend, die Worte zurief: »Da sitzt er, der Kaisermörder!« Zum Glück war ein Kellner in der nächsten Nähe und einem andern rief ich zu, er möge einen Wachmann holen. Ehe dieser eintraf, wurden der Inkulpant und seine Begleiter von einem dritten Kellner von der Terrasse gewiesen, und es ging ein Geschimpfe los, aus dem ganz deutlich die Sätze hörbar wurden: »Noch ein Wort über das Kaiserhaus und die Kreatur ist hin!« und »Wir werden den Kerl schon erwischen, er sitzt ohnedies immer hier draußen! Kaisermörder, pfui!« Als die drei des Wachmannes ansichtig wurden, entfernten sie sich. Ich ging in Begleitung des Wachmanns dem Hotel entlang, dann durch die Dumbastraße den drei Leuten nach, die jedoch, während ich jenem die Situation vergebens klar zu machen suchte, bereits verschwunden waren. Da sie sich in der Richtung zu meiner Wohnung entfernt hatten, ersuchte ich einen zweiten Wachmann, der beim Musikvereinsgebäude zu uns trat, mich zuerst zum Café I., wo ich noch zu bezahlen hatte, und dann bis zum Wohnhaus zu begleiten.

Die vor der Polizei abgegebene Erklärung des Inkulpanten, daß er mich nicht bedrohen wollte und künftig nicht mehr belästigen werde, kann ich als keine Beruhigung empfinden. Denn je weniger er vermöge der Geistesverfassung, auf die man hinwies, »ernst zu nehmen« wäre und je planloser er handelt, umso ernster ist die Gefahr zu nehmen, die eben durch die Zufallsmäßigkeit seiner Entschließungen bedingt wird. Gerade angesichts seiner Geistesverfassung glaube ich nicht, daß die polizeiliche Untersuchung schon eine Hemmung bei ihm bewirkt habe. Wäre er allein gewesen, so könnte man noch selbst die Drohung wieder als bloße Belästigung auffassen und sich dabei beruhigen, daß sein bresthafter Zustand die persönliche Verwirklichung unwahrscheinlich erscheinen lasse. Es wäre aber in diesem Falle durchaus verfehlt, von der Dürftigkeit der Erscheinung auf eine Geringfügigkeit der Gefahr zu schließen. Es hat sich gezeigt, daß der Inkulpant über Leute verfügt, die entweder, weil sie ihn und seine Auffassung, daß ich der Kaisermörder sei, ernst nehmen, oder aus irgendeinem andern Grund Miene machen könnten und sichtlich auch machten, seine Drohungen ins Werk setzen. Am Tag nach jenem Vorfall ist er wieder einmal in einem andern Lokal, wohin ich damals regelmäßig kam, aufgetaucht, diesmal allein, und begann, als er meiner ansichtig wurde, unverständliche Schimpfereien auszustoßen, bis ihn ein Kellner aus dem Lokal wies. Vor dem Café I., wohin ich an diesem Abend um 1/4 12 kam und wo ein Kriminalbeamter wartete, erschien der Inkulpant diesmal nicht. Am nächsten Tage wurde er verhaftet. Ich habe mich seit Jahren durch den Mann bloß maßlos belästigt gefühlt, aber seit jenem Vorfall im Café I. fühle ich mich in Furcht und Unruhe versetzt, und ich halte meine Anzeige wegen gefährlicher Drohung vollinhaltlich aufrecht. Ich könnte die Gefahr, die mir, wenn nicht durch ihn selbst, so durch die ihm gefügigen Werkzeuge droht, nur dann für gebannt erachten, wenn entweder ein richterlicher Ausspruch seine Verantwortlichkeit bestätigt oder durch die Feststellung seiner Unverantwortlichkeit seinem Einfluß auf die ihm zu Gebot stehenden Leute ein Ende gemacht wird.«

Der Gerichtshof ließ auf Grund des psychiatrischen Gutachtens den gegebenen geistigen und moralischen Habitus, der aber immerhin für den österreichischen Monarchismus repräsentativ ist, bloß als Milderungsgrund gelten und verhängte eine Strafe, die zur Hälfte durch die im Inquisitenspital verbrachte Untersuchungshaft verbüßt ist. Was die Publizität der Sache anlangt, so ist zunächst zu erwähnen, daß die Zeitungsberichte über die beiden Vorfälle, die der Verhaftung vorangegangen waren, nebst der widerlichen Scherzhaftigkeit durch ihre Genauigkeit auffielen. Sie waren von einer Gerichtssaalkorrespondenz versendet, mit der der Angeklagte in Verbindung steht, dessen vollwertiges Gedächtnis noch in der Verhandlung darauf bestand, daß der Zuruf gelautet habe: »Noch ein Wort gegen das Kaiserhaus und aus ist es mit dieser Kreatur« (nicht: »über« und »ist hin«), was aber das Gericht für unerheblich ansah und was ja namentlich im ersten Punkt auf die gleiche Erpressung hinausläuft, da »über«, im Fall des Kaiserhauses, nur »gegen« bedeuten kann und ich für die Absingung des Gotterhalte doch nichts zu riskieren habe. Sehr drollig war das Neue Wiener Tagblatt, das es damals nicht über sich brachte, mich eine Kreatur nennen zu lassen und deshalb den Mann ausrufen ließ: »– und aus ist es mit diesem!« Die Berichterstattung über die Gerichtsverhandlung war zum Teil durch die Gewissenlosigkeit gekennzeichnet, mit der allerlei Gerede des Angeklagten, dem zu widersprechen die Zeugen keine Gelegenheit bekamen und von dem sie erst aus der Zeitung erfuhren, hinausgetragen wurde. Nicht der geringste Vorwurf läßt sich diesmal der Neuen Freien Presse und der Reichspost machen, die darin einig waren, den Fall unbeachtet zu lassen, diese mit Rücksicht auf den ihr nahestehenden Angeklagten und die von ihm vertretene Sache, jene mit Rücksicht auf den ihr nahestehenden Zeugen. Ich kann mich der keineswegs geringen Leistung rühmen, so divergente Köpfe wie die der Reichspost und der Neuen Freien Presse unter meinen Hut gebracht zu haben. Allen Beteiligten ist auf diese Art gedient. Die Leser der beiden Blätter, Biach und Kasmader, merken nicht, daß ihnen da etwas entzogen wurde, worüber die andern spaltenlang berichten, und ich habe keine Ursache, mich über die Plumpheiten oder Entstellungen einer mißhörenden Berichterstattung zu beklagen, die sich die andern Blätter in meinem Fall nicht nehmen lassen und die ich zuletzt damals erfahren hatte, als im Schwurgerichtssaal dem kleinen polnischen Schmierer wegen der Behauptung, ich hätte mich an der Grabrede für Peter Altenberg bereichert, eine Ehrenerklärung diktiert wurde, vor deren Abdruck er sein Blatt eingehen ließ. Daß nun selbst auf zwei Meter Distanz nicht gehört wird, beweist das Folgende:

– Einmal sagte er, wenn die Monarchie wieder käme, wäre K. der erste, der gehängt wird. – K. K. (auf der Zeugenbank) Das stimmt. – Staatsanwalt Dr. Tuppy: Das ist aber keine gefährliche Drohung!

Natürlich stimmt das nicht, da der Zuruf vom Angeklagten, nicht vom Zeugen herrührte, der allerdings der treffenden Bemerkung des Staatsanwalts zugestimmt hat, daß die Drohung mit dem Hängen bei Wiederkehr der Monarchie keine gefährliche Drohung sei. Und gerade, der an dem Kaiserbart der österreichischen Justiz kein gutes Haar läßt, fühlt sich verpflichtet, zuzugeben, daß er hier den Fall erlebt hat, der das bekannte Gebot, daß man nicht generalisieren darf, ausnahmsweise rechtfertigt. Am Staatsanwalt, der ohne jeden Rückhalt auf die Ungeheuerlichkeit hinwies, daß der monarchistische Unfug allzulange geduldet wurde; am Richter Dr. Hellmer, dessen bezirksgerichtlichen Schlichtungen im Ehrenhandel kleiner Leute ich früher manchmal beigewohnt habe, als einem Sonderfall im Rechtsbetrieb, einer Vereinigung von Lebenssinn und jener unfeierlichen Gerechtigkeit, deren Humor den Vorsitzenden nie zum Vorgesetzten der Partei macht und die wie der Rest von einer Wiener Art berührt, die keine Spezialität, sondern eine Rarität ist. Es wurde wirklich einmal im Namen der Republik Recht gesprochen und sie selbst nicht in contumaciam der Monarchie verurteilt.


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