Karl Kraus
In dieser großen Zeit – Aufsätze 1914-1925
Karl Kraus

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Die Gefährten

Da ist mir im Juli-Heft der Fackel etwas Unangenehmes passiert, indem ich nämlich, dieweil ich einem andern eine Grube grub, selbst hineinfiel. Ja, dieses bekannte Experiment hat sich in einer so beispielmäßigen Weise an mir vollzogen, daß das Sprichwort geradezu von meinem Abenteuer abgeleitet scheint, das denn auch ganz gewiß in einer künftigen Fibel für Literaturbuben die zugehörige Illustration bilden wird. Daß daneben auch noch Hochmut vor dem Falle gekommen ist, versteht sich mehr minder von selbst und man wird schon sehen, wie kleinlaut ich geworden bin, nachdem der Bogen, der allzu straff gespannt war, zersprungen ist. Ich bin noch ganz verwirrt von den Ereignissen, die sich überstürzt haben, von der Enthüllung meiner Tat wie von jener Spannung, die einer Erleichterung drückenden Schuldbewußtseins weicht und fast einem Dankgefühl an die Nemesis, die mit der Sühne doch zugleich die Ordnung einer ethisch gerichteten Natur herstellt. Was ich getan habe, ist nur aus jener durch den Beifall meiner Anhänger genährten Eitelkeit zu erklären, die die Zügel verloren und gewähnt hat, sich vor einer literarischen Generation, die noch ein sittliches Gewissen hat, rein schon alles erlauben zu dürfen. Da war ich denn so unvorsichtig, einem jungen Mann, der, wie sich jetzt herausstellt, in durchaus selbstloser Weise der Verbreitung Jean Pauls dienen wollte, indem er für dessen Namen seinen eigenen über eine Arbeit Jean Pauls setzte, einen Vorwurf daraus zu machen, in völliger Unkenntnis seiner lauteren Absichten und auf den bloßen Augenschein hin, weil ich eben ein Werk Jean Pauls unter einem anderen Pseudonym gedruckt fand – und in demselben Heft, in dem ich den Fall erörterte und mich unterfing, ihn zum Maß der moralischen Verwahrlosung unseres Geisteslebens zu machen, bitte in demselben Heft – wenn es nicht wahr wäre, man würde es nicht für möglich halten – passiert es mir, daß ich unter dem Titel »Apokalypse« Verse zusammenstelle, von denen kaum mehr als höchstens 14 ganz von mir sind, während also die überwiegende Mehrzahl aus einem Wortmaterial hergestellt ist, das sich in der gleichfalls unter dem Namen Apokalypse bekannten Offenbarung Johannis unschwer nachweisen läßt und denn auch tatsächlich nachgewiesen wurde. Und zwar unwiderlegbar und an der Hand einer tabellarischen Gegenüberstellung, ganz in der Art wie ich es soeben mit dem wohlgemeinten Versuch eines Jean Paul-Forschers unternommen hatte, der doch nichts getan hat als mit dem jedem Wiener Leser geläufigen Jean Paul die Unbildung einer Wiener Zeitschrift auf die Probe zu stellen. Dagegen ist es nunmehr festgestellt, daß ich, der ich doch nicht meine eigene Zeitschrift zu dupieren vorhatte, mit dem besten Erfolg auf die Bibelunkenntnis der Wiener Intellektuellen spekuliert habe, und diese sind nunmehr entschädigt durch eine literarische Sensation, die sich in umso raffinierterer Weise gegen mich kehrt, als sie schon durch die räumliche Nachbarschaft meines eigenen verunglückten Enthüllungsversuchs es ermöglicht hat, mit jedem Wort, das ich zum Nachweis des angeblichen Jean Paul-Plagiats in die Luft sprach, mich selbst ins Mark zu treffen. Der Nachweis ist so verblüffend, daß der aufgeklärte Leser schon die Unbefangenheit erstaunlich genug finden muß, mit der ich nicht nur den Wortbestand der Bibel, sondern auch ohne die geringste Bemühung um einen neuen Tonfall den biblischen übernommen habe, in der Hoffnung, man werde es nicht bemerken. War es mir aber schon zuzutrauen, daß ich ohne Quellenangabe – während ich in der »Chinesischen Mauer« mich wenigstens noch der ehrlichen Anführungszeichen zum Zitieren bediente – in einem Gedicht von mir Wort und Ton des neuen Testaments verwenden und damit den Versuch machen werde, die Kenner des alten zu täuschen, so ist es doch schier unbegreiflich, daß ich die Tat nicht wenigstens von dem Unterfangen, einen andern des Diebstahls zu beschuldigen, vorsichtig zu separieren bestrebt war, und es gibt eben, wenn ich nicht zugeben will, daß ich vor einem Rätsel stehe, dafür höchstens die eine Erklärung, daß ich gerade durch die an die Leser gerichtete Aufforderung »Haltet den Dieb!« mir eine Deckung für die eigene Tat erhofft hatte. Der Mann nun, der sich unter dem unerträglichen Drucke meiner Wortmacht, gegen die er das beleidigte Recht schützen wollte, nicht nur verpflichtet gefühlt hat, einem jungen aufstrebenden Literaturdieb schützend beizustehn, sondern dem auch das Verdienst zuzuschreiben ist, einen Pharisäer entlarvt zu haben, der sich als Schriftgelehrten aufspielen wollte, der Mann, der mir dahinter gekommen ist, heißt Albert Ehrenstein, ein überaus witziger Kopf, der, wiewohl er seit Jahren meine Sprachschule schwänzen mußte, dennoch vom Mysterium des Wortes hingerissen ist und nicht umhin kann, sich bei Erwähnung des Verlags Strache momentan allerlei einfallen zu lassen, zum Beispiel ein »Strachom«, einen »Strachinogenuß«, einen »heiligen Strachomius«, ein »herostrachisches Mittel«, und der ehrlich bekennt, »die Witzgreisler zu hassen«, aber anderseits doch wieder sich hinreißen läßt und mich – buchstäblich – »krausam« und einen »Scharlachtan« nennt, den »apostolischen Denunzius« oder einen »d'Ennunzio«, einen »Plagiarier«, einen »Hagiografen« (mit f), den Johannes ein »Prodromedar«, die Fackel eine »Apokalypso« der Neuen Freien Presse, einen Berg »Rosinai«, eine Stadt »korrupzionistisch« (mit z) und was dergleichen Unappetitlichkeiten mehr sind, vor denen es selbst den Herrn Ehrenstein graust, so daß ihm nichts anderes übrig bleibt als zu behaupten, er hätte sich meiner polemischen Technik als eines abschreckenden Beispiels bedienen wollen. Nun möchte ich ja nicht leugnen, daß mein Stil, der sich selbst nur gefällt, während ich ihn schreibe, in den Händen seiner zahllosen Nachahmer und jener Imbezillen, die mir ihn heute in Liebesbriefen und morgen in Haßbroschüren nachwerfen, eines der grauslichsten Instrumente ist, deren man im jetzigen Geistesleben habhaft werden kann, und niemand beklagt mehr als ich selbst, daß er kein abschreckendes, sondern ein anziehendes Beispiel abgibt. Niemand weiß besser als ich, daß mein Einfluß nur auf jene Art Jugend ein gesunder ist, die schweigen kann, während er unter jener, die schreiben muß, die verheerendsten und abscheulichsten Wirkungen verübt, da diese eben mein Schweigen, in dem sich meine stärkere Autorität ausspricht als in meiner Rede, nicht aushalten kann, sondern rebellisch wird. Aber so oft ich auch das Schauspiel erlebt habe, daß Mißgeborne, denen zur Sprache zu verhelfen ich von einem Fluch bestimmt worden bin und durch deren Ekstasen wie Invektiven hindurchzugehen mein Los ist, sich mit dem Alphabet, das ich sie gelehrt, an mir gerächt haben – das eine muß ich denn doch zur Ehre meines Stils sagen, daß die Witze des Herrn Albert Ehrenstein nicht von mir gestohlen sind, sondern im Gegensatz zu meiner Apokalypse, die tatsächlich von Johannes ist, sein Originalwerk. Da es aber wirklich geschehen kann, daß solcher Unflat, seiner selbst und aller Zeitnot spottend, in Druck und Papier umgesetzt wird; da es ein buchhändlerisches System gibt, das dem Bestreben, aus der Minderwertigkeit ein Geschäft zu machen, Vorschub leistet; da es wirklich so ehrvergessene Leser der Fackel gibt, die alles was deren Geist verleugnet, aber sich an den Namen ihres Herausgebers hängt, zusammenkaufen: so ist es leider Gottes auch immer von neuem nötig, eine Distanz wiederherzustellen, über die sich hausiererhafte Zudringlichkeit in der Literatur weit ungenierter als auf andern Gebieten des täglichen Bedarfs hinwegsetzt. Und so muß denn gesagt werden, ein rotes Umschlagblatt und Plakate, die da – namentlich in den fackelfreien Wiener Buchhandlungen, die es um keinen Preis sein wollen – unter der Aufschrift »Die Gefährten« die Namen Albert Ehrenstein und Karl Kraus in suggestiver Verbindung anbieten, sind eine Irreführung. Ich bin nicht der Gefährte des Herrn Albert Ehrenstein und eben weil ich es nicht bin, sind illae lacrimae, diese Kalauer entstanden, und die Verteidigung eines Diebstahls, die noch weit mehr für die Verlotterung der geistigen Ehre beweist als die Tat. Fern sei es von mir, eine Literatur, die nicht einmal die Kraft zur direkten Lüge hat, sondern anspielerisch jene ekelhafte Eingeweihtheit in die Affären des nächsten Kaffeehaustisches beim Leser voraussetzt, mit dem Axthieb tatsächlicher Feststellungen erledigen zu wollen und als ein geistiges Milieu von tinterlhafter Esoterik eben den Umgang zu enthüllen, den ich nicht pflege, sondern davon nehme. Aber zu sagen ist, daß ich in einer Zeit, in der ich noch verurteilt war, literarische Charaktere und was immer sich daraus entwickeln möge, auszubrüten, auch Herrn Albert Ehrenstein, der mir dahinter gekommen ist, die denkbar ausgiebigste Förderung habe angedeihen lassen. Selbstlos hatte ich mich durch Jahre hingegeben, Abend für Abend, aller schon mitgebrachten Ermüdung zum Trotz, stumm gezückte Manuskripte stumm übernommen und durchfrisiert, wiewohl ich wußte, daß ich dem Autor mit dem Dreck auch einen Teil seiner Eigenart nahm. Freigeworden, mußte sie sich rächen. Man kann mir das Grauen nachfühlen, daß ich mein ganzes Leben hätte gezwungen sein sollen, Ehrenstein zu redigieren. Trotzdem möchte ich noch heute, wiewohl er von meiner Anerkennung in jeder Hinsicht den übelsten Gebrauch gemacht hat, nicht leugnen, daß [er] im finstersten Ghetto des Geisteslebens eine schärfer umrissene Figur bildet als manche Sonnenmoritze, die von der Natur des Dranges überhoben sind, ihrem Schicksal Steine nachzuwerfen und infolgedessen als Journalisten eher Verwendung finden können als Herr Albert Ehrenstein. Dazu verdammt, ein Genie zu bleiben, ohne es zu sein, hatte er seine Berufung mit einer kleinen Prosaarbeit verausgabt, über die hinaus es ihm immer wieder nur gelingen könnte, die von jeder Produzierkraft entblößte Persönlichkeit des Tubutsch zu produzieren. Was das für Leben und Umgang bedeutet, kann der Kenner dieser Gestalt ermessen, deren Anlagen man doch nur dann dem Schutze des Publikums empfehlen kann, wenn sie künstlerisch bewältigt sind, und an deren bis auf Widerruf freiwillig eröffnetem Abgrund man lieber vorbeigeht. So auch ich. Den Typus, der mit dem Rücken zur Tür das Zimmer verläßt, konnte ich, einmal für allemal gestaltet, wie jeden andern als literaturfähig gelten lassen, aber ihm in seinem persönlichen Gehaben nicht die Fähigkeit zu Literatur und Verkehr zuerkennen, und er rechtfertigt nun das Mißbehagen, indem er es mit jener polemischen Haltung quittiert, die sich bei jedem Schlag gleich die Wange zuhält und Witze austeilt, nach deren Empfang man sich zwar nicht verbinden, wohl aber kratzen muß. Sie entspringen einem gordischen Weichselzopfe des Denkens, den es ein Leichtes wäre mit einem Abfahren ! oder Nichts zu handeln ! zu durchhauen. Aber der Leser ist leider durch den Tonfall eines Geschreis so leicht verführt und durch eine mitofferierte Beilage so leicht verblendet, daß es schon nötig ist, die willige Kundschaft, die nur mit ihrem Geld und guten Glauben und nicht wie der Betroffene auch mit ihrer Person herhalten muß, auf den Schwindel aufmerksam zu machen. Denn es gibt keinen Schwindel, der heute seine Wirkung verfehlte, selbst wenn er der namenlosen Dummheit entstammt, eben das zu enthüllen, was zutage liegt, und ein Plagiat anzuklagen, dessen Wesen und Wert darin besteht, eines zu sein. Herr Ehrenstein zerreißt sich in Stücke, weil ich dadurch, daß ich die aus einer politischen Welt geschöpfte Vision vom Untergang an einer neuen Zeitwende erstehen ließ, »das erlauchte Wort der heiligen Schrift geschändet und verstümmelt habe«, und er will »das von einem. Politikus eingejochte Flügelpferd des unsterblichen Propheten« um jeden Preis befreien. Aber indem er nebst Kulka Johannes und Luther gegen mich schützt, wobei man schwanken mag, ob ihm der heilige Geist oder die Reliquie stagelgrüner aufliegt, läßt er sich zu Taten hinreißen, die die Überprüfung seiner geistigen, aber auch seiner sittlichen Befugnis bedenklich nahelegen könnten. Denn wenn wir schon darüber rechten wollen, ob ich mit einer Silbe dem Heiligtum nahegetreten bin oder durch das Zitat einer politischen Prophetie, das als Motiv der Fackel deren Lesern so bekannt ist wie diese selbst, die von Herrn Ehrenstein behütete »Urmacht des heiligen Hauches utilitaristisch Zeittendenzen nutzbar gemacht habe«, und wenn schon ein »Donnerwort des Johannes« mich nicht gehemmt hat, so weiß ich nicht, ob just den Blitzen des Herrn Ehrenstein überzeugende Kraft beizumessen sein wird. Es wird Herrn Ehrenstein, der schon das Nachsprechen des heiligen Worts als Sakrileg empfindet und der zu einem Schutz des Bibelgutes gegen meinen Zugriff vielleicht gegenüber meinem »Gebet an die Sonne von Gibeon« berufen gewesen wäre, schwerlich gelingen, seine Mission zugunsten des neuen Testaments zu beglaubigen. Zumal wenn er an einen Exegeten geraten sollte, der sich der Ehrenstein-Worte erinnert, worin »eine ungemein starke Abneigung gegen Jesus. Christus« einbekannt wird, für den »eine unverdient kräftige Reklame getrieben« werde, was allerdings vom Standpunkt eines rezensionsgierigen Literaten höchst beklagenswert ist. Aber ein Bekenntnis von einer untermenschlichen Ehrfurchtlosigkeit, wie sie vielleicht noch nie auf Papier exhibitioniert wurde, so daß es vollständig zu zitieren gar nicht möglich ist, wäre ein Einzelfall und noch kein Zeitdokument, wenn der Bekenner nicht identisch mit jenem Eiferer wäre, der sich vor meiner frivolen Schändung der heiligen Schrift bekreuzigt, mit jenem Gütigen, der mir, ausgerechnet, zu Demut und Nächstenliebe zuredet. Aber ist denn nicht auch der Scherzbold, der mich einen »alten Klassikaner« nennt, identisch mit jenem Ehrfürchtigen, der auf einem Widmungsblatt »dem Menschen und Herausgeber der Fackel dankt, Karl Kraus, den Klassiker, grüßt in tiefster Verehrung – so gut er konnte...«? Er konnte gut. Er ist mir jetzt dahinter gekommen, aber er hat es immer gut können. Heute erkennt Herr Ehrenstein noch an, daß ich, seitdem er meinem Lebenskreise entrückt ist, als Stilist durch Fleiß Fortschritte gemacht habe, wiewohl ich doch nicht mehr Gelegenheit hatte, meine Stilkunst an seinen Manuskripten zu üben; er möchte aber meinen Charakter vollkommener, reiner. Über Charakterfragen bin ich sehr gerne bereit mich mit ihm auseinanderzusetzen. Für Sprachprobleme lehne ich seine Kompetenz ab. Daß die hundert Verse der »Apokalypse«, auch wenn nicht ein Wort darin von mir wäre, dennoch von mir wären, darüber werde ich ihn vergebens belehren, so wenig wie ich ihm begreiflich machen würde, daß ein Gedicht, das ein Expressionist schreibt, auch wenn jedes Wort von ihm ist, doch nicht von ihm ist. Ich behaupte sogar, daß sich zwar der Polemik, die Herr Ehrenstein gegen mich unternommen hat, ein Saphir schämen würde, weil sie eben in der Hauptsache von Ehrenstein ist, daß aber ihre letzten zwei Absätze, in denen doch auch jedes Wort von Ehrenstein ist, von Jean Paul sind, von eben jenem Jean Paul, den sein Gefährte bestohlen hat, und er täte nun gut, meinen Satz von den »Literaten, denen etwas angeflogen kommt, und von dem ehrlichen Plagiator, der mir lieber ist«, daraufhin noch einmal zu lesen, um zu verstehen, wie er richtig anzuwenden wäre. Er hat sich die Mühe genommen, sämtliche Worte aus der Luther-Übersetzung herauszuschreiben, aus denen mein Versstück »Apokalypse« besteht, er tadelt jene Wendungen, in denen ich von Luther abweiche, denn er hat nicht gewußt, daß sie nicht von mir, sondern – wie jene verhöhnte Stelle von den 200 Millionen, die nüchterner als bei Luther, aber wegen der Kongruenz mit einer vorgestellten Chinesenmacht bevorzugt – aus der Übersetzung des Leander van Eß sind. Er hat sich dieser ganzen kritischen Arbeit unterzogen und war auch nicht einen Augenblick von der Ahnung beschlichen, daß es eben jene Arbeit, nein, nur ein Teil jener Arbeit war, auf die ich stolz bin und die ich am liebsten selbst neben dem Gedicht publiziert hätte, um dem Leser zu zeigen, daß zwischen den Worten Johannis, deren verkündete Unantastbarkeit Herr Ehrenstein als eine künstlerische mißversteht, und meiner Leistung ein Sprachraum durchmessen ist, in dem rund hundert Gedichte von Ehrenstein Platz haben, und zwischen dem politischen Erlebnis jener Prophetie und dem ihrer Anwendung auf unsern Zeitinhalt hundert Einfälle eben dieses Denkers durchrutschen können. Ich kann sagen, der Wahrheitsbeweis des Herrn Ehrenstein für seine Plagiatsbeschuldigung ist ihm gelungen, und zwar so sehr, daß ich ihn wegen Beleidigung verklagen würde, wenn er mir ihn schuldig geblieben wäre. Hätte freilich ich statt seiner ihn zu erbringen gehabt, so wäre ich noch weiter gegangen und hätte dargetan, daß ich selbst dort, wo ich von Luther abwich, nicht aus mir geschöpft habe, sondern aus dem andern Übersetzer, so zum Beispiel auch, wenn ich die Könige mit der Babylonierin »buhlen« statt »huren« lasse, aber nicht wie der Schwachkopf vermutet, aus Bedenken der Prüderie, sondern wieder nur um meiner Deutung zu entsprechen. Ganz gewiß jedoch hätte ich nicht die Unsauberkeit begangen, bloß das verwendete Wortmaterial abzudrucken, statt der vollständigen Absätze, denen ich es entnommen habe. Wie? Herr Ehrenstein verhöhnt diese Methode, zu »verkürzen«, zu »konzentrieren«? Aber er muß doch aus der Erfahrung, die er mit meiner Kunst, ein vorhandenes Werk umzugestalten gemacht hat, wissen, was er vor dem Sprachstoff der Luther-Übersetzung vergessen haben will: welche Bibelwunder entstehen, wenn ein Wort, das erst zwei Zeilen später kommt, hinaufgerückt und was dazwischen liegt gestrichen wird, wobei noch Luther vor ihm den Vorteil voraus hat, daß die Heiligkeit seines Textes neben meiner Komposition der Welt erhalten bleibt, während Herr Ehrenstein die Vergewaltigung seiner sämtlichen Manuskripte durch mich dankbar ertragen hat. Freilich könnte er sagen, daß ich, der ihm die schöpferische Gnade meiner Redaktion selbstlos zuwandte – wie jedem, der sie mir durch ursprüngliche Begabung zu verdienen schien – dennoch seinem Werk nicht meinen, sondern bloß seinen Namen vorgesetzt habe. Aber ich kann ihm versichern, Luther hätte sich's nicht gefallen lassen, sondern meine Namensfertigung der Originalität meiner Leistung angemessen befunden, und selbst die Aufklärung durch Herrn Ehrenstein hätte ihn nicht vermocht, in meiner Apokalypse die seine wiederzuerkennen, die doch auch bloß eine Nachschöpfung ist. Es ist wohl nur im Tollhaus des Literatentums möglich, daß der Jean Paul-Abschreiber, der sich damit rechtfertigen will, daß er der Abschreiberin sein Honorar überlassen hat, mich in eben diesem Zusammenhang ein Hirn nennt, »das so tut, als verstände es nicht, daß die dichteste Gestaltung außerhalb ihres Gefüges wieder Rohmaterial wird und, sobald ein anderer Dichter sie empfängt, eine andere«. Das soll die Abschrift eines verschollenen Essays von Jean Paul rechtfertigen, aber keineswegs die Schöpfung eines Gedichts aus dem Vorstellungsbestand der Bibel! Herr Ehrenstein ist mir dahinter gekommen. Er war mir immer dahinter. Er kann mir dahinter bleiben! Nein, ich werde mit zwei Gefährten, einander wert in der Fähigkeit, die dichteste Wahrheit außerhalb ihres Gefüges als Lüge zu empfangen, kein liederliches Kleeblatt bilden. Doch was Ehrenstein angeht und sein Haßgetändel, so ist immerhin zuzugeben, daß er einmal ein Wahrwort gesprochen hat, welches da lautet: »Der Mensch ist Schleim, gespuckt auf eine Schiene«, und ich bin überzeugt, daß diese Spur von seinen Erdentagen nicht in Äonen untergehen wird!


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