Arthur Kahane
Theater
Arthur Kahane

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Vom englischen Lustspiel

Wenn man den Engländer von 1930 aus der englischen Lustspielliteratur von 1930 rekonstruieren müßte, so ist es eine Engländerin. In diesen Stücken gibt die Dame den Ton an. Einen verdammt merkwürdigen Ton und eine verdammt merkwürdige Dame. Dame? Äußerlich sieht sie schon mehr wie ein Sportsbursche aus, und man muß sie von sehr nahe anschauen, um sich vom Gegenteil zu überzeugen. Man versuche es ruhig, sie hat nichts dagegen, daß man sie von sehr nahe anschaue. Ob es lohnt? Sie ist davon überzeugt: sie hält sich für die fine crème du monde, die Londoner Gesellschaft, in der sie lebt, für den Mittelpunkt der Welt, ihr Leben in der Londoner Gesellschaft für den Mittelpunkt des Mittelpunktes. Sport, Mode, Klatsch, Amüsement, Flirt, Langeweile und Nichtstun: damit ist ihr Leben ausgefüllt. Die Probleme dieses Lebens sind gesellschaftliche Prestigefragen, sein Kampf der Wettlauf snobistischer Extravaganzen. Die Dame up to date kennt nur Prätentionen, 115 nur Privilegien, nur Rechte und gar keine Pflichten. Ihre weibliche Sehnsucht (bekanntlich hat »ein jeder Mensch eine Sehnsucht«) träumt von Millionen (in Pfunds oder in Dollars). Ihr Köpfchen ist leer wie ein Hühnerhirn, das rastlos plätschernde Geschwätz ihres Mündchens ebenso, aber beides im maskulinen Typ der Zeit. Sie ist ein Luxustierchen ohne Herz und Geist. Mit ihr kontrastiert ihr armer Teufel von Mann, den sie betrügt oder, weil man doch in England ist, beinahe betrügt, ihr Opfer, der brave, schlichte, im Frack oder Smoking unscheinbare Arbeitsmensch, der in Bank, Industrie, Kommerz und saurem Schweiße seines Angesichts fleißig und mühselig ihr die Millionen zusammenschuften muß, die sie unbedingt zum Leben braucht. Erst ganz zum Schluß kommt die Dame meist darauf, um wie vieles besser und verläßlicher dieser Mann ist als ihr Tennispartner und daß sie ohne ihn und seine Millionen nicht zu leben vermag.

Das ist, mit Varianten, der Haupttyp und das Grundschema des englischen Lustspiels. Seine Einstellung ist die rein gesellschaftliche. In diesem Lande gibt es offenbar nichts anderes als Gesellschaft. Es hat den Anschein, als ob alles individuelle, alles geistige Leben im gesellschaftlichen aufgegangen wäre. Die Gesetze der Gesellschaft sind so dominierende, für jeden so bindend, daß selbst die schüchternen Revolteversuche dagegen, die in der satirischen Haltung der englischen 116 Komödie zum leisen Ausdruck kommen, nur eine Anerkennung mehr ihrer despotischen Macht bedeuten. Der Angriff ist, sieht man von Shaw und einigen andern irischen Hitz- und Querköpfen ab, nicht gerade vehement: die Angriffsfläche wird unmerklich verschoben: man greift nicht die Gesellschaft als solche an, sondern ihren Snobismus mondäner Schlagworte, literarischer Moden, exzessiver Bohemespielereien. Dagegen wird, als Gegenpol, der gesunde nüchterne Menschenverstand, der Common sense philiströser Tüchtigkeit oder sportlich kraftvoller Abenteuer und Unternehmungslust aufgestellt.

Das Beste am englischen Lustspiel ist der Ton, dieser lustige Knockabout-Ton, der ebensoviel vom Telegrammrhythmus der Gegenwart wie von der witzigen Concetti- und Antithesentechnik der altenglischen Humoristen hat. Wie es ja merkwürdig und für den Konservativismus der englischen Angelegenheiten bezeichnend ist, daß wir genau dieselbe Einstellung auf das Gesellschaftliche und dieselbe Auffassung der englischen Frau wie im modernen Lustspiel bereits in den ausgezeichneten Komödien der Stuart-Periode, von Farquhar, Vanbrugh, Wicherley, Congreve und ihren Zeitgenossen finden. Die Zeiten ändern sich, die Moden ändern sich, Mrs. Eva bleibt dieselbe. 117

 


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