Arthur Kahane
Theater
Arthur Kahane

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Vom französischen Lustspiel

I.

Das Wesen der Tragik ist optimistisch. Sie glaubt an den Fortschritt, an die Weiterentwicklung der menschlichen Individualität über sich hinaus.

Die Komik ist skeptisch. Sie hält nicht viel vom Menschen, hält ihn für lächerlich, klein, schlecht. Vor allem aber für unverbesserlich und unveränderlich. Sie schwört auf die Indelebilität der menschlichen Natur. Was immer mit ihr geschieht, was Merkwürdiges, Überraschendes, Seltsames ihr passiert und sich bemüht, sie aus ihren Bahnen zu bringen und sie zu verändern, der alte Adam kommt doch immer wieder heraus. Jeder bleibt, wenn es auch manchmal anders scheint, genau so, wie er von Haus aus ist, so lächerlich, klein und schlecht, und im Grunde liegt auch nicht gerade allzuviel daran: die Welt geht weiter.

Es ist eine Weltanschauung so gut wie irgendeine. Und dieser fast zynischen Skepsis scheint ein Etwas im Grunde der französischen Natur tief entgegenzukommen. Es ist kein Zufall, daß keine Kunstform repräsentativer für die französische Literatur ist als die Komödie.

Vor allem setzt sie Wirklichkeitssinn voraus. Wirklichkeitssinn nicht als Kunsttechnik, sondern als Art, das Leben zu sehen, wie ihn die Franzosen, diese angeblichen Formalisten, allen andern voraus 101 haben. Sie sind ja in allen Dingen so ganz anders, als ihre deutsche Legende sie haben möchte. Wo bleibt das landläufige Zerrbild geleckter Salonhaftigkeit, effeminierter Oberflächlichkeit, geckischer Zierlichkeit, wenn man an die große Linie der französischesten aller Franzosen, der Rabelais, Molière, Béranger, der Balzac, Claude Tillier, Maupassant, an Courteline den »Göttlichen« und Tristan Bernard denkt! Gauloiserie – das ist Kraft, Derbheit, Saftigkeit, nackte, hüllenlose Aufrichtigkeit; freilich auch Grazie und Witz.

Dieser unerbittliche Wirklichkeitssinn, diese klare Erkenntnis (die trostlos wäre, wenn nicht soviel lächelnde Grazie sie verschönte) der unabänderlichen Schwäche der Menschennatur ist das Fundament der Molièrischen Charakterkomödie. Und im Grunde ist die französische Komödie in allen ihren Formen, mag sie als Sittenkritik, als Gesellschaftsstück, als Situationsschwank, als romantisches Spiel auftreten, immer nur Charakterkomödie und handelt von den Schwächen der menschlichen Natur, die durch alle Wechselfälle, Abenteuer und Überraschungen doch nur immer wieder in sich bestätigt wird.

Die Sehnsucht, in die Geheimnisse des Nächsten, auch in die seelischen, einzudringen, sitzt offenbar tief im Menschen. Beim Pöbel äußert sie sich als Klatschsucht, bei den Zivilisierten als Freude an der Psychologie. Je zivilisierter und differenzierter 102 eine Gesellschaft ist, um so stärker wird dieses Bedürfnis nach praktischer Psychologie; man veredelt gewissermaßen den Klatsch, indem man vom Einzelfall abstrahiert, verallgemeinert, das Typische, das allgemein Menschliche erkennt. Diesem Bedürfnis der französischen Gesellschaft kommt die Charakterkomödie besonders entgegen und wird so zu einer Art Gesellschaftsspiel. Es ist, als wenn die ganze Nation an ihr gelegentlich mitarbeitete, ihr alle ihre reichen Erfahrungen zur Verfügung stellte: ein solches Kulturmaterial liegt darin, ein so hohes menschliches und künstlerisches Niveau hat dieses doch eigentlich gar nicht prätentiöse Genre erreicht. Steckt nicht im einfachsten der Boulevardschwänke – ganz abgesehen von der nicht genug zu rühmenden mathematischen Präzision, der entzückenden Sauberkeit der technischen Mache – mehr Menschenkenntnis, mehr Beobachtung, mehr Lebenserfahrung, mehr lächelnde Erkenntnis, mehr Grazie und mehr Scharm als in sämtlichen deutschen Lustspielen der letzten vierzig Jahre? (Ich nehme die paar Komödien von Hauptmann, Hartleben und, um eine neuere Kraft zu nennen, Sternheim aus.)

Freilich – würde ein deutscher Literaturprofessor weltumfassenden Horizonts bemerken – behandeln sie nur ein ganz enges Thema: die Liebe. Immerhin pflegt dieses Thema bei vielen, namentlich jüngeren Leuten beiderlei Geschlechts 103 mindestens fünfzig, ja selbst sechzig Prozent der täglichen und nächtlichen Gedanken und Erlebnisse zu okkupieren; immerhin interessiert dieses abgebrauchte Thema weitere Kreise der Bevölkerung als die meisten andern Themen; immerhin läßt sich auch darüber immer wieder so manches Neues sagen, und die französischen Komödien tun dies, unerschöpflich, in ewig neuen Variationen. Zugegeben, wenn es sich auch manchmal in diesen Stücken scheinbar um ganz anderes handelt, um Gesellschaftskritisches, um die Korruption des Parlaments, um die Presse, um Rechtsfragen, um die Juden, eigentlich ist es doch, immer wieder, die Liebe, von der sie sprechen wollen. Oder noch eigentlicher: die Frau.

Der Charakter der Frau, das ist der Mittelpunkt der modernen französischen Charakterkomödie. Wie sie von Urbeginn an, durch alle Verwandlungen, Verpuppungen, Überraschungen durch, doch immer ewig dieselbe bleibt, beweisen sie alle. Um ihre holde Unbegreiflichkeit bemühen sie sich, verliebt anhimmelnd, skeptisch zweifelnd, ironisch lächelnd, resigniert knirschend, zornig anklagend, weise konstatierend. Alle singen sie ihre immer neuen Variationen über das alte Volkslied, das Maupassant sooft zitierte:

»Souvent femme varie,
Bien fol qui s'y fie!
« 104

II.

Die französische Komödie ist Charakterkomödie und wurzelt tief in der Wirklichkeit. Ihr Sinn ist immer wieder: die Unabänderlichkeit der menschlichen Natur zu beweisen. Wie sich auch das Schicksal bemüht, den Menschen zu ändern oder zu bessern, ihn aus seiner ursprünglichen Natur heraus und nach oben zu treiben, es gelingt ihm nicht. Im Gegenteil, es bestätigt ihn nur darin. Dieser Glaube ist die Weltanschauung der Komödie. Selbst dort, wo die Bekehrung geglückt scheint, bleibt zum Schluß noch das Fragezeichen, ob sie dauern wird. Die Komödie glaubt an die unabwendbare Rückfälligkeit des Sünders Mensch. Der alte Adam kommt immer wieder. »Der alte Adam« könnte als Motto über allen französischen Komödien stehen. Auch dort, wo es sich um die »neue Eva« handelt.

Die Komödie (jeder Humor, der höchste wie der niedrigste) ist a priori pessimistisch. Sie hält nicht viel vom Menschen. Sie sieht das Typische in ihm stärker als das Individuelle. Und das Typische, das, was den Menschen gemeinsam ist, ist nun einmal das Schlechtere. Schon dadurch, daß es das Typische ist. Individualisieren adelt. Das ist wohl der kardinalste Unterschied zwischen der (eigentlich optimistischen) Tragödie und der Komödie: daß die erstere die Individualität im Kampfe mit dem Typus zeigt und sie zu sich selbst entwickelt, die 105 letztere sie im Typus aufgehen läßt. Dieses Aufgehen ist bequemer und schmerzloser als das tragische Untergehen, aber gemeiner. Setzt Schlechtes voraus und züchtet es. Die Charakterkomödie kennt nur den typischen Charakter, also den, der eigentlich keiner ist. Aber der bleibt er unerbittlich.

Alle Komödie moralisiert. Ein Jenseits von Gut und Böse gibt es nur in der Sphäre des Individuellen. Aber die Komödie hat sich allmählich an das Schlechte gewöhnt und behandelt es mit einer gewissen lächelnden Nachsicht. Ja, schließlich sogar mit Wohlwollen. Namentlich wo es sich um das Laster der Frau handelt, ist die »galante Komödie« galant genug, es so reizend und mit so viel Sympathie darzustellen, daß der ursprüngliche moralisierende, pessimistische Sinn der Komödie darüber verlorengegangen ist. Darum tut immer wieder von Zeit zu Zeit einer jener unerbittlichen Wirklichkeitsfanatiker not, die der Komödie ihren ganzen ursprünglichen Ingrimm und ihre eingeborene Feindseligkeit gegen alles Schlechte und Typische wiedergeben. So einer war (der größte) Molière; so einer war Beaumarchais; so einer war Henry Becque. Und zu ihnen gehören wohl auch Courteline und Tristan Bernard.

Wirklichkeitssinn steckt in der ganzen französischen Lustspielkunst: dazu ist dieses Volk zu real 106 und zu klar, um ihn je ganz zu verlieren. Aber es ist ein Unterschied zwischen Wirklichkeit und Wirklichkeit. Zwischen der Wirklichkeit Henry Becques und der Wirklichkeit der Boulevardiers (auch der besten). Vielleicht liegt der Unterschied nur in der Intensität des Erlebens. Menschen von der Art Henry Becques erleiden die Realität mit einer solchen Empfindlichkeit, einem solchen Furor, daß sie sich ihrer nur erwehren können, indem sie ihr ganz nahe auf den Leib rücken. Haß und Liebe schärfen ihnen alle Sinne, und in der Hitze des Kampfes fallen alle Eitelkeiten der Mache, fällt die kleinliche Freude an Witz, Karikatur und Pointe, und es bleibt nichts als wirkliches Leben und das bitterböse Lachen dessen, der es wirklich erlebt hat.

Wie diese Kraft des Erlebens alle andern Kräfte und Fähigkeiten schärft und steigert! Auch die des Witzes. Aber es ist ein Witz, der über dem Worte steht: er spitzt Tatsachenpointen, Epigramme der Aktion. Nicht in wohlgesetzten Sentenzen und Bonmots, nicht in direkter Charakteristik, sondern fast wortlos verrät das Leben seine eigene Lächerlichkeit. Es ist jene richtigste Art der Komik, die keine Ahnung von sich selber hat und ein bitterböses, ein geradezu lächerlich ernstes Gesicht aufsetzt.

Und doch ist auch Henry Becque ein anderer, wo es sich um die naiven Sünden der Frau handelt. Der 107 Henry Becque der »Pariserin« ist ein anderer als der Henry Becque der »Raben«. Bei aller Wahrheit, aller Unerbittlichkeit, aller Bosheit liebenswürdiger, scharmanter, heiterer. Der Pariserin gegenüber verleugnet auch er den Pariser nicht und jene gallische Heiterkeit, die die Frau kennt, haßt, verhöhnt, aber ohne sie nicht leben kann.

III.

Es gibt Menschen, die ohne Frauen nicht leben können. Ohne viele, denn eine ist für sie keine. Und sicher gibt es Pariser, die ohne Pariserinnen nicht leben können. Ohne schöne, elegante, heitere, liebe und verliebte Frauen, die quälen und gequält werden wollen, die manchmal viel zu treulos und manchmal auch viel zu treu sind. In ihrer Umgebung leben sie auf, in ihrem Dunstkreis fühlen sie sich wohl. Ihr Odeur, ihr Parfüm brauchen sie zum Atmen, ihre Atmosphäre ist das Lebenselement, ohne das sie nicht existieren können. Hier entwickeln sie sich; ihre besten Kräfte werden frei, sie entfalten Geist, Energie, Phantasie, Güte, Takt. Bei den Frauen ist ihre Heimat: fehlen sie, werden sie ihnen ewige Sehnsucht, ewiges Heimweh. Wehe, wenn sie sie verlieren! Selig, die sie wiederfinden!

Es gibt – namentlich in Deutschland – sehr weise Männer, für welche die Pariserin eine Fiktion, Eleganz eine Suggestion, Pariser Amüsement ein Irrtum, Pariser Liebe eine geschminkte Lüge 108 und Paris überhaupt eine Legende ist. Der neuere Deutsche fällt ja bekanntlich auf den frivolen welschen Zauber nicht mehr herein und zieht den gesunden Sport englischer Rekordlangeweile vor. Möglich, daß der griesgrämliche Legendenzertrümmerer recht hat und das holde Parisertum, an dem wir uns freuen, uns den letzten vergehenden Abglanz alter gauloiser Herrlichkeit und Galanterie vortäuscht. Für den Pariser aber ist sie Realität: und vielleicht seine einzige Realität.

Jedenfalls aber – das kann nicht gut geleugnet werden – ist hier die Atmosphäre des französischen Lustspiels, und jedes einzelne fast ist eine Variante über dieses eine Thema. Vielleicht ist dies einseitig, vielleicht sogar borniert. Entzückende Borniertheit! Beneidenswerte Einseitigkeit!

Gewiß gibt es ein Frankreich der schweren Probleme, der ernsten Arbeit, der strengen Wissenschaftlichkeit, der klaren Geistigkeit. Wir müssen es glauben, wenn es uns immer und immer wieder versichert wird, daß der eigentliche und charakteristische Durchschnitt dieses Volkes aus fleißigen, tüchtigen, nüchternen Bürgern, aus braven und sparsamen Bürgersfrauen besteht. Und wenn wir's nicht glauben wollten, würde uns jede Berührung mit ihnen, jede objektive Beobachtung eines Besseren belehren. Die kluge und nüchterne Führung ihrer Weltpolitik, ihre Stellung im Welthandel, ihre 109 Leistungen in Technik, Industrie, Medizin und in den Wissenschaften geben einen Begriff von der ernsten und zähen Tüchtigkeit dieses Volkes. Ebenso der merkwürdige Konservativismus ihrer bürgerlichen Lebensführung, von dem die Journale freilich keinen Hauch verspüren lassen. Ihre Philosophen, ihre Dichter – besonders die der jüngeren Generation – gehen unerbittlich und schrankenlos an die tiefsten Probleme, und es gibt kein Geheimnis der europäischen Seele, das nicht auch in Frankreich – und wie oft hier zuerst – aufklingen würde. Und doch, und doch schimmert unter diesem andern Frankreich das alte – man fühlt sich versucht, »das eigentliche« zu sagen. Das warme Blut lärmt, der alte Adam regt sich und muß von Zeit zu Zeit seine unbequeme, neue Haut abstreifen, muß sich auf seine gute gallische Natur und Tradition besinnen, muß sich wieder leicht, fröhlich, witzig und galant fühlen wie einst, glücklich, daß es Frauen, Liebe und Untreue gibt. Lassen wir uns die Schönheit dieses heiteren Frankreich nicht verekeln, freuen wir uns, daß es immer noch eine Nation gibt, der die edle Rolle zugefallen ist, der Viveur, Charmeur und Amuseur unter den Völkern zu sein, der ewig heitere Liebling aller Grazien und der Aphrodite.

Und dem französischen Lustspiel wollen wir es danken, daß der französische Geist in ihm eins seiner Mittel gefunden hat, seine Verpflichtung zum 110 Ernstsein gewissermaßen abzureagieren. Eine amüsantere Rezidive in den alten gallischen Adam kann man sich nicht wünschen.

Hier, in diesem Lande der individuellen Formmißhandlung, bezeichnet man das französische Lustspiel gern als Kunsthandwerk und schiebt seine Vorzüge lediglich dem Niveau zu. Abgesehen davon, daß Niveau in diesem Falle Fleiß, Sauberkeit und technische Ehrlichkeit der Mache, Geschmack, Witz und Tempo bedeutet: auch im rein Menschlichen scheint mir manches dieser scheinbar so leichten und lustigen Dinger wertvoller, kühner, angenehmer als manche seriösen Stücke der seriösen deutschen Dramatiker. Ob sich wirklich so viele der prätentiösen Literaturdramen der letzten Jahre an Lebenskenntnis, Takt und Verständnis für große und kleine Menschlichkeiten vergleichen lassen mit diesen bescheidenen Lustspielchen, die überdies liebenswürdig und gutmütig sind und nie langweilen? Der Spießbürger sagt: »leichte Ware«. Die deutschen Dichter läßt er durchfallen, weil er sie nicht versteht; die Franzosen schmäht er, weil er sie versteht. Er mag sich trösten: die versteht er auch nicht.

IV.

Das Genre an sich. – Das Genre an sich bedeutet nichts, die Meisterschaft innerhalb des 111 Genres alles. Auf die Einzigartigkeit kommt es an in der Kunst. Nicht auf ein Mehr oder Minder an Ernstgehalt. Letzten Grundes ist es eine Übertragung verwünschter moralisierender Manieren auf Kunstdinge, ein Kunstwerk seines Genres wegen über ein anderes zu stellen, ein Genre von vornherein dem andern zu unterwerfen. Die Skala: Tragödie, Drama, Schauspiel, Komödie, Lustspiel, Schwank, Posse: Ausgeburt eines schwitzenden Schulmeistergehirns, dessen einziger Wertmesser brave Ernsthaftigkeit des Inhalts. Kommt es denn auf das spezifische Gewicht und nicht hundertmal mehr auf die spezifische Leichtigkeit an?

Als ob nicht jede Posse von Nestroy tausend Römertragödien, jede Operette von Offenbach tausend Musikdramen totschlüge! Und ist nicht jedes dieser zierlichen, amüsanten, französischen Dingerchen, jede dieser anmutigen Nichtigkeiten, gewoben aus Grazie und Geschmack, Witz, Liebe, Heiterkeit und Frauenseele, mehr wert als alle die hyperseriösen Problemdramen, die niemand reizen, niemand bereichern, niemand erfreuen? Daß diese von den schwereren Dingen handeln, sich in den ernsteren Stoffgebieten bewegen, kann ihren Wert nicht erhöhen: war es denn nicht in allen guten Zeiten der Kultur so, daß nicht der Stoff entschied, sondern die Form?

Niveau und Persönlichkeit. – Auf das Einzigartige, sagte ich, kommt es an in der Kunst. Und, 112 wo das fehlt, wenigstens auf das gute Niveau, das immerhin ein anständiges, das anständigste Surrogat für Persönlichkeit ist. Das gute Niveau ist unerbittlich. Es duldet die geniale Schlamperei nicht. Es verbürgt nicht bloß Geschmack, sondern auch Sorgfalt und Arbeit, Unauffälligkeit und scheinbare Mühelosigkeit. Das Technische versteht sich eben in der Kunst immer von selbst, sollte es wenigstens. Gewiß, die wirkliche Persönlichkeit baut sich ihre Form und ihre Technik selbst, das Niveau übernimmt sie, aber in ihrer besten Gewordenheit. Und es ist lange nicht gesagt, daß Niveau und Persönlichkeit sich nicht miteinander vertragen, daß das Niveau die Persönlichkeit unterdrückt und verschlingt. Ist nicht vielleicht gerade die Persönlichkeit persönlicher und nobler, die ihren Reichtum hinter der Selbstverständlichkeit eines guten künstlerischen Niveaus versteckt, als jene, die sich immer wieder selbst unterstreicht und dadurch leicht suspekt wird, überhaupt keine zu sein?

Das französische Lustspiel hat viel Niveau und wenig Persönlichkeiten, aber alle diese Persönlichkeiten haben die gute, unauffällige, vornehme Art ihres hohen Niveaus.

Gauloiserie. – Will denn die Legende nie aufhören, sich den Franzosen oder den französischen Dichter oder zumindest den französischen Lustspieldichter glatt, geschniegelt, parfümiert, geckisch, schönrednerisch, leer, ohne Ernst, 113 sentimental und effeminiert vorzustellen? Wenn die Franzosen ihr ureigenstes Wesen ausdrücken wollen, brauchen sie das Wort Gauloiserie. In ihrem Zeichen sehen sie sich selbst, stehen alle ihre ganz Großen, stehen auch die Besten ihrer heutigen Künstler, ihrer Lustspieldichter, die Courteline, Tristan Bernard und die andern. Gauloiserie besagt so ziemlich das Gegenteil von all den Eigenschaften, die das deutsche Vorurteil ihnen andichtet. Es besagt: Derbheit, Natürlichkeit, Witz, Lebenskenntnis. Es besagt: dröhnendes Lachen als Waffe gegen den Ernst des Lebens. Es besagt: Sinn für Realität und unsentimentale Sinnlichkeit. Freilich hat diese Derbheit Grazie, diese Natürlichkeit Anmut, dieser Witz Geschmack, ist diese Unsentimentalität nie brutal. Und man wird wohl auch nicht gerade darin ein Symptom mangelnder Männlichkeit sehen, daß sie ohne Frauen nicht leben können.

Resümee. – Menschenkenntnis und Kenntnis der Welt. Kenntnis vor allem der Frau, die, mit Recht, überschätzt wird. Ein liebenswürdig skeptisches, wohlwollend spöttisches Verhältnis zu den Schwächen der Menschen. Einfall und Erfindung. Witz und Scharm. Kenntnis der Bühne und ihrer Wirkungen. Beherrschung des Handwerks. Und diese ganze Welt von Takt regiert. Gewiß, es gibt Situationen, es gibt sogar Requisiten, die wiederkehren. Gewagte Situationen, gewagte Requisiten. Sie 114 kommen ja nicht bloß auf der Bühne, sie kommen auch im Leben wieder. Und was verschlägt's, wenn es mit Takt geschieht, der des französischen Lustspiels heimlicher, aber konstitutioneller König ist! Und »auch ein König bleibt in Unterhosen«.

 


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