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Pak fährt mit der Eisenbahn

Pak lebte wieder unter Menschen. Sein ständiger Aufenthalt war die warmbehagliche Küche, während draußen der bittere Winter feindselig gegen alles Leben wütete.

Auch ein großer Jagdhund, der schrecklich aussah und doch freundlich war, leistete Pak wieder Gesellschaft. Sogar eine Katze, diesmal eine schneeweiße, trieb sich in der Küche herum. Sie hatte merkwürdig lange, seidige Haare und war – so schien es dem Erpel, für eine Katze verhältnismäßig nett. Sie hatte aber eine Eigenheit, über die sich alle Welt verwunderte, sie hatte nämlich ein blaues und ein gelbes Auge. Das Tier hatte dadurch einen schwer zu deutenden Blick und schien verschlagen. Doch war es in Wahrheit ein liebes sanftes Ding, das sich verhätscheln ließ, sich bei jeder Gelegenheit anschmiegte und weder Ratte, Maus noch Vogel nachstellte. Aber es gibt Gesichter, die durch einen befremdlichen Zug oder eine ungewöhnliche Gestaltung bei jedermann Mißtrauen erwecken, und doch erweisen ihre Träger sich, nachdem man sie näher kennengelernt hat, als harmlose nette Leute.

Bald erkannten die Menschen, bei denen Pak lebte, daß dieser Erpel schon in Gefangenschaft gewesen sein müsse, denn gleich, nachdem er durch gute Nahrung wieder zu Kräften gekommen war, lief er in der Küche ohne Scheu umher, und stellte sich wieder wie einst neben den Hausherrn während der Mahlzeiten auf die Bank, um einen Happen bittend.

So konnte man wirklich sagen, das Leben dieses Erpels wäre an seinen Ausgangspunkt zurückgekehrt. Doch das ist, wie in diesem Falle, so in allen anderen nur scheinbar so. Rastlos rollt jeder einzelne seine Entwicklungsspanne ab, und mag es auch äußerlich so scheinen, im Grunde kehrt nichts wieder.

Die weiße Katze mit den verschiedenfarbigen Augen

Wenn auch für Pak die Lage ähnlich war wie vor der Zeit seiner Freiheit, so sah er sie doch mit anderen Augen. Nie vergaß er das harte, aber freie Leben, und wenn er sich auch in der Küche der Menschen zurecht fand, und sich, da ihm alles altbekannt war, nicht fürchtete, – zufrieden mit seinem Los wie früher war er nicht.

Seine Zeit würde schon kommen. Vorerst fror es erst mal Stein und Bein, und da hätte er in gar keinem besseren Hotel absteigen können. Außerdem, und das war die häßliche Kehrseite dieses sonst nicht unangenehmen Lebens, man hatte ihm eine Flugfessel angelegt. So war also keine Möglichkeit gegeben abzureisen, wenn eines Tages wieder laue Winde wehten. Aber Pak fühlte, einmal würde schon die Gelegenheit kommen, die ihn wieder frei werden ließ. Doch die Wochen vergingen und die Monate – und Pak blieb Haustier. Alle hatten ihren Spaß an ihm, denn er war oft zu Scherzen aufgelegt, und Launen, wie sie die Menschen mitunter hatten, und auch Hund und Katze zuweilen zeigten, kannte Pak nicht. Dann ging der Winter endlich vorbei, und die Liebeszeit der Enten kam. Das wurde für den armen Gefangenen eine böse Zeit. Er lief nun auf dem Hof herum, und wieder wie damals, zogen seine freien Stammesgenossen über ihn dahin, und in Pak wurde, genau wie in ihnen, die Reihezeit wach. Aber gefesselt wie er war, blieb die herrliche Zeit der Liebe für den Gefangenen verloren. Jedoch oft ist ein Weg selbst da noch, wo nur Mauern zu sein scheinen. Pak verliebte sich in eine Hausente! Auf dem Hof schnatterte ein Stamm schöner schlanker, ledergefärbter Kakikambelenten einher. Ein Erpel und vier Enten.

Als nun Pak den Frühling bis zur Unerträglichkeit in seinen Adern fühlte, und er gleichzeitig einsah, daß für ihn eine Ente seines Stammes verloren war, da warb er mit Feuer um die schlankste und zierlichste der Kambelenten.

Sie war natürlich empört!

Der Erpel, der Nutznießer des kleinen Harems, ebenfalls. Doch der Wilderpel hatte Feuer gefangen, und wenn die Frauen erst merken, daß ein Mann wirklich und unter allen Umständen sie allein und keine andere erobern will (es ist selten), dann schmilzt auch das Herz der Sprödesten.

So erfüllte sich denn eines herrlichen Vorfrühlingstages die beharrliche Leidenschaft Paks. Sie war die Seine. Nun wurde der rechtmäßige Herr des Entenfräuleins gar nicht mehr gefragt. Er versuchte allerdings Einspruch zu erheben, aber, ob er nun einsah, daß es nicht anginge, daß der eine vier Frauen und der andere gar keine hätte, oder ob er froh war, eine von den immer Schnatternden loszuwerden? ... Wer weiß? ... Er trat jedenfalls Pak die Kleine ab.

Nun brachen Tage und Wochen der Lust an. Die ferne Rasseente und der Wilderpel verstanden sich blendend. Sie waren unzertrennlich, und in Hof und Garten, wo immer der eine im andern das Entzücken weckte, feierten sie Hochzeit.

Dann aber wurde die Ente wunderlich. »Weiberlaunen«, dachte Pak, »geht schon vorüber«. Aber es ging nicht vorüber. Sehr zur Freude des Besitzers der Enten machte Paks Frau unter einem Reisighaufen ihr Gelege.

Bald lagen acht Eier darin, und die Jungente begann zu brüten. Als die Zeit um war, schlüpften acht kleine Dinger, die aussahen wie aus Samt und Seide gearbeitet. Pak betrachtete sie sich, sie gefielen ihm gut. Es waren eben acht junge Enten. Daß sie gesund und munter waren, schien ihm auch nichts Außerordentliches – dafür war er ja der Vater.

Anders die Mutter! Sie wußte bestimmt, daß so etwas Entzückendes zum zweiten Male nie und nirgends zu sehen sein würde. Für den Gatten hatte sie nur noch wenig Interesse. Ihre ganze Liebe und Sorge galt den Kleinen. Die Menschen gaben sich auch viel Mühe mit den interessanten Mischlingen, und so wuchsen die Entlein bald heran. Zwei gingen allerdings durch Unfälle verloren, aber die anderen sechs waren im Sommer beflogen. Ja, sie konnten fliegen. Der Vater hatte ihnen dieses Erbe der Freiheit mitgegeben. Sie zogen genau wie ihr Vater damals gegen Abend los und fielen auf den Gewässern der Umgebung ein. Ein junger Erpel wurde bei dieser Gelegenheit geschossen, eine Ente schlug das Habichtweibchen, aber die vier letzten blieben am Leben. Drei Erpel waren es und eine Ente. Die Ente war in der Zeichnung wie eine Wildente, nur heller im Grundton. Auch die Erpel bekamen später, bis auf einen, den Wildententyp mit kleinen Abweichungen. Dieser eine Erpel aber hielt die Mitte im Aussehen, zwischen Kaki-Kambel und Wildente. Die Ledertöne der Mutter mit der stärkeren Kopf-Flügel- und Schwanzzeichnung des Vaters. Diesen Erpel und die Ente behielt der Besitzer, die beiden anderen wurden geschlachtet, und Pak, der Vater, wurde eines Tages in eine kleine dunkle Kiste gesteckt und verschickt.

Das war eine schlimme Sache. Von all seinen vielen Erlebnissen war dieses das Absonderlichste und wohl auch das Unangenehmste. Da saß er nun in einem winzigen Behälter, und die Unterlage von Heu konnte nur wenig vor dem Ruckeln des Wagens schützen, auf dem die kleine Kiste stand. Schließlich war sie auf der Bahn angelangt, und da stand sie und wartete auf ihre Weiterbeförderung ...

Pak in der Versandkiste

Pak wartete auch; darauf, daß man ihn wieder herausließ. Aber nichts dergleichen geschah. Er saß in der engen Kiste, und vor seinem inneren Auge zogen die Erinnerungen seines letzten Lebensabschnittes vorüber. Er gedachte des schrecklichen Winters, seiner Genesung unter der Pflege der Menschen, der Liebe zu der hübschen Hausente, und seiner Nachzucht gedachte er auch, wenn schon nur kühl. Des netten Hundes erinnerte er sich und der weißen Katze mit den gefährlichen Augen und dem freundlichen Wesen. Dabei fiel ihm Mautz ein, sein guter alter Feind – Mautz. Den hatte er ja nur noch einmal wiedergesehen.

Der Mann, der ihn, Pak, errettete und gefangen nahm zugleich (so sind die Menschen), bekam eines Tages Besuch. Es war ein munterer Bengel, der da ankam. Etwas lärmend, und immer ein bißchen plötzlich, aber im ganzen gutartig. Der trieb sich meistens draußen herum, denn er hatte ein kleines Schießeisen und war schon, trotz seiner Jugend, ein kleiner Tiermörder. Er schoß Spatzen, Stare, auch mal ein Kaninchen und eines Tages, wahrhaftig, eines Tages brachte er – – – Mautz. Seinen Mautz, das alte Ekel. Aber tot – absolut tot.

Ja, krumme Wege enden manchmal ganz plötzlich. Im großen ganzen, nach dem ersten Schreck, war es ihm doch ein angenehmes Gefühl, seinen alten Widersacher so still und ungefährlich zu sehen, und er hatte sich im Gedanken daran gefreut, daß er diesen Leisetreter nicht mehr zu fürchten brauchte.

Doch nun blieb es gleichgültig für ihn, ob der Graue lebte oder nicht – er war ja gefangen. Nach langem qualvollen Warten wurde endlich die Kiste hochgehoben, und Pak begann zu hoffen. Aber es wurde nur schlimmer.

Er wurde wieder niedergesetzt, und bald darauf fing ein entsetzlicher Lärm an. Ein Stoßen und Dröhnen ohne Unterlaß quälte den Gefangenen, und es nahm kein Ende.

Endlich, vor lauter Erschöpfung verzweifelt, schlief das Erpelchen ein. Er erwachte von der Ruhe, die auf einmal eingetreten war. Bald holte man seine Kiste ab, und wieder ruckerte und stuckerte es, aber nicht ganz so schlimm, wie am Anfang. Dann brachen über ihm die Bretter, eine Hand langte zu ihm hinein und griff ihn fest und sicher und holte ihn ans Licht. »Wahrhaftig, ein Stockerpel! Na, so was Ausgefallenes! Man soll nicht glauben, was für ordinäres Viehzeug die Leute einem schicken!« Und Pak wurde zu einem kleinen Teich getragen und aufs Wasser geworfen. Am Fliegen hinderte ihn ja die Flugfessel, also schwamm er. Doch nun erlebte Pak eine tolle Überraschung. Um ihn herum schwammen in großer Anzahl die farbenprächtigsten Enten. Schwarze mit Bernsteinaugen und einem Reiherschopf, solche in allen Farben mit Federn an den Flügeln, die wie Segel aufgestellt waren und viele andere Arten, eine immer fremder und prächtiger als die andere. War es denn möglich? Pak sah sich um! Es war kein Zweifel möglich – das war hier einer der kleinen Teiche in dem verhexten Park. Er erkannte die Ufer, den Felsen in der Mitte, und vor allem die bunte Schar der Enten. Richtig, da war ja auch der Schwan mit dem schwarzen Kopf und Hals. »Na«, dachte Pak, »da war mir aber die erste Reise in dieses Wunderland lieber.« Dann sah er sich nach Futter um – aber es war nichts da.

»Kann ja gut werden«, meinte er. Doch da kann schon ein Mann mit ein paar Eimern. Der warf mit vollen Händen Futter ans Ufer. Pak stürzte sich darauf. Aber die anderen Enten, besonders der Schwan, waren ruppige Gesellen, und wenn der Hunger nicht gar so groß gewesen wäre, hätte sich der Stockerpel wohl verdrängen lassen. So aber hielt er stand. Bald merkte er auch, daß er nur nötig hatte, dem Schwan auszuweichen, mit den anderen nahm er es auf.

So lebte sich denn der Entenvogel ein. Oft hörte er das Gebrüll der gelben Tiere, oder ein gellendes Trompeten, das kam von den grauen Riesen mit den langen Nasen her.

Viele Menschen gingen an dem Teich entlang und warfen Brotstückchen hinein, und es war ein wildbewegtes Knäuel von bunten Enten, die alle möglichst viel erwischen wollten. Es war hier auszuhalten – fand Pak. Doch wenn er daran dachte, daß er auf demselben Wasser als freier Erpel gesessen hatte, der nur seine Schwingen auszubreiten brauchte, um in kurzer Zeit überall zu sein, wo er wollte, dann wurde ihm doch wehe.

Eines Tages bestiegen zwei der Männer mit den grünen Schildmützen den Kahn, der bis dahin still am Ufer gelegen hatte. Sie hatten große Kescher in den Händen. Der eine blieb im Boot, der andere ging mit langen Wasserstiefeln in das Wasser. Und dann fingen die beiden unter Scheuchen und Jagen und Fuchteln sämtliche Enten, auch den Schwarzhals-Schwan, brachten sie in ein Haus und ließen sie dort in einer großen Voliere los. Nur Pak nicht.

Der eine der Männer sagte zu dem Anderen: »Du, den Stockerpel setzen wir nicht wieder aus, wenn der Teich ausgebessert ist, ich denke, wir lassen ihn verschwinden und braten ihn uns.«

Der andere war einverstanden, holte auch gleich ein Messer und griff Pak hart an. Doch das Messer im Munde, löste er erst die Flugfessel.

»Schlacht' ihn doch erst« riet ihm der eine. Aber jener ließ sich nicht stören und machte das Ding ab. Es ging recht schwer, und als er die Fessel endgültig löste, und er war nicht zart dabei, tat er dem Erpel weh. Der biß sofort herum, und der Mann, weniger aus Schmerz als vor Schreck, ließ los. Beide Männer stürzten auf Pak zu und griffen nach ihm. Der witschte unter den Beinen durch und von da durch eine offenstehende Tür in eine Innenvoliere.

Dort hielt er sich gar nicht auf, sondern huschte in die Außenvoliere. Die aber war offen, denn ihr Maschendraht wurde gerade erneuert. Zur Zeit stand nur das Eisengerüst, das kein Hindernis für Pak war. Er nahm sich auf, und dicht über die Köpfe des Zoopublikums flog er davon. Wieder, diesmal am Tage, überflog er die brausende Stadt. Und wieder zog er geradenwegs seiner Heimat zu.

Nach einer knappen Stunde rauschte das Wasser eines Teiches unter Pak auf. Der Wilderpel war auf einem stillen Gewässer mitten in weiten Wiesen eingefallen. Pak war wieder frei und hatte soviel erfahren und gelernt, daß er sicherlich zu den alten weisen Erpeln gehören wird, die ihresgleichen Vorbild und Lehrer in der harten Schule des Lebens werden.


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