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Drei Jäger erzählen

Nachdem die beiden diesen Vorsatz gefaßt hatten, schritten sie kräftiger aus und kamen bald an das erste Haus des Dorfes. Als sie am Dorfkrug vorbeigehen wollten, meinte der Maler: »Na, wollen wir nicht noch 'n Augenblick hereingucken?« Der andere hatte nichts dagegen und so traten sie ein. Hier wogte, wie in den Wiesen der Nebel, der Tabaksqualm. Der Pächter wurde mit freundlichem Zuruf empfangen, denn der alte Förster Kolbe saß in der Ecke hinter dem runden Tisch und freute sich, daß endlich jemand kam, mit dem er ein paar Worte reden konnte. Der Pächter stellte dem alten Weißbart den Maler vor und rief den Wirt. Der war ein kleiner dicker Mann, an dem alles glänzte; das Gesicht und die Glatze, vor allem aber die Nase. Das war ein Prachtstück. Sie war rund, rot und blank. »Ne richtige Weihnachtsbaumkugel« hatte mal einer der Gäste sehr treffend bemerkt. Aber der dicke Hädtke war darüber nicht böse, denn ihn erfüllte ein unzerstörbarer Gleichmut.

Als der Jagdpächter eine Flasche Burgunder bestellte, dachte der Maler: »O weh, da wird wohl die edle Blaubeere Pate gestanden haben!« Er traute der Dorfschenke so edles Naß nicht zu. Der alte Knasterbart mochte dem jungen Maler wohl seine Bedenken angesehen haben. Um seine hellblauen Augen zitterten ein paar lustige Fältchen, als er sagte: »Wissen Sie, junger Freund, wenn sie in der allererbärmlichsten Vorstadtkneipe einen Wirt finden, der solch Paradenäschen hat, wie der unsrige hier, dann können Sie ruhig Burgunder bestellen, denn nur dieser herrliche Tropfen läßt solche Feuerblumen erblühen«.

Und richtig! Die Flasche zeigte ein feingestochenes Etikett, und die bräunlichen Flecke, die das alte Papier trug, erhöhten in den Augen des Kenners den erwartungsvollen Reiz des Augenblicks, in dem solch Fläschchen auf den Tisch schwebte. Aber wenn schon ihr Äußeres Sympathie erweckte, so übertraf doch das Innere der Flasche die Erwartungen der drei Männer erheblich. Der Duft, der aus den guten Gläsern stieg, war die rechte Einleitung zu der feurigen Milde, der rassigen Fülle und der aus lebendiger Schwere aufsteigenden Lieblichkeit dieses Weines. Und der feine Tropfen ging nicht verloren. Denn obwohl die drei Zungen, die ihn jetzt prüfend am Gaumen zerdrückten, drei ganz verschiedenen Männern angehörten, waren sie doch alle drei voll empfänglich für eine so kostbare und seltene Bekanntschaft. Da wurde denn die kleine Dorfkneipe bedeutungsvoll, bekam Charakter und erschien den vom Wein aufblühenden Hirnen als ein Raum, in dem der Gedanke und die Phantasie mit am Tische saßen.

Zuerst sprach man von Hunden. Der Pächter erzählte noch einmal von all seinem Leid mit dem grauen Kater, bis zu dem heute erlebten Kampf des kleinen Schotten mit diesem Wilderer. Der alte Kolbe war kaum zu überzeugen, daß dieser kleine Hund ein solcher Haudegen sein sollte.

»Ist er denn auch gut im Fuchsbau?«

»Nein, das leider nicht – er ist zu tief in der Brust«, sagte der Maler. »Ich habe das oft bedauert – aber seit dem vergangenen Herbst bin ich fast froh, daß es so ist, denn ich war Zeuge einer sehr traurigen Begebenheit, die sich beim Fuchsgraben zugetragen hat.« Die beiden Nimrode wollten das natürlich genau wissen, und der Maler ließ sich denn auch nicht lange bitten.

»Mein Deubel hatte sich die Pfote etwas verstaucht und mußte zu Hause bleiben, als ich einer Einladung zum Fuchsgraben folgte. Er sah mich kaum an, als ich die Flinte in das Futteral schob und mich verabschiedete. Still lag er auf seinem Platz und litt die Qualen des Zurückgesetzten. Ich streichelte ihn und sprach ihm gut zu, aber er war so gekränkt, daß er kaum den Kopf zu mir umwandte. Und doch – vielleicht war es sein Glück, daß er nicht mit konnte. Die Reise war kurz. Ich wurde gut aufgenommen und nach einem gemütlichen, jedoch nicht allzu ausgedehnten Abend schoben wir uns in die Sasse. Der frühe Morgen sah uns im Revier. Wir waren zu dritt. Förster Bomgart mit dem struppigen grauen Vollbart, den immer lustigen Augen und der fröhlich klingenden Stimme. Ernst Haß, lang und breit, wie beinahe alle Ostpreußen, die ich kennengelernt habe, und ich. Heute sollte endlich der starke Fuchsrüde dran glauben, der am Heidenfriedhof seinen Bau hatte. Auf dem Ansitz war er nicht zu kriegen, weil er erst zu Felde schnürte, wenn Himmel und Erde eins waren. Was eine Falle war, wußte er auch schon lange, und Giftbrocken wurden in diesem Revier nicht gelegt. Also wollten wir versuchen, ihn zu graben, obwohl der Balg zu dieser Zeit noch nicht gut war. Er machte zuviel Schaden, besonders unter den Fasanen. Schweigend stapften wir durch den Sand der märkischen Kiefernheide. Es war ein sehr warmer Herbsttag, und jeder von uns hatte einen Teckel im Rucksack, denn wir wollten die Hunde nicht schon auf dem langen, heißen Wege ermüden, damit sie frisch bei der Arbeit wären. Die Kusseln hörten auf einmal auf und eine leichtgewellte Sandfläche leuchtete weiß in der Sonne. In der Mitte lag auf einem Hügel eine Menge Gestein verstreut, und eine Krüppelkiefer, so bizarr und eigenartig gewachsen, wie ich sie noch nie gesehen hatte, stand einsam da. Das war der Heidenfriedhof. Hier holt man noch heute, wenn man geschickt und vorsichtig gräbt, Tongefäße von schöner und schlichter Form aus der Erde, die nach dem Urteil der Wissenschaft vor mehreren tausend Jahren hier in die Erde versenkt wurden. Die Menschen, die hier gelebt hatten, gaben sie voll Nahrung ihren Toten mit auf die lange Reise. Da nun Bauern im allgemeinen etwas abergläubisch sind, wurde der Ort gemieden und der rote Räuber, dem zuliebe wir gekommen waren, hatte hier sein Malepartus. Es war ein weitverzweigter, alter Bau, der schon jahrzehntelang Fuchs und Dachs beherbergt hatte, aber seit ein paar Jahren bewohnte ihn nur dieser alte Fuchsrüde. Es wäre genügend Raum für fünf Füchse und noch ein Dachspaar gewesen, aber der alte Fuchs biß alles aus dem Tempel. Selbst Meister Grimmbart, der hier lange gehaust hatte, mußte schließlich den ewigen Stänkereien des Roten weichen, obwohl er doch gefährlicher schlägt als der Fuchs.

Die meisten der Röhren verstopften wir mit Zweigen, doch zwei nebeneinander liegende ließen wir offen. Sie waren nur wenige Meter von der Kieferndickung entfernt, und man mußte eine schnelle Flinte schießen, wenn man den Fuchs während des kurzen Momentes fassen wollte, den er brauchte, um in der Dickung zu verschwinden. Haß, als vorzüglicher Schütze, stellte sich dorthin. Wir beiden andern wollten graben. Die Teckel hatten wir aus dem Rucksack befreit, aber vorläufig noch angekoppelt an den Baum gebunden. Sie waren mächtig aufgeregt, zerrten und rissen an den Leinen, und besonders Jenny, die kleine kurzhaarige, hirschrote Hündin, gebärdete sich wie ein Teufel. Nicht ganz so wild war ihr Bruder, der der Schwester sehr ähnlich, nur nicht ganz so tief in der Farbe war. Am meisten Würde bewahrte Waldmann, ein schwarzbrauner Rüde. Rauhhaarig und stark in den Knochen, hatte er schon viele Kämpfe mit Fuchs und Dachs bestanden. Der Förster und ich, wir standen eben noch über die letzte Röhre gebeugt, da krachte ein Schuß. Die Teckel heulten und rasten an ihren Leinen, und als wir zu Haß rannten, stand er mit der Flinte in der Hand, und sich bückend, sah er in die Kusseln. Aber ein Stück Wild war nicht zu sehen.

»Diesmal hat es also doch nicht geklappt«, meinte der alte Bomgart.

»Der Fuchs liegt verendet in den Kusseln«, antwortete Haß.

Bei jedem anderen wären mir diese Worte als etwas zu sicher erschienen, aber von diesem Manne konnte man sagen, daß auf zehn Treffer ein Fehlschuß käme. Der Fuchs lag denn auch, keine zwei Meter vom Rande der Kusseln entfernt, und war schon verendet. Es war ein junger Fuchs – – – nicht der alte! Wir dachten schon, der Chef wäre nicht zu Hause, weil sich der Junge in den Bau getraut hatte, aber als wir die Hunde an die Röhre ließen, waren sie so interessiert, daß wir eines Besseren belehrt wurden. Wir ließen die drei also einschliefen. Zuerst war es still, aber bald hörten wir das Geläut der Hunde. Wie dumpfe Glocken aus der Unterwelt klingt es. Wir liegen mit dem Ohr am Boden. Dann verklingt der Laut für eine Weile, doch nun dringt er wieder herauf, und jetzt endlich – Standlaut! Die Hunde haben den Fuchs fest. Meister Bomgart schlägt durch. Doch sehr tief liegt die Röhre. Der Hundelaut ist nur gerade noch zu vernehmen. Ich löse den Förster ab. So schnell es nur geht, schippe ich. Der Schweiß rinnt – eine harte Arbeit – aber was macht das, die Passion hilft über alle Mühsal hinweg. Nach zehn Minuten klingt der Laut der Hunde immer noch fern, und hin und wieder sind Pausen. Der Schacht wird immer tiefer und noch immer sind die Hunde und der Fuchs nicht erreicht. – Der Alte schippt wieder, ich muß mal verpusten. Jetzt stößt der Spaten auf einen großen Stein, er muß herausgegraben werden, eine langwierige Sache. Als dieses Hindernis endlich überwunden ist, wird es still in der Erde. Kein Laut ist zu hören. Voller Unruhe graben wir weiter und erreichen endlich die Röhre. Starke Fuchswitterung strömt heraus, aber kein Hundegesicht erscheint. Schnell wird die Röhre freigelegt – da offenbart sich ein Unglück! – – – Alle drei Teckel und der Fuchs – – – sind tot! Erstickt! – – – Schnell sind die drei Hunde herausgeholt! Wir haben gerieben und geklopft; umsonst! Da sehe ich, wie die kleine Hündin die Lefzen etwas verzieht! Nach minutenlanger Massage kommt wenigstens der eine unserer kleinen Gehilfen wieder zu sich. Noch schwach und torkelnd erhebt sich Jenny und wedelt matt mit der Rute. Wie es zu dem Trauerspiel kommen konnte? – Der Fuchs hatte sich in eine Sackröhre verlaufen und wurde nun von den beiden jüngeren Teckeln in die Enge getrieben und gestellt. In ihrer wütenden Hast, den Feind zu fassen, hatten sich die beiden unerfahrenen Hunde nebeneinander in der engen Röhre festgeklemmt. So fand sie der dritte, der ältere Hund. Auch er wollte an den Fuchs, konnte aber an den beiden anderen Teckeln nicht vorbei. Da grub sich der erfahrene Kämpe unter den Jungteckeln an den Fuchs heran. Durch den nach hinten geschleuderten Sand verstopfte er sich und den andern den Ausgang und die Luftzufuhr. In diesem engen Raum war die Luft von den vier Tieren bald verbraucht und so entstand das Unheil. Alle drei Hunde hatten Preise auf Ausstellungen errungen und besonders Waldmann war seinem Herrn sehr ans Herz gewachsen. Die kleine Hündin blieb noch den ganzen Tag benommen und auch in den nächsten vierzehn Tagen war sie nicht recht in Ordnung. Langsam aber wurde sie dann doch wieder die alte. Als ich etwa sechs Wochen nach diesem Fuchsgraben Haß besuchte, fand ich Jenny im Wochenbett. Vier stramme Welpen, zwei Rüden und zwei Hündinnen, lagen in der Hütte bei der Mutter.

Vier stramme Welpen lagen bei der Mutter

›Der Vater ist der selige Waldmann‹, meinte Haß.

Ein Rüde und eine der Hündinnen hatten die bei Teckeln nicht häufige Farbe des Vaters, sie waren schwarzbraun. Eine Hündin war hirschrot wie die Mutter und der vierte Junghund war merkwürdigerweise schwarz mit rot. Alle vier Hunde wurden später, sowohl was Leistung als auch was Schönheit anbelangt, außerordentlich gut.«

»Ja – man soll gar nicht glauben«, meinte der alte Förster, »wie intelligent manche Tiere sind. Beileibe nicht alle, der Prozentsatz dürfte genau so hoch sein wie bei den Menschen. Hier wie dort sind Individuen, die selbständiger Gedankenarbeit fähig sind, sehr selten. Wie klug ist zum Beispiel der Waldmann gewesen, von dem Sie da eben erzählten. Neun von zehn Hunden hätten die beiden andern in die Keulen gezwickt, um an den Fuchs heranzukommen, und dieser schlaue Teufel gräbt sich darunter weg. Daß es so böse ausgehen würde, konnte er natürlich nicht mit einkalkulieren.«

»Und doch gibt es viele Wissenschaftler«, ließ sich der Pächter vernehmen, »die den Tieren folgerichtiges Denken absolut nicht einräumen wollen, indem sie behaupten, das Tier folge einzig und allein seinem Instinkt.«

Da sagte der Maler: »Das ist der lächerlichste Unsinn, den man sich denken kann. Ich antworte solchen Ansichten immer mit einem Zitat des Altmeisters Brehm: ›Wer den Verstand der Tiere leugnet, ruft die Sorge um seinen eigenen wach!‹«

»Das ist gut«, lachte der Förster, »prägnanter kann man es gar nicht sagen. Aber wissen Sie, meine Herren, da möchte ich Ihnen doch noch eine Geschichte erzählen, die, Sie mögen mir glauben oder nicht, von A bis Z auf Wahrheit beruht. Sie wissen«, hier wandte sich der Alte, listig mit den Augen zwinkernd, an den Pächter, »daß ich lange Jahre meines Lebens in den Tropen war. Ich habe den Burenkrieg mitgemacht, war Inspektor auf mehreren Plantagen und habe immer und überall Gelegenheit genommen zu jagen. Das hat mir denn schließlich auch mein steifes Bein eingetragen. Ich trat an einen Panther heran, den ich eben geschossen hatte, denn ich war der festen Überzeugung, das Biest wäre verendet. Ehe ich mich's aber versah, reißt mir doch der Halunke das Bein vom Knie abwärts bis auf den Knochen auf! Dann kam Blutvergiftung hinzu und ich habe ein halbes Jahr gedoktert. Später übernahm ich einen Tiertransport nach Marseille. Da lernte ich in einer Kneipe Jäckie kennen. Er war dort Ober und nie bin ich besser bedient worden. Das einzige, was Jäckie nicht konnte, war Sprechen. Sein Herr, der Wirt des Lokals, ein weitgereister Mann, erzählte mir dann Jäckies Geschichte, und die will ich Ihnen jetzt mit den Worten des Marseiller Wirtes wiedergeben. Um Sie aber nicht im Unklaren zu lassen, schicke ich eins voraus: Jäckie war ein Schimpanse – seine Mutter hatte – eine Seltenheit bei Affen – zwei Junge. Und da sich ein Affenkind, so lange es sehr klein ist, auf allen Wegen im Brustfell der Mutter festklammert, war eben ein Kind zuviel.

›Wir lagen damals in der Mondbucht vor Anker, und ich ließ mir Landurlaub geben. Ich ruderte in einem kleinen Boot auf den Wald los. Das Wasser war glatt. Wie ein ungeheurer Smaragd, in dessen berückender Farbtiefe Tiere und Pflanzen in immer neuen und überraschenden Formen ihr Leben lebten, so lag das Wasser in seiner durchsichtigen Klarheit da.

Ein tosendes Meer von Tönen brach aus dem Walde. Regungslos, wie verzaubert und doch strotzend in Farben und Fülle, wirkte die duftatmende Mauer wie ein unerhört reich und kunstvoll gewirkter Vorhang. Ich stieg an Land und fand gleich einen Pfad, den ich hielt. Unter dem Gewirr von Lianen schritt ich dahin, und ich sah gerade nach einem Vogel, dessen Gefieder wie Feuer aufblitzte, als ich nicht mehr allein war. Wie aus der Erde gewachsen, standen plötzlich ein halbes Dutzend Neger um mich herum. Unbeweglich, riesenhaft, in den Gesichtern weiße Ornamente, die nackten Athletenkörper blauschwarz, waren die Krieger so lautlos gekommen, daß ich gar keine Zeit hatte, erschrocken zu sein. Die Burschen machten auch nicht viel Geschichten, ein nicht sehr sanfter Stoß brachte mich in Gang und wir gingen zum Dorf. Ich dachte, jetzt verkaufen sie dich auf den Hufen, denn eine geschlachtete Ziege muß man tragen – eine lebende läuft allein.

Na – es wäre wahrscheinlich auch so gekommen, wenn Jäckie nicht eingegriffen hätte. Kaum waren wir im Dorfe, und die Schokoladenjungs wollten mich eben in die Mache nehmen, da brachten ein paar halbwüchsige Bengel einen winzigen, jungen Schimpansen angeschleppt. Er hatte traurig unter einem Baum gesessen und geweint. Denn seine Mutter hatte seinen Bruder, der kräftiger war als er, behalten, und ihn, den kleinen Jäckie, ausgesetzt. Für mich war nun kein Interesse mehr vorhanden. Das Schimpansenjunge schrie und wehrte sich gegen jede Berührung. Die Eingeborenen sind in dieser Gegend nicht gut zu Tieren, auch zu Affen nicht – – aber mit den Menschenaffen machen sie eine Ausnahme. Auch jetzt gaben sie sich die größte Mühe, die Liebe des Kleinen zu gewinnen. Sie imitierten die Sprache der Schimpansen, boten dem Affenjungen Milch an und versuchten es zu liebkosen. Es war alles umsonst! Das Kind schrie, biß und kratzte. Ich hatte mich genähert, um den Kleinen aus der Nähe zu sehen. Das Tierchen saß auf der Erde, böse und verängstigt starrte es diese aufgerichteten Tiere an, die im dichten Kreis herumstanden. Weit genug vorgedrungen, hielt ich dem kleinen Wesen die Hand hin und rief »Jäckie«. Der Kleine sah mich an, faßte vorsichtig nach meiner Hand, roch daran, und auf einmal fing er an zu quieken und zu grunzen, kam auf mich zu, krabbelte an mir, der ich gebückt dastand, hoch und legte seine kleinen Arme um meinen Hals. Ganz fest barg er sein Köpfchen an meiner Brust und war still. Woran es lag, weiß ich nicht, Jäckie hatte mich sofort als »Papa« anerkannt und war nicht mehr von mir zu trennen. Von dem Augenblick an betrachteten mich die Neger mit abergläubischer Furcht. Das Entgegenkommen desselben Tieres, das ihnen nur mit Haß und Furcht begegnete, konnten sie sich nur durch geheime Kräfte erklären, die mir innewohnen mußten.

Nun hatte ich nichts mehr zu fürchten. Die ollen ehrlichen Menschenjäger gaben mir reichlich zu essen und zu trinken und geleiteten mich zurück zum Schiff. Der Affe hing an meinem Halse. Ich stieg ins Boot und ruderte zum Dampfer, kletterte am Tau hoch und wurde von meinen Kameraden mit Hallo empfangen. Nichts konnte den kleinen Schimpansen mehr erschüttern, er verließ sich in allem vollkommen auf mich. Ein paar Ziegen, die dem Kinde Milch gaben, waren an Bord, Früchte, soviel es haben wollte, auch, und so gedieh der Kleine prächtig.

Wir mochten wohl drei Monate unterwegs sein, seit ich Jäckie gebracht hatte, da gab er uns zum ersten Male seine besonderen Fähigkeiten zu erkennen. Wir hatten einen Kerl an Bord, der stahl. Stehlen tun ja auch andere Leute, ich meine so kleine Diebereien, Mundraub und so. Aber so, wie der Junge die Sache anfaßte, das ging ein bißchen zu weit. Er stahl dem Koch die Eßwaren und Getränke, er stahl unsere Messer, Reservekleidungsstücke, Tabakspfeifen, Zigaretten und Geld – also einfach alles. Dabei war der Bursche so geschickt, daß ihm nie etwas nachzuweisen war. Die geklauten Sachen versteckte er so gut, daß sie unauffindbar waren. Kam er dann mal mit fremden Matrosen zusammen, so verkaufte er den Raub. Wir hätten uns seiner natürlich längst entledigt, selbst ohne Beweise, aber er war der witzigste, liebenswürdigste Mensch, den man sich denken konnte, und außerdem ein Unikum auf der Ziehharmonika.

Da wurde eines Tages unser Käpt'n an seiner empfindlichsten Stelle getroffen, denn ihm fehlte eine Flasche erstklassiger französischer Kognak. Natürlich fiel der Verdacht sofort auf Hinnerk, unsern Langfinger. Aber der Verdacht ist noch kein Beweis, und zu beweisen war ihm nichts. Hinnerk wurde gewaltig ins Gebet genommen. Wir sagten ihm, er solle doch ein Herz haben und die Pulle wieder rausrücken, um unsern Käpt'n von seiner schweren Depression zu helfen, ja wir sicherten dem Gauner sogar völlige Straffreiheit zu. Alles umsonst. Wie wir so was nur von ihm denken könnten – und seinen verehrten Käpt'n, den bestehle er nicht usw., lauter Lügen. Es kam tatsächlich so weit, daß wir alle auf Deck antreten mußten, und der Chef fragte jeden auf Ehre und Gewissen, ob er wüßte, wo der Kognak wäre. Der Alte war die Reihe schon halb durch, jeder sagte »Nein, Käpt'n!« und der Schiffsgewaltige näherte sich Hinnerk. Hinter dem Käpt'n wackelte, wie seine Ordonnanz, Jäckie. Als die beiden bei Hinnerk waren, blieb der Affe sitzen und grunzte.

Käpt'n: »Hinnerk, Du Halunke – ich glaube – Du hast meinen Kognak.«

Hinnerk: »Nein, Käpt'n, ich bestimmt nicht!«

Jäckie quakt und grunzt und klatscht mit den Händen aufs Deck, nickt mit dem Kopf und sieht dabei den Verdächtigen an.

»Nein Jäckie,« sagt Hinnerk, »ich war es wirklich nicht«, und zu dem Kapitän, »glauben Sie ihm nicht, Käpt'n, es ist ein schmutziger alter Verleumder und hat gar keinen Anstand seinen Schiffskameraden gegenüber.«

Nun wurde unser Alter neugierig und forderte den kleinen Schimpansen auf, ihm doch zu zeigen, wo der Kognak wäre. Sofort zog Jäckie los und der Käpt'n hinterher. Bis an die Vorratskammer führte er, da trommelte der Kleine dagegen. Kaum war aufgemacht worden, stürzte er an die Mehltonne, enterte daran hoch und wühlte sich in das Mehl ein, daß er in einer weißen Wolke verschwand. Als er hustend und schneeweiß wieder austauchte, hatte er die Kognakflasche in der Hand. Sie war noch nicht mal angebrochen. Unser oller, ehrlicher Käpt'n kämpfte direkt mit den Tränen. Wenn es möglich gewesen wäre, er hätte den Jäckie zum zweiten Steuermann gemacht. Und nie werde ich Hinnerk vergessen. Der sah den Affen vorwurfsvoll an und sagte: »Ich hätte nie gedacht, daß wir einen verdammten Kriminalkommissar unter uns haben«.

Später, als ich dann nicht mehr zur See fuhr, und Jäckie sich inzwischen zu einem kapitalen Burschen ausgewachsen hatte, übernahm ich hier, in Marseille, diese Kneipe. Es gehen hier auch manchmal ziemlich haarige Jungs vor Anker. Da ersetzt mir der Schimpanse den Ober und den Rausschmeißer zugleich.

So war einmal der Rote Pit, ein gefährlicher Raufer und Messerstecher, bei mir eingefallen. Er kam schon reichlich bedudelt an. In kurzer Zeit tyrannisierte er das ganze Lokal, schwadronierte und log, daß sich die Balken bogen und fragte alle paar Minuten – ob einer glaube, daß er lüge. Es war aber keiner da, der das glaubte, denn die da waren – kannten den Roten Pit.

Da, auf einmal ging die Tür auf und herein kam ein Riese von Kerl. Er kam kaum durch die Tür, so lang und breit war er. Und dabei Haare – so blond wie frische Butter, und ein paar blaue Augen, groß und arglos, wie bei einem Kind. Der Mann saß kaum, da fing doch diese Bestie, der Pit, schon an.

»Was bezahlst Du denn für das Haarfärbemittel?« Die Kerls lachten alle, aber der blonde Riese ging gar nicht darauf ein, sondern rief mir bloß zu, ich möchte ihm doch ein Glas Bier bringen. Er war platt, als ihm Jäckie, der hinter dem Schanktisch gesessen hatte, mit großer Sicherheit das Bier brachte und ihm freundschaftlich auf die Schulter schlug. Der Affe war Menschenkenner und tat das nur bei Männern, an denen was dran war. Also, der Mann streichelte den Affen, suchte in seinen Taschen herum, fand ein Stück Schokolade und gab es Jäckie. Sofort sagt dieses Lästermaul, der Pit: »Aber Goldblondchen, die mußt Du doch allein essen, die hat Dir doch sicher Deine Mammi mitgegeben«. Nun guckte der Lange hoch und sagte: »Das mag schon sein – aber – wenn Du heute abend gern boxen willst, so steht dem nichts im Wege!« Das war es ja, was dieser rote Teufel den ganzen Abend über so sehr vermißt hatte. Hoch sprang der Kerl, sein Stuhl flog um, etwas gebückt stand er, als warte er ab, wie der andere angreifen wolle. Der stand ruhig auf, trat in die Mitte des Raumes, hielt die Hände in halber Höhe des Körpers und erwartete den Gegner. Jede seiner Bewegungen zeugte von großer Kraft, aber es war auch unverkennbar, daß er langsam und schwerfällig war.

Und nun, da wir alle dachten, jetzt geht's los, da war es auch schon zu Ende! Wir sahen nur, wie sich der rote Pit zusammenbog, eine schnelle Bewegung seines Armes machte und hörten einen rauhen Aufschrei des großen Blonden, der ein Schwedenmesser im Oberarm stecken hatte. Ehe er das Messer herausgezogen hatte und auf den Heimtücker zusprang, riß der Rote einen Stuhl hoch und donnerte ihn dem Langen auf den Schädel. Der fiel wie ein Sack zusammen. Nun wollte das ganze Lokal den Verbrecher zurechtstuken. Aber die Arbeit nahm uns Jäckie ab. Schnell wie ein Schatten kam er hinter dem Biertisch hervor und fiel über Pit her. Da gab es kein Stuhlschlagen und kein Messerwerfen – überhaupt kein Wehren. Mit einem weiten Ausholen seiner langen Arme schlug der Affe den Mann nieder. Der fiel mit einem lauten Schrei, wie von einem Hammer getroffen, zu Boden. So ein ausgewachsener Menschenaffe ist stärker als der stärkste Mann und unvorstellbar schnell. Jäckie nahm den wimmernden Kerl am Genick und schleifte ihn, wie ein Kind eine Puppe hinter sich her zieht, zur Tür, riß sie auf und warf den Roten Pit wie ein Bund alter Flicken auf die Straße. Das alles dauerte etwa zwei Minuten. Der Blonde hatte sich inzwischen aufgesammelt, und als Jäckie wieder hereinkam, setzten sich beide an den Tisch und tranken Brüderschaft! Es wurde noch sehr lustig an diesem Abend, und Jäckie und ich, wir hatten eine Menge zu tun, die unergründlichen Kehlen zu versorgen. Dieses Tier ist überhaupt nicht mit Geld zu bezahlen. So ist es doch einfach undenkbar, daß einer die Zeche prellen könnte. Wenn so ein Mann wartete, bis ich besonders viel zu tun habe, und sich so ganz allmählich zur Tür hin bewegt, um dann plötzlich zu verschwinden, so legt sich ihm unerwartet eine große Hand mit vernehmlichen Druck auf seinen Arm, die Hand Jäckies. Ist der Betreffende klug, so sagt er: »Hallo! – Jäckie, alter Junge! – Hast recht, ich habe ja noch gar nicht bezahlt!« und er kommt zurück und zahlt. Ist er stark angetrunken und von unwilligem Temperament, so versucht er vielleicht die Hand abzuschütteln. Das ist aber ein schwerer Fehler. Der Affe greift zu und bringt ihn mir zur unbändigen Freude aller Anwesenden.

Jäckie schlägt den roten Pit nieder

Manchmal nehme ich mir eine Vertretung und gehe mit Jäckie aus. Wir werden natürlich überall mit viel Hallo begrüßt. Nun sieht man ja in Hafenstädten so manchen Seemann mit irgendeinem Tier herumlaufen, besonders mit Affen irgendeiner Art. Aber Jäckie ist doch ein Fall für sich. Die Leute, die ihn kennen, und wer kennt ihn nicht, empfinden ihn gar nicht als Tier, sondern viel eher als ein stadtbekanntes Original. Im Anfang wurde er hin und wieder von den Kindern geneckt, aber er hatte sich schnell Respekt zu verschaffen gewußt. Wenn wir beide nun zusammen unsern Spaziergang gemacht haben, landen wir natürlich in irgendeinem Lokal. Alkohol trinkt Jäckie allerdings nur sehr selten. Er zieht Limonade oder Milch vor, was ich von mir in demselben Maße nicht behaupten kann. Besonders wenn ich lustige Gesellschaft treffe, verliere ich mitunter das Land aus den Augen und treibe, wenn auch in bester Laune, so doch hilflos auf dem Meere des Alkohols. Bin ich dann auf dem Punkte angelangt, wo man starrköpfig und rechthaberisch zu werden pflegt, so greift eine lange dunkelbehaarte Hand an mir vorbei, erfaßt mein Glas, gießt es aus – und Jäckie – mein besseres Ich – sieht mich vorwurfsvoll an. Wer hat schon mal die Augen eines Menschenaffen gesehen, ohne betroffen zu sein von so viel schwermütigem Ernst und dem Ausdruck tiefen Verstehens in den dunklen Augen für die Dinge, von denen wir Menschen uns entfernt haben? Jedenfalls höre ich dann artig auf und gehe bald nach Hause. Es kam aber auch vor, daß ich allein unterwegs war. Na – wie es dann so ist – man trifft diesen oder jenen, man verliert das Gefühl für die Dinge des kommenden Tages, die ja doch wichtig sind, und die Dinge des Augenblicks, die meist nicht so wichtig sind, dafür aber schön, erscheinen einem als das einzig Wesentliche. Auf diese Weise wird es oft recht spät, mitunter sogar sehr spät. Wenn es nach zwei Uhr nachts ist, dann erhebt sich Jäckie von seinem Lager, verläßt das Haus – ich habe nicht nötig ihn einzusperren – und sucht mich. Er kennt durch unsere gemeinsamen Ausflüge alle Lokale und ist von großer Ausdauer. So geistert er durch die nachtdunklen Straßen von Kneipe zu Kneipe. Findet er mich in einer der ersten, die er aufsucht, so packt er mich am Arm und läßt nicht los, bis ich ihm folge. Es kam aber auch schon vor, daß der arme Kerl länger suchen mußte. Dann wird er von Lokal zu Lokal ärgerlicher. So geschah es auch einmal, daß er mich absolut nicht finden konnte. Das war an sich kein Wunder, denn ich hatte in einer kleinen Bar Wurzeln geschlagen, die ein guter Freund von mir neu aufgemacht hatte. Gegen vier Uhr morgens, ich schwebte weit entfernt von dieser Erde in lichten Räumen, da ging die Portiere an der Tür auseinander, und Jäckie war da. Er kam auf mich zu, stieß halb beschwörende, halb bittende Laute aus und suchte mich durch Schütteln und Stoßen zum Mitkommen zu bewegen. Aber ich wollte nicht. Und ich war so ärgerlich auf den Affen, daß ich ihm eine Backpfeife gab. Wenn ich das manchmal im nüchternen Zustand getan hatte, so hatte sich Jäckie beleidigt abgewandt und einen Tag, manchmal auch länger, nicht mit mir geredet. Nahm er mich nun in meinem jetzigen Zustand nicht für voll, oder dachte er, ich würde ohne ihn überhaupt nicht mehr nach Hause kommen, jedenfalls wurde er so saugrob, wie er es sich vorher nie erlaubt hatte. Immer laut schimpfend, packte er mich bei den Armen, hob mich hoch und trug mich vor die Tür. Dort setzte er mich so unsanft auf die Füße, daß ich in die Knie ging. Jetzt faßte er mich ganz energisch unter den Arm und brachte mich ziehend und stützend nach Hause.

Den ganzen Weg blubberte er noch vor sich hin.‹

Der alte Kolbe unterbrach sich und sah seine Zuhörer an: »Ja, meine Herren, ich glaubte dem Wirt in der Seemannskneipe dort jedes Wort. Denn, wie ich schon sagte, Jäckie war aufmerksam, resolut und doch liebenswürdig und überdies flink. – Ich hörte später von dem Wirt, daß er nach England gegangen wäre. Da mußte er dann den prächtigen Jäckie zurücklassen. Der lebt jetzt mit einem alten Einsiedler zusammen, der viel Geld, ein schönes Haus und einen Riesenpark hat, und der von den Menschen absolut nichts wissen will. Dieser Mann soll mal gesagt haben: ›Seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere‹. Ich glaube, die beiden haben sich gesucht und gefunden.«

Jäckie brachte seinen Herrn nach Hause

Die beiden Zuhörer waren voller Spannung der Erzählung des Försters gefolgt. Noch manches Beispiel von der Klugheit der Tiere wurde angeführt, und nachdem der Maler nun seinerseits vom selben Wein eine Flasche bestellt hatte, rückte auch der Jagdpächter mit einer Geschichte heraus.

»Es mögen wohl siebenunddreißig Jahre her sein«, so begann er, »als er sich seinen ersten kleinen Scherz erlaubte – doch war er zu der Zeit noch ein Ei. Mein Vater hatte einen Freund, der ein begeisterter Geflügelzüchter war. Besonders Hühner kleinerer Rassen hatten es ihm angetan. Eines Tages bekam er fünf Eier des japanischen Zwerghuhnes geschenkt. Die Eier entstammten allererster Zucht, und der Mann war überglücklich. Er steckte die zarten, porzellanhaften Behälter zukünftigen Lebens in seine Brutmaschine und wartete mit der Spannung, die jedem Züchter verständlich sein wird, auf den Tag des Schlüpfens. Endlich war es so weit! Die einundzwanzig Tage Brutdauer waren herum, die Eier platzten eins nach dem anderen und die Küken, erstaunlich niedlich mit ihren gelb und braunen Pelzchen und den dunklen Augen, begrüßten die lichterfüllte Welt mit frohem Piepsen. Ein Ei aber wollte nicht platzen. Der Züchter dachte schon, es wäre schlecht oder unbefruchtet, und war im Begriff es fortzuwerfen, als er bemerkte, daß es doch einen Riß bekommen hatte, der sich schnell erweiterte. Mit der durch langjährige Erfahrung erworbenen Vorsicht half der Geflügelpapa, mußte aber eine große Überraschung erleben, denn obwohl das kleine Ding lebte, war es doch offenbar eine Mißgeburt. Blind und ohne jedes Daunenpelzchen lag es hilflos da, konnte sich nicht auf seinen Beinchen erheben, und nur hin und wieder mit seinem unförmig dicken Kopfe wackeln. Außerdem hatte es einen im Verhältnis riesengroßen krummen Schnabel. Erst ein herbeigerufener Vogelhändler löste das Rätsel, das kleine Ungeheuer war ein Papagei! Der Spender der fünf Eier hatte sich einen Scherz erlaubt.

Das Aufpäppeln war nicht leicht, doch wurde es reichlich belohnt, denn der Vogel wurde einer jener wertvollen Graupapageien mit leuchtend rotem Schwanz, von denen viele so gut sprechen lernen. Das war die erste Überraschung, die Jako seinem Besitzer bereitete.

Aber gerade das Sprechen ließ bei diesem Vogel lange auf sich warten. Doch als man schon die Hoffnung aufgegeben hatte, begrüßte er eines Morgens die Hausfrau mit einem beinahe leutselig klingenden »Guten Morgen, Trudchen!« Diesen Morgengrüß hatte er dem Hausherrn abgehört. Von da an machte er mit jedem Tag Fortschritte und wurde allmählich zu dem Vogel, über den in den Zeitungen geschrieben wurde und der der Traum aller Vogelliebhaber war. Wie ungewöhnlich er war, richtiger gesagt, heute noch ist, geht daraus hervor, daß ihn einer der höchstbezahlten Zirkusclowns für den phantastischen Preis von zweitausend Mark erwarb, während selbst gute Sprechpapageien kaum mehr als vierhundert Mark bringen. Der Clown hatte denn auch einen enormen Erfolg mit seinem Compagnon und bereifte mit ihm die halbe Welt. Doch schon zwei Jahre danach starb dieser Mann und hinterließ dem ersten Besitzer seinen Liebling.

Der an sich schon so hochbegabte Vogel hatte, heimgekehrt aus der weiten Welt, sein Sprachvermögen derartig gesteigert, daß er mitunter nicht mehr belustigend, sondern fast unheimlich wirkte. Er gehörte zu den seltenen Graupapageien, die nicht nur schnell und viele Worte erlernen, er lernte auch begreifen, wann er sie zu gebrauchen hatte. Als eines Abends ein Herr zu Besuch kam, der über Gebühr lange blieb, wurden der Herr des Hauses, seine Frau und die Tochter, immer schläfriger. – Der Gast merkte davon nichts. Munter plätscherte das Bächlein seiner Rede, nicht gerade interessant, dafür aber ausdauernd. Die Gastgeber gerieten in jenen Zustand quälender Müdigkeit, der doch nicht erlaubt, sich zu offenbaren, sondern in dem es der gute Ton vorschreibt, höflich bis zur Ohnmacht zu bleiben. Das ging so eine ganze Weile und eben wollte der Unerbittliche zu einer neuen Anekdote ansetzen, da erscholl aus der Ecke des Zimmers ein lautes Gähnen. Betroffen hielt der Redner inne und obwohl er nun den Papageien bemerkte, hatte er doch den Faden verloren und verabschiedete sich bald. Ein anderes Mal bewirtete die Familie einen jener Menschen, die die größten Schwierigkeiten haben, mit dem Essen aufzuhören, wenn sie erst mal angefangen haben. Unerschütterlich stopfte dieser Gast, der die Höflichkeit der Hausfrau gegenüber nicht in der Bescheidenheit zu sehen schien, sondern darin, in eindeutiger Weise der Küche des gastlichen Hauses alle Ehre anzutun, und zwar weniger durch Worte als durch die unermüdliche Tat. Bei alledem blieb er aber bemüht, durch Erzählen von Witzen, Rätseln und ähnlichen heiteren Dingen die Aufmerksamkeit von seiner angestrengten Tätigkeit abzulenken. Da, plötzlich nahm er wohl doch ein zu großes Stück in den Mund, das ihn zwang, auf einen Augenblick mit Sprechen innezuhalten. Als er so, mit vollen Backen kauend, sich abmühte, um schnell wieder reden zu können, ließ der graue Vogel aus seiner Ecke heraus jenes Schnalzen mit der Zunge ertönen, das ein Mensch hören läßt, der etwas sehr Delikates ißt und sagte etwas knarrend, aber deutlich: »Na – – und ob das schmeckt!« Dies Wort zur rechten Stunde löste große Heiterkeit aus, nur der Daueresser war beleidigt und kam nie wieder.

Jako begrüßte nicht nur jedes Familienmitglied und das Dienstmädchen mit seinem Namen, sondern auch Hund und Katze. Mit dem Hund, einem Stallschnauzer, verband ihn gute Kameradschaft, aber den großen schwarzen Kater konnte er nicht leiden, obwohl ihm der wohlerzogene Leisetreter nichts tat. Eines Tages beobachtete Jako den schwarzen Peter durch das Fenster bei einer Missetat. Der Kater pirschte sich nämlich mit der Katzen eigenen Geschicklichkeit an ein schon ziemlich großes Küken heran, riß es und schleppte das schnell verendende Tierchen in einen Fliederbusch, um es dort in Ruhe zu verzehren. Erst nach geraumer Zeit kam der Räuber wieder zum Vorschein. Vollkommen blankgeleckt trug er die Würde eines guten Gewissens zur Schau. Etwas später wurde das Mittagessen aufgetragen. Die Familie saß bei Tisch und rechts und links vom Hausherrn der Hund und der Kater. Da sagte das Söhnchen des Hauses: »Guck doch mal, Vater, der Jako starrt immer den Peter so an«. Kaum merkte der Vogel, daß man sich mit ihm beschäftigte, als er auch schon unter erregten Bewegungen zu dem Kater hin laut »Halunke –! Halunke –!« schrie, und als er die fragenden Gesichter sah, ließ er das lockende »Put ... put ... put ...!« hören, das er so oft von dem Geflügelzüchter beim Füttern gehört hatte. Dem schwante nichts Gutes, er nahm den Hund mit und ließ ihn auf dem Hof suchen. Nicht lange und der feinnasige Schnauzer brachte die Reste des Kükens. Das hatte eine für Peter recht unangenehme Aussprache zur Folge.

Wo er konnte, flickte der Papagei dem Kater was am Zeuge. Als aber der Hund eines Tages ein Stück Fleisch vom Tisch nahm und Herrchen eintretend ihn noch kauen sah und ihn beim Wickel nahm, da schrie der Vogel laut: »Nein –! Nein –! Peter!!« Da es aber der Kater, der sich in einem anderen Teile des Hauses befand, nicht gewesen sein konnte, bekam Wulli, so hieß der Hund, seine Dresche. Jako lebt heute noch. Das ist bei dieser Vogelart nichts Außerordentliches, da Graupapageien in Gefangenschaft schon über hundert Jahre wurden. Es ist ein Fall bekannt, daß ein solcher Vogel die vierte Generation in einer Familie erlebt und nichts auf das baldige Ableben des noch vollkommen munteren Tieres hindeutet. Hoffentlich erreicht auch Jako ein so hohes Alter.«

 

Der Erzähler hatte geendet. Man sprach noch dies und jenes über das Alter von Tieren, als der Maler wissen wollte, wie alt denn eigentlich Katzen würden.

»Zehn bis fünfzehn Jahre«, meinte der Förster. Das brachte den Pächter wieder auf Mautz, den Kater.

»Der wird wohl inzwischen schon das Zeitliche gesegnet haben, und meine Rebhühner, Hasen und Kaninchen haben endlich Ruhe vor dem Räuber.«

»Ich will es Ihnen ja wünschen«, entgegnete der Alte, »aber, aber, wenn 'ne Katze nicht gleich liegt!«

Es war spät geworden. Der Wein hatte das seine getan, und so brach man auf. Deubel kam unter dem Stuhl seines Herrn hervor, wedelte ermunternd mit der Rute, und das bedeutete ungefähr so viel als »man los, nach Hause, wir haben doch morgen früh allerlei vor«. Maler und Pächter trennten sich vor der Tür vom Förster, der ihnen ein »Waidmannsheil auf den Kater« wünschte.


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