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Ein harter Winter

Dasselbe Frühjahr, in dem Mautz so siegreich war, sah Pak in völlig veränderten Verhältnissen, da er wieder in die Hände der Menschen geriet. Doch vorher hatte er einen Winter durchzumachen, der schlimmer war als alles, was er bis dahin erlebte. Erst froren die großen Gewässer zu, dann die kleineren, schließlich die ganz kleinen. Es blieben nur einige Stellen in den Fließen offen. Viel geringer als im Vorjahr waren die Futtermöglichkeiten für die Enten, denn die Kälte war strenger. Da kamen sie dann zu Hunderten an den wenigen offenen Stellen zusammen. Wie lange sollte da wohl der Vorrat reichen?

Bald fand der Jagdpächter an diesen Stellen so matte Enten, daß sie nicht mehr fliegen konnten oder wollten, wenn er sie aufnahm. Wie einen Messerrücken fühlte der Mann das Brustbein. Da brachte er denn Eicheln, Kastanien, Schrot und Gerste an das Fließ und die armen Verhungernden kamen wieder zu Kräften.

Dieser Jäger, der nicht nur schießen wollte, sondern auch begriff, daß man hegen müsse, rief die Nachbarn an und diese versprachen auch gleicherweise in ihren Revieren für die Enten zu sorgen.

Einige taten es auch, und so blieben die Enten dieser Gegend vom Ärgsten verschont. Wo das aber nicht geschah, da wurden die Entenbestände grausam entvölkert. So gab es Reviere, in denen die Füchse und das andere Raubzeug nicht mehr genügten, die Leute holten in Körben Hunderte von verhungerten Enten nach Hause. Für die Küche waren sie nicht mehr zu verwenden, so warf man die schönen Vögel den Schweinen vor. Doch auch die Borstentiere wollten bald nicht mehr ans Futter, denn sie knackten nicht viel mehr als Knochen.

Lange hielt die schauerliche Kälte an. Die Nußbäume, bis auf wenige, die noch sehr jung waren und geschützt standen, gingen ein. So mancher alte herrliche Riese dieser Baumart hatte im Herbst zum letzten Male die Kinder gelockt. Wenn eine stürmische Nacht gewesen war, dann kamen die gewitzten Jungen, kaum daß der Morgen da war – sie, die sonst nicht immer so ohne weiteres aus den Federn fanden – und lasen die Nüsse auf, die in Menge umherlagen.

Nun, nachdem er abgestorben war, wurde solch alter Freund der Kinder gefällt, denn traurig ragten seine Äste und Zweige kahl in den Himmel, wenn ringsum schon alles grün war. Aus dem schönen Holz aber wurden Gewehrschäfte oder Möbel gemacht. Es fiel so mancher diesem Winter zum Opfer.

Rehe und Hasen kümmerten, bis sie dem Fuchs oder wildernden Hunden zur Beute wurden. Die Singvögel, deren Standort zu weit von den Häusern der Menschen war, wo sie gefüttert wurden und in den Hecken und Gärten Schutz fanden, auch sie gingen in großer Zahl ein. Sogar Menschen, die über weite freie Flächen mußten, schlecht gekleidet und ernährt waren, setzten sich vor Erschöpfung hin und erfroren. Hundert Jahre lang war ein solcher Winter nicht erlebt worden. Als er dann endlich vorüberging, waren die Bestände des Wildes, trotz der Fütterungen von Menschenhand, erschreckend gelichtet. Nur die wirklich kräftigen Tiere hatten diese böse Zeit überdauert.

Auch Pak hatte das Schicksal ereilt, wenn er auch nicht gestorben war. Viele Tage lang war er hin und her gestrichen, von See zu Fluß, und von Fluß zu Fließ, doch überall war nichts als Eis. Die wenigen Stellen, die offen waren, wimmelten von Enten. Immer schwächer wurde der arme Grünhals, dessen Farbenpracht ja längst wiedergekehrt war. Doch was nützte ihm sein prunkendes Kleid, da er nichts zu essen fand. Unter Smaragd- und Saphirgefunkel war er arm an Fleisch und Kraft.

Endlich fand er die Stelle, wo gefüttert worden war, doch es waren ihrer zu viele. Nach ein paar Tagen war er wieder ein Knochengerüst. Schließlich war es so weit – er konnte nicht mehr fliegen. Zu schwach waren die Flügel geworden. Er drückte sich tief in das trockne Schilf hinein, um der schlimmsten Kälte zu entgehen. Aber der Frost war zu grimmig, der Körper hatte keine Kraft, kein Fett, bald mußte der Tod kommen.

So saß er denn mit halben Augen, das Köpfchen eingezogen und regte sich nicht. Da rauschte in einiger Entfernung das Schilf. Der todesmatte Erpel vernahm es, doch es blieb ihm gleichgültig. Das Rascheln kam schnell näher, ein rauhhaariger Jagdhund suchte vor seinem Herrn das Schilf nach Hase und Fuchs ab.

Schon wollte der dürrlaubfarbene Hund vorübergehen, da riß ihn eine Witterung herum. Die Witterung von Ente! Der Hund stand vor. Hals und Kopf vorgestreckt, die eine Vorderpfote erhoben und die Rute starr, ohne Bewegung, so stand er sekundenlang ohne einen Muskel zu bewegen. Dann zog er langsam an. Zögernd, wie eine Zeitlupenaufnahme, bewegte sich der Vorstehhund. Sein Herr, der herangekommen war, warnte ihn: »Langsam, mein Hund! So recht.«

Ein guter Vorstehhund darf nicht einspringen, wenn er ein Stück Wild vorsteht. Jetzt aber stand Tell bombenfest. Sein Herr ermunterte ihn weiter nachzuziehen, aber der Hund hatte seine Augen fest auf einen Punkt vor sich im Schilf gerichtet und rührte sich nicht. Doch ganz plötzlich faßte er zu und hielt Pak fest, ohne ihm sonderlich wehe zu tun, im Fang. Der Erpel dachte: »Das ist das Ende!« und seine Sinne schwanden.

Der Jäger nahm dem Rauhbart die Ente ab, sah, daß sie heil, jedoch fast verhungert und erfroren war und steckte sie in seinen Jagdmuff. Da kam der arme Kerl bald wieder zu sich. Er hielt sich aber ganz still, denn so schön warm hatte er's lange nicht gehabt. Er ließ sich von der ruhigen Hand, die auf ihm lag, streicheln und fühlte sich wohl dabei. Solche freundlichen Menschenhände kannte er ja, und über die Menschen selber wunderte er sich nicht mehr. Die waren bald grausam und fürchterlich, bald gütig und mitleidiger als alle anderen Geschöpfe. So wurde Pak denn von dem Manne nach Hause getragen und geriet auf diese Weise wieder in Gefangenschaft.


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