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Der schreckliche Deubel

Unterdessen entwickelte sich Mautz Schritt für Schritt zur vollen Reife. Immer breiter wurden seine Backenknochen, und seine grünen Augen schienen tiefer zu liegen, wodurch der Ausdruck des Kopfes an Verschlagenheit zunahm. In dem Maße, wie der Kopf des Katers stärker wurde, wirkten seine Ohren kleiner. Mit einem Wort, die elegante Schönheit erster Jugend schwand und machte allmählich gedrungener doch geschmeidiger Kraft Platz. Und so, wie diese Wandlung äußerlich in Erscheinung trat, vollzog sie sich auch innerlich. Der Kater begann sein Handwerk zu meistern; Erfahrungen, die er sammelte, die vorzüglichen Sinne, mit denen er ausgestattet war, und das Sichindergewalthaben erhielten Mautz am Leben, obwohl er ja längst verschiedenen Grünröcken bekannt und verhaßt war. Zu den genannten Eigenschaften kam aber nun noch eine hinzu, die ein allzu junger Kater noch nicht hat. Das war eine besondere Form von List, die Mautz eines Tages zeigte.

Er saß auf einer Blöße. Es war einer der ersten schönen Tage, mit hohem, blauem Himmel und herber Luft, der erste Frühlingsahnungen aufkommen ließ. Wieder einmal hatte sich der Kater verspätet. Er war satt, und die so lange entbehrte Sonne streichelte zu zart und wohltuend den Balg, so daß die Trägheit stärker war als die Vorsicht. Aber dann zog es den Kater doch nach Hause. Er lief nicht allzu schnell über die kleinen Wälle dahin, zwischen denen winzige junge Kiefern standen, die noch nicht höher waren als eine Hand breit ist. Da sah er auf einmal vor sich, in einer Entfernung von etwa sechzig Metern einen Jäger stehen, der im Begriff war, mit aller Vorsicht das Gewehr an die Backe zu heben. Und obwohl dem Kater Eis durch das Mark rann, und ihm vor plötzlicher Furcht übel wurde, blieb er äußerlich vollkommen ruhig. Er änderte seine Richtung ganz wenig und ging mit denselben Schritten wie vorher dahin, wo eine Furche besonders tief wurde. Der Jäger lag im Anschlag, und da die Katze immer noch, wenn auch in etwas veränderter Linie auf ihn zukam, so wurde ihm nicht klar, daß der Kater ihn schon weg hatte, und bis auf vierzig Meter wollte der Mann sein Opfer heranlassen. Aber Mautz, der gar nicht so erpicht darauf war, ein Opfer zu werden, war plötzlich nicht mehr da! Er hatte den Punkt erreicht, an dem die Furchen tiefer wurden. Nun war er verschwunden als hätte ihn die Erde verschluckt! Während der Mann noch wartete, war Mautz in der tiefen Furche schon ein gutes Stück von dem Jäger fortgekommen. Jetzt wurde dem Nimrod der Zusammenhang klar, und er lief schnell und leise dahin, wo die Katze verschwunden war. Da sah er sie. Über hundert Meter weit, zu weit für einen Schuß, im Galopp der Kiefernschonung zustreben. So hatte sich Mautz durch seine Selbstbeherrschung und List gerettet.

Der Mann im grünen Rock aber war schlechter Laune. Er hatte es immer verstanden, das Raubzeug in seinem Revier kurz zu halten, und die Hasen, Rebhühner und die wenigen Fasanen, die er hier hatte, gediehen recht gut. Aber nun kam da eine Katze von irgendwo her, richtete eine Menge Schaden an und war nicht zu kriegen. Wenn er wenigstens wüßte, wo die graue Bestie ihren Unterschlupf hatte. Aber auch das war schwierig. Zwar die alte Feldscheune könnte eigentlich recht gut die Burg des Raubritters sein, denn er, der Jäger, hatte die Fährte schon zweimal bis zu einer kleinen Lücke unten im Tor verfolgt. War das aber der Fall, dann war der Lorbas schwer zu kriegen, denn in den Heu- und Strohgebirgen fand er zuviel Deckung. Und wieder einmal machte sich der Waidmann schwere Vorwürfe, daß er, seit sein braver alter Hektor in die ewigen Jagdgründe hinübergewechselt war, sich noch immer keinen neuen Hund angeschafft hatte. Doch da fiel ihm ein, daß sich für die nächsten Tage ein junger Tiermaler angemeldet hatte, um bei ihm ein paar Kaninchen zu schießen. Dieser junge Mann hatte einen schottischen Terrier. Einen von diesen kleinen gedrungenen Rabauken, die, schwarz und graubraun gestromt mit tiefer Brust, kurzen Läufen und mächtigem Kopf, einen fabelhaften Schneid haben und auch sonst jagdlich hervorragend veranlagt sind. Bei diesem Gedanken zog eine leise Hoffnung in die Brust des Jägers, und er kehrte heim, denn gewaltiger Hunger hatte ihn gepackt.

Es vergingen einige Tage, dann kam tatsächlich der junge Maler mit seinem Hund. Das war ein ulkiger Geselle. So klein und grotesk er war mit seinen kurzen Läufen, struppigem Fell und kräftigem langen Kopf und Fang, so sehr mußte man seine Persönlichkeit anerkennen.

Die Frau des Hauses konnte sich nicht genug wundern, wie ruhig der Hund war. Auf ein Wort seines Herrn legte er sich auf den ihm bezeichneten Platz und von dort verfolgten seine schönen, dunklen Augen, die, wie bei allen Hundert dieser sehr alten Rasse, etwas melancholisch waren, jede Bewegung seines Herrchens. Das alles fand der Herr des Hauses recht gut und schön, doch schien ihm der Hund phlegmatisch, und er konnte sich schwerlich vorstellen, daß dieser kleine Kerl etwas gegen wehrhaftes Raubzeug unternehmen würde.

Nach dem Frühstück ging man dann hinaus ins Revier. Deubel, so hieß der Schotte, und so sah er ja auch aus, zeigte deutlich seine Freude, und als die beiden Männer die Flinte umhingen, war der sonst so überruhige Hund ganz aus dem Häuschen. Da wurde der Jägersmann langsam neugierig – blieb aber skeptisch.

Jeder Jäger sieht an der Art, wie ein Hund sich draußen benimmt, auch wenn er nicht direkt am Wild ist, was man in jagdlicher Hinsicht möglicherweise von ihm erwarten kann. Und da mußte der Jagdherr sagen, daß der kleine Schotte sich gut benahm, wenn er dabei auch drollig wirkte. Er rannte nicht fahrig hin und her, und vergeudete nicht gedankenlos seine Kraft, wie man es so oft bei Hunden beobachten kann. Sein gehaltenes Temperament, seine Art, die Nase nicht vom Boden zu nehmen, und sein ganzes zielsicheres Wesen ließen den Kenner guten, jagdlichen Instinkt vermuten. Plötzlich fuhr ein Hase aus der Sasse! Deubel hinterdrein! Jedoch ein einziger Ruf seines Herrn, und der kleine Hund machte »Setz dich«. Da meinte der Skeptiker: »Also Appell hat die Kröte auch«. Als aber dann der Herr des Hundes den kleinen Kerl an die Leine nahm, und Deubel sicher und flott der Hasenfährte nachging, sah ihn der Jagdpächter allmählich mit anderen Augen an.

Als man in die Nähe der Scheune kam, war es Abend geworden. Die beiden befleißigten sich größter Stille und bezogen ihre Posten, jeder hinter einer Ecke der Scheune. Ihre Hoffnungen mußten zwar gering sein, denn es war nicht wahrscheinlich, daß die Katze vor völlig eingetretener Dunkelheit die Scheune verließ, wenn sie überhaupt darin war.

»Und Sie wollen den kleinen Köter wirklich auf die Katze loslassen?«

»Ja.«

»Wenn da man der Hund nicht mehr abkriegt als die Katze.« So hatte der Jagdherr zu seinem Begleiter gesagt, als sie sich trennten. Aber der Maler hatte nur abgewinkt und war hinter seine Ecke getreten. Das schwarze Hündchen saß mit gespitzten Ohren dicht an seinen Füßen und gab keinen Laut von sich. Das Licht nahm merklich ab, die Uhlenflucht war da, und der Jäger glaubte schon, wie erwartet, die Sache klappe nicht – – – da sah er den Kater davontrotten. Schon wollte er, entgegen der Verabredung, auf den Räuber schießen, da hörte er seinen Jagdgefährten rufen: »Allons! Faß, mein Hund!« Dann sah er den kleinen Schwarzen hinter dem Kater herstürzen und dachte nun, der würde rennen, was er konnte, um fortzukommen. Oder er würde versuchen, zurück das Loch in der Scheune wieder zu erreichen. Er hob die Waffe, aber nur, um sie verblüfft gleich wieder sinken zu lassen. Mautz, der schon einmal von einem weit größeren Hunde verfolgt worden war, glaubte den Rummel zu kennen. Er floh nicht, sondern machte kurz kehrt und griff fauchend mit zurückgelegten Ohren an. Doch diese kleine Bestie von Hund, die nicht viel größer war als Mautz, sprang mitten hinein in das Höllengemisch von glühenden Augen, scharfen kleinen Krummessern, reißenden Zähnen und dumpf knurrenden Lauten. Er hatte auch schon zwei gräßliche Hiebe im Gesicht, die so schnell gegeben worden waren, daß es unglaublich war, aber dennoch griff er zu. Mit seinem Gebiß, das einem großen Hunde alle Ehre gemacht hätte, faßte der Schotte den Kater blitzschnell über das Kreuz und – – mochte der schreien, beißen und schlagen – der rabiate Terrier schüttelte, schüttelte mit seinem muskulösen Nacken, und die mörderischen Zähne ließen nicht los. Aber das Kreuz jeder Katze, auch der stärksten, ist empfindlich und so schwanden Mautz die Sinne. In einer zuckenden Welle von Schmerz und Übelsein sank des tapferen und die Freiheit liebenden Katers Hirn in Dunkelheit, und seine Abwehr hörte auf. Sofort ließ Deubel von ihm ab, sprang freudig an seinem Herrn hoch und ließ sich abliebeln. Dann aber wollte er den scheinbar verendeten Kater aufs neue schütteln, doch Herrchen nahm ihn an die Leine, denn der schöne Katzenbalg sollte geschont werden. Der Jagdherr war außer sich. Er schwor, so etwas noch nie gesehen zu haben und wollte den Hund sofort und um jeden Preis kaufen. Aber der Maler dachte nicht daran. Wohl aber versprach er, dem begeisterten Jäger einen kleinen Sohn des Katzentöters zu schicken. Da heulte der Hund auf einmal laut auf, und riß an der Leine wie ein Berserker. Der Kater hatte sich schwankend erhoben. Taumelnd wankte er zu dem rettenden Loch in der Scheune. Der Maler löste schnell seinen Hund von der Leine und Deubel stürzte auf den Kater los, um zu vollenden, was er dachte schon getan zu haben. Aber er kam um einen Gedanken zu spät. Für Deubel war das Schlupfloch zu schmal, und das Tor der Scheune war verschlossen. So hatte Mautz wieder mal mit dem letzten Reste seines zähen Lebens seinen Balg gerettet. Die Männer fluchten, der Hund raste, und der Kater lag wimmernd im Heu, aber in Sicherheit.

Der rabiate Terrier schüttelte

Als nun die Jäger nach Hause gingen, kam der Mond hinter den Bäumen herauf. Ein Weidenbusch, der voll schwellender Kätzchen war, zeichnete eine ferne Silhouette auf die große blaßgoldene Scheibe und über den beiden Männern und dem Hund scholl aus der duftenden Frühlingsluft ein feines Klingeln herab, dessen Urheber unsichtbar blieben. Es wurde stärker und näherte sich immer mehr. Dort oben zog Pak mit ein paar anderen Erpeln in der Dunkelheit dahin. Er war auf dem Wege zu einem Altwasser, in dem es eine Menge guter Sachen gab. Wohl hörte er die Männer und den Hund, aber sie beunruhigten ihn nicht, denn die Nacht verbarg ihn ihren Augen.

»Enten!« sagte der Maler, und aus seiner Stimme klang die Passion.

»Ja, wir haben hier eine Menge davon«, meinte der andere. Der Schotte, der inzwischen in der Nähe herumgewuselt war, gab auf einmal Standlaut. Erstaunlich kräftig klang sein Hals hinter einem der Weidenbüsche hervor. Als die Männer dorthin liefen, verbellte der Hund Heinz Pickelmann, den Igel. Sein Herr rief ihn ab. Widerstrebend gehorchte Deubel, doch als man dreißig Meter weiter war, rannte der Bursche schnell wieder zurück und erschreckte den Igel nochmals, ehe er ihn endgültig sich selbst überließ. Die beiden heut erfolglosen Jäger nahmen sich vor, sich vom Besitzer der Scheune den Schlüssel auszubitten, um dem Kater den Garaus zu machen.

»Ich denke, wenn wir morgen früh mit dem Scheunenschlüssel, den uns der Besitzer sicher geben wird, zurückkommen, dann wird der Kater schon verendet sein.« meinte der Jagdpächter.

»Das glaube ich kaum«, antwortete der Maler, »denn ich habe die Erfahrung gemacht, daß sich Katzen, wenn sie nicht auf der Strecke bleiben, wieder ausheilen.«

»Na – wenn der Kater noch krauchen kann – Ihr Hund wird ihn dann schon finden; und sollte der Leisetreter oben auf einem der höchsten Balken sitzen, dann holen wir ihn eben mit einem Schuß herunter.«

Schotte und Igel


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