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XIV.

Der Doktor-Kommissar saß in der Bahn und fuhr von Dresden nach Leipzig. Er war in Waldheim gewesen und hatte in dem bekannten sächsischen Zuchthaus die nötigen Nachforschungen angestellt. Aber so vielversprechend die Spur, auf die ihn der alte Lenfulski gebracht hatte, im Anfang auch schien – sie versagte schon hier.

»Mein lieber Herr Doktor,« hatte der Direktor der großen Gefangenenanstalt gesagt, »da ist es leichter einen Floh suchen, der einem vor Jahren mal gezwickt hat. Sie wissen, daß Tuberkulose die Krankheit der Langjährigen bei uns ist. Wir tun dagegen, was wir können, aber das Uebel wird eingeschleppt und hat auch in der Prädisposition vieler Züchtlinge ihre Ursache. Daß da die Lebensweise im Zuchthaus, die erzwungen harte Arbeit, die meist vegetabilische Kost mitsprechen, ist selbstverständlich. Es ist in der derzeitigen Auffassung der Strafe begründet. Gewiß bedeutet das eine ungewollte Verschärfung und Härte. Und daß Leute, die hier die Phtyse erwerben und dann in der Freiheit daran hinsiechen, mit einer schauerlichen Wut im Herzen an die Anstalt zurückdenken, das läßt sich alles begreifen – – Aber was wollen Sie? Der Schutz der Gesellschaft! Die Ausmerzung der asozialen Schädlinge! Vielleicht auch die Theorie der Abschreckung … man kommt nicht aus ohne die Zwangsanstalten, wenn man nicht, wozu in Deutschland keine große Geneigtheit besteht, an Deportation denken will.«

»Und Sie selbst, Herr Direktor, oder vielleicht einer Ihrer alten Beamten – könnte sich nicht am Ende einer der Herren auf den Mann besinnen?«

Der Direktor zuckte die Achseln:

»Versuchen Sie es mal mit dem Oberaufseher Bunter. Das ist mit mein ältester Beamter und hat außerdem ein fabelhaftes Gedächtnis. Vielleicht kann der Ihnen was sagen!«

Der Oberaufseher wurde gerufen. Ein alter, wie in seiner graugrünen Uniform versteinerter Mann. Der besann sich lange; endlich sagte er.

»Eenen hab' ich emol chehappt, där had immer so kehusdet … das war Se nämlich ooch'n Sachse … Wäjen Einbruch … Und där hat ooch kesagd, er wirde de Welt noch emol zeichen, was se wärt is! … Aber das' schon lange här … mindestens 'n achd Jahre!«

»Und können Sie sich vielleicht noch auf den Namen des Mannes besinnen, Herr Oberaufseher?«

»Jo! Däs gann ich! Där hieß Se nämlich Packscher!«

»Packscher«, sagte Dr. Splittericht nachdenklich. Er war enttäuscht. Er dachte an das Bleistiftendchen, in das die Buchstaben H u. K eingeschnitten waren.

»Nää«, der Oberaufseher schüttelte den grauen, glattgescheitelten Kopf. »Packscher mit'm weichen ›P‹!«

»Ach so, Backscher … und wo der Mann her war, wissen Sie das vielleicht auch noch, Herr Oberaufseher?«

»Dös gann ich Sie nich sagen, mei Härr! Dös hat er uns nämlich ooch nich kesacht … er war Sie ä kanz verschlossener Mensch, der Packscher! Un darum nähm ich an, daß 'r amende ooch charnich so keheißen had! Dös war amende charnich sei richt'cher Name …«

Das war alles, was der Doktor Splittericht in Erfahrung brachte und damit war wenig anzufangen. Er war dann nach Dramburg gefahren, wohin Staatsanwaltschaftsrat Dr. Losch und der Untersuchungsrichter inzwischen zurückgekehrt waren.

»Das macht keinen sehr erhebenden Eindruck bis jetzt,« sagte Dr. Losch. »Aber Sie haben ja auch noch keine Woche an der Sache gearbeitet.«

Die Anrede vermied er, wie immer.

»Tja«, Dr. Splittericht zupfte nachdenklich den kleinen dünnen Schnurrbart. »Jeder Tag, der von der Auffindung der Leiche an vergeht, macht den Erfolg ungewisser … und trotzdem, es müßte doch herauszukriegen sein …«

Des Kommissars Augen bekamen den verlorenen Blick. Er war nicht weit davon, daß sein Geist sich aus diesem nüchternen Amtszimmer im altertümlichen Gerichtsgebäude zu Dramburg auf seine weiten Wanderungen begeben wollte.

Der Staatsanwalt sah's mit Erstaunen. Er hatte mancherlei von dem weitbekannten Kriminalisten gehört. Auch daß er im Geruch stand, ein Hellseher zu sein. Und mit Spannung wartete er nun aus das Eintreten des Phänomens.

Doch der Kommissar riß sich heraus aus der Aura, die schon ihre schattenden Flügel über ihn spannte.

Der Staatsanwalt merkte es gleich.

»Wie schade!« Dachte er. »Einen somnambulen Kriminalkommissar, den kriegt man nicht alle Tage zu Gesicht!«

Laut sagte er.

»Wir haben nun auch die Aufstellung, das heißt, ein spezialisiertes Verzeichnis der bei Frau de Ruyter geraubten Juwelen gefunden. Ich habe Anweisung gegeben, daß die gesamte deutsche Presse mit einer Notiz dieses Inhaltes versorgt wird.«

Der Kommissar erhob sich mit einem Ruck vom Sessel:

»Ist das schon geschehen, Herr Staatsanwalt?«

»Nanu, was haben Sie denn? … Nee, gemacht ist es noch nicht. Die Notiz soll erst heute herausgehn!«

»Das ist gut.« Der Kommissar setzte sich wieder. »Denn sehen Sie, Herr Staatsanwalt aus der so ziemlich entgegengesetzten Maßnahme beruht meine ganze Hoffnung, daß wir den Mörder doch noch kriegen!«

»Wieso?«

»Weil kein Mensch eifriger jetzt die Zeitungen liest wie er! Und weil, wenn er sieht, daß die Steine überall öffentlich bekanntgemacht und beschrieben werden, weil er dann vorläufig gar nicht daran denkt, sie zu verkaufen. In Deutschland verkauft er sie nachdem überhaupt nicht mehr, und das weiß er so gut wie wir beide!«

»Aber er hat doch Geld genug von seinem Raube!« Dr. Losch sprach schon weniger sicher als vorher.

»Wie lange?!« sagte der Kommissar. »Und wenn selbst, er wird alles aufbieten, um wenigstens die nicht allzu auffallenden Stücke der Sammlung zu veräußern! Die drücken ihn … lassen ihm Tag und Nacht keine Ruhe …«

»Sie meinen also, wir sollen keine Notiz in die Zeitungen geben?«

»Doch ja. aber eine des entgegengesetzten Inhalts! In der Notiz muß stehen: Trotz aller Anstrengungen ist es der Behörde nicht gelungen, ein Verzeichnis der geraubten Edelsteine zu finden. Damit schwände dann beinah' die letzte Hoffnung, des Mörders habhaft zu werden und auch dieses Verbrechen würde wohl, wie so viele andere, seine Sühne nicht finden.«

Dr. Losch sah den Sprecher durchdringend an:

»Sie sind uns wirklich über … und dabei ist es doch so furchtbar einfach. Darauf hätte man hier doch auch kommen müssen!«

Dr. Lindenblatt der von der Anwesenheit Dr. Splitterichts im Gerichtsgebäude gehört hatte, trat ein. Den Kommissar freundlich begrüßend, sagte der Untersuchungsrichter zum Staatsanwalt.

»Eben hab' ich die Notiz verfaßt. Losch, hier ist sie!«

Der Angeredete grinste wie ein Satan.

»Na dann wickeln Sie man morgen früh Ihre Stulle drin ein, lieber Lindenblatt! Wir Rhinozerosse, Pardon, ich Rhinozeros … hab' mir eben von Dr. Splittericht ein Privatissimum lesen lassen müssen über Verwendung der Presse im Kriminaldienst!«

»Wieso Herr Doktor?« wandte sich der Untersuchungsrichter an den Kommissar.

Der erklärte seine Ansicht und sagte, auch er wäre erst durch die allerdings verfehlte Art der geplanten Notiz auf die Idee gekommen, in den Zeitungen solchen Köder für den Mörder auszuwerfen. Deshalb sei sein Verdienst nicht größer als das der beiden anderen Herren.

»Und wenn er nicht drauf beißt, auf Ihren Köder, Herr Doktor?« lächelte Dr. Lindenblatt.

Der Staatsanwalt rang die Hände:

»Untersuchungsrichter! Menschenkind! Sie verlassen uns ja schon wieder! Bleiben Sie doch da!«

»Wieso denn?«

»Na, man kann doch nicht eine gute Idee deshalb unterdrücken, weil sie vielleicht doch keinen Nutzen bringen wird!«

»Gewiß nicht, lieber Losch! Aber als Jurist und Psycholog bin ich berechtigt und sogar verpflichtet, auch die andere Möglichkeit in Rechnung zu ziehen! Das ist ja gerade der Fehler von uns Strafrechtlern, daß wir alles nur von uns aus betrachten … Na, lieber Losch, sagen Sie selbst: gerade die Staatsanwaltschaft, kennt die überhaupt einen anderen Standpunkt als ihren eigenen?«

»Wir sind gleich auf dem Monde!« stöhnte Dr. Losch, dem Kommissar, der sich den Herren empfahl, die Hand reichend. Also die Notiz geht heute noch an die großen und morgen oder übermorgen an alle kleineren Blätter!« –

Von Dramburg war der Kommissar dann nach Breitenberg gefahren, um noch einmal den Maler mit sich nach Berlin zu bitten.

Der kam ihm entgegen, wie ein junger, strahlender Sieger:

»Sie lieber Herr Doktor, sind der erste, der mein Glück erfahren soll! Ich habe mich mit meiner Kusine verlobt! … Da ist sie, meine geliebte Braut!« Er lachte glücklich, während Thekla lächelnd wie eine Rose glühte.

»Da werden Sie mir am Ende böse fein!« meinte Dr. Splittericht nach seinem von Herzen kommenden Glückwunsch, »wenn ich Ihnen Ihren Bräutigam für einen Tag entziehe, gnädiges Fräulein?«

»Am Abend kommt er doch wieder?« sagte die Glückliche, ihres Liebsten Hand haltend.

»Aber ja, gnädiges Fräulein, Sie dürfen unbesorgt sein! Ich will nichts weiter, als daß Herr de Ruyter bei uns im Erkennungsdienst ein paar Photographien betrachtet die jetzt noch in der Mordsache eingegangen sind. Wir tauschen nämlich dauernd mit den fremden Polizeien diese Bilder aus.«

»Ja, und denken Sie, Herr Kommissar,« sagte Thekla, »gestern war Tante zum ersten Male bei vollem Bewußtsein und ganz wach … Da hat Professor Wildner erlaubt, daß Wolf« – sie sah ihren Verlobten dabei so selig an, wie nur eine Braut blicken kann –, »daß Wolf zu ihr hineinging … Und wie sie ihn sieht, macht sie die Augen ganz groß auf und sagt voll Freude

»Jan Stark!«

Sie glaubte, daß es mein Onkel wäre … Aber dann schlief sie wieder. Und Wolf mußte aus dem Zimmer … Sie darf ja nicht die geringste Aufregung haben … Ich hatte schon fast Angst, daß sie sich erschrecken würde. Er sieht doch meinem verstorbenen Onkel so sehr ähnlich!«

Sie blickte ihren Liebsten abermals an und er sie …

Da empfahl sich der Kommissar: er habe noch zu tun; Herr de Ruyter möchte nur rechtzeitig auf dem Bahnhof sein!

Die Verlobten gaben dem Gast das Geleit. Der Kommissar sah mit einem ganz kleinen Wehgefühl, wie die beiden, noch ehe die Tür sich hinter ihm schloß, schon wieder nur mit sich allein waren … Für Augenblicke tönte es wie ein Klang von Neid in dem Einsamen auf … Aber draußen die Straße, der Anblick des grauen Hauses, in dem die menschliche Bestie bis zum todbringenden Sprung gekauert hatte, und die ewig spürenden Ideen des Polizeimannes löschten jedes zärtliche Empfinden in Dr. Splitterichts Seele schnell aus. Er ging durch die Stadt, aß mit gutem Appetit im Hotel Waldfrieden, wo Herr Matthias Claudius es sich nicht nehmen ließ, Persönlich für seine Bedürfnisse zu sorgen, und fuhr am Nachmittag mit Wolf Stark de Ruyter nach Berlin.

Auf dem Polizeipräsidium, in den großen Räumen, wo hohe Regale voller schwarzbeklebter Pappkästen, in denen sich Tausende von Verbrecherporträts befinden, das sogenannte »Album« darstellen, sah der Maler in Dutzende von konfiszierten Gesichtern. Aber das in ihm wohnende Bild war unsicher geworden und nach jener Nacht in der »Schmetterlingsschlacht« immer mehr zerflattert. So mußte er ohne Resultat von Dr. Splittericht Abschied nehmen, der ihm nochmals Glück wünschte – und ihn bat, eine herzliche Empfehlung an die junge Braut auszurichten.

Der Kommissar war ein Mensch, den Mißerfolge nur zu erhöhter Anstrengung spornten. Er prüfte von neuem, was er wirklich wußte und zuverlässig erfahren hatte. Und da kam er immer wieder auf jenes Gespräch mit dem alten Einbrecher in Hansens Austernkeller zurück. Der hatte den Mörder gekannt und hatte ihn auch noch kurz vor der Tat in Berlin gesehen Da stimmte alles, besonders die Momente, die Lenfulski, als er zum erstenmal mit Braun sprach, noch gar nicht hätte wissen können wenn sie ihm der Verschwundene nicht mitgeteilt hätte. Die alte Dame … die Edelsteine … der Neffe …

Und dieser Mensch, von dem Lenfulski sprach, war Sachse nach seinem Dialekt und hatte in Waldheim gesessen. Er war auch vom Lande …

Mit seinem außerordentlich sicheren Instinkt fühlte der Kommissar, daß hier der Drehpunkt all seines weiteren Suchens liegen müsse …

Er fuhr also nach Leipzig und forschte bei der dortigen Polizeibehörde – umsonst!

Jetzt war er auf der Reise nach Dresden, um dort dasselbe zu tun.

Er fuhr zweiter Klasse. Allein im Abteil. Aber das Nebencoupé hatte oben den bekannten Durchlaß. Und nebenan waren zwei Männer in einem Gespräch, das den Kommissar außerordentlich interessierte.

Die beiden Leute, die sich da unterhielten, schienen Händler zu sein, vielleicht auch nur Geldleute, die sich mit sogenannten »Unter-der-Hand-Geschäften« befaßten. Der eine sprach davon, daß die Scheine – er meinte offenbar Pfandscheine – vom Königlichen Leihamt sein müßten, denn »jeschobene Sachen« kaufe er nicht. Der andere erwiderte, man könnte das nicht immer so genau nehmen. Gerade morgen wollte er nach Zwickau, da träfe er sich mit jemand, der ihm eine Partie Diamanten angeboten hätte.

Der erste, wahrscheinlich eine mehr mißtrauische, vorsichtige Natur, meinte, man müsse sich bei solchen Geschäften doch sehr in acht nehmen. Schließlich käme man noch wegen Hehlerei ins Gefängnis! Aber sein Reisegenosse hatte weniger Skrupel: wenn der Verkäufer sich genügend ausweisen könnte, durch richtige, gestempelte Papiere, wer wollte ihm etwas?

Beide aber waren sehr erstaunt, als in Döbeln ein Herr zu ihnen ins Abteil stieg und sich unter Vorweisung seiner Erkennungsmarke als Kriminalkommissar aus Berlin legitimierte, der die Ermächtigung der Leipziger Behörden zur Ausführung von Polizeimaßnahmen in Sachsen bei sich führte. Doch Dr. Splittericht beeilte sich, diesen ersten, sichtlich niederdrückenden Eindruck, den seine Vorstellung auf die beiden Herren machte, wieder zu verwischen.

Nicht daß er etwa die Absicht habe, ihnen geschäftliche Schwierigkeiten zu machen, oh, keineswegs! Im Gegenteil, er möchte ihre Hilfe erbitten in einer Sache, die von größtem, allgemeinstem Interesse wäre. Und er skizzierte die Breitenberger Mordaffäre, von der die beiden Sachsen durch die Zeitungen schon Kenntnis hatten.

Besonders der eine, Herr Wehnchen aus Zwickau, interessierte sich ungemein. Und als Dr. Splittericht erwähnte, daß die ausgesetzte Belohnung von dreitausend Mark nur Privatleuten und zwar in erster Reihe dem zufallen würde, der die Ergreifung des Täters in irgendwelcher Form veranlaßte, da war der Herr aus Zwickau Feuer und Flamme! Der Doktor-Kommissar lächelte nach seiner Art. Dann setzte er Herrn Wehnchen seinen Plan auseinander, der einfach darin bestand, daß der Sachse in einer Reihe von großen und kleineren Zeitungen Inserate aufgeben sollte, des Inhalts: Er kaufe Schmucksachen, Pretiosen, Juwelen und Goldsachen.

»Nu, däs du ich doch immer!« sagte der Zwickauer, dessen Mienen nicht eben Bewunderung für den Ideenreichtum des Kommissars ausdrückten.

Dr. Splittericht antwortete nicht direkt. Er sagte:

»Ich habe mir eine derartige Annonce schon zurechtgelegt … Sie hat, wie Sie gleich sehen werden, einen kleinen Pfiff …«

Er nahm ein Notizbuch hervor, blätterte und las:

» Unter der Hand!

kauft Edelsteine, Schmucksachen, Gold und Silber von Privatleuten, auch aus Nachlässen und anderen diskreten Veranlassungen (Mas.) –

so nun setze ich noch den Namen hinzu:

Eduard Wehnchen, Zwickau«.

Die beiden Sachsen sahen den Kommissar aufmerksam an. Endlich faßte der Meißner Herr seine Ansicht in die Worte. »Däs is 'ne Schieberannonce!«

Wehnchen jedoch erhob schlau den Finger:

»Aber was heeßt Sie d'n zum Schluß: ›Mas‹?«

Dr. Splittericht sah ihn aufmerksam an, den Herrn aus Zwickau. Er hatte ihn ein ganz klein wenig in Verdacht gehabt, daß diese an sich so harmlose Silbe dem, für den sie bestimmt war, ohne weiteres klarmachte: hier bot sich ein schlauer Hehler für vorkommende Fälle den Rittern vom Stegreif an! Dieses »Mas« hieß eigentlich »Masematten« was vom Rotwälsch ins Deutsche übersetzt, »Diebstahl« bedeutet –

»Ich habe«, setzte Dr. Splittericht hinzu, »das nicht etwa selber erfunden – nein. Ich las einmal vor Jahren solche Annonce. Die fiel mir auf und beim Nachspüren stieß ich auf einen der gefährlichsten Hehler des Kontinents …«

»Und wär trägt däs Risiko, ich meine, wär pezahlt die Annongsen?« erlaubte sich der geschäftstüchtige Freund des Herrn Wehnchen zwischenzufragen. Worauf gleich von diesem das Echo kam:

»Jo, wär bezahlt se?«

Als Dr. Splittericht die Geschäftsfreunde über diesen Punkt beruhigt hatte, war Wehnchen ganz gewonnen. Noch am selben Tage lancierte er in Dresden die Inserate zur wiederholten Aufnahme in eine Anzahl von Blättern, von denen dies oder das dem Verbrecher, wenn anders er überhaupt Zeitungen las, vor Augen kommen mußte.

Das war an einem Montag gewesen. Dr. Splittericht hatte allerlei Forschungsreisen unternommen und kehrte am Sonnabend zurück nach Leipzig. Da hörte er im Hotel: vor einer Stunde sei ein Herr dagewesen, der wiederkommen wollte. Er hatte seine Karte dagelassen: »Eduard Wehnchen aus Zwickau.«

Gleich danach trat er selbst ein. Mit glücklichem Schmunzeln übergab er dem Kommissar einen Brief.

Der las:

»Sehr geehrter Herr!

Auf Ihr Inserat im ›Zwickauer Boten‹ gestatte ich mir Ihnen hierdurch näher zu kommen. Ich habe die Absicht, einen Teil des seit Jahrhunderten in unserer Familie befindlichen alten Familienschmuckes, bestehend hauptsächlich aus Edelsteinen, Brillanten usw., zu veräußern. Ich möchte aber deswegen weder nach Ihrem Heimatsort Dresden, wo ich als Sproß eines alten Geschlechtes, besonders bei Hofe sehr bekannt bin, kommen, noch will ich die Angelegenheit auf meinem Schloßbesitz in Böhmen ordnen. Ich möchte überhaupt am liebsten ganz inkognito bleiben. Wenn Sie jedoch verlangen, bin ich auch bereit, Ihnen vollgültige Papiere, die über meine Person Aufschluß geben, mitzubringen. Ich halte es nämlich für am besten, wenn wir uns an einem neutralen Orte treffen, und ich schlage dazu Zwickau vor. Vielleicht den ›Oesterreichischen Hof‹. Dort würde ich dann ein Zimmer nehmen, wo wir in Ruhe alles abmachen können. Sie würden von mir sehr vorteilhaft und preiswert kaufen, es sind alte, sehr wertvolle Steine. Schreiben Sie mir bitte umgehend, wann und ob wir uns an dem angegebenen Platz treffen können.

Mit Hochachtung
Franz Baron v. Bartenfeld.

N. B. Ich gebe das Schreiben aus den schon angedeuteten Gründen nicht in meiner Heimat (Oesterreich), sondern jenseits der Grenze in Deutschland auf.

D. O.«

Der Kommissar las den Brief mit größter Aufmerksamkeit. Er las ihn zweimal. Und je mehr er beim Ueberlesen dachte, desto stärker ward die Zuversicht in ihm: Der größte und erfolgreichste Detektiv aller Zeiten und Länder, ohne den auch der beste Kriminalist nichts vermag, ist und bleibt der Zufall. Man hat nur nötig, ein wenig intelligent und fleißig zu sein und sich geduldig da aufzuhalten, wo er einem entgegenkommen kann!

Der Brief, den er in der Hand hielt, das heißt, der Briefbogen, zeigte weder Ort noch Datum; aber der Umschlag, der ließ, zum Glück deutlich erkennbar, den Poststempel »Schönweida« sehen.

Für den Kommissar bestand kein Zweifel, daß die angebliche österreichische Heimat des Briefschreibers erfunden und sein wirklicher Wohnort dieses Schönweida oder höchstens ein Nachbardorf wäre.

Denn nach einem »alten Adelsgeschlecht«, das über »Familiendiamanten« verfügte, sah der Brief ganz und gar nicht aus. Er war auf einem doppelten Quartbogen kleinblaukarierten, minderwertigen Papiers geschrieben und recht formlos in ein viel zu kleines Kuvert hineingekniffen.

Außerdem bemerkte der Kommissar, als er das Blatt unter die Lupe nahm, eine Menge kleiner, stumpfer Flecken auf dem satinierten Glanz des Papiers – es sah aus, als habe der Schreiber stark darüberhin gehustet.

»Sie gestatten, daß ich den Brief an mich nehme«, sagte der Kommissar, Blatt und Umschlag einsteckend.

»Darüber hinaus habe ich noch ein Interesse. Bei dem Verkauf oder vielmehr beim Ankauf der Steine durch Sie … da möchte ich zugegen sein. Ich glaube sogar, es ist in Ihrem eigensten Interesse, daß Sie bei diesem Geschäft eine zuverlässige Person an der Seite haben …«

Herr Wehnchen wurde ängstlich.

»Was meenen Sie, mei Härr, da dät ich Sie amende besser dran un würde kanz un kar von dem Keschäft absähn?«

Der Kommissar schüttelte den Kopf:

»Damit würden Sie mir, respektive der Oeffentlichkeit einen schlechten Dienst erweisen. Es handelt sich hier um einen schweren Verbrecher, der uns sicher ins Garn geht, wenn wir die Sache richtig anfassen!«

»Ja, aber hären Se, mei kutester Härr Grimmenalgommissar, da wär ich Sie amende noch selbst bei um mei armes Läbeken gommen?!«

»Seien Sie unbesorgt, in meiner Gesellschaft geschieht Ihnen nicht das geringste!«

»Un wänn'r nu schießt! Sie genn doch die Guckel ooch niche uffhalten!«

»Aber selbst schneller schießen als der Verbrecher, das kann ich!« sagte der Doktor-Kommissar und ließ einen Augenblick seinen Browning sehen.

»Lassen Se stecken, Herr Gommissar! … lassen Se stecken! Mer gann nie nich wissen, ob so ä Schießzeich nich losjäht! …«


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