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Als er wieder in das Atelier trat, blieb er, wie von unsichtbaren Händen gehalten, an der Tür stehen.
Ein einziger Blick hatte ihn belehrt: an der Leiche war eine Veränderung geschehen! Der nach der Türseite zu befindliche Aermel des grauen Jacketts hing nicht mehr, wie vorhin, herunter, sondern war emporgeschlagen über die Brust des Toten.
Dr. Splittericht sah nach dem großen Atelierfenster hin, das rechts einen aufklappbaren Ausschnitt hatte. Der war geschlossen. Ebenso auch die Tür zum Schlafzimmer. Zugluft konnte also nicht entstanden sein!
Der Kriminalist machte, immer an seinem Platz stehenbleibend seine Browningpistole schußfertig. Noch einmal vergegenwärtigte er sich des Bildes, das er bevor er vorhin das Atelier verließ, fest in sich aufgenommen hatte.
Nein, da war jeder Zweifel ausgeschlossen! Er hatte gerade das genau behalten, wie akkurat Geheimrat Wildner das Jackett über den Körper des Toten gebreitet hatte! Da hing nach jeder Seite ein Aermel herunter. Er war als letzter gegangen. Er hatte den Leichnam nicht mehr berührt. Es war also ein anderer gewesen …
Während er drüben im Krankenzimmer mit Thekla plauderte, hatte hier der Verbrecher – nur um ihn konnte es sich handeln! – eine letzte Revision vorgenommen.
Danach befand er sich also noch im Hause? …
Im Atelier vielleicht?
Ueberall waren Stoffe über Rahmen und Stellagen gehängt … es konnte sich wohl jemand dahinter verstecken …
Den Browning in der Hand durchsuchte Dr. Splittericht kaltblütig jeden Winkel. Er tat das vorsichtig, aber mit derselben hastlosen Ruhe, die all sein Tun charakterisierte. Wohl mußte er hinter jeder neuen Ecke, um die er blickte, das Aufblitzen eines Schusses erwarten, der ihn, bei so großer Nähe, zweifellos niederstrecken würde. Aber der Doktor-Kommissar war an solche Eventualität gewöhnt. Sein Beruf brachte es mit sich, daß er den Tod, für sich wie für einen anderen, ständig zur Seite hatte.
Und er fürchtete ihn nicht.
Er hatte sich an den Gedanken gewöhnt, daß sein Ende eines Tages ganz unvorhergesehen kommen müsse! Inzwischen wollte er seine Pflicht tun und, wenn nötig, schneller zu schießen versuchen, als der andere.
Als er das Atelier abgesucht und leer befunden hatte, ging er zur Tür zurück und schloß sie ab. Während er das Schlafzimmer durchforschen wollte, sollte keiner hinaus und keiner hinein.
Aber er war noch nicht an der Portiere, die den verschwiegenen Raum abgrenzte, als er plötzlich stehenblieb und in Nachdenken versank.
War das glaublich? Der Verbrecher, der so Schweres begangen hatte, kommt in der nächsten Nacht wieder, tötet seinen Komplicen und setzt sich, im Zimmer der zweiten Bluttat versteckt, einer so großen Gefahr aus? … Denn daß man nicht sofort den Raum absuchen würde, war von seiner Seite nicht vorauszusehen! … Das hätte auf alle Fälle geschehen müssen!
Es wäre auch geschehen, wenn nicht so viele Menschen mit ihren langatmigen und im Grunde überflüssigen Erörterungen jede innerliche Sammlung und Entschlußmöglichkeit unterbunden hätten!
Dr. Splittericht dachte darüber nach, auf welchem Wege der Verbrecher heute hier eingedrungen war. Schwester Adelheids Beobachtungen hatten ein Schleichen über den Korridor bestätigt. Von welcher Seite der Schleichende kam und ging, das konnte die hinter der Tür Stehende freilich nicht mit Bestimmtheit feststellen. – Und trotzdem!
Dr. Splittericht glaubte nicht mehr an den Weg des Verbrechers durch Tür und Angel.
Ohne sich weiter zu bewegen, machte er eine Vierteldrehung und hob die Augen, wie unter einem unbewußten Zwange, zu dem großen Fenster auf. –
Dann glitt wieder jenes rasche Leuchten über seine Züge, das stets ein heiterer Gedanke in ihm erweckte. Er hatte gefunden, was er suchte: eine Trittleiter, die er ans Fenster trug.
Hinaufsteigend beleuchtete er das etwa einen zu anderthalb Meter im Geviert messende Ausschnittfenster! Richtig! Wie er's nicht anders erwartet hatte: dies Fenster war unverriegelt!
Er klappte es mit Leichtigkeit seitlich empor und fand auch sofort die Handleiste draußen, durch die er es aufstellen konnte. Dann erhöhte er sich um zwei Stufen und leuchtete draußen das gleich unter dem Glase beginnende, ziemlich platte, mit geteerter Pappe belegte Dach ab.
Auf dem Staube waren deutlich Stiefelabdrücke festzustellen …
Nicht einer oder zwei, nein! Eine ganze Anzahl, beim blendenden Strahl der Taschenlampe genau sich abzeichnender Abdrücke, die mit der Spitze nach vor- und rückwärts zeigten und klar erkennen ließen, daß, der hier gewandelt, seinen Weg öfter durch dies Fenster genommen hatte.
Der Kommissar war schon auf dem Dache.
Es war beinahe Vollmond und so hell vom Himmel her, daß die Sterne verblaßten.
Leicht und sicher ging der Kriminalist seine Fährte. Die Waffe in der Hand, aber doch ohne Besorgnis. Eine stille Freude kam über ihn: er war jetzt so weit, daß er seinen Weg wenigstens sah! Daß dieser Weg hart am Rande des Daches entlang ging und trotz allen Mondscheines noch recht dunkel war, machte dem schwindelfreien und seiner selbst ganz sicheren Manne wenig aus.
Die Dächer dieses und des Nachbarhauses stießen mit der Brandmauer zusammen, das Nebenhaus war aber einen guten Meter höher.
Der Kommissar stellte hier mit seiner Lampe Abstieg und Aufstieg des unbekannten Besuchers fest, ehe er selbst hinaufvoltigierte.
Aber auf dem Nachbardach sah er auf der grauglitzernden Fläche sogleich den schwarzen Vierkantausschnitt der Bodenluke, die dem Verbrecher zum Einschlupf gedient und die er nicht einmal wieder geschlossen hatte.
An der Luke blieb der Kommissar stehen, bog sich vornüber und leuchtete hinein: drin im Bodenraum stand noch die Leiter, die der Mörder benutzt hatte.
Der Kommissar ließ sich Zeit. Den er suchte, jetzt noch zu erwischen, damit konnte er kaum rechnen. Das war ein ergrauter Krimineller. Der handelte nach einem reiflich erwogenen, bis ins kleinste durchdachten Plan! Ein Zweckmörder war es doch, der nicht etwa im Affekt tötete, sondern der sein Opfer, dessen Verschwinden ihm nützlich und notwendig schien, mit kaltem Blut niedermachte. Er und Wolf Stark mußten lange, wahrscheinlich schon von Amerika her, miteinander bekannt gewesen sein.
Und darin lag vielleicht etwas wie eine Entschuldigung für Wolf Stark; es war nicht undenkbar, daß sein Mörder hier in Breitenberg plötzlich wie ein Schatten aus der Vergangenheit vor ihm aufgetaucht war, ihn durch Ueberredung und Drohung gefügig gemacht hatte und so schließlich zu dem Morde an zwei Menschen gekommen war. Wolf Stark selbst hatte in seiner jetzigen Lage eigentlich wenig Anlaß gehabt, zum Verbrecher zu werden. Frau de Ruyter hatte ihm trotz seiner Verschwendungssucht doch immer wieder die Mittel gegeben, sein flottes Leben fortzusetzen. War sie einmal tot, so hätte er, bei recht zweifelhaften Erbaussichten, nicht mehr so gewiß mit Zuwendungen rechnen können.
Allerdings war der Raub sehr wertvoll, wenngleich die Bargeldsumme, die sich im Schrank befunden hatte, zehntausend Mark kaum überstieg, wie Frau de Ruyters Nichte mit Sicherheit bekundete.
Die Edelsteinsammlung freilich hatte einen kaum abschätzbaren Wert. In dieser sollten sich unter anderem zwei orientalische Rubinen befinden, die jeder über acht Karat hatten. Steine vom »ersten Wasser«, wie die Juweliers sagen, und von einer Farbe, die, mit »Taubenblut« bezeichnet, der durchsichtigen Glut alten Burgunderweines gleicht. Diese und andere Juwelen gaben der Sammlung einen Wert von vielen Tausenden.
Aber – dieser Wert ließ sich kaum realisieren. Wenigstens nicht in Deutschland. In Amsterdam und London, wo der größte Markt für Edelsteine ist, wo sich auch die bedeutendsten und kapitalkräftigsten Hehler aufhalten, vielleicht eher … Doch dieser Räuber würde sich wohl nach Amerika wenden, von wo er zweifellos hergekommen und wo er bekannt war.
Dr. Splittericht mußte, auf der Leiter in den Bodenraum hinabsteigend, an den »Amerikaner« denken, den der Direktor Claudius vom Hotel Waldfrieden beobachtet haben wollte … Ob dieser mit dem identisch war dessen Spuren er eben folgte? Es schien dem Kommissar zweifelhaft. Der Mann, der hier über die Dächer gegangen war, hätte es wahrlich vermieden, sich in einem vielbesuchten Hotel Hunderten von Augen auszusetzen.
Ein paar Ratten scheuchte der Tritt des Kommissars in dem öden Raum auf, in dem das Licht der Taschenlaterne hinflirrte und gespenstische Schattenbilder der Stützbalken auf die rohe Bretterdiele zeichnete.
Dort öffnete sich, halb nur geschlossen, die Tür zur Bodentreppe. Der Kommissar schritt diese hinab, als wüßte er schon genau, was er zu sehen bekommen würde. In der Tat! Es konnte hier für ihn, der so manch heimlich verstecktes Diebesnest ausgenommen hatte, kaum Ueberraschungen geben.
Er fand dann auch in der Etage schnell das Zimmer, dessen sich der Mörder zum Aufenthalt bedient hatte. Ein kostbarer alter Tisch von vergoldeter Arbeit stand darin und ein hochlehniger Stuhl, ebenfalls eine antike Rarität. Auf dem Tisch Weinflaschen, Reste von Brot, Butter und Braten, auch Zigarren und Zigaretten. Auf der Erde lag ein Reisesack, ein kostbarer Pelz und eine Anzahl schöner Kissen – alles Dinge, die der Meuchler aus der Habe seines Spießgesellen entlehnte, den er zum Dank dafür am Ende niederschoß.
Der Kommissar rümpfte die Nase. Ein ekelerregender Geruch füllte den Raum. Schnell wollte er die Fenster öffnen, aber das war nicht so leicht: der offenbar sehr vorsichtige Verbrecher hatte rechts ein herrliches Stück alten Genueser Samt, tiefrot mit goldenen Linien, und links eine verblichene, schwarzsamtne Altardecke mit Reißzwecken sorglich an die Fensterrahmen geheftet. Das große Silberkreuz auf dem Altartuch, das Wolf Stark irgendwo aufgetrieben haben mochte, gleißte im Schein der beiden Kerzen, die auf dem Tisch in Weinflaschen standen und die Dr. Splittericht jetzt angezündet hatte.
So! Endlich waren die Fenster frei! Die Flügel weit auf! Ah! Die reine Nachtluft strömte herein …
Der einsame Mann am Fenster sann nach: war wirklich ein Mensch wie der andere? … Mußte eine so bestialische Natur wie die, die hier gehaust hatte, nicht aus aller Menschengemeinsamkeit hinausgetan werden? Aber woher kamen diese Schatten- und Nachtgestalten, denen er auf fernem Wege so häufig begegnete? … Waren sie wirklich imstande, das Rechte zu tun und taten das Böse nur, weil ihnen das besser behagte? … Oder wuchs in ihrer verdüsterten Seele, von Mutterleibe und Vaters Trunk her, die Wut, der Haß gegen alles, was anderen lieb und wert erschien? …
Er entsann sich eines Elternmörders, eines jungen Menschen von einundzwanzig Jahren, der Vater und Mutter in einer Nacht erschlagen hatte, während die siebzehnjährige Schwester entkommen konnte.
Dieser Mensch hatte sich noch gerühmt: er habe seine Schwester ebenfalls töten wollen. »Das Luder«, wie er sagte, »am ersten, weil sie mir kein Jeld nich jeben wollte! …«
Er war Schlächtergeselle und erzählte, daß er das gern geworden sei, weil man da doch wenigstens Tiere totmachen könne.
Im Gefängnis, das er nicht zum erstenmal sah, wies er jeden Zuspruch ab und rühmte sich noch seiner Tat … Jeder müßte es so machen, meinte er: »denn würden die Ollen insehen, det se uff ihre Kinder nich druff rumtrampeln kennten!«
Der Doktor-Kommissar, der seine Festnahme veranlaßt, hatte ihn im Gefängnis mehrfach besucht. Er sah ihn jetzt noch vor sich, wie er, an Händen und Füßen gefesselt – denn er hatte einen gefährlichen Angriff auf die beiden Aufseher gemacht, als sie ihm sein Essen brachten –, breit und stemmig auf seinem Schemel am Tisch saß. Sein runder, weißblonder Kopf mit kurzgeschnittenem Borstenhaar saß auf einem starken Nacken und die wasserblauen Augen glotzten mit unerträglichem Starrblick. So saß er, den kurzen Schnurrbart über dem groben Munde, die breite, freche Nase blähend und schnaufend, und spie von Zeit zu Zeit in die Zelle, auch nach den Beamten, wenn die sich sehen ließen. Oder er sang zotige Lieder und schlug den Takt dazu mit der kurzen Eisenstange, die seine Hände voneinander hielt, auf den Tisch.
»Mir«, sagte er, wenn man ihm mit Strafe drohte, »mir kann nischt mehr passieren! Det is ja ebent det Scheene an det Jeschäft! Wenn eener erscht mal da anjekomm'n is, wo ick jetzt bin, denn pfeift er uff die janze Bande! …«
Da er aber Tag und Nacht lärmte und mit seiner feurigen Kraft auch keiner Erschöpfung anheimfiel, kam man auf die Idee, den Dr. Splittericht, dessen merkwürdige Kunst, die renitentesten Verbrecher zu behandeln, bekannt war, zu bitten, er möchte doch einmal sein Heil bei dem Unbelehrbaren versuchen.
Still und ruhig, ohne Neugierde, aber auch ohne zu große Freundlichkeit ging der Kommissar zu ihm in die Zelle.
Er hieß Kutlowski, mit Vornamen Adolf.
»Na, mein Junge«, sagte der Kommissar, dem der Verbrecher dummfrech entgegenstierte, »ich wollte doch mal sehen, ob es wirklich nicht möglich ist, Ihnen die dummen Eisen da abzunehmen …«
Der Gefangene lachte:
»Det dut nich weh!«
Aber er log, der Kommissar sah, daß die Gelenke über den Händen dunkelgerötet und geschwollen waren.
»Sie haben ein Gnadengesuch eingereicht?«
»Ja, aber Zweck hat et doch keen nich! … Die bejnad'jen een' ja doch nich! … Die Blase! … Selber machen se de jreßten Schweinereien, aber wenn unsereener mal wat macht – Na, … mit mir is ja nu balde alle! Wie lange kann'n det noch dauern …«
Der Kommissar faßte das als Frage auf, zuckte die Achseln und sagte:
»Gewiß noch Wochen … unter Umständen noch Monate … Uebrigens der Direktor hat mir erlaubt, Ihnen eine Zigarre zu geben.«
Das tat Dr. Splittericht, reichte dem Gefesselten auch Feuer und ging dann.
In dieser Nacht war der Mann ruhig.
Am nächsten Mittag kam Dr. Splittericht, der sowieso als Zeuge in Moabit zu tun hatte, wieder.
Der Gefangene lachte, bekam seine Zigarre und wurde gesprächig.
Dr. Splittericht fragte ihn, obwohl er es wußte, womit der Mörder denn seine Eltern getötet hätte?
»Mit's Beil!« erwiderte er gemütlich. »Denn sehn Se ma', unsaeena der is det so jewehnt … Wenn man so zuhaut bei'n Schwein oder bei'n Bullen, denn liecht er da un weiter is janischt … Un'n Mensch, da soll nu Jott wees wat sind …«
»Aber die Eltern, die eigenen Eltern!«
»Na ja! … Det is ja …« Er machte eine fahrige Bewegung, und der Kommissar sah, welche Schmerzen ihm das an den Gelenken verursachte.
»Kommen Sie mal, Kutlowski.« Dr. Splittericht zog den Schlüssel zu den Fesseln aus der Tasche. »Wollen Sie mir versprechen, daß Sie sich anständig benehmen, auch wenn ich nicht hier bin? … Dann mach' ich Sie los!«
Ueber das Gesicht des Gefangenen ging ein Zucken. Er sagte nichts.
Dr. Splittericht schloß ihm Arm- und Fußfesseln auf. Und der Gefangene ging, sich sofort erhebend, in der Zelle hin und her, bewegte sich töricht und leidenschaftlich und murmelte etwas, das der Kommissar nicht verstand.
Auf einmal blieb er vor diesem stehen.
»Wenn ick Ihn nu jetz' abwirjen werde, Ha' Kommissah? … Aber ick tu' et nich! Wo wer ick denn! Raus kennen kann ick ja doch nich! Un denn, jrade Ihn'! Wenn Se mir ooch dunnemals injelocht ham, det nehm ick Ihn janich iebel! … Dafo kenn' Se ja nischt, weil't ja Ihr Geschäft is! … Aber nu, un weil Se mir so besuchen un so … un 'ne Zijarre, denn ick rooche doch so furchtbar jerne un bei die Henkersmahlzeit, det hab ick mir schon vorjenomm', da roch ick de janze Nacht durch? … Ja, wat wollt' ick denn jleich sagen? Ja … erzählen wollt ick Ihn wat! … Sehn Se mal, Sie traim doch ooch manchmal, wah? … Na, un da hatte mir jetraimt, ick hätte den Ollen dodjeschlagen, nich een Mal, nee dreimal sojar … Det heeßt, jetraimt! … Un warum? Det will ick Ihn' ooch sagen! Der Olle war 'n Schwein! Un sojar noch mehr! Denn det sauft nich! Un er, wat der Olle war, der soff ejal wech! Nu war er Brauer! Un da licht ja ville dran, det is wahr? Aber dadrum braucht er doch nicht fochtwährend uff uns los zu dreschen! Nich bloß mir! Ooch unse Mutta un die Mietze ooch, wo ick jesagt haben soll … die erscht recht! Det war ja bloß Ulk von mir! Denn wenn ick se hätte wat dun wollen, denn wär se doch janich mehr wechjekommen! … Aber da war et ja ooch schon alle, wat ick so in mir hatte … Den Ollen wollt ick bloß … Ick konnte janich mehr anders! Un meine Mutter –«
Das Gesicht des Mörders verfinsterte sich. Ein Zug von Schmerz und Trauer kam in das breite, über seine Jahre abgearbeitete Gesicht.
»Ja sehn Se, Herr Kommissar, det vasteh' ick ja ooch nich! … Ick komme rin mit's Licht un se schlafen beede … Nu stell ick den Leichter uffn Waschtisch un nehm' det Beil vor, det hatt' ick so in de Hose jesteckt. Jeh ran bei den Ollen un – un …« Er machte eine Bewegung des Zuschlagens
»Nu kommt sie dazwischen un uff mir los! Ja … da … da – Ick weeß nich, Ha Kommissah, ick kann mir nich mehr besinn'! Ick seh se bloß noch dod, mit 'n janz roten Kopp! … Det ick det jemacht habe … ja, wa ja sonst keen anderer nich da … Aber … ick weeß nich … Se kenn' mir dodschlagen: ick weeß nischt davon!«
Dabei blieb er. Und sprach wieder und wieder davon, wenn ihn Dr. Splittericht noch manchmal besuchte bis zu seinem letzten Tage.
An dieses trübe Ende eines Menschenlebens mußte der Kommissar denken, als er in der stillen Nachtstunde aus dem Fenster des verlassenen Hauses auf den mondbeglänzten Marktplatz hinabsah, der so einsam und leer lag, als sei alles im Städtchen tot und gestorben. Und wie er so, in der nicht einmal vom Hauche des Nachtwindes durchbrochenen Stille, selbst regungslos hinblickte auf die im weißen Licht träumende Einsamkeit, da versank die Seele des Mannes im Fenster wieder in jenes körperliche Schauen, in das von aller Erdennähe befreite Schweben, das ihn sehend machte für Dinge, die anderen tot und verschlossen bleiben.
Er sah den, der noch vor kurzer Zeit in diesem Raume geweilt hatte. Er sah ihn seine Beute in einen großen hellen Koffer packen, sah, wie er sich überallhin bückte, wie er nach Spuren suchte, die ihn verraten könnten … Sah einen ziemlich großen, hageren Menschen mit schleichenden Bewegungen, der hüstelnd und ein paar Mal ausspuckend nun das Gemach verließ, um gleich danach im hellen Glanz des Mondes auf der Straße vor dem Hause zu erscheinen.
Hier hatte er einen starken Hustenanfall, der ihn zwang, stehen zu bleiben und den schweren Koffer einen Moment abzusetzen … Er schaute dabei nach dem Hause zurück, aber obwohl das Mondlicht voll sein Angesicht traf und die Entfernung gering schien, vermochte die Seele des Hellsehenden das Antlitz nicht zu erkennen. Es war dem in die Ferne und rückwärts Suchenden nur, als sei ein Grinsen, ein blutiges Hohnlachen da, wo sonst Menschenzüge über lebenden Gliedern leuchten … Dann entfernte sich der Schemen nach der Kirche zu und verschwand im Schatten der gewaltigen Mauern.
Der im Fenster Stehende blieb noch immer wie erstarrt. Dann schwang die Glocke droben im Turm, drei Schläge hallten in Nacht und silbernen Mondenschein.
Der Kommissar atmete tief. Er drehte sich wie mühsam ins Zimmer hinein und ging schweren Schrittes zur Tür, kehrte abermals um und löschte die Lichter.
Als er die knarrende Stiege hinabging, überlegte er: sollte er Dr. Losch und den Untersuchungsrichter wecken? – Nein, wichtiger war's, das Postamt alarmieren. Sämtlichen Polizeibehörden mußte noch Nachricht gegeben werden! Alles kam jetzt darauf an, den Verbrecher nicht über die Landesgrenze hinauszulassen!