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II.

Das schreckliche Geschick, das die hochgeachtete Familie de Ruyter betroffen, hatte natürlich den kleinen Ort in die größte Aufregung versetzt. Ueberall, auf der Kurpromenade, deren Kapelle rücksichtsvoll heute jede lustige Musik vermied, im sogenannten »Hain«, einem gepflegten Wäldchen mit Weiher zum Bootfahren und Angeln, standen und saßen die Kurgäste und sprachen über die scheußliche Tat, die bis jetzt in ein absolutes Dunkel gehüllt war.

Im »Goldfasan«, einer scharfen Konkurrenz des »Waldfrieden«, waren soeben, im Automobil heransausend, Herr Staatsanwaltschaftsrat Dr. Losch und Landrat v. Basedow abgestiegen. Herr v. Dose hatte sie vorm Hotel empfangen. Und nun saßen die Herren oben in ihrem Zimmer, teils um sich zu informieren, teils auch um, wie Herr v. Basedow sagte, »mal erst 'n ordentlichen Kognak auf den Schreck zu trinken!«

»Haben Sie … oder hat vielmehr die Familie denn irgend jemand in Verdacht?« fragte der Landrat den Amtsvorsteher. Der hob zweifelnd die Achseln:

»Die Familie … das ist es eben, Herr Landrat … Ich meine … die Familie besteht hier nur aus drei Leuten: das ist die Verletzte, dann Fräulein Thekla de Ruyter, die Nichte, und außerdem ein Neffe … Die beiden sind aber nicht von denselben Eltern … Der Neffe ist übrigens gar nicht hier … Er soll gestern abend nach Berlin gefahren sein … Woll 'ne ziemlich leichtsinnige Haut, der junge Mann … er versteht die großen Gelder seiner Tante gut unterzubringen.«

»Die Leute sind reich?«

»Jawohl, Herr Staatsanwalt … das heißt, ich meine, auch eigentlich wieder nur die Tante … die beiden andern haben, soviel ich weiß, von Hause so gut wie nichts … Der Neffe ist lange Zeit über See gewesen und erst mit zwanzig Jahren hierher zu seiner Tante gekommen … ein eigenartiger Mensch übrigens … hochfahrend und rücksichtslos … auch, wie man so hört, verteufelt hinter den Weibern her …«

»Also 'n ziemlich übler Patron?« fragte der Landrat.

»Pardon, das kann man auch nicht sagen, Herr Landrat; dazu ist er wieder zu sehr Kavalier! … Vornehm in seiner Art und kolossal anständig in Geldsachen … ich meine …«

»Daß er also zu der Mordtat in irgendwelchen Beziehungen steht, glauben Sie nicht?« fragte Dr. Losch.

Der Amtsvorsteher, der sich ärgerte, daß der Staatsanwalt in seinem etwas aphoristischen Amtsstil die Anrede stets wegließ, erwiderte mit einer leicht abtuenden Bewegung:

»Ach, daran ist gar nicht zu denken! … Der junge Mann verkehrt hier in den besten Kreisen … Er ist Mitglied im Klub und in der Ressource … und … ich meine …«

»Eine derartige Mitgliedschaft ist noch kein Beweis für sonstige Integrität!« schnitt Dr. Losch des Oberleutnants weitere Beweisführung kurz ab, »ich habe übrigens, sowie ich vorhin Ihr Telephonat erhielt, nach Berlin depeschiert und um Entsendung eines fähigen Kriminalkommissars gebeten.«

Herr v. Dose zog den Schnurrbart energisch durch die Finger.

»Sie meinen nicht … daß wir …« Er gebrauchte jetzt auch keine Anrede mehr, »… daß wir der Sache allein nicht Herr werden?«

Der Staatsanwalt – ein mephistophelisches, graues Gesicht mit dunkelblondem, glatt anliegendem Haupthaar und ganz bartlos – grinste. Er wartete ein bißchen und sagte dann:

»Es sieht nicht so aus, mein verehrter Herr Amtsvorsteher … Oder haben Sie vielleicht schon entscheidende Feststellungen getroffen?«

»Das war dadurch, daß die Operation im Tatzimmer selbst stattfand, leider ganz unmöglich!«

»Das hätten Sie verhindern sollen, Verehrter!« warf Herr v. Basedow ein.

Der Amtsvorsteher sagte mit einem Lächeln, das bei aller Höflichkeit und Devotion doch voller Freude war über die Antwort, die er geben würde:

»Verzeihung, Herr Landrat, ich wurde erst zitiert, als bereits der Herr Geheimrat Wildner um die Verletzte bemüht war. Ich habe auch dann noch das Erforderliche veranlassen wollen, aber der Herr Geheimrat – Herr Landrat kennen ja den alten, allgemein beliebten Herrn! – der Herr Geheimrat untersagte kraft seiner ärztlichen Autorität jedes Betreten des Krankenzimmers … Ich meine … da ist meinerseits wohl geschehen, was irgend möglich war …«

»Hm … und die Geschichte mit der fehlenden Edelsteinsammlung, das ist alles, was Sie bisher eruiert haben?« fragte Dr. Losch.

»Zu mehr bot sich bisher weder Gelegenheit noch Zeit!« Herr v. Dose imitierte absichtlich den Staatsanwalt in seiner Kürze.

Durch das Fenster kam der knatternde Lärm eines Automobils, das dicht vor dem Hause hielt.

Der Landrat, ein forscher Fünfziger, sprang elastisch von seinem Sessel auf ans Fenster. Aber er kam zu spät, der Insasse des Wagens war schon im Hause.

Gleich darauf klopfte es, der Kellner öffnete die Tür und ließ einen mittelgroßen Herrn eintreten, der einen dunklen Jackettanzug trug. Der Herr nahm sein weiches Filzhütchen von seinem eckigen Kopf, fragte nach Herrn Staatsanwaltschaftsrat Dr. Losch und stellte sich als Kriminalkommissar Dr. Splittericht aus Berlin vor. Er sei von seiner Behörde hierher beordert zur Aufdeckung eines Verbrechens.

Gleich darauf fuhren die Herren an den Tatort. Während der Fahrt wurde der Kommissar von den bis jetzt bekannten Tatsachen verständigt.

Es war nachmittag fünf Uhr.

Vor dem Hause der überfallenen Millionärin hatte sich, wie in solchen Fällen ja stets, eine ziemliche Menschenansammlung gebildet, der das herrliche Wetter gerade recht schien, um hier ihre Neugierde spazieren zu führen.

Der alte Amtsdiener Mahnke war da und hielt am Hauseingang Wache. Er hatte zu tun, besonders die zahlreichen Kinder immer wieder zurückzudrängen. Und schon von weitem hörten die Insassen des Autos ihn mit Stentorstimme die Zudringlichen anschreien:

»Wat wollt ihr denn, Rangen?! … Soll eich villeicht ooch eener so uffn Kopp schlagen, det ihr de Besinnung valiert, wie die arme Frau?! … Aber ihr habt ja jakeene nich, sonst wird't ihr eich doch hier nich so drängeln wie de Schafe in Pferch! Zurück, sage ich! Oder't fliegt eener int Loch! … Achtung! Platz da! Jetz' kommt die hohe Behörde!«

Die Kinder stoben auseinander und die Erwachsenen, denen ihr Herumstehen hier doch wohl selbst unrichtig dünkte, zogen sich weiter zurück.

»Der olle Herr hat's raus!« meinte der Landrat, als erster aus dem Auto steigend. Ihm folgten die anderen.

Dr. Splittericht orientierte sich flüchtig über die Lage des de Ruyterschen Hauses.

Es lag am Markt, einem großen Platz, der, mit holprigem Kopfsteinpflaster belegt, der Abhaltung des Wochenmarktes diente. In der Mitte stand die alte Kirche, deren schiefergedeckter Turm grünlich im Licht der Maiensonne glänzte: Dohlen und Turmfalken flogen um seine flimmernde Spitze.

»Breitenberg ist wohl eine ziemlich alte Stadt?« hatte Dr. Splittericht während der Fahrt gefragt und Herr v. Dose hatte ihm bereitwillig Auskunft erteilt: Die Stadt sei schon im dreizehnten Jahrhundert erbaut, im Dreißigjährigen Kriege aber vollkommen zerstört worden. Später habe hier eine Art kleiner Residenz bestanden, irgendein von Napoleon mediatisierter Fürst habe seinen Hofhalt hier weitergeführt. Aber da es späterhin die Breitenberger versäumt hätten, sich um den rechtzeitigen, direkten Anschluß an die Staatsbahn zu bemühen, ja sich dem sogar widersetzt hätten, sei das Städtchen, das ja als Luftkurort einige Beliebtheit genösse, doch wohl zu einer endgültigen Bedeutungslosigkeit verurteilt.

Das ziemlich langgestreckte, aber nur einstöckige Haus, das Frau Amaranth de Ruyter gehörte, war rechts und links von ähnlichen Gebäuden flankiert. Dem Kommissar fiel es auf, daß das linksstehende keine Gardinen an den Fenstern zeigte. Er schloß daraus, daß es unbewohnt war.

Dann stiegen die vier Herren die breite, acht Stufen hohe Steintreppe zum Hauseingang empor, die rechts und links ein in einen Löwenkopf auslaufendes Bronzegeländer schützte.

Eine gewaltige Diele nahm die Besucher auf, als ihnen der Diener Martin geöffnet hatte. Hier hingen an lichtblau getünchten Wänden altniederländische Embleme, Fahnen und große, tief nachgedunkelte Bilder, wie man sie in den Votivecken alter Kirchen steht – alles wohl auf die holländische Abkunft der Familie hindeutend. Nach hinten fiel der Blick in ein Glashaus voller Palmen und Blumen.

Dann wurden die Beamten in einen Empfangsraum gebeten, der gleich rechts beim Eingang lag.

Nach wenigen Minuten erschien in einem tiefblauen Seidenkleid mit einer Kette aus goldgefaßten, grünen Turmalinen, einer herrlichen Arbeit, um den freien schönen Hals Thekla de Ruyter.

Herr v. Basedow, dessen Blicke die Gestalt des jungen Mädchens bewundernd umfingen, klärte sie, nachdem er sich selbst und seine Begleiter vorgestellt hatte, über den Zweck ihres Kommens auf und sagte schließlich:

»Es ist besonders dieser Herr« – dabei deutete er auf den Kriminalkommissar – »der Sie, gnädiges Fräulein, um so manche Aufklärung wird bitten müssen!«

»Ich werde gewiß alles sagen, was ich weiß, Herr Landrat … aber ich gestehe offen: ich habe keine Ahnung! … Meine Tante ist die beste und klügste Frau von der Welt. Daß sie irgendeinen Feind gehabt haben sollte, das scheint mir ganz unmöglich!«

»Aber es scheint sich ja auch hierbei viel mehr um einen Raubmord zu handeln«, warf der Staatsanwalt ein

»Ja, die Edelsteinsammlung fehlt«, nickte Thekla und blickte den Staatsanwalt mit ihren dunklen Augen, die vom Schimmer der Tränen verklärt waren, voll an. Dessen scharfe, von dem innern Hohn über die ihm so geläufige menschliche Niedertracht verätzten Züge wurden förmlich weich unter des Mädchens warmem Blick. Er sagte weit milder im Ton:

»Wie wir hören hat der Täter sein Ziel doch nicht ganz erreicht. Es besteht Hoffnung, das Leben Ihrer Frau Tante zu erhalten?«

»Ach,« Thekla faltete die schlanken Finger über ihrer jungen Brust, »ich denke an nichts anderes! Eben ist Herr Geheimrat Wildner wieder bei ihr … Wenn ich ihr doch etwas von meiner Kraft und Gesundheit abgeben könnte. Aber darf ich den Herren vielleicht eine Erfrischung anbieten?«

Die Herren dankten, doch Thekla hatte schon Vorsorge getroffen, eben trat der Diener herein und servierte alten Portwein in bunten, kunstvoll geschliffenen Gläsern.

Dr. Splittericht beobachtete dabei den Diener und sah in dem ehrlichen Soldatengesicht weder Falsch noch Fehl. Da war der Faden nicht, an dem er weiterfühlen konnte.

Gleich darauf kam Geheimrat Wildner herein. Er kannte die Anwesenden bis auf Dr. Splittericht, den er mit Interesse betrachtete:

»Also so sieht ein berühmter Detektiv aus – pardon Herr Doktor, Kriminalkommissar wollte ich sagen! Na, ich will nur wünschen, daß Sie Ihren Scharfsinn hier so leuchten lassen können, daß diese schändliche Tat ihre Sühne findet … Aber ich komme vor allen Dingen der Patientin wegen, meine Herren! … Es haben sich bei ihr offenbar jetzt starke Wundschmerzen eingestellt und ich habe ihr deswegen und wegen des hohen Fiebers Morphium gegeben … Sie liegt also augenblicklich in tiefem Schlaf. Und das wäre der Moment, wo ich einen Einblick in das Tatzimmer gestatten darf … Aber ich bitte: nur einen der Herren … das ist dann wohl Herr Doktor Splittericht?«

»Ich müßte aber meiner Dienstanweisung zufolge den Tatort ebenfalls besichtigen«, sagte Dr. Losch.

Der alte Professor hob die Achseln.

»Ich bedaure! … Dann ziehe ich als behandelnder Arzt meine Erlaubnis überhaupt zurück! … Auf Ihre Verantwortung können die Herren tun, was sie wollen … aber ich wiederhole: das Leben der Patientin hängt an einem seidenen Fädchen!«

Der Kommissar sprach einige Worte leise mit dem Staatsanwalt. Darauf sagte dieser:

»Also gut, wir andern verschieben die Inaugenscheinnahme auf eine spätere Zeit.« Er blickte dabei Thekla an und sah mit einem matten Lächeln, wie das Mädchen befreit aufatmete. »Von Ihnen, Herr Kommissar, erwarte ich nachher Bericht … ich bleibe im Hotel!«

Die Herren verabschiedeten sich, von Thekla bis zur Tür geleitet. Dann stand sie wieder Dr. Splittericht gegenüber. Der Geheimrat war ebenfalls hinausgegangen im Gespräch mit Herrn v. Basedow.

»Ich habe Sie nachher mancherlei zu fragen, mein gnädiges Fräulein …« sagte der Kommissar. »Vorher aber wollen wir uns das Krankenzimmer ansehen!«

»Ja, Herr Geheimrat wird ja gleich hereinkommen«, nickte Thekla.

Indem trat der Professor in die Tür und sagte:

»Darf ich nun bitten, Herr Doktor! Sie, liebes Fräulein, begleiten uns natürlich.«

Man verließ den Salon und stieg die breite in großem Schwung ausladende Rundtreppe mit den flachen und breiten Stufen, die mit weichem Teppich belegt waren, hinauf in den Oberstock.

»Unsere gesamten Wohnräume«, sagte Thekla, »befinden sich hier oben. Nur die Dienerschaft wohnt unten, aber tiefer, im Souterrain … Die andern Zimmer im Parterre sind unbewohnt …«

»So sind Sie, gnädiges Fräulein, in der gestrigen Nacht mit Ihrer Tante ganz allein gewesen? Ihr Herr Vetter war, soviel ich hörte, verreist?«

»Ganz recht, Herr Kommissar; mein Vetter Wolf Stark ist um zehn Uhr nach Berlin gefahren. Der Diener, den Sie vorhin unten gesehen haben, der hat ihm noch die Handtasche nach der Bahn getragen.«

»Und Ihr Vetter ist vorläufig noch nicht zurückgekehrt?«

»Nein.«

»Haben Sie an ihn telegraphiert?«

»Jawohl heute mittag … Aber, wie ich hörte, war er um diese Zeit schon nicht mehr in dem Hotel, in dem er abzusteigen pflegt.«

»Trotzdem … das Verbrechen ist, bei dem regen Verkehr auf der Strecke Berlin – Breitenberg, sicher um Mittag schon in Berlin bekannt gewesen … Wenn nicht früher, aber in den Abendblättern steht die Nachricht bestimmt … So kann sie dem Herrn, länger wie heute, gar nicht verborgen bleiben.«

Der Geheimrat räusperte sich und sagte, offensichtlich aus einem wohlüberlegten Entschluß heraus:

»Es hat ja doch keinen Zweck, daß wir damit hinterm Berge halten, liebes Fräulein.« Er wandte sich dem Kommissar zu: »Das Verhältnis, in dem Herr Wolf Stark de Ruyter zu seiner Tante und wohl auch zu dieser jungen Dame steht, war und ist denkbar ungünstig … Es sind da eine Menge Sachen vorgekommen die ja vielleicht vergeben und vergessen sind, aber … na, jedenfalls wird die momentane Abwesenheit des jungen Herrn hier kaum von irgendjemand schmerzlich empfunden.«

Man stand auf dem hellen, mattenbelegten Gang vor dem Boudoir der Frau de Ruyter. Thekla öffnete die Tür.

Dr. Splittericht sah vor sich hin auf die gelbliche Bastmatte, dann sagte er, das junge Mädchen plötzlich scharf ansehend:

»Haben Sie auch nur den geringsten Verdacht auf Ihren Vetter, mein Fräulein?«

Thekla prallte förmlich zurück. Ihre Bestürzung war so echt, daß der Kommissar ganz überzeugt von ihrer Wahrhaftigkeit war.

»Aber um Gottes willen, Herr Kommissar« erwiderte sie. »Auch nicht einen Augenblick ist mir der Gedanke gekommen! Nein, daran ist nicht zu denken! Wolf ist ein Mensch, der keine Achtung vor dem weiblichen Geschlecht besitzt und der seine Wünsche vor allem befriedigt wissen will, aber ein Mörder – und obenein an meiner Tante, der er alles verdankt … nein, wahrhaftig! Das ist er nicht! … Da tut man ihm bitter Unrecht! Nicht wahr, lieber Herr Geheimrat, so etwas trauen Sie Wolf doch auch nicht zu?«

»Ganz ausgeschlossen,« sagte Professor Wildner mit Festigkeit und Ruhe. »Sie, liebes Fräulein, haben Ihren Vetter vorhin einen Schürzenjäger genannt. Das heißt, dem Sinne nach wenigstens! Aber er ist noch mehr: er ist ein großer Verschwender und hat Ihrer Tante schon viel Sorge gemacht. Das weiß ich von ihr selber. Aber ein Mörder? – Nein! … Dazu fehlt ihm die Kraft, die Entschlossenheit, die solche Tat notwendig verlangt, und wohl auch die Roheit … Er ist haltlos und wohl ohne Hemmungen. Ich zweifle sogar ein bißchen an seiner Ehrlichkeit, aber ein Mörder – nein, das ist er nicht! – Uebrigens, meine Herrschaften, wir wollten das Schlafzimmer besichtigen … sonst wacht mir meine Kranke am Ende auf!«

Sie traten leise ein. Frau de Ruyter lag still, wie eine Tote im Bett. Der Geheimrat beugte sich über sie und faßte ihr Handgelenk:

»Der Puls geht ruhiger … Hoffentlich haben wir eine gute Nacht! Ich bin natürlich in jedem Augenblick zu haben, liebes Fräulein!«

Thekla nickte dem alten Herrn dankbar zu.

Dr. Splittericht hatte sich, unhörbar durchs Zimmer gehend, inzwischen überall umgesehen.

Am Bett stand er lange und ließ sich eingehend von dem Geheimrat erklären, wo und in welcher Stellung man die Dame gefunden habe. Dann kniete er hin und beleuchtete mit seiner elektrischen Lampe, eines nach dem andern, die beiden Lammfelle, die zur Rechten und Linken neben dem breiten Bett lagen.

Zu beiden Seiten stand je ein Toilettentisch. Auf dem linken stand die Kassette, die Thekla dort wieder hingetragen hatte. Wie Dr. Splittericht hier das Lammfell absuchte nahm er etwas aus dem weichen, langen Haar heraus und steckte es in seine Jacketttasche.

»Ach« sagte der Geheimrat, der das bemerkt hatte, »ich habe vorhin hier auch etwas gefunden, oder vielmehr mein Assistent, Dr. Höffner … Er hat es dort aufs Fensterbrett gelegt, glaub' ich …«

Auf den Zehenspitzen ging Dr. Splittericht zum Fenster und nahm von dem Stickereikissen ein Bleistiftendchen, in dessen gelbpoliertes Holz hinein, wie das wohl von Kindern in der Schule geschieht, zwei Buchstaben geschnitten waren: ein H und ein K.

Der Kommissar steckte den Stift mit Dank ein. Seine Miene erzählte nichts von Triumph und Freude über den Fund.

Dann deutete er auf die Kassette und sagte fast nur mit den Lippen:

»Darin waren die Geldschrankschlüssel?«

Thekla nickte. Dr. Splittericht nahm das silberne Kästchen und ging aus dem Zimmer. Die beiden andern folgten. Thekla schloß hinter sich behutsam die Portiere und die darin befindliche Schiebetür.

Draußen sagte der Geheimrat wißbegierig:

»Und der kleine Bleistift?«

Der Kommissar nahm ihn wieder aus der Tasche und hielt ihn dem jungen Mädchen hin.

»Daß Ihre Frau Tante etwa solch Ding gehabt hätte, das halten Sie wohl auch für ausgeschlossen, gnädiges Fräulein?« fragte er.

Thekla betrachtete das kleine abgegriffene und nicht eben saubere Endchen mißtrauisch und schüttelte dann energisch den Kopf. »Nein«, sagte sie lächelnd.

»Es ist ja kaum anzunehmen, daß eine Dame von so viel Kultur das benutzt!«

Der Geheimrat betrachtete es ebenfalls.

»Jemand von der Dienerschaft könnte es gehabt haben …« meinte er nachdenklich.

»Wie heißen Ihre Leute, gnädiges Fräulein?«

»Wir haben drei weibliche und einen männlichen … nein, zwei männliche Dienstboten. Der eine, der Chauffeur, wohnt aber, weil er verheiratet ist, nicht im Hause.«

»Und wie heißen diese mit Vor- und Zunamen?«

»Der Diener heißt Martin Runge, die Köchin Minna – ja wie heißt sie doch gleich? … ach ja, Minna Formstedter die Zofe Lilli Schulz und das Hausmädchen Betty Kalmacki …«

»Ein H. K. ist also in keinem der Namen. Trotzdem wäre es möglich, daß eine dieser Personen den Bleistift von anderer Seite her im Besitz gehabt hätte. Darf ich bitten, daß eine nach der andern hergerufen wird, um sie zu befragen? Zuerst, bitte ich, den Diener!«.

Lilli ging an das kleine Haustelephon:

»Martin soll heraufkommen … sogleich!«

Dr. Splittericht, der schöne, wohl gebildete Menschen gut leiden mochte, hörte mit Vergnügen des jungen Mädchens klare, feste Stimme. Er war an den Geldschrank gegangen, hatte den Schlüssel probiert, den ihm Thekla gab, und sagte dann:

»Darf ich auch um die Stellzahl bitten, gnädiges Fräulein?«

Der Geheimrat fragte dazwischen:

»Ich störe doch nicht, Herr Doktor? Mich interessiert die Arbeit eines modernen Kriminalisten ungemein und momentan bin ich, was mir ja nicht oft passiert, frei. Die Besuchsstunde fällt heute aus wegen des Monstrekonzerts.«

Er lachte über das Monstrekonzert, bei dem sich das Orchester gegen sonst um eine Klarinette und eine Oboe verstärkte.

Thekla hatte ihm unterdessen die Ziffer gesagt. Dr. Splittericht stellte gerade das Schloß darauf ein, als der Diener nach kurzem Anklopfen die Tür öffnete.

Er stand in strammer Haltung.

»Gnädiges Fräulein haben befohlen?«

Statt der jungen Dame trat der Kommissar vor. Mit einer ruckartigen Bewegung hielt er ihm das Bleistiftendchen vor das Auge:

»Gehört das Ihnen?«

Der Diener hob ein wenig den Kopf:

»Nein, mein Herr!«

»Haben Sie's vielleicht bei irgendwem hier im Hause gesehen?«

»Nein.«

»Gut. Stellen Sie sich dorthin ans Fenster, mit dem Gesicht nach draußen!«

Der Diener tat, wie ihm befohlen. Er stand stramm, wie auf dem Kasernenhof, und blickte hinaus.

»So. Nun das Hausmädchen, wenn ich bitten darf!«

Betty Kalmacky kam, eine waschechte Wasserpolackin mit niederer Stirn, tiefem, glänzendschwarzem Haaransatz und einer breiten Nase über starken, frischen Lippen gutmütig, nicht dumm und offenbar ihrer jungen Herrin an deren Gesicht ihre Blicke förmlich schwärmerisch hingen, ganz ergeben.

Das Bleistiftendchen betrachtete sie verständnislos, hatte nichts Aehnliches besessen und auch bei den anderen nicht gesehen.

Die Köchin, wie auch die Zofe schienen zu begreifen, worum es sich handelte. Sie machten wütende Gesichter und stellten energisch jede Bekanntschaft mit dem gelben Blei in Abrede.

Als sie sämtlich wieder entlassen waren, sagte der Geheimrat:

»Ich scheine also nicht recht gehabt zu haben. Demnach könnte es sich für Sie, Herr Doktor, bei dem Dings da um ein wichtiges Indizium handeln?«

»Vielleicht« sagte der Kommissar gleichmütig und steckte den Stift ein.

Dann beschäftigte er sich eingehend mit dem Geldschrank, tat ein paar Fragen und sagte schließlich:

»Der Schrank muß mit dem Originalschlüssel geöffnet sein. So komplizierte Schlüssel kann man nicht reproduzieren. Vor allem muß der Täter die Kenntnis der Stellziffer gehabt haben. Es ist: 801108.«

»Warum haben Sie, respektive Ihre Frau Tante, zweimal dieselbe Zahl gewählt, wenn auch in umgekehrter Reihenfolge, gnädiges Fräulein?«

»Weil das mein und der Tante Geburtsdatum ist. Ich bin am 8. Januar geboren und Tante am 1. August … Die Nullen haben wir dann so dazwischengeschoben, weil es doch sechs Ziffern sein müssen.«

»Wußte das außer Ihrer Tante und Ihnen sonst noch jemand im Hause?

»Soviel mir bekannt ist, nein! … Damals, als wir das Schloß auf die neue Ziffer einstellten –«

»Wann war das, wenn ich fragen darf?« unterbrach der Doktor-Kommissar.

»Ach, das ist ungefähr sechs Monate her … Ende Herbst vorigen Jahres …«

»Und warum taten Sie, beziehungsweise Ihre Frau Tante das? Warum änderten Sie damals die Ziffer?«

Thekla zögerte, doch der Geheimrat, der aufmerksam und voll Interesse diesem Frage- und Antwortspiel folgte, nickte ihr ermutigend zu:

»Es hilft nichts, Kindchen, erfahren muß der Herr Kommissar die Sache doch: also, Herr Doktor, es haben damals 10 000 Mark in der Kasse gefehlt. Frau de Ruyter hat sich später einreden wollen, sie hätte sich geirrt, es hätte nichts gefehlt. Aber wie wenig sie selber dieser Fiktion getraut hat, beweist am besten, daß sie dann gleich mit Fräulein Thekla die Umstellung der Ziffern vornahm … Und weiter: so ungern ich solchen Klatsch wiedergebe, hier muß es gesagt sein …«

Der alte Herr erzählte von den Spielverlusten des jungen de Ruyter, über die Dr. Splittericht schon von dem Amtsvorsteher während der Automobilfahrt unterrichtet worden war.

Thekla hob abwehrend ihre Hände.

»Aber, Herr Geheimrat, das sind doch Redereien!«

»Nein, nein, liebes Kind, es ist schon etwas mehr! Mein Assistent, der ein sehr ernster und überlegter Mensch ist, der hat mir das auch bestätigt!«

Dr. Splittericht sagte nicht ja noch nein. Er sah das Fräulein nur ernst an:

»Das will nicht allzuviel sagen … solche Diebereien kommen in den reichsten Familien vor. Aber ich möchte Sie noch einmal fragen: Sie glauben nicht, gnädiges Fräulein, daß Ihrem Vetter, oder sagen wir, daß die Ziffern des Stellschlosses irgend jemand anders bekannt waren als Ihnen und Ihrer Frau Tante?«

»Bestimmt nicht!« sagte Thekla voller Ueberzeugung.

»Nun«, sagte der Kommissar, ein winziges Stück Kartonpapier aus seiner Tasche ziehend, »dann wundert es mich nur, daß die Zahlen hier sogar niedergeschrieben sind!«

Ganz erstaunt sah Thekla auf das Blättchen.

»Ja – und das hat Tante sogar selbst geschrieben!«

»Na, das scheint mir nicht so unerklärlich«, warf der Geheimrat ein, »Ihre Frau Tante hat manchmal darüber geklagt, daß ihr Gedächtnis nicht mehr so taktfest wäre wie früher. Da hat sie das einfach aufgeschrieben, um es nicht zu vergessen …«

»Aber die Geburtstage?!« Thekla sah noch immer zweifelnd drein, »Tante konnte doch unsere Geburtstage nicht vergessen!«

»Die Schrift der Dame ist es bestimmt?« fragte der Kommissar.

»Ohne Zweifel! Das hat meine Tante geschrieben!«

»Wie hat der Kerl aber das Blättchen bloß finden können?« meinte der Geheimrat, »Frau de Ruyter wird es doch sicherlich nicht so offen hingelegt haben?«

»Darüber glaube ich Ihnen Auskunft geben zu können«, erwiderte der Kommissar, der sich eingehend mit dem inzwischen geöffneten Silber-Kästchen beschäftigt hatte. »Sehen Sie hier!« Er zeigte in der mit grüner Seide ausgefütterten Kassette eine kleine Tasche und aus diesem winzigen Täschchen nahm er achtsam ein millimetergroßes Schnitzelchen weißes Kartonpapier, das gut an die eine Ecke des Blättchens paßte, auf dem Frau de Ruyter die Stellzahl ihres Geldschrankes notiert hatte.

»Ihre Frau Tante glaubte, das Blättchen nirgends besser verstecken zu können als bei den Schlüsseln selber«, sagte Dr. Splittericht mit jenem Hellwerden seines ernsten, klugen Gesichts, das ihm Heiterkeit genug dünkte. »Ja, gerade die intelligentesten Menschen«, fügte er hinzu, »und – verzeihen Sie, gnädiges Fräulein! – besonders Frauen begehen, wenn sie einmal noch klüger sein wollen, solche – komischen Naivitäten … aber –« Er dachte ein wenig nach, – »ich möchte doch glauben, daß der Täter mit den Verhältnissen im Hause vertraut war. Zwar die Feder in der Kassette, die das Schloß aufspringen läßt, die ist für einen einigermaßen geschickten Menschen nicht schwer zu finden … nur – sagen Sie gnädiges Fräulein, Sie schlafen doch nur durch das Boudoir von der alten Dame getrennt … haben Sie einen sehr festen Schlaf?«

Thekla dachte nach:

»Ich glaube kaum, Herr Doktor. Wenn mein Vetter des Nachts nach Hause kommt – er muß den Korridor entlang an Tantes und meinem Zimmer vorüber –, dann kann er noch so leise gehen, ich höre ihn doch.«

»So … hm … und was trinken Sie des Abends, ich meine so zum Abendbrot?«

Mit verwundertem Aufblick antwortete Thekla:

»Ich … ach … das ist ganz verschieden … am liebsten«, sie lachte kindlich, »ein Glas Malzbier.«

»Und haben Sie gestern abend auch getrunken?«

»Nein, Tante hatte sich vor einiger Zeit spanischen Wein schicken lassen, alten Cheres, glaube ich, und da wollte sie durchaus, ich sollte auch ein Glas kosten.«

»Aber das Eß- und Trinkgeschirr vom gestrigen Abend ist bereits ausgewaschen?«

»Ja, sicher«, meinte Thekla zaghaft, weil sie absolut sich nicht denken konnte, wo der Kommissar hinauswollte.

»Jedenfalls möchten wir mal runter in die Küche gehn!«

»Gewiß, Herr Kommissar!«

Und vorausgehend führte sie die beiden Herren – denn der Geheimrat wäre nicht um die Welt zurückgeblieben! – ins Souterrain.

Hier stellte sich heraus, daß gerade von den drei Gläsern, um die es sich handelte, dem einen beim Reinigen der Fuß abgebrochen und das Glas daher, ungewaschen, in den Kehrichteimer geworfen worden war.

Der Geheimrat bemerkte sofort den weißlichen Satz am Boden des Kelchglases, das der Kommissar ohne ein Wort an sich nahm, um sogleich wieder nach oben in das Boudoir der Frau de Ruyter hinaufzugehen.

Thekla wunderte sich sehr und ekelte sich auch ein bißchen, als sie sah, wie Dr. Splittericht oben im Zimmer in das Glas, das doch schon im Eimer zwischen Kartoffelschalen und Gemüseblättern gelegen hatte, den Finger hineinsteckte und von dem weißen Satz am Glasboden kostete, den sie jetzt ebenfalls bemerkte.

»Nur schade«, sagte der Doktor-Kommissar, »daß von den andern beiden Gläsern nicht auch die Füße abgebrochen sind. Ich setze nämlich voraus, daß Ihr Herr Vetter gestern abend mit Ihnen und der Frau Tante zusammen gespeist hat?«

Thekla nickte.

»Wenn Wolf Stark hier war, hat er immer mit uns zusammen gegessen.«

»Sie sind der Meinung, daß man den Herrschaften ein betäubendes Mittel in den Wein getan hat … so eine Art Schlaftrunk?« fragte der Geheimrat.

»Ja«, sagte Dr. Splittericht und leckte noch einmal an seiner Fingerspitze, »das ist ohne Zweifel ein Opiat!«

»Darf ich mal sehen?« Der Geheimrat kostete ebenfalls und konnte die Ansicht des Kriminalisten nur bestätigen.

»Die ganze Sache ist augenscheinlich wohl vorbereitet«, sagte der Kommissar. »Die Tatsache, daß die berühmte Edelsteinsammlung sich hier im Hause befand, die könnte auch in weitere Verbrecherkreise gedrungen sein, aber … was mir vor allen Dingen auffiel, war, daß das gnädige Fräulein von dem doch wahrscheinlich gefährlichen Lärm bei der Untat nichts gehört hat … Allem Anschein nach hat sich die Sache so abgespielt: Der Verbrecher ist durch das unverschlossene Boudoir in das Schlafzimmer Frau de Ruyters geschlichen und hat hier die Kassette von ihrem, ihm wohlbekannten Standort wegnehmen wollen … Das ist wahrscheinlich nicht ohne ein Geräusch abgegangen und die Dame ist dabei aufgewacht … Wir haben augenblicklich Vollmond und der Täter hat so genug Licht gehabt, die unglückliche Frau …«

Der Kommissar hielt inne. Er sah, wie sich die Augen des schönen Mädchens mit Tränen füllten.

»Ja«, sagte der Kommissar leiser, »der Einbrecher hat wohl kaum damit gerechnet. Er glaubte vielmehr, daß entweder durch ihn selbst oder durch seine Helfershelfer alles vorbereitet wäre, daß …«

Dr. Splittericht sah wieder das junge Mädchen an, das seine Tränen trocknete. »Sie, gnädiges Fräulein, hätten, wie gesagt, doch sonst etwas hören müssen …«

Jetzt fiel Thekla ein, wie schwer und schlaftrunken sie heute morgen war, wie Lilli sie kaum hatte wachrufen können. Und sie sagte das dem Kommissar.

Der nickte nur. Der Geheimrat aber meinte:

»Bei Frau de Ruyter scheint das Mittel demnach weniger wirksam gewesen zu sein?«

»Am Ende hat sich in ihrem Glase das Pulver nicht so gut aufgelöst«, meinte Dr. Splittericht.

»Kaum anzunehmen, Herr Doktor, da es an Zucker gebunden ist«, widersprach der Geheimrat.

»Ach!« Theklas Gesicht erhellte sich in einer Erinnerung. »Jetzt weiß ich: Tante Amaranth wollte eben trinken, da fiel ein kleiner Nachtschmetterling ins Glas und sie nahm … nein, ich habe ihr sogar ein anderes Glas geholt!«

»Und das wird dem Verbrecher nicht bekannt gewesen sein«, sagte der Geheimrat.

»Oder er hat die Ausführung nicht mehr verschieben können«, ergänzte der Kommissar. Und weiter sagte er zu Thekla gewendet:

»Ich möchte nur wissen, wie Ihr Herr Vetter diese Medizin überstanden hat?«

Der Geheimrat sah den Sprechenden verstohlen an, aber er konnte sich nicht überzeugen, daß eine Ironie in den Worten des Kommissars geklungen habe.

Dr. Splittericht stand auf:

»Darf ich mir jetzt mal die übrigen Räume ansehen?«

Thekla führte die Herren hinaus, über den Gang hinweg, an dem hinter ihrem Schlafzimmer noch zwei Gastgemächer lagen. Dann machte der Korridor einen beinah rechtwinkligen Bogen, an dessen Ende die Zimmer Wolf Stark de Ruyters sich anschlossen.

»Es ist doch erlaubt?« Der Kommissar hatte die erste Tür geöffnet und stand in dem weiten Raum, in dem ein großes Oberlichtfenster einen ziemlichen Teil der vorderen, leicht geneigten Giebelwand einnahm. Staffeleien mit angefangenen Bildern standen hier umher, Mappen und prächtig eingebundene Werke lagen auf den Stühlen und eine Verschwendung war getrieben mit kostbaren Stoffen, Gobelins und alten, schillernden Sammeten, die, mit silbernen und goldenen Emblemen adjustiert, über Rahmen und Gestellen hingen. An den Wänden viel halbfertige Bilder, schreiend, bunt und von einem selbst dem Laien ins Auge springenden Dilettantismus … Alles aber roch nach dem schweren, süßlichen Duft türkischer Zigaretten, die in Kristallschalen, silbernen Dosen und angerissenen Kartons umherstanden.

Ohne irgendeine Bemerkung ging der Kommissar den anderen voran ins Nebenzimmer, wo Wolf Stark de Ruyter schlief.

Und hatte schon das Atelier etwas Befremdendes, so konnte der Geheimrat Wildner hier einen Laut des Staunens, des Mißbehagens nicht unterdrücken.

»Das ist ja, wie wenn eine alte Kokette hier wohnte«, sagte er spöttisch. »Verzeihen Sie, liebes Fräulein, es ist ja 'n Verwandter von Ihnen! … aber so was ist mir doch noch nicht vorgekommen!«

Dem Kommissar krauste sich nur die Lippe.

»Ist Ihr Herr Vetter eigentlich von Beruf Künstler?« fragte er obenhin.

Aber in demselben Moment haftete sein Blick durchdringend am Boden, der mit lichtblauem Frießstoff belegt war, über dem persische und türkische Teppiche in allen Mustern und Farben sich breiteten.

»Bitte, Herr Geheimrat«, sagte Dr. Splittericht, »bleiben Sie genau da stehen, wo Sie jetzt sind … ja … bitte!«

Der Geheimrat sah an sich herunter und auf den Boden. Aber er ebensowenig wie Thekla konnten dort etwas Auffallendes entdecken.

Der Kommissar trat schnell vor, bückte sich und hob aus der Falte zwischen zwei Teppichen einen leuchtenden Stein auf.

»Ach,« rief Thekla in fast kindlicher Ueberraschung, »das ist ja der Alexandrit, den Tante erst neulich gekauft hat!« Aber in derselben Sekunde wurde ihr die Gewalt der Umstände klar, ihr Gesicht wurde förmlich dunkel, ihr Mund bebte.

»Mein Gott! … wie kommt der Stein hierher?« setzte sie hinzu.

Der Geheimrat räusperte sich, er sagte nichts.

Der Kommissar fragte mit seiner leidenschaftslosen Stimme:

»Und dieser Stein hat sich in der Sammlung Ihrer Frau Tante befunden, gnädiges Fräulein?«

»Ja … ja …« Thekla sprach langsam mit einem wehen Gefühl in der Brust. »Das ist ganz sicher! … Sehen Sie, wenn Sie den Stein von so betrachten, ist er rot von unten leuchtet er blau und von hier aus weiß … das tut nur der Alexandrit … Sie sind sonst nicht so kostbar, aber der hier hat eine besonders intensive Farbe und nebenbei opalisiert er … sehen Sie … so … Das macht ihn noch wertvoller … Tante war ganz entzückt und hat ihn hoch bezahlt …«

»Demnach hat der, der die Juwelensammlung gestohlen hat, seinen Weg durch dieses Zimmer genommen«, schloß Dr. Splittericht ihrer aller Gedankenreihe.

»Aber mein Vetter war in der Nacht doch gar nicht hier!«

»Es sagt ja auch niemand, gnädiges Fräulein, daß Herr de Ruyter und er, der Ihre Frau Tante überfallen hat, miteinander identisch sind.« Wieder krauste sich des Doktors Oberlippe. »Dem Bewohner dieses Raumes kann man – darin hatte Herr Geheimrat vorhin ganz Recht – dem kann man kaum irgendeine energievolle Handlung zutrauen!«

Er sah über das blauseidene Himmelbett weg nach den Wänden hin, an denen Kränze aus bunten Strohblumen mit farbigen Bändern sich um kokette Bildchen in goldenen Barockrahmen wanden. Auf Alabaster- und Onyxkonsolen standen verzuckerte Skulpturen, während die Decke in Malerei den Himmel zeigte, auf dessen blauer Kitschigkeit sich Tauben mit Amoretten jagten.

»Ein geschmackloser Hecht!« brummte der Geheimrat und Thekla, die ihn verstanden hatte, fühlte heute mehr als je, daß der alte Herr nur ihre eigene Ueberzeugung aussprach.

Aber indem sie es dachte, wurden ihre Gedanken auch schon wieder abgelenkt. Sie bemerkte, wie Dr. Splittericht plötzlich voller Spannung sich der Tür zukehrte.

Zum Erstaunen des Geheimrats sprang er plötzlich mit schnellen Schritten auf sie zu und riß sie ganz weit auf. Sie führte zum Atelier.

Dort stand ein junger Herr in elegantem grauen Promenadenanzug, mit einer frühlingsbunten, kühngeschwungenen Krawatte um den kokett aufgeschlagenen Kragen des Seidenhemdes. Er hatte seinen breitrandigen Panama noch auf dem mageren, spitzvorlaufenden Schädel, dessen große, kühne Nase nicht angenehm mit dem kleinen, energischen Kinn kontrastierte. Die blaßblauen Augen blickten mißtrauisch, unsicher auf die Gruppe. Dr. Splittericht rief ihn an:

»Herr de Ruyter, nicht wahr? … Bitte doch einzutreten!«

Das Gesicht des jungen Mannes nahm einen unendlich hochmütigen und abweisenden Ausdruck an und in einem Ton, der verächtlich und beleidigend zugleich klang, fragte er:

»Mit wem habe ich die Ehre …«

Mit einer Freundlichkeit, die Thekla ängstigte, erwiderte der andere:

»Kriminalkommissar Dr. Splittericht aus Berlin … Ich bin in dem traurigen Fall bemüht, der Ihr Haus zu meinem Leidwesen getroffen hat …«

Aber Wolf Stark de Ruyter machte plötzlich einen starken Schritt zu seiner Kusine hin und rief:

»Ist es denn wahr, Thekla?! … Unsere Tante, unser liebes gutes Tantchen von Bubenhänden ermordet?!«

»Sie lebt Gott sei Dank«, flüsterte Thekla.

»Ja … gewiß! … ja! … Ihre Kunst, mein hochverehrter Herr Professor, die uns unser Teuerstes, unsre Mutter, erhalten hat!«

Mit einer Theatergebärde wandte sich der Redende an Geheimrat Wildner; der aber murmelte nur etwas Unverständliches.

»Darf ich sie sehen, die Gute?« fragte Wolf Stark wieder.

Jetzt klang des Geheimrats Stimme präzis und kurz:

»Vorläufig untersage ich jedes Betreten des Krankenzimmers auf das strengste! … Nur das Fräulein hat Zutritt!«

Wolf Stark hatte die Hände mit gesenkten Armen ineinandergelegt und, wie beschwörend, von einem zum andern hinsehend, sagte er in jammerndem Tone:

»Um des Himmels willen! Wie ist es nur möglich! Dieses gütige Wesen! … Diese Frau, die jedem wohlwollte, die jedem Menschen Gutes tat! … Nein, es ist nicht zu fassen!«

Thekla, die zwischen den beiden anderen Männern stand, dem brummig abgekehrten Geheimrat und dem in schweigender Beobachtung verharrenden Kommissar, war die Szene unendlich peinlich. Nie hatte sie so sehr die Unnatur und innere Unwahrhaftigkeit ihres Vetters empfunden wie in dieser Stunde. Immer schon war ihr sein Pathos hohl, seine Uebertreibung und zum Schwülstigen neigende Redeweise töricht, ja manchmal komisch erschienen; heute schämte sie sich für ihn, der selbst vor diesem furchtbaren Schicksal kein echtes Wort, keine lindernde Träne fand. Aber sie bemitleidete ihn auch: ein schreckhaftes Nahen, eine noch unklare, aber furchtbare Drohung schien ihn zu umschweben, und das arme Mädchen bangte vor dem, was der Mann, den das Gesetz hierher sandte, jetzt sprechen würde.

Dr. Splittericht faßte in seine Jackettasche:

»Ueber die Person des Täters haben auch wir uns schon den Kopf zerbrochen … Sie haben wohl bereits gehört, daß er die Edelsteinsammlung geraubt hat?«

»Nein, kein Wort! … Thekla! … Die Sammlung? Tantchens Allerliebstes! … Die kostbaren Steine!«

»Haben Sie noch gar nicht mit der Dienerschaft gesprochen?« fragte Dr. Splittericht sehr ruhig.

»Nein … das heißt: ja … Martin, unser Diener hat mich flüchtig informiert … Ich bin doch gestern spät noch nach Berlin gefahren … einer Verabredung wegen, die ich aber leider verpaßt habe. Ich konnte mich heute morgen im Hotel absolut nicht ermuntern …«

»Wie kam das?« fragte Dr. Splittericht in mehr teilnehmendem, als interessiertem Tone.

»Ja, darüber bin ich mir auch nicht klar. Ich habe gestern abend kaum etwas getrunken, außer den zwei Glas spanischen Wein, den sich meine arme Tante letzthin hatte schicken lassen …«

Der Geheimrat blickte Thekla an: Wolf Stark fing den Blick auf. Wenn er sich verstellte, tat er es mit einer meisterhaft vorgetäuschten Unbefangenheit:

»Wieso denn übrigens? … Was ist denn passiert?«

Thekla, die das starke Gefühl hatte, in des Kommissars Fragen lauere ein böser Verdacht auf den Vetter, wagte doch nicht, ihm von dem Weinglas, in dem sich der Rest des Schlafpulvers gefunden hatte, zu erzählen.

Und der Geheimrat hatte jetzt, wo Wolf Stark ihm gegenüberstand, mit einer so kühl überlegenen Miene, so durchaus unberührt von dem schrecklichen Los der Frau, der er alles verdankte – Geheimrat Wildner hatte auf einmal die tiefe Ueberzeugung von Wolf Starks Schuldlosigkeit nicht mehr. Er nahm sich vor, mit keinem Wort die Fragen des Kommissars zu stören.

Der sagte:

»Es ist auffällig, daß Ihr Fräulein Kusine heut morgen ebenfalls kaum zu erwecken gewesen ist …«

De Ruyter schien nachzudenken, aber es klang ganz harmlos, als er sagte:

»Ich sehe da noch nicht die Verbindungslinie …«

»Na,« meinte Dr. Splittericht behaglich, »das ist nun eigentlich nicht so schwer. Der Verbrecher hat nicht gewußt, daß Sie gestern abend noch fortfahren würden. Er wußte aber, daß Sie ebenso wie das gnädige Fräulein in der oberen Etage schlafen. Sie beide mußte er also, wenn er nicht ein dreifaches Verbrechen begehen wollte – was ja immerhin nicht ganz so leicht ist – Sie mußte er also ausschalten! Und dazu hat er sich eines Opiates bedient, das er in den Wein tat.«

»Ist das bewiesen, daß ein betäubendes Mittel im Wein war?«

»Nein, das nicht … es ist vorläufig eine Hypothese, die allerdings beweisen würde, daß man den Täter hier im Hause zu suchen hätte …«

Auch jetzt verlor de Ruyter nicht eine Sekunde lang die geistige Balance, er sagte nachdenklich fast wie im Selbstgespräch:

»Unter der Dienerschaft also …« und blickte verloren vor sich hin. »Und ich liege derweilen im Hotel in Berlin und ahne nicht einmal, welch ein schrecklicher Verlust die arme Thekla und mich treffen sollte!«

Thekla begann zu weinen. Doch so sehr sie um das Leben ihrer Tante bangte, im Augenblick weinte sie mehr aus gräßlicher Angst, daß wirklich dieser Mann, neben dem sie jahrelang gelebt hatte, ein solch verlogenes Scheusal sein könnte.«

»Ja,« nahm der Kommissar de Ruyters Worte auf, »Sie hatten keine Ahnung, denn sonst wären Sie ja gewiß sofort hergeeilt …«

»Aber ja! … Diese Frau war ja der einzige Mensch, der mich verstanden hat! Sie wußte, was einer Natur wie der meinigen nottut! Daß ein Künstler sich nicht den allgemeinen Gesetzen so fügen kann wie irgendein Handwerker, im Dasein! … Wenn sie von uns genommen würde, wenn sie stürbe –« er schlug mit einer großen Gebärde die Hände vor sein unbeweglich spitzes Gesicht – »nein! ich ertrüge es nicht!«

Der Kommissar hatte flüchtig zu dem Geheimrat hinübergesehen. Jetzt fragte er:

»Und Sie erfuhren von dem Unglück erst am Nachmittag? … Wir sprachen nämlich schon davon und ich sagte zu dem gnädigen Fräulein: »Wenn nicht eher, so liest Ihr Herr Vetter die Nachricht auf jeden Fall in der Abendzeitung …«

»Ganz recht! … Ganz recht … Ich sitze in Berlin, im Café, mit ein paar Bekannten. Da liest jemand was vor … ›Raubmordversuch auf eine Millionärin – die bekannte Edelsteinsammlung de Ruyter geraubt!‹ Ich bin bald umgefallen vor Schreck! … Ich stürze auf ihn zu – mein Freund, der Graf Sylvester, war es – reiße ihm das Blatt aus der Hand und lese … nein, ich las nicht! Ich konnte ja nicht lesen! … Die Buchstaben tanzten mir vor den Augen … Und erst, wie sie mir dann ein bißchen Kognak einflößten mit Wasser, da fing ich an zu begreifen, da wurd' es mir klar, was für ein furchtbarer Verlust mich … uns, meine arme, liebe Kusine und mich, getroffen hatte …«

»Die Tante lebt ja noch«, flüsterte Thekla abermals, und lauter, fester in der Stimme setzte sie hinzu: »Der liebe Gott wird sie uns nicht nehmen!«

»Ja, das wollen wir hoffen, von ganzer Seele hoffen!«

Wolf Stark wollte weiterreden, doch der Geheimrat unterbrach ihn:

»Und da sind Sie sofort hierher geeilt?«

»Aber ja … natürlich! Wie konnte ich anders! Ich hätte doch unsere arme Thekla nicht allein gelassen! Ich habe ein Automobil genommen und bin hergerast!«

»Irgendwelchem Verdacht …« wollte Dr. Splittericht fragen, doch der junge Herr unterbrach ihn rasch:

»Ich? … Nein! … Keine Ahnung! … Das kann sich nur um einen Räuber und Mörder, um einen Schurken schlimmsten Ranges handeln! Unsere Tante hatte keinen Feind … Ich bin fest überzeugt, sie hat nie in ihrem Leben jemand ein Unrecht zugefügt … Ach, die arme, arme Frau!«

Dr. Splittericht nickte:

»Daß es sich hier um einen Verbrecher von Fach handelt, der Ueberzeugung bin ich auch. Aber … eins ist merkwürdig und wird sicher auch Ihnen zu denken geben, Herr de Ruyter: Der Verbrecher muß nach der Tat mit seinem Raube, der Edelsteinsammlung meine ich und was sonst eventuell noch an größeren Summen im Schrank lag –« Dr. Splittericht sah, während er sprach den jungen de Ruyter an und stellte fest, daß dessen Züge zwar eine starke Spannung, aber weder Furcht noch unsicheres, zweifelndes Zuwarten verrieten. »Der Verbrecher ist nach der Tat nicht, wie man das doch annehmen sollte, zurückgegangen, über den Korridor und die Treppe runter, um möglichst schnell aus dem Hause zu kommen … nein! Er ist umgekehrt, den Gang weiter hinauf, hierher in Ihr Atelier gelaufen, Herr de Ruyter, und von dort hinein, in Ihr Schlafzimmer.«

»Woher wissen Sie das?« fragte Wolf Stark rasch, seine Stimme schwankte weder noch hatte ihr Ton sich geändert.

»Ich weiß noch mehr«, erwiderte der Kommissar:

»Der Täter hat sich hier in diesem Zimmer längere Zeit aufgehalten. Hier hat er seinen Raub erst mal näher besichtigt, hat sich vielleicht am Glanz und Zauber der Edelsteine erfreut, vielleicht auch nur ihren Wert abschätzen wollen.«

»Und wieso wissen Sie das?« Jetzt klang de Ruyters Stimme fast spottlustig.

»Das sagt mir dieser Stein!«

Dr. Splittericht hielt mit rascher Bewegung dem jungen Elegant das dreifarbig strahlende Juwel vor die Augen, so daß Wolf Stark nun doch mit sichtlichem Erschrecken einen halben Schritt zurücktrat.

Doch lächelte er gleich wieder:

»Sie jagen einem ja förmlich Angst ein, Herr Kommissar!«

»Ja, aber wie erklären Sie sich das?« beharrte der.

»Wenn Sie es sich nicht erklären können …« Wolf Stark hob bedauernd die Schultern. »Ich kann es gewiß nicht.«

Der Geheimrat nickte zustimmend, ohne daß er's recht wollte. Wie sollte ein Laie wissen, was so ein gewiegter Kriminalist nicht fand … Er mischte sich jetzt, da ihn der Kommissar mit einem leichten Neigen dazu aufforderte, doch ein:

»Herr de Ruyter kann wohl am wenigsten eine Ansicht darüber haben. Er weiß ja von der Sache erst seit Stunden und tritt jetzt erst hier ein, wo wir uns doch schon seit dem frühen Morgen … das heißt, Sie, Herr Doktor sind ja auch erst ein paar Stunden damit beschäftigt!«

Und der Sprechende sah, daß er den Kommissar richtig verstanden hatte. Dr. Splittericht nickte freundlich.

»Ganz recht, Herr Geheimrat, ich wollte auch nur Herrn de Ruyters Ansicht hören.«

Dann sagte er zu Thekla:

»Den Stein muß ich zu den Akten nehmen, gnädiges Fräulein … Damit darf ich mich wohl vorläufig empfehlen.«

Er verneigte sich. Aber der Geheimrat sagte:

»Wenn Sie noch einen Augenblick warten wollen, Herr Doktor, ich komme mit. Ich will nur noch mal nach der Patientin sehen, und Sie, liebes Fräulein, nicht wahr. Sie begleiten mich?«

Professor Wildner ging voran. Dr. Splittericht folgte, dann schloß sich das junge Mädchen, eine Sekunde zögernd, als hätte sie hier noch irgend etwas zu tun oder zu sagen, den beiden Herren an.

Und hinter ihr ging mit den Worten: »Ich gehe selbstverständlich auch mit hinunter!« Wolf Stark de Ruyter.

Vor der Tür zu Frau de Ruyters Schlafzimmer, das so leicht ihr Sterbegemach hätte werden können, hob der Geheimrat wehrend die Hand. Dann trat er mit Thekla ein und kam, ebenfalls gefolgt von dem schwarzhaarigen Mädchen, nach einigen Minuten wieder heraus.

Nun begleiteten die Verwandten den Geheimrat und den Kommissar bis hinunter zum Eingang, wo sich Wolf Stark hochmütig und kalt, wie zuerst, verabschiedete und Thekla, als fürchtete sie sich, allein zu bleiben, noch einmal den Professor nach allem Möglichen fragte.

Später streckte der junge Ruyter ihr die Hände entgegen:

»Meine arme, liebe Thekla,« sagte er. »das ist ja so furchtbar schwer für dich … Das heißt, für uns beide …«

Thekla, stumm und verlegen, sah an seinen Augen, die ihr kalt und grausam schienen, vorbei ins Leere.

»Wenn ich dich doch trösten könnte, mein armes Kind!«

Er faßte nach ihren Händen; die seinen waren eiskalt.

Thekla entzog sich ihm schnell. Ein Grauen kam sie an. Sie hatte Furcht vor etwas Unsagbarem, Entsetzlichem, das sie näher und näher kommen fühlte und das sie nicht sehen wollte.

»Ich muß zur Tante«, sagte sie gepreßt und eilte die Treppe hinauf.


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