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Als Wolf Stark am Morgen in seinem Hotel erwachte, war es nach neun Uhr. Er hatte tief und traumlos geschlafen und sprang aus dem Bett, wie eben nur ein Mensch von sechsundzwanzig Jahren aus dem Bett springen kann, dem jeder neue Tag ein Eden ist. Er eilte ins Bad, ließ das kalte Wasser über sich brausen und war kaum zehn Minuten danach unten im Speisesaal des Hotels wo ihm sein Frühstück herrlich schmeckte. Dann zündete er sich eine Zigarette an und wartete auf die Verbindung nach Breitenberg, die er beim Herunterkommen gleich bestellt hatte.
Draußen war das schönste Wetter von der Welt. Ein Maientag voller Sonne und heißer Lebenslust, Die hohen Fenster des Saales standen offen und der Maler blickte auf das Stadtbild, das die Potsdamer Straße, wie in einer phantastischen Riesenkamera, vor ihm entrollte … Vom Goldlicht des Himmels überflammt von tausend Geräuschen durchklungen, flossen Menschen und Tiere, Wagen und Gefährte, die sich rastlos durcheinanderschoben, zu einem stupenden, von dem großen Fenster gerahmten Gemälde zusammen, das Wolf Starks Künstlerherz höher schlagen ließ, das seinen Geist zur Arbeit reizte und ihn selbst mit einer lauten Froheit erfüllte.
Wie anders das Nachtbild von gestern! Der weite Platz, von wenig Gestalten belebt, die sich im Dämmer verloren. Wie anders die Nacht überhaupt in diesem Riesenwesen, wenn das Verbrechen aus seinen Winkeln schlüpft und sich unter die Schwärmenden mischt, die dem Schlaf gram sind!
Der Maler war noch mit aufs Präsidium gefahren und hatte dort gehört, daß er, ebenso wie die Goldelse, sich getäuscht hatte in der Person des Verhafteten. Der war ein Mensch, der seit Jahren Hundertmarkscheine fälschte und in Verkehr brachte, ein gefährlicher Schädling, der dem Staate schon Hunderttausende gekostet hatte und der nun einem blinden Zufall, einer glatten Verwechslung erlegen war. Aber damit hatte sich auch gezeigt, daß Wolf Starks Hilfe überflüssig, daß sein Gedächtnisbild von jenem »Amerikaner« nicht klar genug war, um den Mörder wirklich zu erkennen.
Keiner freute sich darüber mehr als der Maler selber! Er hätte es nicht fertig bekommen, dem Kommissar, der ihn wie einen Freund behandelte, den Dienst aufzusagen! Und dabei peinigte ihn ein Sehnen ohne Maßen! Er wollte, er mußte Thekla sehen und mit ihr reden – und wenigstens einmal ihre Hand in der seinen halten!
Der Zug fuhr um elf. Noch zwei ganze Stunden und weitere anderthalb mit der Bahn, bis er die angebetete Gestalt schauen durfte.
Von neuem griff er nach dieser Sehnsucht, hielt sie fest und fragte: ob es denn wahr sei? Kann ein Mensch, der den andern nur ein paar Stunden gesprochen hat, kann er den so lieben?
Er wollte nicht, daß eine rasche Laune, irgendein flüchtiges Gefühl, und mochte es auch noch so brennend und stark sein, über sein und ihr Schicksal bestimmte! Er suchte sich zu überreden, noch hier zu bleiben in Berlin, um diese wie eine Zauberblume aufgeschossene Neigung, auf ihre Kraft und Dauer zu prüfen. Aber er wußte auch in demselben Augenblick, daß nichts auf Erden ihn bestimmen konnte, Thekla freiwillig länger fern zu bleiben!
Da kam der Page und rief ihn an den Fernsprecher.
Das ging schneller, als er gedacht hatte! Wenn nur nicht ein anderer ihn verlangte! Aber wer sollte hier, wo er ganz fremd war …
Nein, sie war es!
Als siede plötzlich das Blut in seinen Adern, preßte ein ohnmächtig süßes und atemraubendes Gefühl sein Herz, da er ihre Stimme vernahm! Und sie sagte doch nichts, als: »Bist du es Wolf?«
Die Stimme klang schüchtern und zag. Seine eigene aber war dumpf, und doch voller Leidenschaft.
»Ja, Thekla, ja … hier Wolf Stark!«
»Ich habe dich angerufen, weil … Tante ist heute zum ersten Male erwacht … Bei Bewußtsein … ja … Ach ich bin so namenlos glücklich …«
Er hörte nur, er wollte nur, daß sie weiterspräche … Was sie sprach … daß die Tante gesund wurde … Ach er war froh! Gewiß! … aber er konnte das nicht trennen … Er hörte nur ihre geliebte Sprache und sah sie, Thekla, wie hinter einem Schleier stehend, ihn erwartend, mit Sehnsucht im Herzen wie er sie trug …
»Du sagst doch gar nichts, Wolf?«
»Ich … Ach ich bin so froh, Thekla … so … Ich komme ja heute noch zu euch? … Um elf Uhr fahre ich … Soll ich denn kommen, ja?«
»Aber ja … gewiß sollst du kommen! … Ich freue mich auch …«
Die Stimme schwieg, als sei sie vor sich selbst erschrocken. Dann kam sie wieder, noch zaghafter:
»Bist du denn schon fertig mit deiner Sache, Wolf?«
»Ja …« Als erwürge ihn sein eigen Wort … er konnte nicht reden …
»Das ist ja … das ist ja schön! Wie war es denn? Aber nicht wahr, das erzählst du mir alles nachher? Es war gewiß sehr interessant, aber auch wohl grausig was?«
Nun hatte sie ihre Schüchternheit überwunden, sprach munter und lebhaft. Und wie er doch immer nur »ja« und »ja, Thekla« antwortete, da fragte sie ihn, ob ihm denn nicht wohl wäre? Er sei doch so einsilbig! Und wie leiser Uebermut klang es, als sie zum Schluß sagte:
»Am Ende gefällt es dir in Berlin so gut? Du kannst ja noch etwas dableiben!«
»Thekla!« sagte er wieder. Und hörte ihr Lachen:
»Ja, was denn?«
»Ich komme.«
»Also, auf Wiedersehen … lebewohl!«
Er stand noch immer, den Hörer am Ohr, als müßte noch ein einziges kleines, liebes Wörtchen mit dem elektrischen Funken zu ihm fliegen. Dann ging er wie im Traum aus der Zelle, trat aus dem Hotel auf die Straße und ging, von unsichtbaren Händen geschoben, die Straße entlang.
Auf einmal ward ihm klar: er mußte ihr, die ihn so ganz erfüllte, etwas geben! Aber was? … Nichts Kostbares, und doch etwas, was er nur geben konnte!
Er sann und sah die Auslagen der Geschäfte an, aber er fand nichts. Zuletzt stand er doch wieder vor dem Schaufenster eines Juweliers. Noch immer ohne Entschluß trat er ein:
»Ich möchte etwas … etwas haben …«
»Der Herr können sich ja ansehen …«
Die geschraubte Form der Anrede fiel aus. Er betrachtete das lächelnde Gesicht der eleganten Verkäuferin mit leerem Blick.
»Für eine Dame, nicht wahr? Einen Ring vielleicht?«
Sie nahm aus der Vitrine dunkelrote Samtkissen und kleine Etuis heraus. Es blitzte und schimmerte in den schlanken, gepflegten Händen von Gold und Juwelen. Ein Kissen hatte sie irrtümlich herausgenommen. Lächelnd wollte sie es wieder wegstellen.
»Das sind Verlobungsringe!«
»Ach, einen Augenblick!«
Wolf Stark griff danach. Da stak ein Ring im Purpursamt. Der war aus grünlichem Gold, wie eine Rosenranke gearbeitet, zwei Knospen daran aus Rubinen.
»Der Ring ist eigentlich schon so gut wie verkauft. Der Herr wollte es sich nur noch überlegen. Der Preis schien ihm zu hoch«
»Was kostet er?«
Die Verkäuferin nannte den Preis.
»Und ich kann ihn bekommen?«
»Aber bitte mein Herr!«
Als der Maler wieder auf die Straße trat und zu der Bahnhofsuhr hinausblickte, war es ein viertel vor Elf. Er mußte eilen, um rechtzeitig zum Zuge zu kommen.
Auf der Fahrt las er, trank ein Glas Wein im Speisewagen, stand rauchend im Gange und konnte es nicht fassen, daß ein Mensch, den es mit allen Sinnen vorwärts reißt, so schnell oder so langsam wie jeder andere fahren soll.
Aber als er in Breitenberg ankam, war seine ganze glühende Passion in Angst und Mutlosigkeit verwandelt. Wie wenn er sich irrte? Wenn er Thekla nicht mehr bedeutete wie ein Verwandter, der außerdem ein leidlicher Mensch ist, mit dem man sich zeigen kann? … Mußte denn sie dasselbe empfinden wie er, der seine leicht entflammte Seele so gut kannte, daß er ihr selbst in all seiner Begeisterung immer wieder mißtraute?! Hatte sie ihm etwa den Beweis einer Neigung gegeben?
Sie war freundlich gewesen, weil sie überhaupt ein gütevolles, liebenswertes Wesen hatte. Sie hatte mit ihm gescherzt, hatte Interesse an seinen kleinen Abenteuern im fernen Lande bewiesen; ja, ihr liebes Gesicht hatte einmal – er glaubte das wenigstens bemerkt zu haben – den Ausdruck gehabt, als bange sie sich an irgendeiner harten Ecke seines Vagabundenlebens um ihn … Aber was wollte das sagen! Daraus kann man doch nicht folgern, daß man wiedergeliebt wird von einer Frau, die einen kaum kennengelernt hat!
So sank Wolf Starks hoher Mut wie eben noch himmelan loderndes Feuer ganz in Asche. Doch als er dann wieder daran dachte, wie sie ihm gleich geglaubt hatte, daß er der wirkliche Wolf Stark de Ruyter wäre, wie sie für ihn eingetreten war und sich dem Amtsvorsteher entgegengestellt hatte, als der ihn verhaften wollte – da hoffte er wieder ein bißchen.
Er faßte nach dem kleinen Lederetui in seiner Jackettasche. Würde sie den Ring von ihm nehmen? War er nicht zu kostbar für ein erstes Geschenk?
Er wußte ja so wenig von den gesellschaftlichen Regeln, die im alten Lande galten!
Wenn er überhaupt nur den Mut finden würde, ihn ihr anzubieten …
Als er in das alte Haus am Marktplatz trat, traf er Thekla in der Halle. Aber ihr schönes Gesicht hatte einen unglücklichen, leidvollen Ausdruck.
»Eben haben sie diesen … diesen … wie hieß er doch?«
»Dittrich?«
»Ja, den haben sie eben abgeholt. Denke doch bloß … mit einem solchen Menschen haben wir jahrelang unter einem Dache gewohnt! … Aber komm, Wolf, du wirst hungrig sein!«
»Nein, ich bin nicht hungrig.«
Er sagte es einsilbig und tonlos.
»Was ist dir denn?« Sie blickte ihn besorgt an. »Du bist doch nicht krank? … schon vorhin am Telephon warst du so sonderbar?«
»Nein«, sagte er und hatte wieder das würgende Gefühl. »Ich bin gar nicht krank, absolut nicht … mir ist nichts …«
Dabei sah er sie an, wie ein Ertrinkender, der verzweifelt um Rettung fleht.
Da begriff sie. Sie wurde dunkelrot. Wandte sich und sagte viel leiser:
»Komm doch rein … Wir können doch hier nicht stehenbleiben …«
Sie trat vor ihm in den Salon. Und ging ans Fenster als wollte sie dort etwas ordnen.
Er blieb am Tisch.
Sie sagte, halb mit dem Gesicht nach dem Fenster:
»Du bist aber doch so ernst, Wolf … so feierlich … Gestern warst du viel lustiger …«
»Ja … manchmal ist man so …«
Sie lachte, aber ihr Busen hob sich schneller.
»Ich dachte Wunder, was du nur zu erzählen hast … und nun sagst du gar nichts! …«
Sie fühlte selbst die Aufforderung, die darin lag und wollte sie schnell vertuschen. Hastig sprach sie weiter … Sie hätte inzwischen lauter Unannehmlichkeiten gehabt, ihre Zofe habe ihr gekündigt … die kleine Lilli ja … und daran wäre auch dieser Mensch schuld … der Tote. Der hätte dem Mädchen den Kopf verdreht, sogar die Ehe hätt' er ihr versprochen.
»Der Dittrich?«
Ja, er wäre hinter jeder hergewesen! Keins von den Mädchen hätte er in Frieden lassen können. Tante Amaranth war ja deswegen ganz mit ihm zerfallen …
Warum sagte sie ihm das alles? Doch nur um zu verhindern, daß er redete! Daß er ihr sagte, was er dachte und fühlte! Und mit fast böser Stimme fragte er: »Hat er dich etwa auch geliebt, der Mensch?«
Sie zuckte zusammen und konnte nicht antworten.
Er begriff. Rasch trat er einen Schritt näher.
Sie wandte sich um, sah ihn an.
»Was!« Seine Augen loderten, die Nasenflügel spannten sich und seine Züge wurden wie Eisen:
»Dieser – dieser … So ein erbärmlicher Mensch! Sage doch, Thekla, was … was war?«
Er tat ihr leid. Darum zwang sie ihren Stolz, der keinem erlauben wollte, sie, die nichts Unrechtes getan, nach ihren Handlungen zu fragen.
So blieb sie ganz ruhig:
»Was glaubst du von mir?«
Da ließ er die Arme sinken und senkte sein Gesicht, das fahl und schlaff wurde, zu Boden. Aber plötzlich dachte er an den Ring. Und ohne die Ueberlegung, daß der Augenblick für ein Geschenk so gar nicht der rechte war, sagte er dumpf und traurig:
»Ich hab' dir was mitgebracht aus Berlin, Thekla. Willst du es von mir nehmen?«
»Was ist es denn?«
Er gab ihr den kleinen Lederbehälter.
Sie öffnete, dann rief sie überrascht:
»Aber das ist ja ein Verlobungsring!«
Das Wort war von den Lippen, noch ehe sie es ausgedacht hatte. Nun war es nicht mehr zurückzuholen.
Er blickte in ihre Augen und sie in die seinen. Da begann sie zu zittern.
»Thekla …«
»Ja … Wolf … lieber Wolf … ach, laß mich!«
So fest hatte er sie in seinen Armen, so feuerglühend brannten seine Lippen auf den ihren und so gewaltig war der Drang seiner Leidenschaft, daß ihr Wille aufging in seinem wie eine leichte Seidenflocke in einer hohen Flamme …