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Die »Schmetterlingsschlacht« war eines jener Nachtlokale letzten Stils, in denen satte und gutgekleidete Leute sich an Sekt und an der kreischenden Laune von ballmäßig kostümierten Mädchen ergötzen. Manche sind schön, viele graziös, und fast alle verblüffend elegant.
Der Raum selbst leuchtete und strahlte in Weiß und Gold. Amoretten ließen Rosenketten vom Plafond zu den Wänden niedergleiten und in den Bronzeranken blühten, glühten, leuchteten hundert und aber hundert elektrische Lichter. Eine Estrade, die bienenzellengleich kleine Nieschen aneinandergliederte, lief um den engen Tanzkreis, von dem weiße Schultern lockten und das Lachen der geschminkten Lippen herüberklang. Schmiegsame Frauenleiber wanden sich in schillernden Gewändern, der ganze Rhythmus junger, reizender Glieder ward aufgeboten, trunkene Sinne aufzupeitschen, um selbst wieder einen Tag länger in dieser trügerischen Scheinwelt verbleiben zu können.
Wolf Stark de Ruyter hatte solche »Schauen« in Amerika, bis ins Riesenhafte und Verrückte gesteigert, gesehen. Dort gab es öffentliche und geheime Tanzbars; aber selbst die öffentlichen waren so zügellos, daß nur der übertriebene amerikanische Geschmack den Aufenthalt dort vertrug. Zwar die öffentliche Moral war drüben strenger als im alten Lande und die Polizei schien argwöhnisch über die Befolgung der Sittengesetze zu wachen – nur daß meistens der Polizeimajor des Distrikts seine Prozente vom Sekt- und Weinverkauf des Lokals bezog und deshalb die Bar als nicht zum Distrikt gehörend und damit auch als nicht überwachungsmöglich erklärte.
Den jungen Maler packte an solchen Stätten immer der gleiche Jammer: er sah das Schicksal all der künstlich oder von Natur blühenden Gesichter, voraus und ihn erbarmte die vergoldete Not der armen Mädchen, die Jugend und Anmut hinschleuderten für jämmerliche Stunden des Rausches.
Da erblickte er in einer der Nieschen Goldelse, umgeben von einem ganzen Kreis von Männern und Frauen. Neben ihr saß einer, bei dessen Anblick ein wildes, drängendes Gefühl in dem Maler aufkam …
Das … das war der Mörder!!
Zur gleichen Zeit traf sein Ohr ein Hüsteln …
Er faßte krampfhaft nach Dr. Splitterichts Arm:
»Herr Kommissar, das ist er!«
»Welcher denn?«
Sie standen in der Nähe des Eingangs, der in seiner Verlängerung durch die Logenbrüstungen den Zugang zum Tanzkreis bildete.
»Der links neben Goldelse!«
»Der Blasse?«
»Ja, der!«
»Bleiben Sie ganz ruhig hier stehn! … Ich will Braun anweisen –« (Der hatte sich draußen auf der Straße vor dem Hause postiert, das, wie man sich überzeugt, nur diesen einen Ausgang nach den Linden zu hatte) – »daß er vom nächsten Revier ein paar Beamte hertelephoniert!«
Der Kommissar zog sich zurück. Wolf Stark nahm in der Nebennische, die eben leer wurde, Platz und bestellte bei dem sofort auftauchenden Kellner eine Flasche Champagner. Hin und wieder verdeckten ihm die Tanzenden die Aussicht auf jenen etwas schräg gegenüberliegenden Tisch. Aber hinausgehen – ohne von ihm gesehen zu werden – konnte trotzdem niemand; der Logengang von jener Seite mündete gerade an seiner halboffenen Nische. Die beiden Hälften der Logenreihe aber schied das riesenhafte, von geschliffenem Glas und Silber funkelnde Büfett, von dem die Kellner die Getränke und Speisen holten. So war auch der Abgang der Gesellschaft, die der Maler beobachtete, nach der andern Saalseite, nicht möglich.
Jetzt sah er sie wieder, die herrliche Blonde. Den Kopf über die klassische Schulter gelehnt, die Lippen halb geöffnet, schmachteten sie den Bleichen an. Abscheulich und doch bewunderungswürdig war sie, diese goldhaarige Dirne, die wie eine kalte, glitzernde Schlange nach dem Verratenen züngelte, ihn betörte und mit ihren lockenden Lippen aufhielt; die das Mitleid nicht kannte, nicht einmal mit denen, die, wie sie selber, verfehmt und geächtet waren.
Der Maler studierte die Züge des Mannes, der für Goldelse eben ein Netz voll der kleinen bunten Bälle kaufte, die überall im Saal umherflogen und so gefällig neue Beziehungen anbahnten. Wolf Stark strengte sein Gedächtnis an, holte aus der tiefen, verstaubten Vergangenheit das Momentbild jenes Menschen im Zimmer des Eduard Dittrich in New York hervor und gab sich alle Mühe, es festzuhalten in seinem Geiste: ja, das war jener widerwärtige Mensch! … Eben jetzt, wo die Musik schwieg und die Mädchen wie helle Schatten von dem spiegelnden Parkett des Tanzkreises verschwanden, klang der Husten wiederholt und häßlich herüber …
Der Kommissar kam zurück, gefolgt von Braun, der nun den Eingang flankierte.
Dr. Splittericht ging hinter den Logen herum. Der Maler wollte ihm folgen – er winkte ab.
Wolf Stark sah ihn mit freundlichem Nicken in die Loge treten und sich an Goldelses Nachbar wenden.
In demselben Augenblick war der Blasse, kaum die Faust auf den silberfarbenen Plüsch der Brüstung stemmend, über die Schranke hinweg und zwischen den Tanzenden.
Die Mädchen kreischten, wie Papageien!
Ein Kellner fiel mit einem Silbertablett voll buntschillernder Gläser! Und neues Geschrei und Gezeter! …
In der drängenden, stoßenden, vom Schreck gepreßten Masse sah man den Flüchtigen nicht! Da tauchte er plötzlich wie aus schaumigen Wellen am Ausgang aus dem Wirbel. So schlüpfte er davon, doch nur bis zu der weißlackierten Tür, wo neben einem goldprotzenden Schweizer der Hüne stand.
Da der Flüchtige, nicht etwa hastig und in Angst, nein, als habe er von dem Lärm und Geschrei nun genug und strebe still nach Hause – als er so durch die weißlackierte Klapptür wollte, fand er sich auf einmal in den Armen des Wachtmeisters, der ihn wie in Stahl und Eisen hielt, bis Dr. Splittericht heran war und ihn fesselte.
Von der nachdrängenden Menge umstaunt und begafft, wollten die Beamten ihren Fang eben in Sicherheit bringen, als eine Schöne, eine Rothaarige mit weißem Busen aus silbernem Tarlatan, an den Maler herantrat, den sie wohl auch für einen Polizisten hielt, und ihm eine stark gefüllte Ledertasche gab:
»Das hat der da eben weggeschmissen!«
Der Kommissar bekam die Tasche, sah hinein und blickte den Verhafteten an: dann pfiff er symbolisch und sagte:
»Sie sind das! … Na, einerlei! … Kommen Sie nur!«
Des Malers bemächtigte sich eine Unruhe bei den Worten des Kommissars … In dem Moment tönte auch das Husten wieder, aber aus der Loge drüben, die Goldelse jetzt mit einem älteren, verlebt aussehenden Menschen allein festhielt, der eben sein Tuch an die Lippen preßte, um einen neuen Anfall zu unterdrücken.
»Der hier hustet ja gar nicht!« sagte Wolf Stark leise:
»… das ist auch nicht der, den wir suchen … Dafür aber einer, hinter dem die Behörden jahrelang her sind. Ein schon fast sagenhaft berüchtigter Falschmünzer! Kommen Sie nur, Sie erfahren das im Wagen!«
Ein paar Neugierige kamen noch mit bis hinaus auf die Straße. Helle Toiletten und weiße Gilets leuchteten für Augenblicke in der Mainacht, die so viele nicht schlafen ließ. Von den Baumgängen und Wegen unter den großen Lichtkugeln eilten die Schaulustigen. Doch das Automobil schluckte die vier Männer, von denen einer gefesselt war, auf und huschte davon in die dämmernde, von dem Brausen der Stadt, die niemals einschläft, erfüllte Nacht …