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15.

Seit jener Nacht mochten etwa fünfthalb Monat ins Land gegangen sein; der frische Herbstwind blies das welke Laub von den Bäumen und wirbelte es scherzhaft unter die kreisenden Paare auf dem Tanzplatz, welche trotz des herberen Oktobers ihren Nachmittag im Freien verwalzten. Es waren Hochzeitgäste, die sich hier tummelten, und es ging wieder gar hoch her. Aber nicht jenes Paar, welches den Böswirt mit heißen Tränen und auf den Knieen rutschend angefleht hatte, er solle es zusammengeben, sondern des Grubenbauers Seph war heute früh mit der Tochter eines in der Nähe des Dorfes seßhaften reichen Einödbauern vom Pfarrer eingesegnet worden. Auf ihr Wohl stieß man die Gläser zusammen, ihretwegen johlte die Klarinette auf und nieder und wühlte der Brummbaß in rücksichtslosen Taktfiguren.

Wie die Freude so recht im Zuge war, kam der Herr des Hauses über den Hof dem Tanzplatz zugeschritten. Sein Aussehen war wenig oder gar nicht verändert, sein feister Kopf so kugelrund und blutrot wie vordem, seine Schultern saßen so hoch wie immer, höchstens die Unterlippe schien noch etwas schwerer als gewöhnlich. Wie gewöhnlich grüßte er die Gäste, wie gewöhnlich ward er von ihnen wieder gegrüßt, tat aus ihren Krügen Bescheid, wie's Sitte war, und setzte sich wieder wie vor alter Zeit, vielfachem Zureden entsprechend, auf den Ehrenplatz am Tisch der Brautleute.

»Vivat der Herr Vetter! Vivat der Herr Wirt! Vivat sein ganzes Haus!« Und die Krüge stießen meist ziemlich unsanft rundum aneinander, daß der braune Saft über den Rand spritzte. Der Böswirt tat einen guten Schluck, setzte den Krug nieder, und sich den ergrauenden Schnurrbart streichend, ließ er die trotzigen Augen um sich gehen.

Was gerade vor seinem Gesicht sich breit machte, das erreichten seine Blicke zuletzt, aber, einmal dort angelangt, blieben sie lange fest und grimmig darauf haften. Da stand der Baßgeiger auf dem alten Platz wie immer bei solchen guten Gelegenheiten, jedoch sein Aussehen war nicht das wie allezeit vordem, sondern ausgewechselt ganz und gar. Seine sonst mumienhaften regungslosen Züge pulsierten, freudige innere Erregung verratend, munter auf und ab; die sonst so mechanisch gleichmäßigen Ellbogen wirtschafteten mit wahrer Virtuosenungezogenheit über dem riesigen Instrument hin und her, das in knurrender Verwunderung darob die absonderlichsten Töne ausstieß. Auf dem Haupte des Musikanten hatte eine funkelnagelneue nußbraune Perücke den ehrwürdigen Platz ihrer ein Vierteljahrhundert alten Vorgängerin eingenommen; einem Siegeskranze vergleichbar sah sie mit kokett gedrehten Stöpselzieherlocken spitzig und herausfordernd in die Welt.

Lange musterten des Böswirts Blicke diesen Bekannten; er schien sich auf viel und mancherlei zu besinnen wie im Traum; da bohrten die beiden Alten ihre Augen ineinander, und der Böswirt erwachte aus seinem Träumen. Ein grünlich blitzendes Feuer stach ihm hier entgegen, und die grinsende in allen Windungen ausgelassener Schadenfreude zitternde Larve des Geigers überraschte sein Herz so bitterlich, daß er die Blicke abwendete und nach einem zweiten tiefen Zug aus seinem Krug aufstand und den Tanzboden verließ.


Das war vor fünf Jahren gewesen.

Seit jenem Nachmittag hatte, trotz allem Jubilieren und Raufen seiner Gäste, der Böswirt nie mehr den Tanzplatz mit einem Fuß betreten bis auf den heutigen Tag, da er im still kochenden Zorn sich auf einen Augenblick vergessen hatte.

All das, was wir hier aus alter Zeit nachholend erzählten, und wohl noch viel anderes mehr flog mit Windeseile durch sein glühendes Hirn, als er jetzt, von der argen Rede des Hachingers aufgehetzt, mit hoch aufgezogenen Schultern und geballten Fäusten den Umweg um die Rundung des Tanzbodens nahm und mit vorsichtigen Schritten nach seinem abgesonderten Gärtchen ging.


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