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6.

Unter allen diesen freudestrahlenden Gesichtern war nur eines, dessen Nase hoch über dem Jubel hausbackener Seelen stand. Es gehörte dem alten Musikanten, der den Brummbaß strich. Die Spielleute waren zum größern Teil aus dem Marktflecken der Braut mit herübergekommen, und auch er, der Grimmige, der nach Landessitte mit seinen mächtigen Tönen, den Taktstock ersetzend, die Bande in rhythmischem Gleichgewicht hielt, gehörte jener entfernteren Ortschaft an. Er stand in souveräner Stellung, abgekehrt von dem enger sitzenden Orchester, steif und starr an der linken Ecke des für die Musik eingerichteten Holzverschlags, und indem er unbekümmert um der anderen Tun und Treiben auf den dicken Saiten seiner Riesengeige hin und her fuhr, sah er fortwährend auf die Bretterwand, der er ein Gesicht schnitt wie drei Tage Regenwetter. Unter der verschossenen Perücke, die für seinen Kopf merklich zu groß war, starrten seine Züge reglos wie ausgestopft hervor, nur zuweilen befiel seine hagere Nase ein leises Zwinkern, und seine aufgerissenen Augen drehten sich nach dem Brauttisch zu seinen Füßen. Sobald er dann wieder in seine monumentale Stellung zurückgekehrt war, schlug er unversehens mit dem starken Rücken seines Fiedelbogens einen kleinen magern Jungen, der neben ihm auf einer Violine kratzte, an den Hinterkopf. Diesen Jungen hatte er auch, sobald ein Tanz zu Ende war, flugs an den Ohren, wenn er über seinem halb träumenden, halb bewundernden Hinausstieren in die bunt durchwogte Welt aus dem Tanzplatze vergessen hatte, sich eiligst auf die Beine zu machen, um für seinen Meister dort einen Flügel vom Truthahn, hier eine Portion Braten, hüben ein Stück Kuchen oder drüben eine Nudel einzuheimsen.

Keineswegs, daß die Musikanten in des Böswirts Hause Hunger gelitten hätten, aber alle Leckerbissen, die der Kleine dem Alten zutragen mußte, verschwanden, soweit sie Fleischspeisen waren, in einer abgedankten Botanisierbüchse, der trockene Teil, wie Kuchen, Brot und dergleichen, in einem schmutzigen Geigensack von grobem grünem Zeuge. Bisher hatte der alte Geiger in der Sorge für die künftigen Wochen weder sich noch seinem Pflegling einen ordentlichen Bissen gestattet, was bei beiden den Hunger und außerdem noch beim Jüngern die Zerstreutheit, beim Ältern den boshaften Humor aufs unleidlichste steigerte.

In diesem Zustande mehrten sich die falschen Griffe des Violinisten, wie die strafenden heimlich ausgeteilten Hiebe des Bassisten an den unaufmerksamen Kopf des ersteren, die dieser regelmäßig mit unfreiwilligem Vornicken schweigend und geduldig hinnahm.

Die Musikanten schleiften eben einen gar gemütlichen Ländler und der Junge guckte in gedankenloser Trübseligkeit, wie sie einem fünfzehnjährigen Taugenichts gewöhnlich eigen ist, auf einen breiten stämmigen Burschen, der mitten im Kreise der Tanzenden sowohl durch die Kraft und Zierlichkeit seiner eigenen Erscheinung, als durch den sorgsam zur Schau gestellten Staat seiner backenroten Gefährtin die allgemeine Bewunderung an sich zu fesseln verstand. Im selben Augenblick aber wurde auf die Tafel der Brautleute ein riesiger Hecht gestellt, der, wie zum Hohne, dem verzweifelt hinüberschielenden Perückenmann eine langgeschwänzte Gelberübe entgegenstreckte, so man ihm zierlich in den Rachen gepflanzt hatte. Da fuhr der alte Neidhart wupp wupp mit einem gar energischen Strich über das tief aufknurrende Instrument herunter, und heida hurtig flog der schwere Fiedelbogen mit einer also empfindlichen Gelenkigkeit an den durch das fortwährende Schlagen angeschwollenen Hinterkopf des armen Buben, der soeben nicht einmal falsch gegriffen hatte, daß er einen vor Schmerz und Überraschung laut ausgestoßenen Schrei nicht unterdrücken konnte und zugleich durch die heftig zusammenzuckende Bewegung seines Leibes zu allgemeinem Schrecken das Umschlagen des Geigenstegs verursachte, der denn auch mit lautem Knall vom Resonanzboden sprang.

Im selben Moment sauste vom Hochzeitertisch eine Semmel dem alten Geiger dergestalt an den Kopf, daß er schleunigst nach der Perücke griff und darüber gar nicht bemerkte, wie der Böswirt in all seiner zornigen Breite vor ihn getreten war. Der aber ließ sich nun also vernehmen: »Spitzbubenmusikant, verdammter! Hab' ich dir doch lang zug'schaut, bis ich dich endlich derwischt hab'! Was schindst du denn den armen Narren in einem fort?«

Der Alte wollte sich nun barsch vernehmen lassen, wie der Kleine ein gottverlassener Schelm sei, der unserem Herrgott den langen Tag und ihm das sauer verdiente Brot abstehle, und wie er endlich mit seinem Untergebenen und Stiefkind anfangen könne, was ihn gut und recht dünke. Da aber seine Rede zwischen kecklicher Brutalität und furchtsamen Entschuldigungen unsicher hin und her schwankte, so reizte er nur die Hartnäckigkeit des Böswirts, ohne dessen Verstand im geringsten zu überzeugen. Mit seiner sichern Faust griff dieser über die Brüstung ins Orchester, und indem er den verdutzten Jungen an der Schulter aus dem Bereich seines Quälers zog, rief er mit entschiedener Stimme: »Wart', ich will dir, du Lump von einem Landstreicher! Ich zeig' dir, wer Herr ist auf meinem Tanzboden! Und du, Bub', da zu mir setzst dich her und bist lustig und fidel, und da iß und da trink und verzähl' uns, wo du her bist und wo du hing'hörst. Und wenn der Herr Perückenhansel noch einen Muckser tut, nachher will ich ihm die Ohren auskehren, daß er bis zum Jüngsten Tag keine Baßgeig'n von einer Klarinett'n unterscheiden soll!«

Während ein Kreis von Lachern sich um den Tisch der Brautleute drängte, tat der Geigersbub', welchen der Böswirt mit gebieterischer Liebenswürdigkeit auf einen Stuhl neben sich genötigt hatte, was ihm geboten war; er aß drauf los wie einer, der Fisch und Braten nur vom Riechen her kennt, und dabei rannen ihm fortwährend die lichten Tränen in den Teller, so daß er all das Gute, was ihm der unerwartete Wohltäter vorsetzte, durch sein eigen Leid und seine eigene Freude buchstäblich versalzte. Mit dem Trinken ging's schon bedeutend scheuer und mit dem Reden anfangs gar nicht. Bei dem mürrischen Musikanten hatte er sich den Gebrauch seiner Zunge ziemlich abgewöhnt und jetzt drückten ihm Überraschung, Freude und zu allermeist die Angst vor den Schlägen, die ihm heut noch zu Bett leuchten würden, die schluchzende Kehle zu.

Der Böswirt aber ließ sich die Mühe nicht verdrießen und brachte endlich heraus, daß er Florian heiße, daß er wohlhabender Leute Kind gewesen sei, daß aber seine Eltern durch allerlei Mißglück erst verdorben und dann beide gestorben seien, worauf ihn vor drei Jahren seiner Mutter Bruder zu sich genommen und in der Geigerei unterwiesen habe bis auf den heutigen Tag. Mit diesem ziehe er auf Hochzeiten, Kirchweihen und Märkten herum, wo's etwas zu verdienen gebe, daheim bestelle er das niedere Hauswesen, während der Alte die Küchensorgen trage. Einen kleinen Nebenverdienst gewähre der heimliche Handel mit abgeschriebenen Liedern und gedruckten Geschichtenbüchlein von der schönen Melusine, vom bayrischen Hiesel und anderen dergleichen. Auch ließen sich viele Bauern von ihm und seinem »Vater,« wie er den brutalen Knauser heißen mußte, die Haare schneiden.

All dies zu erfahren, brauchte es ziemliche Zeit, denn der Junge war verschüchtert wie ein verschlagener Jagdhund. Einmal aber zutraulich geworden, gab er auf alle Fragen höfliche wohlgesetzte Antworten; nur als ihn der Böswirt mit lauter Stimme, daß es der vergrimmte Baßgeiger hören sollte, fragte, wie oft er des Tags geschopfbeutelt und in der Woche geprügelt werde, schlug er die Augen nieder und schwieg, während heiße Schamröte in seine Wangen fuhr.

»Frag' ihn einmal morgen!« brummte der Perückenmann, den das Hohngelächter der Umstehenden aus seiner kalten Fassung brachte, halbverständlich zwischen den Zähnen heraus. »Frag' morgen! Vielleicht helf' ich ihm aufs Gedächtnis, wenn wir heimkommen.«

»Was heimkommen?« schrie ihn der Böswirt an, »wer heimkommen? Nix heimkommen! Jetzt, Bub', nimm du deine fünf Sinn' zusammen und gib eine vernünftige Antwort. Der sagt, du bist ein Lump, der unserm Herrgott den Sonnenschein stiehlt; mir aber scheint's, er ist ein Lump. Du aber, du g'fallst mir, und wenn du in mein'n Dienst treten magst, dann kriegst deine ordentliche Kost, rechtschaffenen Lohn und Schläg' nur, wenn du's verdienst. Zum Geigen kann ich dich freilich net brauchen in mei'm Haus, aber mit Gottes Hilf' mach' ich dich zu einem rechtschaffenen Kameraden, da ist mir nicht bang drum. Magst du nicht, so soll mir's auch recht sein; was dir aber bei dem dort blüht, das kannst erfragen, wenn du deinen malträtierten Kopf an den halb ausg'rissenen Ohren nimmst.«

»O, du mein Jesus!« schrie nun der Junge, der bald blaß, bald rot wurde, laut auf und schlug wie bittend die aufgehobenen Hände ungeduldig zusammen. »Ich will gar keinen Lohn, und wenn ich alle Tag den Boden putzen und den Stall kehren müßt', und wenn ich die allerschlechteste Arbeit tun müßt', ich will alle Nacht zwei Stund' für Euch beten; tut's mi nur von dem weg, nur von dem weg!«

»Also!« rief triumphierend der Böswirt, und der Baßgeiger schrie: »Von mir aus kannst ihn heiraten, Wirt, im Fall d' magst. Mir soll's recht sein, wenn mir das Früchtel für alle Zeit zehn Schritt vom Leib bleibt!«


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