Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

5.

Es mochten nun etwa dreizehn Jahre her sein, der Böswirt hatte noch kaum über die Vierziger hinaus gesehen und war ein gar stattlicher und lustiger Herr, der noch gern ein Glas unter seinen Gästen trank und auch von diesen gern mit Tische gesehen wurde, wenngleich jedermann zugab, daß mit ihm nicht zu streiten wäre.

Seine Frau war kaum zwei Jahre nach der Geburt ihres einzigen Kindes gestorben, und der Witwer hatte sich trotz seines umfangreichen Hauswesens aus mehrfachen Gründen entschlossen, nicht zum zweitenmal in den heiligen Stand der Ehe zu treten. Vor allem ging es ihm zu Herzen, daß alle Welt laut aussagte, er habe seine gute schüchterne Resi durch sein ewig barsches Wesen, durch sein Schreien, Rumoren, Plagen und auch Prügeln unter die Erde gebracht. Wenn nun trotz alledem nicht zu zweifeln erlaubt ist, daß sich manch eine gefunden hätte, die es in der stattlichen Wirtschaft gar gerne mit allen schlechten Eigenschaften des Böswirts aufgenommen hätte, so war des kränkenden Geredes über sein Gebaren gegen die verstorbene Frau doch so viel gewesen, daß er am Ende selbst daran glaubte, er habe der Resi das Leben verkürzt, was natürlich in seine Sprache übersetzt so lautete, daß eine Frauensperson ein viel zu zimpferliches schwaches Geschöpf sei, um mit einem gerechten aufrichtigen Manne hausen zu können, der frisch wie er von der Leber weg rede. Ein anderer Grund, ihn von einer zweiten Ehe zurückzuhalten, war der, daß er sich in seiner Art, von allen Dingen das Schlechteste zu glauben, unter einer »Stiefmutter« eine leibhaftige Teufelin vorstellte, vor deren Ränken und Quälereien er sein liebes Urscherl bewahren wollte. Damit nun diese nicht auch so eine leichtzerbrechliche, so eine »gläserne Mamsell« werde, beschloß er, sie, die bei der Mutter Tode doch schon so weit gediehen war, daß sie gehen und sprechen konnte, selbst und allein aufzuziehen, und zweifelte dabei nicht, daß sie, von Jugend auf an seine Art sich auszudrücken gewöhnt, dereinst an der Seite des gerechtesten aufrichtigsten Mannes nicht zusammenbrechen werde.

Das Mädel gedieh auch in der Tat gar lieblich und erfreulich und war in einem Alter von zehn Jahren ein helläugiges hoch aufgeschossenes wildes Ding, dessen rotblonde Zöpfe selten ruhig herabhingen oder sittig aufgesteckt waren, sondern meist um die springende singende Person in der Luft herumflogen. Sie ging wenig im Schritt, sondern lief oder tanzte lieber, es war denn, daß es geregnet hatte, wenn sie aus der Schule kam, wo sie dann mit vergnüglicher Fürsicht langsam durch die Mitte der Regenlachen watete, oder aber, daß es galt, irgend einem frechen Buben, der auf des Vaters Misthaufen herumtrampelte, unversehens einen Stoß beizubringen, daß er von seiner angemaßten Stellung jählings herunterkugelte.

Wenn nun der Vater auch zur Genüge mit dem Stecken dreinschlug, so oft es zu toll wurde, so hatte er doch im Grunde seiner Seele seine Freude daran, daß sein Kind »so gar nicht krank« war. Auch verstand er sein Geschäft und seine Wirtschaft meisterlich zusammen und im Schwung zu halten, und wenn es auch zuweilen vorkam, daß ein Knecht oder eine Magd, die er zu arg mißhandelt hatte, freiwillig von seinem Hofe wanderte, so ließen sich die meisten doch lieber heut' ein derbes Abschnauzen, übermorgen einen wohlangebrachten Puff gefallen, ehe sie ihren Dienstherrn aufgaben, der, genau betrachtet, doch ein wackerer Mann war, der für sein Gesinde jederzeit einstund, wann's not tat, und an Tagen festlicher Freude sowohl als in Wochen und Monaten der Krankheit und Bedürftigkeit einige Gulden über den gewöhnlichen Lohn nicht ansah. Seine Gäste hatten sich nicht nur an seine rauhe Art, mit ihnen zu verkehren, gewöhnt, sondern faßten seine Grobheit von der humoristischen Seite auf. Besonders wußten es ihm die Kleinen von den Seinen zur Ehre anzurechnen, daß das letzte Beichtkind in der Gemeinde für sein gutes Geld nichts Schlechteres bekommen durfte als Seiner Hochwürden der Herr Pfarrer, und Seiner Gnaden der königliche Herr Landrichter nichts Besseres als der jüngste vielgeprüfte Rechtspraktikant.

So war denn der Böswirt bei allen seinen täglichen Zornesausbrüchen im Herzen gar lustig und mancher guten Dinge voll, und saß gern anfeuernd und aufheiternd mitten unter seinen Gästen, wenn's einmal festtäglich und hoch herging.

Es mochten nun etwa, wie ich schon gesagt habe, dreizehn Jahre her sein, da feierte der Hobelmayer, einer der reichsten Bauern der Ortschaft, beim Böswirt seine Hochzeit, und vom erleuchteten Tanzplatz schollen der Brummbaß und die Klarinette laut aufjauchzend und blindwütend in die lustige Nacht hinein. Um die sechsunddreißig Tragbalken des wohlgeschmückten blauangestrichenen Tanzbodenhimmels rankten sich mächtige Gewinde von Tannenreisig, von denen lange blau und weiße Bandstreifen über den lachenden Häuptern der tanzenden Paare in den durch ihr Toben erschütterten Abendlüften flatterten. Die jungen Bursche schrieen und juchheiten, stampften mit den Absätzen den Boden, schlugen mit den flachen Händen auf Schenkeln, Waden und Fußsohlen klatschend den Takt und sprangen in den überraschendsten Kapriolen gleich wahnsinnig gewordenen Planeten um die sich ruhig in engem Kreisel um sich selbst fortdrehenden Sonnen ihrer Wahl herum, bis sie diese plötzlich an Hüften oder Händen faßten und nach Möglichkeit in die mannigfaltigen Bewegungen ihrer rüstigen Lust verflochten.

Um die Tanzenden in der Runde herum saßen an kleinen Tischen die Alten bei Bier und bei Punsch. An einer großen blendend weiß gedeckten mit drei mächtigen Rosenbüschen gezierten Tafel, dem Brummbaß zunächst, pflegten die Eltern der Brautleute mit deren nächsten Freunden und Verwandten, darunter der Böswirt selbst, ihres vergnüglichen Leibes.

Derweil die flinke Jugend so hoch als möglich von der Erde sprang oder im tieferen Garten Leuchtkugeln und Raketen gen Himmel steigen ließ, hatten weisere Leute hier eine sitzende Lust sich bereitet: Schüssel stieß an Schüssel, Geflügel und Braten folgten sich in unaufhörlicher Reihe; denn mühsam zu bewältigen, wie all seine Pflichten, ist auch der Hunger dessen, der die Furche zieht und den Dreschflegel schwingt.


 << zurück weiter >>