Friedrich Hölderlin
Gedichte
Friedrich Hölderlin

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Der blinde Sänger

Ελυσεν αινον αχος απ' ομματων Αρης

Sophokles

            Wo bist du, Jugendliches! das immer mich
    Zur Stunde weckt des Morgens, wo bist du, Licht!
        Das Herz ist wach, doch bannt und hält in
            Heiligem Zauber die Nacht mich immer.

Sonst lauscht' ich um die Dämmerung gern, sonst harrt'
    Ich gerne dein am Hügel, und nie umsonst!
        Nie täuschten mich, du Holdes, deine
            Boten, die Lüfte, denn immer kamst du,

Kamst allbeseligend den gewohnten Pfad
    Herein in deiner Schöne, wo bist du, Licht!
        Das Herz ist wieder wach, doch bannt und
            Hemmt die unendliche Nacht mich immer.

Mir grüßten sonst die Lauben; es leuchteten
    Die Blumen, wie die eigenen Augen, mir;
        Nicht ferne war das Angesicht der
            Meinen und leuchtete mir, und droben

Und um die Wälder sah ich die Fittiche
    Des Himmels wandern, da ich ein Jüngling war;
        Nun sitz ich still allein, von einer
            Stunde zur anderen und Gestalten

Aus Lieb und Leid der helleren Tage schafft
    Zur eignen Freude nun mein Gedanke sich,
        Und ferne lausch ich hin, ob nicht ein
            Freundlicher Retter vielleicht mir komme.

Dann hör ich oft die Stimme des Donnerers
    Am Mittag, wenn der eherne nahe kommt,
        Wenn ihm das Haus bebt und der Boden
            Unter ihm dröhnt und der Berg es nachhallt.

Den Retter hör ich dann in der Nacht, ich hör
    Ihn tötend, den Befreier, belebend ihn,
        Den Donnerer vom Untergang zum
            Orient eilen, und ihm nach tönt ihr,

Ihm nach, ihr meine Saiten! es lebt mit ihm
    Mein Lied, und wie die Quelle dem Strome folgt,
        Wohin er denkt, so muß ich fort und
            Folge dem Sicheren auf der Irrbahn.

Wohin? wohin? ich höre dich da und dort
    Du Herrlicher! und rings um die Erde tönts.
        Wo endest du? und was, was ist es
            Über den Wolken und o wie wird mir?

Tag! Tag! Du über stürzenden Wolken! sei
    Willkommen mir! es blühet mein Auge dir.
        O Jugendlicht! o Glück! das alte
            Wieder! doch geistiger rinnst du nieder,

Du goldner Quell aus heiligem Kelch! und du,
    Du grüner Boden, friedliche Wieg! und du,
        Haus meiner Väter! und ihr Lieben,
            Die mir begegneten einst, o nahet,

O kommt, daß euer, euer die Freude sei,
    Ihr alle, daß euch segne der Sehende!
        O nehmt, daß ichs ertrage, mir das
            Leben, das Göttliche mir vom Herzen.

 


 


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