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Schlangen

Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Menschen; er soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen, kündet der Herr der Schlange im Paradiese. Uralte, geheimnisvolle Feindschaft ist zwischen Mensch und Schlange gesetzt, und sie herrscht nicht nur von allem Anbeginn an zwischen diesen beiden, sondern zwischen ihr und allem andern Getier. Carl Hagenbeck erzählt uns davon ein packendes Beispiel. »Als einmal in meiner Menagerie«, schreibt er, »eine Riesenschlange sich befreite, gerieten sämtliche Tiere in die größte Aufregung. Der Flüchtling war ein ziemlich schwaches Exemplar der afrikanischen Hieroglyphenschlange, das in schlechtem Zustande aus Afrika angekommen war. Der Schlange wurde ein warmes Bad in einem Bottich im Raubtierhause bereitet, das damals außer den Raubtieren noch alle möglichen andern Tiere beherbergte. Der Bottich war mit einer Klappe versehen und wurde überdies noch mit einer Decke zugedeckt. Nachdem alles wohlverwahrt war, begab ich mich in mein Bureau. Nach zwei Stunden wurde ich durch die Schreckensbotschaft aufgescheucht, daß die Schlange aus ihrem Bottich entwichen sei und nun auf den Käfigen der Affen und Papageien herumkrieche. Ich stürzte nach dem Raubtierhause und fand dort unter den Tieren einen wahren Tumult. Alle ohne Ausnahme befanden sich in einer furchtbaren Aufregung und hatten, soweit sie das Reptil sehen konnten, nur Augen für dieses. Die Leoparden, Löwen und alle andern Raubtiere sprangen wie besessen in ihren Käfigen umher und schlugen unter Fauchen und Brüllen gegen die Gitterstäbe, die Affen und Papageien schrien aus Leibeskräften – es war ein Höllenskandal. Keines der Tiere schien mit der Schlange etwas zu tun haben zu wollen. Die Schlange steht abseits in der Schöpfung,« schließt der ausgezeichnete Tierbeobachter, »kein geistiges Band verbindet sie mit den übrigen Kreaturen; sie begegnet nur Feinden, die ihr nachstellen, oder Flüchtigen, die sie meiden, keinen Freunden.«

In den Mythen und Sagen aller Völker kommt dieses zwieträchtige Empfinden deutlich zum Ausdruck: man fürchtet die Schlange, haßt oder verehrt sie deshalb; sie wird zur Gottheit, zum Fetisch. Sie hütet Schätze, birgt die Seele des Toten, schützt das Haus, und wie sie tötet, vermag sie auch zu heilen. Äskulap, der griechische Gott der Heilkunde, hat als Symbol einen Stab, um den sich die Schlange windet: noch heute ist dies Symbol ja das Emblem des Arztes. Hier mag vielleicht eine häufig gemachte Beobachtung mitgewirkt haben: Schlangen sind wärmeliebende Tiere und halten sich darum gern in der Nähe der warmen Heilquellen auf; das gab wohl die Beziehung. Armbänder in Schlangengestalt trug man als Amulett. Im alten Ägypten war die Schlange das Sinnbild der Herrscherwürde, und so finden wir den »Uräus«, die zornig die Rippen des Halses spreizende Schildviper ( Nâja Hâje) als Stirnschmuck fast aller Gottheiten und Könige des Pharaonenlandes. Als glückbringend wurde vom Volke hier auch eine Natter gezähmt in den Wohnungen gehalten; auf ein Zeichen mit den Fingern kam sie herbei, sich vom Tische Leckerbissen zu holen. Ganz ähnlich hegte man im alten Rom Schlangen in den Häusern und Schlafräumen, in so großer Zahl, daß es nach des Plinius Urteil nur den gelegentlichen größeren Feuersbrünsten zuzuschreiben, wenn die Schlangenbrut den Menschen nicht allmählich über den Kopf gewachsen. Aus Schritt und Tritt begegnen wir der Schlange im Mythus und den Sagen unsrer Vorfahren. Ein Symbol des Meeres, umschlingt die Midgardschlange, die Tochter des Feuer- und Lügegottes Loki, die Erde. Lintwürmer – die alten Wörter »lint« und »wurm« bedeuten beide Schlange – speien, ein Bild des Blitzes, Feuer, bewachen geraubte Königstöchter und hüten verborgene Schätze. Der Otterkönig des Märchens trägt eine Krone auf dem Haupt; der Alte Fritz hat solche siegverleihende Krone besessen, die ihm ein Dragoner verschafft, erzählt das Volk in Ostpreußen. Noch bis in unsre Tage haben die vermeintlichen »magischen Fähigkeiten« der Schlangen selbst in den Lehrbüchern der Naturgeschichte eine gewisse Rolle gespielt. So sollte der Vogel von dem starren Blick der Schlange hypnotisiert, von dem Glanz ihrer Haut, von den gleichmäßigen, wiegenden Bewegungen ihres Kopfes gleichsam gebannt werden. Untersuchungen im Londoner Zoologischen Garten haben zu ganz anderm Ergebnis geführt. Sehr viele Tiere, vor allem kleine Säugetiere und Vögel, schreibt Doflein hierüber, zeigen beim Herannahen eines auffallenden Gegenstandes Aufmerksamkeit, selbst etwas, das man Neugier nennen könnte. Bewegt sich der Gegenstand langsam, bedächtig und leise, so beobachten sie ihn mit gespannter Aufmerksamkeit, aber ohne sich zu bewegen. Erfolgt eine plötzliche, schnelle Bewegung, so fliehen sie sofort. Sie benehmen sich so, einerlei, ob sich der Kopf einer Schlange, ein Band oder ein menschlicher Finger langsam vor ihnen hin und her wiegt. Stürzt sich nun die Schlange im richtigen Moment rasch auf ihr Opfer, so hat sie es gefangen. Sie braucht dazu keine Zauberei, sondern sie verfährt nach den natürlichen Fähigkeiten ihres Körperbaus und ihrer Instinkte.

Dieser Körperbau ist freilich ein höchst eigentümlicher. Den Schlangen fehlen die Fortbewegungsorgane der andern Kriechtiere: die Gliedmaßen. Deren Aufgabe übernehmen die überaus zahlreichen, leichtbeweglichen Rippen und ein besonderer Apparat der Haut. Die Haut liegt der Leibeswand am Bauch und an den Seiten sehr locker an, so daß sie sich mühelos verschieben läßt. In der Haut aber stecken Schuppen, die am Bauche besonders derb und breit und zu »Schienen« angeordnet sind. Wie die Rippen werden diese Bauchschienen beim Kriechen abwechselnd aufgerichtet und niedergelegt, und zu diesem Vorwärtskriechen gesellt sich, die Schnelligkeit der Bewegung wesentlich erhöhend, die seitlich über den Körper verlaufende Schlängelung. Die so zu erreichende Geschwindigkeit ist eine erstaunliche. Eine große, flüchtende Schlange vermag einen Menschen umzustoßen. Höchst eigentümlich ist auch der Kopf der Schlange gestaltet. Die eigentliche Schädelkapsel ist außerordentlich klein: der Kopf wird aber durch die merkwürdige Anordnung der Kiefer beträchtlich verlängert. Zunächst ist der Unterkiefer weit hinter der Schädelkapsel eingelenkt. Er hängt an einem besondern Apparat, dessen Anordnung man geradezu mit der des Arms vergleichen kann. Die Vergleichung trifft namentlich dann zu, sagt Vitus Graber, wenn wir uns unsre Arme so gestellt denken, daß die Oberarme wie beim Schwimmtempo »Zwei« nach unten, hinten und außen liegen, während die Unterarme wagerecht nach vorn gehalten werden. So wie sich die Ellenbogen und Unterarme in dieser Lage nicht nur nach vorn und nach hinten, sondern auch nach oben und unten, weiter nach außen oder nach innen bewegen lassen, ist auch der Schlangenunterkiefer vermöge seiner Befestigungsweise und seiner Muskeln der vielseitigsten Bewegung fähig. Dazu kommt, daß die beiden Unterkieferhälften vorn nicht fest miteinander verwachsen, sondern nur durch ein äußerst elastisches Band miteinander vereinigt sind und weit auseinander gezogen werden können. Ganz ähnlich beweglich und dehnbar ist auch der Oberkiefer. Durch diese absonderliche Bildung der Kiefer ist die Schlange imstande, Tiere zu verschlingen, die oft viel umfangreicher sind als sie selbst: sie zieht sich buchstäblich über das Beutetier hinüber. Dabei sind ihr die zahlreichen, über Kiefer und Gaumen verteilten, nach hinten gekrümmten, spitzigen Haken vergleichbaren Zähne behiflich. Das erlegte Tier wird reichlich eingespeichelt und dadurch schlüpfrig gemacht, und nun hakt die Schlange es sich in den Magen hinein, ohne es zu zerbeißen und so zu verkleinern. Speiseröhre und Magen sind demgemäß überaus dehnbar. Bei den giftigen Schlangen treten im Oberkiefer besonders große, mit einer ein heftig wirkendes Gift bereitenden Drüse in Verbindung stehende Giftzähne auf. Diese Zähne sind entweder hohl und zeigen an der Spitze ein feines Loch zum Austritt des Giftes (z. B. bei der Klapperschlange), oder sie haben auf der vorderen Seite eine Rinne zur Weiterleitung des Giftes (so z. B. bei der Brillenschlange). Solcher Zähne hat die Schlange gewöhnlich zwei; dahinter stehen ein paar Ersatzzähne, die ihren Platz einnehmen, wenn jene ausbrechen. Im Zustande der Ruhe liegen die Giftzähne vermöge der eigentümlichen Beugung des Oberkiefers nach hinten; öffnet sich aber der Rachen zum Bisse, dann wird der Oberkiefer so weit emporgezogen, daß der Giftzahn senkrecht steht, und der leiseste Druck genügt, die prallgefüllte Giftdrüse fließen zu machen. Mit der dünnen, schwarzen, zwiegespaltenen, beständig aus dem Rachen hervorzuckenden Zunge »sticht« die Schlange nicht; die Zunge ist nur Tastorgan. Des eigenartig starren Blicks der Augen wurde schon gedacht. Er kommt dadurch zustande, daß die durchsichtige Körperhaut über das Auge hinwegzieht, das darunter wie das Zifferblatt unter dem Uhrglase liegt. Jährlich ein- oder mehrmals wird die zu eng gewordene Körperhaut in einem Stück abgestreift, wie wenn man einen Handschuh, von den Knöpfen her ihn umstülpend, abzieht.

Das Nahrungsbedürfnis der Schlangen ist ein verhältnismäßig geringes. Riesenschlangen halten in der Gefangenschaft dreiviertel Jahr und länger ohne Futter aus; freilich vermögen sie aber auch Nahrungsmassen bis zu einem Zentner auf einmal hinunterzuschlingen. Die Stelle, wo solch großes Beutetier im Magen der Schlange weilt, ist dick aufgetrieben; ganz allmählich lösen die scharfen Magensäfte die Nahrung auf – von der mit Haut und Haaren verschlungenen Beute wird nicht das geringste Teilchen unverdaut ausgeschieden. Gefangene Schlangen pflegen sich nach dem Fraße ins Wasserbassin zu begeben.

Die Fortpflanzung geschieht bei den meisten Schlangen durch Eier; aber es gibt auch eine große Anzahl lebendig gebärender Formen. Zu den letzteren gehört z. B. die Abgottsschlange ( Bôa constrictor) Südamerikas, zu den ersteren die Tigerschlange ( P?thon molûrus) Ostindiens. »Ich hatte Gelegenheit,« berichtet Doflein, »im Oktober 1905 ein Exemplar der Tigerschlange in Colombo auf Ceylon zu studieren, welches dort, kurz nachdem es aus dem Malaiischen Archipel gefangen eingebracht worden war, über hundert Eier ablegte. Das Muttertier lag elf Wochen lang um die Eier aufgeknäuelt, ohne in dieser Zeit irgend etwas zu fressen. Mitte Januar schlüpften die jungen Tiere aus. Ich konnte aber zu meinem Erstaunen beobachten, daß sie abends in ihre Eierschalen wieder zurückkehrten, um deren Haufen die Mutter immer noch aufgeknäuelt verharrte.« Auch an gefangenen Riesenschlangen hat man ganz ähnliche Beobachtungen gemacht.

Riesenschlangen

Zu den beliebtesten Schaustücken unsrer Menagerien und Tierbuden gehören die prächtig rötlich graubraun, mit dunkleren Streifen oder Flecken gefärbten Riesenschlangen: die neuweltliche Königs- oder Abgottsschlange und die altweltliche Python- oder Tigerschlange. Beide rechnen zu den giftlosen Schlangen: ihre Waffe ist die gewaltige Muskelkraft; beide zeigen in der Nähe des Afters noch Stummel von Gliedmaßen in Gestalt von »Aftersporen«. Von ihrer Länge und der Macht ihrer Umschlingung wurden Fabeldinge berichtet, geglaubt und geleugnet. Die Soldaten des Regulus wollten im ersten Punischen Kriege in Nordafrika eine Schlange gesehen haben, die 123 römische Fuß maß. Die afrikanischen Riesenschlangen ( P?thon sçbae, die »Hieroglyphenschlange« u. a.) erreichen jedoch nur Längen von höchstens acht bis neun Meter; auch die asiatischen Pythonarten überschreiten dies Maß wohl nicht bedeutend. Die Abgottsschlange Südamerikas ( Boa constrictor) wird nur etwa sechs Meter lang, und die im selben Gebiete heimische Anakonda ( Eunéctes murînus) scheint sogar noch etwas dahinter zurückzubleiben. Tiere von der Größe eines Rehs werden von diesen Riesen zweifellos bewältigt; aber an Pferde und Büffel dürften sie sich kaum wagen. Freilich sagt Hagenbeck auf Grund seiner persönlichen Erfahrungen an gefangenen Riesenschlangen: »Ich bin völlig davon überzeugt, daß eine Schlange von fünfeinhalb bis sechs Meter Länge einen Menschen, wenn sie ihn nur richtig umschlingen kann, in kürzester Zeit totdrückt. Man erzählte mir, daß auf Borneo öfters Eingeborene von Schlangen gepackt und verzehrt werden. Nach dem, was ich gefangene Schlangen im Fressen umfangreichen Wildes leisten sah, zweifle ich nicht daran, daß eine erwachsene Borneo-Pythonschlange ganz gut einen Menschen von 100 bis 125 Pfund Gewicht hinunterwürgen kann.« Hagenbeck schildert auch Kämpfe, die er und zwei andre kräftige Männer mit einer erwachsenen Tigerschlange zu bestehen hatten: »Wir stürzten uns förmlich auf das Ungetüm, das mit dem Schwanze das rechte Bein des einen von uns gepackt hatte und mit fürchterlicher Gewalt zu umschnüren begann, sich dabei unaufhaltsam höher und höher hinaufwindend. Die Situation schien verzweifelt. Ein Ringen auf Leben und Tod fand statt, und erst nach einigen Minuten höchster Anspannung gelang es unsern vereinten Kräften, das Ungetüm zu überwältigen.« Von der Freßlust einer siebeneinhalb Meter langen Borneo-Riesenschlange ( P?thon molûrus) erzählt er, sie habe einen Ziegenbock von achtundzwanzig Pfund Gewicht verschlungen. »Man hätte annehmen können, daß die Schlange gesättigt gewesen sei. Dies schien aber nicht so; denn als ich ihr wenige Stunden später einen neununddreißig Pfund schweren Bock vorwerfen ließ, packte sie auch diesen und hatte ihn innerhalb einer halben Stunde verschlungen. Meine Freßkünstlerin hatte aber mit dieser riesigen Leistung ihr Bestes noch nicht gezeigt. Acht Tage später verschlang sie eine vierundsiebzig Pfund schwere sibirische Steinziege!« Im Lichte dieser ziffermäßig genauen Beobachtungen gewinnen die Berichte und Angaben der Reisenden doch an Wahrscheinlichkeit. Von der Anakonda, die die brasilianischen Indianer »Bakumaman«, »Mutter des Wassers« nennen, berichten so die bayrischen Forscher Spix und Martius, die zu Beginn des vorigen Jahrhunderts Brasilien bereisten, sie erreiche bisweilen solche Größe, daß sie, im Grase ruhig liegend, auf den ersten Blick mit einem umgestürzten Palmstamm verwechselt werden könne. Beim Angriff stützt sich die Schlange durch einige Windungen des Schwanzes an einen Baum oder Felsen und wirft sich in weitem Sprunge auf die Beute, der sie durch mehrfaches Umschlingen die Knochen zerbricht. Im Hunger fallen die alten Schlangen wohl Reiter und Roß oder einen Ochsen an, den sie bis auf die Hörner, die sie abfaulen lassen, ganz hinabschlingen. Wir hatten öfter Gelegenheit, solche Schlangen zu sehen, die sich am Ufer der Teiche, gleich einem Ankertau zusammengerollt, sonnten; doch glückte es uns nicht, eine größere zu erlegen, da sie bei unsrer Annäherung mit Blitzesschnelle in das Wasser hinabschossen. Die Jagd ist nicht gefährlich, weil sie dumme, träge und furchtsame Tiere sind und nach Verwundungen, wahrscheinlich wenn diese das Rückenmark verletzen, starr und bewegungslos werden. Am sichersten bekämpft man sie, wenn sie nach Verschlingen der Beute mehrere Wochen unbehilflich daliegen. Es ist übrigens nichts Seltenes, daß die Sertanejos ein solches Untier, wenn es im Wasser zu entfliehen sucht, schwimmend verfolgen, in der Nähe des Kopfes umklammern und mit einem langen Messer töten. Die Indianer versichern, daß die Anakonda gelegentlich Kinder und Erwachsene ins Wasser ziehe und verschlinge.

siehe Bildunterschrift

Riesenschlange

Die Klapperschlange

In Mozarts »Zauberflöte« rühmt der Prinz Tamino die Macht der holden Töne seiner Flöte, bei deren Spielen »selbst wilde Tiere Mitleid fühlen«. Der französische Philosoph und Dichter Chateaubriand, der sich 1791 einer Forschungsexpedition nach Nordamerika angeschlossen hatte, erzählt uns, wie ein kanadischer Indianer eine in das Lager der Expedition eingedrungene Klapperschlange mit den Klängen seiner Flöte nicht nur an die Stelle bannte, sondern auch, indem er sich langsam entfernte, ihm in den Wald zu folgen zwang. Indianern wie Franzosen gefiel diese Szene so sehr, daß sie der sonst allgemein verabscheuten Schlange nichts zuleide tun mochten. Das klingt wie ein Märchen; aber wir wissen, daß in der Tat die Klapperschlange wie manche andre Giftschlangen für Musik empfänglich ist. Die Medizinmänner der Indianer machen sich denn auch diese Eigenheit des Reptils zunutze, um es für ihre Tänze und Zauberkuren abzurichten: die Hopi in Arizona halten so beim Schlangentanzfest lebende Klapperschlangen zwischen den Zähnen. Freilich haben sie der Schlange vorher die gefährlichen Giftzähne ausgebrochen.

Die Klapperschlange ( Crôtalus durissius) ist die charakteristischste Schlange Nordamerikas. Sie gehört zu den sogenannten Grubenottern, einer Familie, die durch eine tiefe Grube jederseits zwischen Auge und Nasenloch ausgezeichnet ist. Ihren Namen empfing sie von dem eigenartigen Warnapparat, der das Schwanzende bildet. Diese »Klapper« besteht aus hohlen Hornkapseln, die aus einer das Schwanzende umhüllenden, besonders derben Hornschicht in der Weise sich bilden, daß die Hornlage bei der Häutung nicht abgestoßen, sondern nur gelockert und jedesmal nach hinten geschoben wird. Nach jeder Häutung wächst die Klapper also um ein Glied, bis zu fünfzehn Ringen und mehr. Richtet die Schlange nun den Schwanz empor und schüttelt sie ihn, so reiben sich die Glieder aneinander, und man vernimmt ein schwirrendes Rasseln. Einem schwebenden Dampfe gleich, schildert ein Beobachter, zittert dabei in unwahrnehmbar schnellen Schwingungen der Schwanz. Solchen warnenden, schreckenden Ton läßt die Klapperschlange nur hören, wenn sie sich bedroht glaubt: sie meldet damit ihre Anwesenheit und schützt sich so vor Beschädigung. Das ist um so notwendiger, als ihr graubraunes, dunkel geflecktes Schuppenkleid die Schlange sich kaum vom Sande oder Felsen abheben läßt. Dürre Sandstrecken mit wenig Gebüsch sind ihr bevorzugter Aufenthalt; zu einem Ring zusammengerollt, liegt sie hier unbeweglich in der Sonne. Als Behausung dienen ihr häufig die Höhlen kleiner Nagetiere oder Schildkröten, und nach dem Volksglauben soll sie mit diesen Tieren friedlich und schiedlich den Bau teilen. Zur Warnung durch die Klapper gesellt sich als weiteres Abschreckungsmittel ein pestartiger Geruch, der Pferde und Rinder in die Flucht treiben soll. Ihr Giftbiß wird sehr gefürchtet: ein Glück deshalb, daß sie sehr wenig angriffslustig ist. Von einer amerikanischen Forschungsexpedition wurden am oberen Missouri, wie Allen berichtet, so riesige Mengen von Klapperschlangen angetroffen, daß in kurzer Zeit gegen zweitausend Stück getötet wurden; aber weder Mensch noch Tier wurde gebissen. Die Ansiedler vertreiben die Schlange mit Hilfe ihrer sich halbwild herumtreibenden Schweine. Wenn ein Schwein eine Klapperschlange gewahr wird, erzählt uns der alte Jonathan Franklin, so klappt es mit den Kinnladen und sträubt die Borsten. Die Schlange rollt sich spiralig zusammen, um den Feind zu beißen; das Schwein aber geht beherzt drauflos und empfängt ohne Schaden den Biß in das Fettpolster des Halses. Dann tritt es auf die Schlange und zermalmt sie unter wohlgefälligem Grunzen. Ein andrer Feind der Klapperschlange ist die schwarze Schlange ( Cor?phodon constrictor), die man deswegen in Nordamerika sorgfältig schont. Ihr scheint das Gift gleichfalls nichts anzuhaben. Die Indianer schätzen das Fleisch der Klapperschlange als besondern Leckerbissen, und selbst Catlin erklärt: »Gehörig zubereitet, schmecken sie köstlich.«

Die Brillenschlange

Die staubige Dorfstraße herauf kommen drei Kerle, schwarzbraun, zerlumpt, mit schmierigem Turban und langem Bart. Der eine balanciert auf der Achsel den Bambustragstock, daran vorn und hinten ein flacher, schmutziger Flechtwerkkorb baumelt. Vor einem der kleinen Lehmhäuser machen sie halt, und der zweite beginnt mit der kleinen sanduhrförmigen Landtrommel wild zu klappern, der dritte aber setzt die Naskar an den Mund, die ungestaltene Kürbisflöte, und entlockt ihr seltsam quäkende, näselnde Töne. Die Körbe werden abgestellt, die dreie kauern dahinter nieder, und im Nu sind sie von Schaulustigen umringt: nackte Kinder, Frauen mit langen, bunten Gewändern, ein paar Männer, die die Arbeit im Stich lassen, drängen sich herzu, bleiben aber in respektvoller Entfernung stehen. Denn die drei zerlumpten Kerle sind Schlangenbeschwörer, und in den beiden Körben bergen sich Kobras, die gefürchtetsten Giftschlangen Indiens. Nun öffnet der Korbträger seine Behältnisse, die enggeschnürten Ringe der Schlangen werden sichtbar, und mit einem Stäbchen stört er die trägen Tiere aus ihrer Ruhe. Die Naskar näselt, lauter, heller, immer die gleiche, eintönige Melodie, nur ein halb Dutzend Töne, aufreizend, gleichsam stechend. Die Schlangen werden lebhafter, die gelbbraunen Ringe winden sich rascher umeinander, jetzt erhebt die eine den Kopf, biegt ihn vor, züngelt und bläht den Hals zur Scheibe, daß die weißliche Brillenzeichnung hervortritt. Hin und her wiegt sie den Kopf, stößt ihn in jähem Angriff vor, zieht ihn zurück, duckt sich, stößt ihn zischend von neuem zum Angriff vor: die Schlange tanzt. Auch die andre ist derweilen aus dem Korbe herausgekrochen, auf den Naskarbläser zu, ein Schlag mit dem Stocke macht sie zurückweichen, jetzt bäumt sie sich, spreizt die Brille und tanzt, sich wiegend. Die Zuschauer staunen das tausendmal gesehene Schauspiel mit immer neuem Interesse und immer neuem Gruseln an. Die Melodie wird ruhiger, die hohen Töne der Flöte werden leiser, ersterben, und die Schlangen sinken gleichsam in sich zusammen und kriechen endlich in die Körbe zurück. Der Bläser hängt die bunt geputzte mit Spiegelstückchen und Muscheln geschmückte Naskar um den Hals, sammelt ein, preist dabei seine Heilkenntnisse an – mit seinem Speichel allein wolle er jeden Biß der Schlange kurieren – und davon wandern die drei »Snake-Charmers«, die drei Schlangenbeschwörer.

Das ist ein Alltagsbild aus dem indischen Dorfleben. Der seiner Kaste wegen verachtete Schlangenbeschwörer steht in hohem Ansehen bei den Hindus. Ist doch die gefürchtete Kobra ( Nâja tripûdans, Brillen-, Schild- oder Hutschlange) ein hochheiliges Tier, das die Beschwörer geschickt zu fangen und abzurichten verstehen. Sie packen dabei die erspähte Schlange mit blitzschnellem Griffe am Schwanze und schleudern sie aufspringend mit kräftigem Schwunge im Kreise herum, so daß sie nicht zubeißen kann, bis der rechte Augenblick gekommen ist, die betäubte Kobra mit der andern Hand hinter dem Kopfe zu fassen, ihr die Giftzähne auszubrechen und sie so unschädlich zu machen. Den zur Schau gestellten Kobras sind wohl regelmäßig die Giftzähne ausgebrochen oder die Giftdrüsen ausgebrannt. Freilich behaupten die Snake-Charmers gelegentlich auch, giftfest zu sein und diese Giftfestigkeit durch ganz allmähliche Gewöhnung an das Gift erlangt zu haben. Das grünlich gelbe Gift schäumt, auf die Haut gerieben, wie Seife.

Ein wahres Volksfest ist die Schlangenfeier, »Naga Pantschami«, die die nördlichen wie südlichen Inder im August begehen. Die Frauen baden und legen ihr bestes Geschmeide an, schildert Schlagintweit, mit Krügen voll Milch und Blumen nahen sie sich den im Hause oder in der Nähe des Dorfes aufgestellten, steinernen, tönernen oder aus Messing gefertigten Schlangenbildern, suchen auch Ameisenhügel auf, in denen man Schlangen vermutet, oder trachten, im Dickicht einer wirklichen Kobra ansichtig zu werden, der sie Milch, ihr Lieblingsgericht, vorsetzen. Die Schlangenbeschwörer haben ihren guten Tag, jeder beschenkt sie. In den Städten nehmen sie die Feier in die Land und durchziehen die Straßen mit Musikern, die mit Klarinette, Flöte und langen, quer gehaltenen Trommeln, deren Fell mit den Fingern geschlagen wird, eine unharmonische Musik machen. In großen Körben führen sie unschädlich gemachte Brillenschlangen mit sich. Abends umringen Fackelträger die Gruppen. An paffenden Plätzen macht man halt und stellt Tröge auf die Erde. Frauen tragen gezuckerte Milch herbei, und die aus den Körben an die Schüsseln gesetzten Kobras lassen sich das leckre Mahl munden. Erregend ist die wütende Gebärde der Tiere beim Wegnehmen, wie die täuschende Verwegenheit, die ihre Besitzer dabei zur Schau tragen. In einzelnen Gegenden ist der Dezember die Zeit des Schlangenfestes. Hier wallfahrtet man zu bestimmten Tempeln der Brahmanen, die sich das Halten von Schlangen zum Geschäft machen, oder zu Ruinen, in denen diese Tiere massenhaft hausen.

Einen unversöhnlichen Gegner hat die Kobra in dem berühmten Mungo ( Herpéstes múngo), einer Schleichkatzenart. Das Tier reizt die Schlange zum Angriff, weicht diesem geschickt aus, packt den Kopf der Kobra von hinten und zermalmt ihn.

In ähnlicher Weise wie die Kobra wird die afrikanische Schildschlange ( Nâja hâje), der die Brillenzeichnung fehlt, seit undenklichen Zeiten abgerichtet; sie ist die »Aspis«-Schlange des Altertums, deren man sich zur schnellen Hinrichtung des öfteren bediente. Auch Kleopatra tötete sich ja mit dem Gifte dieser Schlange. An die Stelle der geheimnisvollen »Psyllen« des Altertums sind heut Süd-Marokkaner, Angehörige der fanatischen Sekte der Aissua, als Schlangenbeschwörer getreten. Beim Fange betäuben sie die Schlangen durch einen Schlag, wie es schon zu Mosis Zeiten in Ägypten üblich war. Merkwürdigerweise wissen sie, auch an ihnen völlig unbekannten Orten sofort den Versteck der Schlange ausfindig zu machen und sie daraus hervorzulocken.


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