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Das Schnabeltier

In des holländischen Dichters Multatuli hübschem Roman von den »Abenteuern des kleinen Walter« steht eine köstliche Geschichte vom Säugetier. Walters Mutter hat sich ein paar Freundinnen zum Kaffeeklatsch eingeladen. Nachdem der übliche Gesprächsstoff erschöpft ist, sucht die Gastgeberin die Unterhaltung wieder zu beleben. Sie fragt deshalb die Jüffrau Laps plötzlich, ob sie wohl wisse, was sie »vom zoologischen Standpunkt aus« eigentlich sei. Nichts Gutes ahnend, protestiert Jüffrau Laps gegen jede etwaige Verdächtigung, sie sei die Frau des Kuchenbäckers nebenan, und erfährt zu ihrem Erstaunen, sie sei nicht mehr und nicht weniger als ein – Säugetier. Entrüstung sämtlicher Kaffeeschwestern. Da erscheint zum Glück Walters Lehrer Pennewip und gibt nun folgende zoologische Weisheit zum besten. »Haben Sie Flossen, und atmen Sie durch Kiemen?« beginnt er sein Examen. Die verblüffte Jüffrau Laps verneint das. »Haben Sie wechselwarmes Blut und können Sie halb im Wasser, halb auf dem Lande leben; haben Sie Schuppen und einen Schwanz?« Jüffrau Laps staunt immer mehr. »Nun frage ich Sie nur noch: können Sie Eier legen, wie?!« Das konnte sie nicht. »Also sind Sie ein Säugetier!«

Aber dieser ergötzliche Beweis von gestern hält heute nicht mehr Stich. Denn wir kennen jetzt auch eierlegende Säugetiere. Das sind die sogenannten Gabel- oder Kloakentiere ( Monotrçmata), zu denen der Schnabel- oder Ameisenigel ( Echidna aculeata) und das Schnabeltier ( Ornithorhýnchus anatinus) gehören. So absonderlich und paradox ist Bau und Leben dieser zugleich an Vögel, Kriech- und Beuteltiere erinnernden, auf Australien und Neuguinea beschränkten Säugerordnung, daß selbst Naturforscher den ersten Berichten darüber starkes Mißtrauen entgegenbrachten. Schrieben doch noch im Jahre 1869 die Brüder Müller, ausgezeichnete Naturbeobachter und -schilderer, auf die erste Nachricht von dem Eierlegen des Schnabeltiers entrüstet: »Der unkundigen Menge ist es wohl zu verzeihen, daß sie die unwahrscheinlichsten Erzählungen glaubt; denjenigen aber, die zur Belehrung des Volkes Naturgeschichte vortragen oder darüber schreiben, sollte das Handwerk gelegt werden, wenn sie das Unwahrscheinliche auf Hörensagen oder Vermutungen hin als Wahrheit gelten lassen.«

siehe Bildunterschrift

Schnabeltier

Nun, die zuverlässigen Beobachtungen des Engländers Caldwell über das Schnabeltier, des Deutschen Haacke über den Schnabeligel im Jahre 1884 haben jeden Zweifel getilgt: die Kloakentiere legen wirklich dünnschalige Eier und brüten sie in gewisser Weise aus. Die ausgeschlüpften Jungen aber werden dann von der Mutter mit Milch genährt, die freilich nicht besonderen Zitzen, wie sonst bei den Säugern, entströmt, sondern aus zahlreichen, feinen Poren an gewissen Stellen der Brust- und Bauchhaut austritt und von den Jungen aufgeleckt wird. Beim Ameisenigel steckt die Mutter das Ei vor dem Ausschlüpfen des Jungen in ihren an den der Beuteltiere gemahnenden Brutbeutel, darin das bei der Geburt nur 1½ Zentimeter lange Tierchen etwa zehn Wochen verbleibt. Es ist dann acht bis neun Zentimeter lang, und die Mutter gräbt ihm zur Wohnung eine kleine Erdhöhle. Das Schnabeltier aber legt seine Eier in ein mit Blättern von Wasserpflanzen ausgepolstertes, unterirdisches Nest und brütet sie hier aus. Auch die jungen Schnabeltiere sind bei der Geburt ganz winzige Geschöpfe.

Ihren Namen erhielt diese Säugetierordnung von der »Kloake«, d. h. dem gemeinsamen Ausführungsgang aller Abscheidungsprodukte, beziehungsweise der »Gabel« des doppelten Schlüsselbeins, welche Bildungen beide an den Vogelkörper erinnern. Ihre Körperwärme ist wesentlich geringer als die aller andern Säuger, was wiederum an Reptilien gemahnt. Dazu gesellt sich dann als weitere Absonderlichkeit ein »Schnabel«: die Haut der Kiefer ist nämlich verhornt, die Zähne fehlen; nur das jugendliche Tier hat Zähne, die jedoch bald ausfallen.

In seiner äußeren Erscheinung ähnelt das etwa ½ Meter lange Schnabeltier, mit dessen Schilderung wir uns hier begnügen wollen, einem sehr großen und sehr fetten Maulwurf, dem ein humoristisch veranlagter Zauberkünstler als »Nase« einen breiten, fleischfarbenen Entenschnabel mit einer Art von Stuartkrause angehext und Spitzenmanschetten um die Fußgelenke gebunden hat. Der Pelz besteht aus groben, dichten, bräunlichen Haaren, unter denen sich ein weiches, silbergraues Wollvlies birgt. Bei dem jungen Tiere ist der Schnabel, der an der Oberfläche die Nasenlöcher trägt, noch ganz kurz, beim alten wohl so lang wie der ganze Kopf; er ist zart, biegsam und mit zahlreichen Tastorganen besetzt, daher sehr empfindlich. Die kleinen Augen liegen ziemlich hoch, in ihrer Nachbarschaft nimmt man die verschließbaren Ohrschlitze wahr. Eine vom Schnabelgrunde über den Vorderkopf fallende Hautfalte – der Stuartkragen unsrer Vergleichung – hält beim Aufwühlen des Schlammes diesen vom Pelze ab, schützt auch wohl beim Aufscharren der Erde die Augen. Der etwa fünfzehn Zentimeter lange Schwanz ähnelt in seiner Breite und mit seinem abgestutzken Ende dem eines Bibers. Die Füße tragen eine lappige, sehr dehnbare Schwimmhaut, die vorn bis über die starken Krallen hängt, hinten aber nur bis an die Zehenwurzeln reicht und so die gleich den Hinterfüßen nach rückwärts gekrümmten Zehen frei läßt. Wenn das Tier an Land geht, wird die Schwimmhaut der Vorderfüße unter den Sohlen nach rückwärts gefaltet. Beim Männchen tragen die Hinterfüße einen großen, spitzen, emporgekrümmten, beweglichen, hohlen Sporn, durch den eine Drüse ihren übelriechenden Saft ergießt.

Das Schnabeltier ist vornehmlich ein Wassertier, das nach Entenart »grundelt« und mit seinem Entenschnabel die Schnecken und Würmer, die seine Nahrung bilden, und die es zunächst in Backentaschen aufbewahrt, zwischen den Blättern und Wurzeln der Wasserpflanzen aufschaufelt oder aus dem Schlamme hervorschnattert. Wenn die Sonne sinkt und feuchtere, lieblich duftende Luft vom Boden aufsteigt, und die Stimmen der Papageien im Walde laut werden, schildert der Forschungsreisende v. Lendenfeld, dann kommt das Schnabeltier aus seinem Uferbau hervor und schwimmt an der Oberfläche, meist stromaufwärts, dahin. Es erscheint immer nur auf kurze Zeit, taucht, kommt nach ein paar Minuten weiter stromabwärts wieder zum Vorschein, schwimmt dann wohl zu dem Punkte, von dem aus es früher tauchte, stromaufwärts, taucht von neuem und treibt dies Spiel längere Zeit. Auf diese Weise sucht es den Grund des Gewässers eine Strecke weit systematisch ab, indem es sich vom Strome dem Boden entlang fortführen läßt. Die Australier, erzählt einer der ersten Berichte von dem seltsamen Tiere, sitzen mit kleinen Speeren bewaffnet am Ufer und lauern, bis ein Schnabeltier auftaucht. Ersehen sie dann eine Gelegenheit, so werfen sie den Spieß mit großer Geschicklichkeit nach diesem begehrten Wildbret und fangen es ganz geschickt aus diese Weise. Oft sitzt ein Eingeborener eine volle Stunde auf der Lauer, ehe er den Versuch macht, ein Schnabeltier zu spießen; dann aber durchbohrt er immer mit sicherem Wurfe den Körper. Der in die Uferwand mit den scharfen Krallen nach Maulwurfsart gegrabene Bau – die Ansiedler nennen das Tier denn auch den »Wassermaulwurf« – zeigt gewöhnlich den Einschlupf unter Wasser. Ein gelegentlich bis fünfzehn Meter langer, mehrfach geschlängelter Gang führt zu dem geräumigen mit Pflanzenblättern gepolsterten Kessel. Nicht selten hat das Schnabeltier noch einen besondern auf dem Lande gelegenen Ausschlupf.

Nach Europa sind bislang nur getötete Schnabeltiere gekommen, und ihre absonderliche Erscheinung macht es erklärlich, daß man die Bälge anfänglich für Kunsterzeugnisse orientalischer Phantasie hielt, wie solche namentlich Japaner und Chinesen fertigen und auf den Markt bringen.


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