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Das Lama

Wer kennt nicht Robinson Crusoe und sein zahmes Lama, das ihn auf Schritt und Tritt begleitete? Er hatte eines Tags ein Muttertier geschossen, und das Kälbchen folgte ihm alsbald in seine Höhle und wollte ihn nachmals nicht mehr verlassen. Aus Lamafell war Robinsons Kleidung, seine hohe Mütze und sein Sonnenschirm gemacht. Der wirkliche Robinson, der schottische Matrose Alexander Selkirk, der auf einer Freibeuterfahrt nach einem Streit mit seinem Kapitän im Jahre 1704 auf der Insel Juan Fernandez an der Küste Chiles ausgeschifft wurde, und Daniel Defoe, der aus Selkirks wundersamen Abenteuern einen Roman machte, sahen in den Lamas wilde Ziegen. Die spanischen Eroberer Perus hielten sie für Schafe, und Pedro de Cieza, der im Gefolge Pizarros in das Land der Inka gekommen war, schreibt dazu: »Es gibt keinen Teil der Welt, wo man so sonderbare Schafe findet wie in Peru, Chile und einigen Provinzen von La Plata. Sie gehören zu den vortrefflichsten und nützlichsten Tieren, welche Gott gleichsam aus besonderer Sorge für die daselbst wohnenden Menschen erschaffen hat, die ohne sie nicht imstande wären, ihr Leben zu fristen.«

In Wahrheit sind die Lamas Kamele; denn sie sind »Schwielensohler«, d. h. ihr Fuß trägt auf der Unterseite ein polsterartig elastisches Hautkissen, in das die Zehen eingebettet sind. Freilich sind sie nur recht kleine Kamele, was mit ihrem Leben als Gebirgstiere zusammenhängt, und als echte Gebirgstiere haben sie auch verhältnismäßig größere und spitzere Hufe als die Wüstenkamele und können sie die beiden Zehen weiter auseinanderspreizen, was beim Klettern von großer Bedeutung ist. Auf einem gedrungenen Leibe, der in den Weichen stark eingeschnürt erscheint, so daß die Hinterbeine breit aus dem Rumpfe treten, sitzt ein langer, gebogener Hals, der einen schmalen, gleichsam seitlich zusammengedrückten Kopf mit großen, lebendigen, lang bewimperten Augen und lang ausgezogenen, sehr beweglichen Ohren trägt. Die stumpfe Schnauze wird von der zugespitzten, tief gespaltenen, ewig spielenden Oberlippe überwölbt. Den kurzen, buschigen Schwanz trägt das Lama aufgerichtet, und hierdurch, wie durch den stolz emporgehaltenen Hals und das vorsichtige Stelzen der hohen, schlanken Beine, hat es bei ruhigem Schreiten etwas Geziertes, geradezu Geckenhaftes. Dieser Eindruck wird bei den gezähmten Lamas noch dadurch erhöht, daß man sie häufig mit Bändern, Glöckchen und Fähnchen schmückt. Der langhaarige, dichte, recht verschieden gefärbte Pelz gibt eine ausgezeichnete, schon von den alten Inkas zu Kleidern, Tüchern und dergleichen verarbeitete Wolle.

Wir unterscheiden vier engverwandte Arten: das wildlebende Guanako oder Huanako ( Auchenia huanaco), das etwa hirschgroß wird und im allgemeinen rotbraun gefärbt, am Bauche jedoch weiß ist; das gezähmte eigentliche Lama ( Auchenia lama,) das die Größe etwa eines Esels hat und in allen Farben zwischen Weiß, Fuchsrot und Schwarz gezüchtet wird; das gleichfalls gezähmte Alpaka ( Auchenia pacos), das im Körperbau und in der Größe am ehesten einem Schafe ähnelt und ein sehr weiches, langes, meist weißes oder schwarzes Vlies hat, woraus der Alpakastoff gewebt wird, und endlich das wiederum wilde Vikunja ( Auchenia vicugna), das in seiner Erscheinung etwas Reh- oder Ziegenartiges hat, und dessen kürzeres, feinwolliges, rötlich gelbes, an Brust und Bauch aber weißes Haar die begehrte Vigognewolle liefert.

siehe Bildunterschrift

Lamas

Alle Lamas sind sehr scheue Tiere, die bei der geringsten Beunruhigung flüchtig werden. Auch die gezähmten überwinden diese Scheu niemals völlig und wollen mit großer Freundlichkeit behandelt werden. Versieht man es darin, so werden sie störrisch, boshaft, bockig, schlagen aus, beißen und – spucken. Dieses »Spucken« ist eine Eigenart von ihnen, die in der Gefangenschaft und zumal in den zoologischen Gärten gelegentlich zu drolligen Szenen führt. Das gereizte Tier legt die Ohren zurück, macht ein verärgertes Gesicht, kommt näher und speit plötzlich seinem Quälgeist mit wohlgezielter Berechnung einen höchst übelriechenden Speichel entgegen. In andern Fällen wirft es sich zu Boden und ist dann weder durch Schmeicheln, noch durch Schläge zum Aufstehen zu bewegen. In gewissem Gegensatz zur Scheu der Lamas steht ihre auffällige Neugier. Darwin, der auf seiner so berühmt gewordenen Weltreise wiederholt Guanakos in Patagonien und Feuerland zu beobachten Gelegenheit hatte, schreibt darüber: »Trifft man zufällig ein Lama oder ein Rudel, so bleiben sie gewöhnlich regungslos stehen und äugen aufmerksam zu dem Jäger hinüber. Mehr als einmal habe ich Guanakos gesehen, die, wenn man sich ihnen näherte, nicht nur wieherten und blökten, sondern sich, gleichsam zur Herausforderung, auf die lächerlichste Weise bäumten und herumsprangen. Legt sich der Jäger auf die Erde und macht er dann irgendwelche seltsamen Bewegungen, indem er z. B. mit den Beinen strampelt, so kommen sie näher und näher, um zu beobachten, was da geschieht. Unsre Jäger führten diese Komödie wiederholt mit Erfolg auf und konnten dabei mehrere Schüsse abgeben, die von den Lamas offenbar als zum Schauspiel gehörig betrachtet wurden.« Die Indianer erlegen Guanakos und Vikunjas gewöhnlich auf Treibjagden mit Hilfe ihrer Bolas. Das sind etwa meterlange Riemen oder Sehnenschnüre, die an dem einen Ende je einen rundlichen Stein oder eine Bleikugel tragen, am andern Ende, zu zweien oder dreien, miteinander verknüpft sind. Beim Schleudern hält man die Bola an einem Steine fest und schwingt die beiden andern an den Riemen so lange um den Kopf, bis sie genügende Wurfkraft erlangt haben. Die eigentliche Jagd schildert ein englischer Sportsmann folgendermaßen: »Schon vor Sonnenaufgang war ein Teil der Indianer mit Pfählen, Stricken und Lappenbündeln aus dem Lager aufgebrochen. Die Frauen und Knaben begleiteten diese Abteilung. Ihr Ziel war eine große Hochebene in der Nähe unsres Lagers. Etwa eine Stunde später machten sich auch die übrigen, zumeist beritten, auf den Weg; in ihrer Begleitung befanden sich die Treiber mit den Hunden. Wir hatten bald die Ebene erreicht. Hier war die erste Abteilung damit beschäftigt, aus den Pfählen, Stricken und Lappen eine Einzäunung herzustellen. Ein Stück davon war bereits fertig: die Pfähle standen im Abstand von wenigen Schritten und waren durch die Seile, an denen die Lappen hingen, miteinander verbunden. Fast drei Kilometer weit dehnte sich schließlich dieses »Korral« im Rund; in der Breite von mehreren hundert Schritten blieb jedoch ein Eingang frei. Sobald das Korral fertig war, postierten sich die Arbeiter in gewisser Entfernung hinter dem Zaune und seitlich des Eingangs. Inzwischen hatten die Jäger und Treiber in großem Bogen die Hochebene umkreist und bewegten sich nun langsam auf das Korral zu, so daß die auf der Ebene weidenden Tiere dort hineingetrieben wurden. Jetzt kamen die Reiter näher und näher. Mehrere kleine Rudel Vikunjas flüchteten vor ihnen her, machten, sobald sie die Männer und Weiber am Korral sahen, scharf kehrt, verwirrten sich und drängten sich schließlich, wohl fünfzig bis sechzig Stück, auf einem Knäuel zusammen. Nun stutzten sie, ein Leittier glaubte den Weg zur Flucht entdeckt zu haben, und im Galopp stürzte die ganze Herde ihm nach in das Korral. Die am Eingang postierten Indianer trieben alsbald neue Pfähle in den Boden, zogen Stricke dazwischen, und im Augenblick war der Kreis geschlossen. Währenddessen galoppierten die Jäger außen um das Korral herum, sprangen von den Pferden und stellten sich in Zwischenräumen voneinander auf. Jetzt machten sie Lasso und Bola fertig und rückten nun, die Schleuder schwingend, mit lautem Zuruf gegen die Mitte vor. Die erschreckten Vikunjas sprangen von einer Seite zur andern und sahen sich überall einem Indianer gegenüber; bisweilen teilten sie sich in kleinere Rudel und liefen nach verschiedenen Richtungen; dann wieder vereinigten sie sich und glitten in zierlichen Bogenlinien über die Ebene. Es war ein merkwürdiges Schauspiel. Hier stand ein Indianer und schwang die bleiernen Kugeln um seinen Kopf; dort sprang ein andrer auf ein getroffenes und stürzendes Vikunja los. Ein dritter bückte sich über ein schon am Boden liegendes und zückte sein blutiges Messer; dann löste er die Riemen von den Läufen seines Opfers, schwang die Bola wieder in der Luft und lief auf ein neues Beutetier zu. Es waren auch einige Guanakos in das Korral geraten. Für sie waren die mit Lappen versehenen Stricke kein Hindernis; sie brachen einfach durch, und schließlich erspähten auch die Vikunjas die Öffnung, stürzten in sausender Flucht darauf zu und entkamen. Damit war die Jagd vorüber. Die Beute bestand aus fünfzehn Stück. Sie wurden auf einen Haufen getragen, enthäutet und das Fleisch dann an die verschiedenen Familien verteilt. Solche Jagden dauern gewöhnlich mehrere Tage, ja Wochen.«

Die zahmen Lamas dienen als Lasttiere, die in ganzen Herden, von wenigen Treibern geleitet, mit großer Sicherheit nicht zu schwere Lasten über das unwegsame Hochgebirge zur Küste tragen. Ist die Ladung zu schwer, so legt sich das Lama (ganz wie das Kamel) nieder, schreit und steht nicht eher wieder auf, als bis die Last erleichtert ist. Auch wenn es müde oder hungrig ist, wirft es sich zu Boden. Der alte Ulloa erzählt uns, wie die Indianer Perus ehedem das Lama, bevor es zum Lasttragen abgerichtet wurde, durch eine Feier gleichsam zum künftigen Gefährten des Menschen erst weihten. Man führt die Tiere, schildert er, in einen bei der Hütte abgegrenzten Hof, putzt sie mit bunten Bändern und Federbüschen heraus und bringt gerösteten Mais und Chicha (eine Art Maisbier) herbei. Die Freunde und Bekannten des Besitzers kommen mit Frauen und Kindern zusammen, und nun beginnt zum Klang von Trommel und Pfeife ein fröhliches Tanzfest, das mehrere Tage und Nächte währt. Von Zeit zu Zeit nähern sich die Anwesenden den in einer Ecke des Hofes stehenden Tieren, umarmen sie und überhäufen sie mit Liebkosungen, halten ihnen die Flaschen mit Chicha hin, reden sie an, sagen ihnen Schmeicheleien, und dann erst beginnt die Abrichtung zum Lasttragen, wobei man sehr sorgsam und sanft verfährt.


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