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Das Känguruh

Als der berühmte englische Entdecker James Cook auf seiner ersten Weltumseglungsfahrt im Jahre 1770, an der klippenreichen, unwirtlichen Küste von Neusüdwales fast gescheitert, für längere Zeit einen Hafen anlaufen mußte, um sein leckes Schiff dort auszubessern, sah er eines Tags aus der Ferne ein merkwürdiges Tier, das »von einer hellen Mausfarbe war, an Gestalt und Größe einem Windhunde glich und einen langen Schwanz hatte, den es ebenso trug wie ein Windhund. Ich würde es auch wirklich«, schreibt er in seinem Tagebuche, »für einen wilden Hund gehalten haben, wenn es nicht, anstatt zu laufen, gleich einem Hasen oder Reh gesprungen wäre«. An den folgenden Tagen wurde das seltsame Tier häufiger gesehen, einmal auch von einem Windhund »sehr ordentlich und schön gejagt«; aber er »mußte bald zurückbleiben, denn das Gras stand hier so hoch und dicht«, daß er »nicht hindurch konnte. Die Tiere hingegen liefen nicht auf vier Füßen, sondern hüpften beständig auf zweien und immer über das Gras hinweg«. Erst ein paar Wochen später glückte es den Engländern, eines dieser Tiere zu erlegen. Cook gibt davon eine genaue Beschreibung und bildet es ab, weil es keinem bisher bekannten Tiere ähnlich sei, und bemerkt schließlich: »Bei den Eingeborenen heißt dieses Tier Känguruh.« So seltsam auch das Tier den Engländern erschien: das Seltsamste an ihm war ihrer Aufmerksamkeit dennoch entgangen. Das erlegte Känguruh war nämlich, der Abbildung nach zu schließen, ein Männchen, und auch an keiner andern Stelle seines Berichtes erwähnt Cook den Brutbeutel, der doch das Charakteristischste am Känguruh ist; denn das Känguruh ist bekanntlich ein sogenanntes Beuteltier.

In grauen Urwelttagen sind die Beuteltiere einmal über die ganze Erde verbreitet gewesen. Winzige, nur mäusegroße Beutler waren als erste Vertreter der Säugetiere schon Zeitgenossen der längst ausgestorbenen, gigantischen Drachen und Riesenechsen. Sie sind dann von den besser für den Kampf ums Dasein ausgerüsteten andern Säugetierformen allmählich überall verdrängt worden und vermochten sich nur in den Urwäldern Südamerikas und vor allem in dem abgelegenen Australien und seiner öden Inselwelt bis in unsre Tage zu erhalten. Hier, in Australien, dem schon frühzeitig von den übrigen Erdteilen abgetrennten Kontinente, unterblieb nämlich die Entwicklung andrer Säuger, und die Beuteltiere haben sich in Anpassung an die verschiedenartigen Lebensbedingungen ihrerseits zu Raubtieren, Nagetieren, Insektenfressern und Huftieren ausgebildet. Was die Beuteltiere im wesentlichen von allen andern Säugern unterscheidet, ist der Umstand, daß die völlig nackt und blind und mit nur stummelförmigen Gliedmaßen erst, ganz hilflos geborenen Jungen, die winzig klein, beim bis drei Meter langen Riesenkänguruh ( M?cropus gig?nteus) beispielshalber nur etwa drei Zentimeter groß sind, ihre frühe Jugend, mehr als ein halbes Jahr, in dem »Brutbeutel« der Mutter zubringen. Dieser Brutbeutel, eine Hautfalte am Bauche, die durch besondere schlanke Knochenstäbe wie eine Reisetasche aufgesperrt gehalten wird, birgt die Zitzen. Gleich nach der Geburt ergreift die Mutter das Junge vorsichtig mit den Lippen, hebt es in den Beutel und stülpt es mit seiner Mundöffnung über eine der Zitzen. Hier bleibt es nun so lange hängen, bis es imstande ist, die Nahrungsquelle freiwillig zu verlassen und selbständig wieder zu ergreifen. Dann erst verläßt es diesen warmen, natürlichen Brutschrank, dieses angeborene Nest, entwöhnt sich allmählich, kehrt aber noch lange bei drohender Gefahr in das sichere Versteck zurück.

Es ist eine groteske Tiergestalt, solch Känguruh, und alle seine Bewegungen haben etwas komisch Ruckweises wie die der Figuren im Kasperletheater, die auf einen Zug oder Druck des verborgenen Spielers zusammenklappen oder emporschnellen. Auf einem breiten, massigen, beim Weibchen durch den Brutbeutel tonnenförmig gerundeten Hinterleib sitzt ein auffallend schmächtiger Vorderkörper, der einen Kopf trägt, halb wie ein Reh und halb wie ein Fuchs zu schauen, mit mächtigen Ohren. Die Vordergliedmaßen sind kurz und wie verkümmert, die Hinterbeine übermäßig lang und muskelstark. Diese mächtigen Hinterläufe und der riesige, dicke, drehrunde, sich stark verjüngende Schwanz, der in der Bewegung wuchtig auf und nieder wippt, in der Ruhe aber wie zerbrochen am Boden liegt und zusammen mit den Hinterläufen eine Art von Schusterdreibein darstellt, sind das Bezeichnendste im Gesamtbilde des Känguruhs. Der Gang des ruhig weidenden Tiers ist wie ein Humpeln auf Krücken: es neigt sich vornüber, stützt sich auf die Vorderfüße, hebt die Hinterläufe, indem es sich auf den Schwanz stemmt, an den Vordergliedmaßen nach vorn und außen vorüber, kippt leicht zurück, neigt sich von neuem nach vorn und schiebt sich dergestalt höchst unbeholfen und langsam weiter, von Zeit zu Zeit haltmachend, sich halb aufrichtend und mit den handgeschickten, fünfzehigen Vorderfüßen die Nahrung zum Maule führend. Ganz anders, wenn es springt. Die Vordergliedmaßen dicht an die Brust gedrückt, federt es sich mittels der gewaltigen Schenkelmuskeln, die starkbekrallten Mittelzehen und den Schwanz im Absprung gegen den Boden stemmend, in Sätzen von drei Meter Höhe und bis zu zehn Meter Weite in flachen Bogen wie ein Pfeil durch die Luft. Es fliegt nur so über Büsche und Hügel, stundenlang, ohne zu ermüden, und der flüchtigste Jagdhund vermag ihm kaum zu folgen. Die Flucht ist denn auch die wichtigste Waffe des Känguruhs, obschon es mit den Hinterläufen dank der Schenkelkraft und der langen, scharfen Kralle der Hauptzehe gefährliche Wunden auszuteilen vermag.

siehe Bildunterschrift

Riesen-Känguruh

Da das Känguruh das größte und wichtigste Wild Australiens ist, wurde es von jeher eifrig gejagt. Während aber die Eingeborenen es nur um des Wildbrets und des Felles wegen töten, veranstalten die weißen Kolonisten meist lediglich zu ihrer Belustigung Treibjagden mit Hunden auf das Tier, das man einfach liegen läßt, nachdem es erlegt, kaum daß man den muskelreichen Schwanz nach Art des Ochsenschwanzes und des Schildkrötenfleisches zur Suppe verwendet. Erst seitdem das Känguruh infolge solcher sinnlosen Ausrottung seltener zu werden beginnt, fängt man an, den Schwanz als Delikatesse zu schätzen, und als solche finden wir ihn auch seit einiger Zeit auf der Tafel europäischer Feinschmecker.

Wie das Känguruh, von dem es übrigens mehrere, verschieden gefärbte, auch in der Größe erheblich voneinander abweichende Arten gibt, die teils in den lichten Buschwäldern und grasreichen Ebenen, teils im Gebirge leben, von den australischen Eingeborenen aus mannigfache Weise gejagt wird, hat uns K. E. Jung geschildert. Mit Keule und leichtem Speer bewaffnet, macht sich der schwarze Jäger auf die Jagd. Sobald er die Spur gefunden hat, verfolgt er sie unermüdlich, bis ihm das Tier zu Gesicht kommt. Flüchtet es, so eilt er ihm nach, und bricht die Nacht herein, so macht er ein Feuer und schläft bei der Spur, um beim nächsten Morgengrauen die Verfolgung wieder aufzunehmen. Am zweiten, spätestens am dritten Tage pflegt das Känguruh ein Opfer des Jägers zu werden, der für solche Tat großen Ruhm erntet. Wenn aber das Tier, durch die beständige Verfolgung gereizt, sich gegen den Jäger kehrt, so kann es ein gefährlicher Gegner werden. Ein »alter Mann Känguruh«, wie die Schwarzen und nach ihnen die Ansiedler ein erwachsenes, männliches Riesenkänguruh nennen, packt den, der sich ihm unvorsichtig naht, mit den Vordergliedmaßen und gebraucht die furchtbaren Klauen seiner Füße wie sein gar nicht verächtliches Gebiß. So furchtsam die Tiere sonst sind, so wütend können sie sich im Notfalle verteidigen und gehen, wenn der Jäger sich zurückzieht, auch wohl zum Angriff über. Das Känguruh sucht, wenn es kann, schnell das Wasser auf, schwimmt geschickt über Flüsse und wagt sich sogar ins Meer. Diese Jagd ist also keine leichte. Man fängt das schnellfüßige Tier aber auch in tiefen, mit Reisig bedeckten Gruben, bei denen lange und starke Verhaue zusammenlaufen, oder in großen, starken Netzen, die man an Orten aufspannt, wo das Känguruh zur Tränke geht. Eine weitere Jagdart ist folgende: Aus belaubten Zweigen wird eine Schirmwand geflochten, hinter der einer der Jäger sich bis auf Wurfweite vorsichtig heranpürscht. Ein andrer nähert sich dem Tiere von der entgegengesetzten Seite und sucht durch lautes Zerbrechen trocknen Holzes die Aufmerksamkeit des neugierigen Känguruhs zu fesseln. Im geeigneten Augenblick wird dann der Speer oder die Wurfkeule geschleudert. Sehr originell endlich ist die Methode, wie die Eingeborenen das Wallaby ( Macropus Billardiçrii), eine kleinere Känguruh-Art, überlisten. Der Jäger befestigt an einem langen, biegsamen Stabe wie an einer Angelrute den Balg eines Habichts. Damit und mit seinem Speer zieht er in den Wald. Sobald er nun ein Wallaby erblickt, setzt er seine Rute derart in Bewegung, daß der Habicht niederzustoßen scheint und ahmt zugleich den heiseren Schrei des Raubvogels nach. Erschreckt flüchtet das wie alle Känguruhs außerordentlich furchtsame Wallaby in den nächsten, dichten Busch, verharrt dort regungslos und wird ohne sonderliche Mühe vom Jäger aufgespießt.


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