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Das Flußpferd

Das Wort »Karbatsche«, vom arabisch-türkischen kurbadj herzuleiten, hat in unsern Ohren einen fatalen Klang. Es ist einem Dinge eigen, das in unsrer aufgeklärten Zeit und Welt glücklicherweise nur selten zur Anwendung kommt, bis zum heutigen Tage jedoch das »unentbehrlichste Werkzeug jeder ägyptischen Behörde« ist, wie Heuglein sich ausdrückt, täglich in Übung ist und mit der Haut des Fellachen und Berbers in sehr vertraute Berührung zu kommen pflegt. Es ist das belebende, aufregende Element gegen Hinbrüten und Faulheit, führt unser Gewährsmann (wenig human) weiter aus, das trefflichste niederschlagende Mittel gegen Unverschämtheit und Frechheit; es schafft Friede und Ordnung und fördert Rechtspflege und Geschäftsgang in ersprießlicher Weise und Kürze. Es ist ein hart-elastisches, graues Ding von etwa Meterlänge, an einem Ende kantig flach, am andern oft geteilt und spiralig gedreht; es ist die berüchtigte Sklavenpeitsche, aus der Haut des Nilpferds geschnitten …

Das »Nilpferd«, wie die Alten es nannten, das »Flußpferd«, » Hi´ppopo´tamus« (griechisch), das »Ker« (d. h. das »sich wälzende« Tier) der Hieroglyphen Ägyptens, der »Behemoth« der Bibel, ist dem Menschen seit Jahrtausenden bekannt. »Seine Knochen sind wie eherne Röhren, seine Gebeine wie eiserne Stäbe«, heißt's im Buche Hiob von ihm, »die Berge tragen ihm Kräuter; er liegt gern im Schatten, im Rohr und im Schlamm verborgen; das Gebüsch bedeckt ihn mit seinem Schatten, und die Bachweiden umgeben ihn. Siehe, er schluckt in sich den Strom und achtet's nicht groß, läßt sich dünken, er wolle den Jordan mit seinem Maule ausschöpfen.« Wie sich in dieser Schilderung gute Beobachtung mit übertreibender Phantastik paart, so auch noch in der der Griechen und Römer. »Es ist ein vierfüßiges Tier mit gespaltenen Klauen, hat Ochsenhufe, eine Stumpfnase, Pferdemähne, hervorstehende Hauer, Pferdeschweif und -stimme,« berichtet Herodot, »die Größe als wie der größte Ochs, und seine Haut hat eine solche Dicke, daß, wenn sie ausgetrocknet ist, Lanzenschäfte daraus gemacht werden.« Merkwürdig: obschon die Römer das Flußpferd seitdem Jahre 58 v. Chr. aus Zirkuskämpfen kannten – in jenem Jahre ließ der Ädil Marcus Ämilius Scaurus ein Flußpferd mit fünf Krokodilen kämpfen –, haben sie die Fehler in der Schilderung Herodots nicht beseitigt, sondern eher noch vermehrt. Und in dem berühmten Tierbuch des Albertus Magnus, des Magiers und Weltgelehrten des Mittelalters, sind aus dem Fluß- oder Nilpferd vollends zwei wahre Fabelwesen geworden: das » Ipodamus«, ein Pferd mit Adlerschnabel und gespaltenen Klauen, und das »Nilpferd« mit Riesenkrallen, Fischschwanz, stachligen Rückenflossen und Hauern! Erst im Anfang des 17. Jahrhunderts lernten Europäer das Tier wieder aus eigener Anschauung kennen, im Sudan und später im Kapland, und erst im Jahre 1850 kam das erste lebende Flußpferd wieder nach Europa, wie wir nachher erzählen wollen.

Das Flußpferd ( Hippopotamus amphîbius), ein entfernter Verwandter des Schweins, ist wohl das plumpste aller Landtiere. Vier kurze, dicke Beine schleppen kaum den wahren Falstaffbauch, diesen »quammig-quappigen« (um ein Goethewort zu gebrauchen), faßartig aufgetriebenen Leib, der auf kurzem Speckfaltenhalse den viereckigen, flachgedrückten Kopf mit der grotesken Klapptaschenschnauze trägt. Der Rachen ist weit gespalten, und wenn die Tiere im Zoologischen Garten ihn in Erwartung eines Leckerbissens mit hörbarem Ruck aufreißen, hat er wirklich etwas von einem mechanischen Springverschluß an sich. Dicke, fettschwabbelnde Lippen, die förmlich überzuquellen scheinen, schließen ihn und verbergen das furchtbare Gebiß mit seinen zu Hauern gebogenen Eckzähnen, die im Unterkiefer halbmeterlang sind und acht Pfund schwer werden können. Diese dreiseitigen, durch die Benützung gegeneinander oben und unten an der Spitze schräg abgeschliffenen und wie polierten Eckzähne, aber auch die übrigen Zähne des Flußpferds geben ein sehr gesuchtes »Elfenbein«, das an Weiße, Härte und Feinheit das der Elefantenstoßzähne noch übertrifft, und daraus nicht selten deshalb die künstlichen Zähne des Menschen gefertigt werden. Das Innere des Rachens hat man nicht übel mit einer »Masse frisch geschlachteten Fleisches« verglichen. Der Gaumen aber ist durch Querfurchen wie ein Waschbrett gewellt und gerippt. Solchem Großmaul entspricht ganz und gar nicht die Enge des Schlundes. Das Tier ist eben ein ausgesprochener Pflanzenfresser, wie alle Riesentiere, und ist, da es bei seinem gewaltigen Appetit ein unsäglicher Vielfraß, sogar im Haushalt der Natur recht nützlich, indem es, dank seinem unersättlichen Magen die tropischen Flüsse und Seen vor dem Verkrauten schützt. Die verschließbaren, breiten Nasenlöcher, die kleinen, dumm glotzenden Augen und die ebenfalls kleinen Ohren, die ständig wie in nervösem Zucken bewegt werden, liegen hoch oben auf dem Kopfe, so daß das Tier zur Beobachtung und Atmung nur den oberen Teil des Kopfes über Wasser zu erheben braucht. Der Engländer Burchell hat darauf aufmerksam gemacht, wie der dergestalt gerade über den Wasserspiegel hervorragende Kopf des Hippopotamus im Profil auffallend einem Pferdekopf ähnelt, und so den Namen, den die ersten Beobachter dem Tiere gaben, erklären zu können geglaubt: aus dem sichtbaren »Pferdekopf« schlossen sie eben auf weitere, ihrem Blicke vom Wasser verdeckte Pferdemerkmale. Die Füße des Flußpferdes zeigen vier breite, in Hufen steckende, durch Schwimmhäute verbundene Zehen. Der Schwanz ist kurz und dünn und trägt ein paar Borsten, während die außerordentlich dicke, auf der Oberseite dunkelbräunlich, am Bauche etwas heller bis blaßrosa gefärbte, stark runzlige, wie gefelderte Haut des Körpers fast nackt ist. Das erwachsene Tier wird vier Meter lang, hat eine Schulterhöhe von etwa anderthalb Meter und erreicht nicht selten ein Gewicht von fünfzig Zentner und darüber.

siehe Bildunterschrift

Flußpferdfamilie

Einst bis zur Nilmündung hinaufgehend und so häufig, daß die Flußpferdjagd nicht nur ein beliebter Sport, sondern auch eine Ehrenpflicht der ägyptischen Großen war, die die Felder ihrer Leute vor den Verwüstungen an Land weidender »Flußschweine« schützen mußten, über ganz Afrika bis zum Kap hinunter verbreitet, ist das Tier heut fast allenthalben in das Innere zurückgedrängt oder auf verschwiegene Küstenbezirke angewiesen, hier allerdings noch recht zahlreich und sich in Herden von zwanzig bis fünfzig Stück tummelnd. In Liberia kommt eine Art von zwergenhaftem Flußpferd vor. Das »amphibische« nennt die Wissenschaft das Flußpferd: es ist in gleicher Weise auf dem Lande wie im Wasser zu Hause. Auf dem Lande unbeholfen, schwankend watschelnd, den Bauch gleichsam über Gras und Schilf dahinschleifend, tummelt es sich im Wasser behende genug, wozu es die tragenden Fettmassen sonderlich befähigen; schwimmt es doch selbst ins Meer hinaus und ist mehrfach schon auf der Insel Sansibar erlegt worden. Zur Mittagsstunde pflegt es sich auf Sandbänken zu sonnen, Madenhacker suchen ihm dann wohl die Egel vom Fell ab; abends verläßt es das Wasser und geht an Land, um zu weiden. Dabei unternimmt es, wie Heuglin berichtet, oft weite nächtliche Streifen, ersteigt Felsen und Höhen, oft so steil, daß der Mensch, ohne zu klettern, sie nicht erreichen kann. Sein Naturell ist entsprechend seiner Wohlbeleibtheit ein friedliches; nur wenn es gereizt, in seiner Ruhe gestört, erschreckt oder angeschossen wird, und wenn es gilt, das Junge zu verteidigen, kann es ungemütlich werden, greift es den Menschen und sein Boot an. Die Stimme, die die Alten dem Wiehern des Pferdes verglichen, ist im Behagen ein tiefes brummendes Grunzen, in der Erregung ein weithin dröhnendes, bellendes Brüllen. Es ist ein tiefer, hallender Baß, der aus einer großen Tonne zu kommen scheint, vergleicht Heuglin. Ein Konzert von mehreren wetteifernden Bullen, das plötzlich durch die einsame, stille Nacht hallt, schildert er weiter, das Rauschen, Blasen, Plumpen und Tauchen macht einen unendlich großartigen Eindruck, den selbst die Tiere der Wildnis zu empfinden scheinen; denn Schakal, Hyäne und selbst der Löwe schweigen und lauschen, wenn, dem Rollen des Erdbebens gleich, Behemoths Donnerstimme sich über die Wasserflächen wälzt und, vom fernen Urwald gedämpft, widerhallt.

Wie schon die alten Ägypter jagen noch heut die Eingeborenen am Nil das Flußpferd mit der Harpune. Die sich beim Haften im Körper ablösende Harpunenspitze hat hier die Form einer (mit Widerhaken versehenen) Radiermesserklinge; an das Harpunenseil ist ein großer Klotz als Schwimmer gebunden, der dem Jäger anzeigt, wohin das verwundete Tier sich wendet. Ans Land gezogen, wird das erschöpfte Nilpferd mit Lanzen getötet. Am Sambesi erlegt man es, nach Livingstone, in plumpen Fallen mittels vergifteten Fallbolzens; in Südafrika fing man es auch in Gruben. Eine Kugel ist nur dann tödlich, wenn sie das Gehirn in der Nähe des Auges oder des Ohrs trifft. Die untersinkenden Tiere treiben nach gewisser Zeit an die Oberfläche des Wassers und werden dann ans Ufer geholt. Das Fleisch des Flußpferds wird von den Negern gern gegessen. Im Kapland zogen einst selbst die Buren den »Seekuhspeck« dem des Schweines vor.

Und nun mag zum Schlusse Dickens uns die Geschichte des ersten wieder nach Europa gebrachten Flußpferdes erzählen. Der englische Generalkonsul Murray hatte vom ägyptischen Vizekönig Abbas Pascha sich ein Flußpferd als interessantes und wertvolles Geschenk für die Königin Viktoria mehrfach erbeten. Endlich willfahrte der Pascha seiner Bitte. »Sie wünschen also einen Hippopotamus, Konsul?« fragte er eines Tages plötzlich bei Tische, »und Sie meinen, solch ein Tier wäre ein willkommenes Geschenk für Ihre Königin und Ihr Land?« – »Es würde als große Rarität geschätzt werden,« sagte der Konsul, »und unsre Naturforscher würden es – bildlich gesprochen – mit offenen Armen aufnehmen, das Publikum würde in Haufen herbeiströmen, ihm seinen Respekt zu bezeugen.« »Gut, wir wollen sehen, was sich tun läßt«, entgegnete der Pascha, drehte hierauf sein Haupt etwas seitwärts gegen die Dienerschaft und befahl: »Der Statthalter von Nubien soll hierher kommen!« Wer mit den leichten Gewohnheiten eines despotischen Herrschers nicht bekannt ist, fährt der englische Dichter mit köstlichem Humor fort, wird hier natürlich voraussetzen, daß der Statthalter von Nubien gerade in Kairo weilte, in der Nähe des königlichen Palastes. Dem war aber nicht so. Der Statthalter von Nubien war ganz einfach zu Hause und rauchte in Nubien vielleicht gerade seine Pfeife. Der kurze und ungeschmückte Befehl umfaßte hiernach einen Eilboten zu Dromedar durch die Wüste nebst einem Nilboote, dann mehr Dromedare, dann ein anderes Nilboot und nochmals ein Dromedar, bis des Paschas Auftrag ausgerichtet war. Wir sehen nunmehr den Statthalter von Nubien nebst Gefolge in offiziellem Staate durch die Wüste eilen, den Nil hinab. Tag und Nacht, bis er endlich dem Pascha gemeldet wird. »Statthalter,« sagt der Pascha, »habt Ihr Flußpferde in Eurem Lande?« »Wir haben welche, Hoheit!« Abbas Pascha überlegte einen Augenblick und sagte dann: »Schicke mir den Befehlshaber der nubischen Armee. Geh!« Das war die ganze Unterhaltung. Der Statthalter machte seinen Selam und zog sich zurück. Mit gleicher Hast und Zeremonie kehrte er zu Boot und Dromedar, zu Pferd und in gedeckter Sänfte nach Nubien zurück, und sofort machte sich der Befehlshaber der Armee auf den Weg zum Pascha. Pünktlich traf der Befehlshaber in Kairo ein. »Kommandant,« sagte der Pascha, »ich höre, Ihr habt Flußpferde in Eurer Gegend.« »Das ist richtig, Hoheit; aber –« »Bring' mir ein lebendiges Flußpferd – ein junges. Geh!« Das war die ganze Unterhaltung … Es gelang tatsächlich nach einiger Zeit, eines ganz jungen Flußpferds, dem man die Mutter tötete, habhaft zu werden. Es wurde mit ungeheuer viel Milch gefüttert, da es Gras nicht fressen wollte und einen lebendigen Fisch gleich wieder ausgespien hatte, man gab ihm eine lebende Kuh mit auf die Fahrt und nahm bei jedem Aufenthalte eine allgemeine Melkerei im nächsten Dorfe vor. Am 14. November 1849 traf es nach sechsmonatiger Reise in Kairo ein. Der Pascha überlieferte es sofort dem englischen Konsul, der bereits in seinem Hofraum eine Stallung mit heizbarem Bad hatte bauen lassen und sich vor allem der Dienste eines ausgezeichneten Tierpflegers, des Hamet Safi Kannana, versichert hatte. In den ersten Tagen des Mai wurde der Gegenstand so vieler Sorgfalt in einem gepolsterten Karren nach Alexandria verbracht. Hier entstand bei seiner Ankunft ein solches Gedränge in den Straßen, daß der Konsul den Statthalter um militärische Hilfe angehen mußte. Kavallerie säuberte mit gezogenem Säbel die Straßen. Alles bildete Spalier, das seltene Tier zu sehen. Der Hippopotamus schlief aber noch und durfte nur ganz vorsichtig geweckt werden. Endlich gelang das. Feierlich voranschreitend erschien zuerst der Araber, und dicht hinter ihm folgte wackelnd das Flußpferd. So ging's an Bord des Dampfers Ripon, auf dem ein Haus mit einer riesigen Badevorrichtung, die vom Deck bis zum Kielraum hinabreichte und deren Wasser regelmäßig durch frisches ersetzt werden konnte, nach Angaben des Zoologen Mitchell erbaut war. Zwei Kühe und zehn Ziegen waren zur Stillung des Appetits an Bord genommen worden, dazu einige Dutzend Säcke Maismehl. In Kairo hatte Hamet nachts neben seinem Pflegling im Heu geschlafen. Als aber das Wetter wärmer und der Hippopotamus dicker und dicker wurde, sehnte Hamet sich nach einem Privatbett. Er befestigte deshalb zwei bis drei Fuß über seiner bisherigen Schlafstelle eine Hängematte und überließ sich, nachdem er seinen Pflegling durch Stimme und streichelnde Berührung genugsam von seiner Anwesenheit überzeugt hatte, hier sorglos dem Schlaf. Über kurz oder lang weckte ihn das Gefühl eines plötzlichen Schupses, und er lag in seinem alten Bett, an der Seite seines fetten Genossen. Hamet machte noch einen Versuch mit der Hängematte, aber ebenso erfolglos wie das erstemal; denn kaum war er eingeschlafen, so stand der Hippopotamus auf, streckte die breite Schnauze unter die tiefste Stelle der Hängematte, stieß nach oben, und Hamet lag am Boden. Bei der Ankunft in Southampton wurde der Hippopotamus samt Haus und Hamet Safi Kannana gehißt und langsam auf einen großen eisernen Blockwagen herabgelassen. Dieser wurde auf den Bahnhof gerollt, und fort ging's mit Extrazug nach London. Um zehn Uhr nachts kam der Hippopotamus in Regent's Park an und fand Lord Brougham, Professor Owen, Thomas Bell und Mr. Mitchell zu seinem Empfange bereit. Außerdem waren noch zur Stelle der Herausgeber der »Annalen der Naturgeschichte« und der Herausgeber des »Zoologist« mit einem Stab von Künstlern, die beim Schein von Laternen hippopotamische Skizzen aufnahmen und jede Bewegung des Tieres bewachten. Der berühmte Fremdling wurde von seinem Wagen herabgelassen und trat ein in die Gärten den 25. Mai 1850. Zuerst kam die Laterne, dann Hamet Safi Kannana und hinter diesem, ohne den Männern der Wissenschaft die geringste Beachtung zu schenken, der junge Hippopotamus. – So die ergötzliche Schilderung von Dickens in den » Household Works« Die Aufregung, die das junge Flußpferd in England verursachte, war in der Tat ungeheuer: die Besucherzahl des Zoologischen Gartens stieg aufs Doppelte.

Seitdem sind Flußpferde in unsern zoologischen Gärten nichts Seltenes mehr. Sie pflanzen sich hier auch fort, sind aber nach allen Erfahrungen in der Gefangenschaft schlechte Eltern.


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