Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Krokodil

Ein lust'ger Musikante marschierte einst am Nil, da kroch aus dem Wasser ein großer Krokodil«, singt Geibels »Lob der edlen Musika« und erzählt dann weiter, wie das Krokodil, vom Geigenspiel bezaubert, seine raubgierige Absicht vergißt und zu tanzen beginnt. »Es tanzte wohl im Sande, im Kreise herum, und tanzte sieben alte Pyramiden um«, die das »Teufelsvieh« unter sich begruben. Das ist sehr lustig zu singen und war darum das Leib- und Magenlied einer heitren Tafelrunde berühmter Dichter im München des Königs Max von Bayern, einer Tafelrunde, die sich, nach einer »rührenden« Romanze Hermann Linggs, sogar »Das Krokodil« nannte. Diese Romanze besingt ein altes Gangeskrokodil: »Es ist ganz alt und völlig blind, und wenn es einmal friert des Nachts, so weint es wie ein kleines Kind, doch wenn ein schöner Tag ist, lacht's«, im übrigen pflegte es aber an einem Lotosstiel zu kauen. Lingg spielt hier auf die alte Fabel von den »Krokodilstränen« an, wonach das Krokodil, um Menschen anzulocken, die Stimme eines weinenden Kindes nachahmen soll. Nun, das Krokodil weint weder, noch lacht es, noch tanzt es gar: Dieses »bestgehaßte Tier«, wie Schillings es einmal nennt, ist vielleicht das heimtückischste aller Geschöpfe und verdient ganz und gar keine Sympathie. Im alten Ägypten galt das Krokodil als Sinnbild des bösen Wesens Typhon, des Zerstörers des Lebens, und unsre Vorfahren nannten es sehr bezeichnend »Nihhus«, »Nix«, Wassergeist. Wenn ihm gleichwohl in gewissen Gegenden Ägyptens göttliche Ehren zuteil wurden, so geht das auf das Bestreben zurück, den bösen Geist dadurch zu versöhnen. Strabo erzählt uns, er habe in Arsinoë am Mörissee ein heiliges Krokodil gesehen, das ganz zahm war. Sein Gastfreund nahm eines Tages einen Kuchen, gebratenes Fleisch und eine Flasche Honigmet, und damit gingen sie zum See. Das Krokodil sonnte sich am Ufer. Sie übergaben den Priestern ihre Spende. Zwei öffneten nun dem Tiere den Rachen, ein dritter steckte die Speisen hinein, goß den Met dazu, das Tier sprang in den See und schwamm ans jenseitige Ufer. Ganz Ähnliches berichtete schon Herodot, und er schilderte zugleich, wie man die heiligen Krokodile, die »an die Land gewöhnt«, d. h. gezähmt sind, mannigfach schmücke: mit Ohrringen aus Glas und Gold, mit Armbändern usw., nach ihrem Tode würden sie einbalsamiert. Auch in Indien genießt das Krokodil – der Gavial oder Schnabelkrokodil ( Gaviâlis gangçticus) – abergläubische Verehrung. Der Hindu scheut sich, das Tier zu töten. Robert Schlagintweit sah im Magar-Pir-Teiche bei Karatschi (Indusdelta) Krokodile, die an den menschlichen Ruf gewöhnt waren. Durch regelmäßige Fütterung waren die Tiere so zahm gemacht, daß sie sich zu Dutzenden im Halbkreise um den Rufenden drängten, des Bissens gewärtig oder der zum Scherze vorgeworfenen, aufgeblasenen Tierdärme. Wiederholt wurden die Tiere durch vorgehaltenes Futter so lange ruhig erhalten, daß auf ihren Schädeln mit Ölfarbe heilige Sprüche und Bilder von Hindugottheiten aufgetragen werden konnten. Auch der Kaiman oder Alligator, das amerikanische Krokodil ( Alligator mississippiénsis) läßt sich zähmen. Hagenbeck berichtet, daß er es durch Füttern fertiggebracht habe, einzelne wild eingefangene Alligatoren so zu gewöhnen, daß sie sich schon nach vier bis sechs Wochen von ihm aus der Hand füttern ließen. Ein Freundschaftsverhältnis zwischen diesem Reptil und dem Menschen, setzt er freilich hinzu, ist natürlich ganz und gar ausgeschlossen. »Ich bin auch überzeugt, daß die Tiere zwischen dem hingehaltenen Fleisch und der Hand, welche das Fleisch hielt, wenig Unterschied gemacht haben würden, hätte man nicht die nötige Vorsicht walten lassen.« Die Amerikaner züchten neuerdings den Alligator in großen Farmen, um das Leder zu gewinnen, das zu Koffern, Taschen und Stiefeln verarbeitet wird.

siehe Bildunterschrift

Alligator

Die Ordnung der Krokodile – wir schildern hier im wesentlichen das afrikanische oder Nilkrokodil ( Crocodïlus niloticus) – umfaßt die größten der heut lebenden Echsen. Wird doch der Kaiman viereinhalb, das Nilkrokodil sechs, der Gavial gar nach Hagenbecks Angabe bis neun Meter lang. Die dicke, schmutzig-olivengrüne Laut ist mit Horn- und Knochenschildern gepanzert, welch letztere auf dem Rücken gekielt, längs des Schwanzes zudem gezackt sind. Die kurzen, kräftigen, plumpen Gliedmaßen gestatten dem Tiere auf dem Lande nur schwerfällige Bewegungen; im Wasser, seinem eigentlichen Elemente, dagegen ist es ein überaus flinker und gewandter Schwimmer, wozu die Schwimmhäute an den Hinterzehen und namentlich der seitlich zusammengedrückte, kräftige Ruderschwanz hauptsächlich beitragen. Mit diesem Schwanze vermag das Reptil auch überaus wuchtige Schläge auszuteilen; ein Schlag damit reicht hin, selbst größeren Säugetieren alle vier Beine zugleich zu zerschmettern. Der zu langer Schnauze ausgezogene, weit gespaltene Kiefer trägt zahlreiche, kegelförmige Zähne, die wie das Gebiß der großen Raubtiere teils ineinandergreifen, teils aneinander vorübergleiten und hier und dort aus dem Kiefer spitz hervorragen. Diese »mächtigen, ausgezackten Scherenblätter« ermöglichen es dem Krokodil, seiner Beute ein Bein, den Kopf usw. wie mit einem Schnitte glatt vom Körper zu trennen. Wenn das Krokodil ruhig im Wasser liegt, sieht man von ihm nur die Schnauzenspitze mit den durch Zusammenpressen der wulstigen Ränder wasserdicht verschließbaren Nasenlöchern und zuhöchst des Kopfes den erhabenen Bogen der Augen, die, sehr klein und von stechendem Glanze, mit ihrer senkrechten Pupille dem Blicke etwas tückisch Grinsendes geben. – Das Ganze, wie Heinrich Fonck treffend vergleicht, seitlich gesehen von der Form eines liegenden Dreiecks mit ganz spitzem Winkel. Die kleinen Ohröffnungen, das Krokodil hört gleichwohl überraschend gut, sind durch Hautklappen wie die Nase verschließbar. Das sich am Strande sonnende oder schlafende Krokodil gleicht meist so täuschend einem schlammigen Baumstamm, daß schon manch sorgloser Fischer oder Jäger seine Unachtsamkeit mit dem Tode oder schwerer Verwundung büßen mußte. Auch die im Wasser oft in größeren Scharen eines neben dem andern ruhenden Krokodile und Kaimans hält man leicht für angetriebene Stämme oder Flößhölzer. Das unvermittelte, plötzliche Auftauchen, das rasend schnelle Zufassen aus scheinbar ruhigem, ungefährlichem Wasser, das unheimliche, oft stundenlange, hinterlistige Lauern des Krokodils, schildert Fonck, das mit einer kaum glaublichen Geduld den richtigen Augenblick abzuwarten und dann mit erschreckendem Ungestüm blitzartig zuzupacken versteht, macht Menschen und Tiere ihm gegenüber so wehrlos. Die Heimtücke, mit der es an geeigneter Stelle aus dem Hinterhalt unter der Wasseroberfläche seinen zähnestarrenden Rachen abwartend bereit hält, um allzu sorglose Menschen ebenso wie die sonst so vorsichtigen Tiere beim Nachlassen ihrer auf die sie umgebenden feindlichen Gewalten eigentlich immer gespannten Aufmerksamkeit gelegentlich der Wasseraufnahme unter Wasser zu reißen, erklärt die Furcht der Tiere vor ihm, und den geradezu angeborenen Haß, den ihm die Menschen entgegenbringen. In unmittelbarer Nähe tiefen Wassers muß man unausgesetzt auf der Hut sein und tut gut, sich immer nahe dem Ufer zu halten. Die Beduinen am Nil errichten deshalb zum Schutz ihrer Viehherden stets »Zeriben« im Wasser, indem sie die zur Tränke geeigneten, vom Ufer leicht zugänglichen Stellen des Flusses mit Dornenhecken, die in das Wasser versenkt werden, gegen die Panzerechsen absperren. Ganz ebenso schützen die Hindus ihre Badeplätze durch starke Palisadenzäune gegen die Gaviale. Die Hauptnahrung des Krokodils, das übrigens ein nächtlicher Räuber ist, bilden freilich Fische; doch frißt es jegliches Aas, auch seinesgleichen, und ergreift jedes unvorsichtig seinem Verstecke sich nahende Tier, zieht es ins Wasser und zerreißt es. Wie von dem Tiger, der einmal Menschenfleisch gekostet hat, berichtet wird, er werde hinfort zum »Mannesser«, (vgl. a. S. 92) soll auch das Krokodil sich zum Menschenfresser ausbilden, ja, es soll sogar, wie Doflein angibt, eine Auswahl zwischen verschiedenen Menschenrassen treffen. Das wird im besondern von dem großen Krokodil an den Küsten des Indischen Ozeans ( Crocodilus porôsus) behauptet, das einen Weißen lieber als einen Neger fresse, im Chinesen aber einen bevorzugten Leckerbissen schätze. »Kentert ein Boot mit Angehörigen der drei Rassen in der gefährlichen Zone, so sind die Neger und die Weißen außer aller Gefahr, wenn nur genug Chinesen an Bord waren.« Die Gaviale finden erwünschte Beute zumal in den Leichnamen der frommen Hindus, die von ihren Angehörigen zum Zwecke der Bestattung den Fluten des heiligen Ganges übergeben werden; oft genug sollen die Krokodile selbst den zum Sterben ans Ufer Getragenen noch lebendig ins Wasser reißen. Sehr merkwürdig ist das Verhältnis des Krokodils zu einem kleinen Vogel, einer Regenpfeiferart, dem »Krokodilwächter«, Rhafir el Timsach, wie die Araber ihn nennen. Schon Herodot erzählt uns, wie dieser kleine Vogel dem Krokodil in den geöffneten Rachen schlüpfe, um der Echse die Blutegel daraus zu entfernen. Das hielt man solange für eine Fabel, bis der berühmte französische Naturforscher Geoffroy St. Hilaire, der an Napoleons Feldzug nach Ägypten teilnahm, mit eigenen Augen sah, wie der Krokodilwächter im Rachen des Unholds furchtlos die Insekten aufsucht, die ihm zur Nahrung dienen. Auch daß das Krokodil sich durch Eier fortpflanzt, wußte bereits Herodot, und er sagt richtig dazu, die hartschaligen Eier seien nur gänseeigroß, und so würde das Krokodil »unter allen Tieren aus dem kleinsten am größten«. Diese Eier – zwanzig bis sechzig an der Zahl – verscharrt das Krokodil im Ufersand oder Schlamm und läßt sie von der Sonne ausbrüten. Der Ichneumon und der Waran spüren diesen Eiern eifrig nach; auch die Neger verspeisen sie gern, obschon sie (wie das Fleisch des Krokodils überhaupt) nach Moschus riechen. Das Krokodil besitzt nämlich hinter den Kiefern und in der Nähe des Afters je ein Paar stark duftender Drüsen, aus deren Absonderung die Sudanneger ein hochbegehrtes und von ihnen teuer bezahltes »Parfüm« zum Salben des Körpers bereiten. Kurz vor dem Ausschlüpfen aus dem Ei läßt das junge Krokodil, das mit einem besondren, auf der Nase sich erhebenden und bald wieder ausfallenden »Eizahn« die harte Schale von innen her öffnet, ein leises, mäuseartiges Pfeifen hören, das vermutlich die Mutter herbeirufen soll. Das erwachsene Krokodil ist meist stumm und läßt nur höchst selten, wie Fonck und Schillings beobachtet haben, ein knarrendes, tiefes, halb brüllendes, rollendes, lang ausgehaltenes Quaken vernehmen. Wenn zur Sommerszeit die Sumpfgewässer austrocknen, vergräbt sich das Krokodil oft metertief im Schlamm und Sand und hält eine Art von Sommerschlaf. Mit dem ersten heftigen Regengüsse aber erwacht es wieder aus dieser »Trockenstarre«.

Gejagt wird das Krokodil seit alters her. Heut geht man ihm gewöhnlich mit der Büchse zu Leibe; ehedem fing man es zumeist mit Hilfe einer Art von Angel, wie das gleichfalls Herodot schon von den Ägyptern beschrieb. Man warf einen größeren Köder an einem Widerhaken in den Fluß und zog das durch ein quiekendes Ferkel aufmerksam gemachte Krokodil, das vorerst den Köder hinabschlang, lebend ans Ufer, um es durch einen Speerstich zu töten. Schillings beschreibt den Fang mit der Angel folgendermaßen: »Mit Draht wurde ein Stück Fleisch an einer Haifischangel befestigt und die Angel, namentlich nachts bei Mondschein, in das Flußbett geworfen. Wurde sie von einem Krokodile ergriffen, so ließ ich etwa fünfzig und mehr Meter eines festen dünnen Taus, ähnlich wie beim Hechtfange, auslaufen. Das Krokodil pflegte dann erst fest zuzufassen, war aber in allen Fällen viel zu klug, um den Haken zu verschlucken. Sorgfältig am Ufer im Gebüsch verborgen, zogen nun etwa zehn bis zwanzig Leute das oft mehr denn tausendpfündige Raubtier ans Ufer. Kam es in dessen Nähe, so schäumten die Wasser wild auf, gepeitscht von den furchtbaren Schwanzschlägen der Echse. Jetzt galt es schnell eine gut sitzende Kugel im Mondschein in seinen Kopf zu entsenden.«

Unter den Tieren hat das Krokodil kaum einen nennenswerten Feind. Mit dem Nilpferd, das mit ihm die afrikanischen Gewässer teilt, scheint es sich, nach Foncks Beobachtungen, respektvoll zu vertragen. Derselbe Forscher berichtet nach einem Augenzeugen von dem gelegentlichen Kampfe zwischen Elefant und Krokodil. Ein kleiner Elefant, der mit dem Muttertier zur Tränke lief, wurde von einem Krokodil gepackt, als er sich gerade wälzen wollte. In heller Wut stürzte die Mutter heran, packte das gewaltig sich sträubende und mit dem Schwanze schlagende Krokodil mit dem Rüssel um den Leib, hob es hoch in die Luft und schleuderte es mit solcher Gewalt zu Boden, daß es gleich liegenblieb. Dann zertrampelte der Elefant voller Zorn das Krokodil.

Die Römer ließen zu ihren Seeschauspielen Krokodile aus Ägypten kommen. Unter Kaiser Augustus, der übrigens auch eine Münze auf die Eroberung Ägyptens mit einem an eine Palme gefesselten Krokodil schlagen ließ, kämpften so einmal sechsunddreißig Krokodile im Zirkus des Flaminius.


 << zurück weiter >>