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Der Gibbon

»Tag für Tag begleitete uns das Geschrei der Siamangs. Der Lärm, den diese großen, schwarzen Affen bei sonnigem Wetter unausgesetzt vollführen, ist für die Art sehr charakteristisch, aber nicht eben leicht zu beschreiben. Es ist eine Art von Wechselgesang, an dem sich die ganze Herde beteiligt. Man hört zuerst einen grunzenden Baßton, auf den unmittelbar ein hoher Schrei folgt, und so geht es dann weiter, immer Baß und Diskant im regelmäßigen Wechsel. Allmählich wird aber das Tempo, in dem die Töne aufeinander folgen, immer schneller, und der Diskant geht so schließlich in ein gellendes Gelächter über, das, von mehreren Stimmen vollführt, weit durch den Wald schallt und den Baßton ganz verschwinden läßt. Während das Gelächter so recht im Gange ist, hört man plötzlich, offenbar aus jugendlichen Kehlen, einen hellen Juchzer, der in höchster Tonlage alles übertönt und so fidel klingt, so übermütig lustig, daß ich oft genug hell mitlachen mußte, wenn ich ihn hörte. Damit schließt dann der Wechselgesang, um nach kurzer Pause wieder mit dem Baßton zu beginnen.« So schildert der Botaniker Giesenhagen das Konzert der Gibbons im sumatranischen Walde.

Die Gibbons sind nämlich die Sänger unter den Menschenaffen, und manche Arten von ihnen singen vollendet musikalisch. So singt der auf Sumatra heimische Wauwau ( Hylóbates âgilis) nach den Beobachtungen von Waterhouse, eine Tonleiter, in Halbtönen auf und ab schreitend; der höchste Ton war die genaue Oktave des tiefsten. Von einem im Zoologischen Garten zu London gehaltenen Ungkoweibchen ( Hylobates rafflçsii) erzählt Brehm, es habe seinen Gesang mit dem Grundton E begonnen und stieg dann in halben Tönen eine volle Oktave hinauf, die chromatische Tonleiter durchlaufend. Der Grundton blieb stets hörbar und diente als Vorschlag für jede folgende Note. Im Aufsteigen der Tonleiter folgten sich die Töne immer langsamer, im Absteigen aber schneller und zuletzt außerordentlich rasch. Den Schluß bildete jedesmal ein gellender Schrei, der mit aller Kraft ausgestoßen wurde. Von dem hinterindischen Hulock ( Hylobates hûlock) bekennt ein Gewährsmann: »Ich darf behaupten, daß ich niemals die Stimme eines Säugetiers, den Menschen ausgenommen, gehört habe, die volltönender und wohllautender mir in das Ohr geklungen hätte. Zuerst war ich erstaunt, später entzückt von diesen aus tiefster Brust hervorkommenden, mit vollster Kraft ausgestoßenen, aber durchaus nicht unangenehmen Tönen.«

Die im südöstlichen Asien in mehreren Arten heimischen Gibbons oder Langarmaffen ( Hylobates) sind die bei weitem kleinsten Anthropoiden; erreichen sie doch nur die Größe eines etwa sechsjährigen Kindes und sind dabei überaus schlank, so daß sie noch schmächtiger wirken. Das auffälligste an ihrer Erscheinung sind die abenteuerlich langen Arme. An dieser Länge nehmen alle Abschnitte des Armes teil: der Oberarm, der Unterarm, die Hand die merkwürdig schmal ist, der 2.-5. Finger. Der Daumen dagegen ist winzig klein: er hängt wie ein Stummel an der Hand. Bei einigen Arten sind seltsamerweise Zeige- und Mittelfinger durch eine Schwimmhaut vereinigt. Die Beine erscheinen verkürzt, der Fuß gleicht dem der niederen Affen; die Großzehe ist kurz und steht weit ab. Der Kopf zeigt eine schöne gleichmäßige Wölbung. Da die Kiefer nur wenig vorspringen, macht das Gesicht einen sehr menschlichen Eindruck. Die Nase ist freilich ziemlich flach. Die großen, dunklen Augen werden von starken, schön geschwungenen Augenbrauenwülsten überdacht. Bei alten Männchen sind die Eckzähne des sonst recht menschenähnlichen Gebisses mehr oder weniger verlängert. Der Brustkorb ist zart, der Rumpf schmächtig, mit deutlich eingezogener »Taille«. Ein schwarz, braun, grau oder gelblich gefärbter, dichter, bald wolliger, bald seidenweicher Pelz umhüllt den Körper; bei einzelnen Arten, so dem Lar ( Hylobates lar), ist das Gesicht von einem Kranz weißer Haare umrahmt. Das läßt das Tier dann ganz so wie einen in verbrämtem Pelze steckenden Eskimo erscheinen. Zu erwähnen ist der Kehlsack einiger Formen (z. B. des Siamang), der wie ein Kropf am Halse herabhängt und beim Schreien sich aufbläht. Solchen Schallverstärker – seitliche Ausstülpungen der Kehlkopfschleimhaut – besitzen auch Gorilla, Schimpanse und besonders der Orang (s. S. 27). Im Gegensatz zu den andern Menschenaffen haben ferner die Gibbons Gesäßschwielen.

siehe Bildunterschrift

Gibbon

Die Gibbons leben in kleinen Familienbeständen, doch auch in größeren Gruppen zusammen und sind ausgesprochene Baumtiere. Sie klettern äußerst geschickt, machen, die langen Arme zum Greifen breitend, gewaltige Sprünge, laufen aber auch am Boden ziemlich schnell, und zwar mit Vorliebe in aufrechter Haltung. Von der Geschicklichkeit und Schnelligkeit des Wauwau gibt folgende Mitteilung Martins einen Begriff. In dem Käfig des Gibbons wurde ein Vogel losgelassen. Der Gibbon beobachtete dessen Flug und schwang sich plötzlich zu einem entfernten Zweig hinüber, indem er mit der einen Hand den Zweig ergriff, mit der andern gleichzeitig den Vogel haschte. Bei einer andern Gelegenheit schwang sich der Gibbon von seiner Stange über einen mindestens 3,50 Meter breiten Gang auf ein Fenster zu. Jeder dachte, dieses müßte augenblicklich in Trümmer gehen. Dem war aber nicht so. Zur größten Verwunderung aller erfaßte das Tier das schmale Fensterkreuz mit der Hand, gab sich im Moment den nötigen Abschwung und sprang auf seine Stange zurück, eine Leistung, die nicht nur großer Kraft, sondern besonders großer Geschicklichkeit bedurfte. Mit unglaublicher Schnelligkeit und Sicherheit, schildert Duvaucel, erklettert der Wauwau einen Baumwipfel oder Zweig, schwingt sich auf ihm einigemal auf und nieder oder hin und her und schnellt sich dann, durch den zurückfedernden Ast unterstützt, mit solcher Leichtigkeit über Zwischenräume von 10-12 Meter hinüber, drei-, viermal nacheinander, daß es aussieht, als flöge er wie ein Pfeil oder ein schief abwärts stoßender Vogel. Man vermeint, es ihm anzusehen, daß das Bewußtsein seiner unerreichbaren Fertigkeit ihm großes Vergnügen macht, und man wäre fast versucht, ihn eher unter die fliegenden als unter die kletternden Säugetiere einzureihen. Trotz dieses ausgesprochenen Baumtierlebens vermögen die Gibbons aber auch aufrecht und überdies ziemlich schnell zu gehen. Der Gang ist freilich ein etwas wackelnder. Der Gibbon erhebt dabei, um das Gleichgewicht zu halten, die Hände über den Kopf, oder er breitet die Arme seitlich aus, wie etwa Seiltänzer mit langen Stangen balancieren. Muß er, zu sehr ins Schwanken geraten, das Gleichgewicht des Körpers wiederherstellen, so berührt er erst mit den Knöcheln der einen, dann denen der andern Hand den Boden. Wird er genötigt, besonders schnell zu laufen, so benutzt er die Arme gleichsam als Springstangen, indem er sich beim Absprung auf die Hände stützt.

Ein glückliches, sonniges Naturell zeichnet die Gibbons vor den andern Menschenaffen aus; aber sie sind auch wiederum sehr zart und empfindlich, geradezu melancholisch. Forbes erzählt uns von einem gefangenen Wauwau, er sei ein sehr niedliches und artiges Geschöpf gewesen. Wenn jedoch die Stimme seiner freien Gefährten in seinen Käfig drang, pflegte er das Ohr dicht an das Gitter zu bringen und so eifrig und sehnsüchtig zu horchen, daß der schottische Forscher ihn nicht länger gefangenhalten wollte, sondern am Rande seiner alten Waldheimat aussetzen ließ. Eine hübsche Szene aus dem Familienleben der Gibbons hat uns Duvaucel bewahrt. Er sah nämlich, wie die Mütter ihre Jungen an das Wasser trugen und ihnen dort trotz Widerstand und Geschrei das Gesicht wuschen, es darauf wieder abwischten und trockneten. Werden die Tiere angegriffen und gelingt die Flucht der Verwundeten nicht mehr, so nimmt die Mutter das Kind, stößt ein heftiges Schmerzensgeschrei aus und stellt sich dem Feinde mit aufgeblasenem Kehlsack und ausgebreiteten Armen drohend entgegen.

Die Eingeborenen pflegen die Jagd auf Gibbons mit dem Blasrohr und vergifteten Bolzen auszuüben, und sie erlegen diese Affen sowohl des Pelzwerks wie des Fleisches wegen.


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