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Der fliegende Hund

Des »Teufels Vögel« nennt der Araber die »fliegenden Hunde«, diese Riesenfledermäuse der Tropen, deren Anblick in naiven Gemütern in der Tat seltsame Vorstellungen zu erwecken vermag. »Einer von unsern Matrosen«, so erzählt einmal Kapitän Cook in seinem Tagebuch von einer Streife in Neusüdwales, »hatte mehr gesehen als wir andern alle. Er war im Walde herumspaziert und berichtete uns bei seiner Rückkehr ganz treuherzig, daß er wahr und wahrhaftig glaube, den leibhaftigen Teufel gesehen zu haben. Wir fragten ihn natürlich, wie der denn ausgesehen habe, und seine Antwort war so sonderbar, daß ich sie mit seinen eigenen Worten hier anführen will. Er war so groß, sagte er, wie eine Zweiliterkanne und fast ebenso gestaltet. Er hatte Hörner und Flügel; doch kroch er so langsam durch das Gras, daß ich ihn hätte greifen können, wenn ich mich nicht so gefürchtet hätte. Wir fanden nachher, daß dieses fürchterliche Gespenst weiter nichts als eine Fledermaus gewesen war: doch muß man gestehen, daß die hiesigen Fledermäuse wirklich fürchterlich aussehen; denn sie sind schwarz von Farbe und vollkommen so groß wie ein Rebhuhn. Hörner haben sie zwar nicht; allein die Einbildungskraft eines Menschen, der den Teufel zu sehen glaubt, kann diesem Mangel leichthin abhelfen und ihnen welche leihen.«

Unter diesen Flughunden oder Großfledermäusen ( Macrochiroptera) ist der im Indischen Archipel heimische Kalong ( Pteropus edulis) die größte Art: erreicht er doch eine Körperlänge von fast einem halben Meter und eine Klafterweite von rund anderthalb Meter. Das wissenschaftliche Beiwort, » edulis«, der »eßbare« hat übrigens nur in beschränktem Maße Geltung. Nur einige malaiische Völker (z. B. die Javanen) essen ihn; das Tier strömt nämlich einen widerlichen Moschusgeruch aus, der allein durch reichliche Zutat scharfer Gewürze zu übertäuben ist. Die Malaien erlegen den Flughund mit Hilfe des Blasrohrs, indem sie ihn in die sehr empfindliche Flughaut schießen. Oft hält sich aber das Tier mit den Krallen so fest an den Ästen angeklammert, daß es, selbst wenn es getötet ist, nicht sogleich herabstürzt. Die Papuas aus Neupommern haben deshalb eine andre Methode ersonnen, sich in den Besitz des von ihnen hochgeschätzten Leckerbissens zu setzen. Sie fertigen aus den kleinen Stachelzweigen einer Schlingpflanzenart einen tütenförmigen Kescher und befestigen ihn an einer langen Bambusstange. Damit bewaffnet erklettern sie die Bäume, an deren Ästen sich die fliegenden Hunde zum Tagesschlafe aufgehängt haben und berühren ein Tier nach dem andern mit diesem Kescher. Die Flügel bewegend gerät der Flughund zwischen die Stacheln und ist gefangen. Für gewöhnlich brät der Papua das Tier, indem er es noch lebend einfach ins Feuer wirft; so zubereitet, versichern die Wilden, sei der Braten sehr wohlschmeckend.

Die Flughunde und die Kleinfledermäuse ( Microchiroptera) sind die einzigen Säugetiere, die wirklich fliegen können. Wo sonst in der Klasse der Säugetiere ein gewisses Flugvermögen vorkommt (z. B. beim Flughörnchen, Flattermaki usw.), handelt es sich lediglich um Fallschirmbildungen: Hautfalten am Rumpfe, die durch Abspreizen der Gliedmaßen gespannt werden und dem Tiere ein Abwärtssegeln gestatten. Die Flughaut der Fledermäuse aber, eine dünne, nervenreiche Hautfalte, beginnt am Schwanz oder Becken, säumt die hinteren Gliedmaßen bis zur Fußwurzel ein, überzieht die ganzen vorderen Gliedmaßen, die in allen ihren Teilen: Armknochen, Mittelhand und Finger, enorm verlängert und verstärkt sind, und endet am Halsansatz. Wie die Stäbe eines Regenschirms etwa spannen die Riesenfinger die außerordentlich elastische Flughaut beim Flattern abwechselnd aus oder falten sie wieder zusammen, wodurch ein sehr charakteristisches Flugbild entsteht. Der Flug der fliegenden Hunde ist freilich von dem Flattern unsrer Fledermäuse sehr verschieden; er gleicht mehr dem der Krähen. Vom afrikanischen »Nachthund« hat man beobachtet, daß er in einer Nacht gegen neunzig Kilometer und ebensoviel zurückfliegt, um zu seiner Früchtenahrung zu gelangen. Und zweifellos haben die fliegenden Hunde des indischen Festlands, auf immer weitere Strecken vorstoßend, einst nach und nach die einzelnen Inseln des Indischen Archipels und der Südsee in Besitz genommen. Nicht in die Flughaut einbezogen ist der Daumen, der eine starke Hakenkralle trägt; und im Gegensatz zu den Verhältnissen bei den eigentlichen Fledermäusen hat beim fliegenden Hunde auch der zweite Finger einen krallenförmigen Nagel. Mit der Daumenkralle erklettert der Flughund geschickt hohe Stämme; mittels der Krallen der Füße hängt er sich, den einem Spitze oder Fuchse ähnelnden großohrigen Kopf nach unten, an einem Beine tagsüber zur Ruhe an den Zweigen auf; nur dann und wann, zugleich mit Daumen und Zehen kletternd, wechselt er streitend und kreischend den Platz. So hängen die Tiere, die ein ausgesprochenes Geselligkeitsbedürfnis zu haben scheinen, oft zu Hunderten, ja, Tausenden, reglos, in die faltenreichen Flügel gehüllt, wie seltsame, verschrumpelte Früchte an einem Baum, und nicht selten bricht ein Ast unter ihrer Last krachend nieder. Am Sonnenuntergang aber kommt Leben in die verhutzelten Riesenbirnen: truppweise fallen sie von den Ästen, spreizen fallend die Schwingen und fliegen davon, meist ein Tier hinter dem andern, eine gespenstische Kette, um Feigen, Bananen, Mangos und andre saftreiche Früchte aufzusuchen. Ihr Gebiß mit den höckrigen Backenzähnen verrät uns, daß sie vornehmlich auf Früchte als Nahrung angewiesen sind, diese weniger fressen, als vielmehr aussaugen; und einzelne Arten haben Hornzähnchen auf der Zunge, mit denen sie die Fruchtschalen gleichsam abraspeln. Da sie äußerst gefräßige Tiere sind und meist in großen Scharen auf Beute ziehen, vermögen sie in Pflanzungen beträchtlichen Schaden anzurichten. Die ganze Nacht über fliegen sie umher, plündern die Bäume, streiten sich und lärmen; kurz vor Sonnenaufgang kehren sie heim und hängen sich an ihrem Schlafbaum wieder auf. Merkwürdig ist es, daß die Mutter ihr Junges überallhin mitnimmt; beim Fluge hält sich das Junge an der Brust oder unter einem Flügel der Mutter fest. »Als ich einmal auf ein ausnahmsweise ziemlich niedrig fliegendes Weibchen schoß,« erzählt Rosenberg aus Sumatra, »viel ein an dessen Zitzen hängendes Junges vor Schreck aus der Luft herab. Ehe es jedoch noch den Boden erreichte, hatte es die Mutter, die ihm blitzschnell nachgestürzt war, mit den Zähnen gepackt, sich wieder in die Luft erhoben, und so eilte sie mit dem geretteten Kleinen davon.« Am Boden laufen die Flughunde »wie die Ratten umher«, vermögen sich jedoch nicht (wie die Vögel mit einem Sprunge) von der Erde aus in die Luft zu schwingen, sondern müssen erst irgendwelchen hochragenden Gegenstand – und sei es ein Mensch oder ein Pferd – erklettern. Nur der braunschwarze Körper und der rostig gelbrote Kopf und Hals des Kalong sind behaart. Die Flughaut ist nackt und wird häufig mit einem gewissen Drüsen im Gesichte entstammenden Fett eingerieben und so geschmeidig gemacht. Diese Flughaut ist zugleich der Sitz eines hochentwickelten Tastvermögens. Die Fledermäuse fühlen den Rückprall der von ihren Flughäuten erzeugten Luftwellen, und geblendete Tiere flogen so in einem Zimmer mit ausgespannten Drähten einher, ohne die Drähte zu berühren.

siehe Bildunterschrift

Fliegende Hunde


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