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XXXV.

Einige Wochen nach diesem Vorfall ging Fröben in Mainz, wohin er sich, um doch in Josephes Nähe zu sein, zurückgezogen hatte, auf der Rheinbrücke abends hin und wieder. Er gedachte der sonderbaren Verkettung des Schicksals, er dachte an mancherlei Auswege, die ihn und die geliebte Frau vielleicht noch glücklich machen könnten; da fuhr ein Reisewagen über die Brücke her, dessen wunderlicher Bau die Aufmerksamkeit des jungen Mannes schon von weitem auf sich zog. Bald aber haftete sein Auge nur noch auf dem Bedienten, der auf dem Bock sass; dieses braungelbe, heitere Gesicht, das neugierig um sich schaute, schien ihm ebenso bekannt, als die grellen Farben der Livree. Als der Wagen, der sich auf der Brücke nur im Schritt weiter bewegen durfte, näher herankam, bemerkte auch der Diener den jungen Mann und rief: »Santiago di Compostella! Das ist er ja selbst!« Er riss das Wagenfenster auf, das ihn von dem Innern des Wagens trennte, und sprach eifrig hinein. Alsobald wurde auf der Seite des Wagens ein Fenster niedergelassen und heraus fuhr das wohlbekannte Gesicht Don Pedros de Montanjo Ligez. Der Wagen hielt; der junge Mann sprang freudig herzu, um den Schlag zu öffnen, und der alte Herr sank in seine Arme. »Wo ist sie, wo habt Ihr sie, die Tochter meiner Laura? O um der heiligen Jungfrau willen, habt Ihr sie hier? Sagt an, junger Herr! Wo ist sie?«

Der junge Mann schwieg betreten; er führte den Alten auf der Brücke weiter und sagte ihm dann, dass sie nicht weit von dieser Stadt sich aufhalte, und morgen wolle er ihn zu ihr führen.

Der Spanier hatte Freudenthränen im Auge. »Wie danke ich Euch für die Nachrichten, die Ihr mir gegeben!« sprach er. »Sobald ich Urlaub bekommen hatte, setzte ich mich mit Diego in den Wagen und liess mich von W. bis hier täglich sechs Meilen fahren, denn länger hielt ich es nicht aus. Und lebt sie glücklich? Sieht sie ihrer Mutter ähnlich, und was erzählt sie von Laura Tortosi?« Fröben versprach, auf seinem Zimmer alle seine Fragen zu beantworten. Er liess, nachdem sich der Spanier ein wenig ausgeruht und umgekleidet hatte, Jeres bringen, schenkte ein, Diego reichte, wie damals, die Zigarren, und als Don Pedro recht bequem sass, fing der junge Mann seine Erzählung an. Mit steigendem Interesse hörte ihn der Spanier an, zu grossem Aergernis Diegos liess er seit zwanzig Jahren zum erstenmal die Zigarre ausgehen, und als der junge Mann an jene empörende Scene zwischen Faldner und der unglücklichen Frau kam, da konnte er sich nicht mehr halten, sein altes, südliches Blut kochte auf; er drückte den Hut tief in die Stirn, wickelte den linken Arm in den Mantel und rief mit blitzenden Augen: »Meinen langen Stossdegen her, Diego, den mache ich kalt, so wahr ich ein guter Christ und spanischer Edelmann bin; ich steche ihn nieder und hätte er ein Kruzifix vor der Brust, ich bringe ihn um, ohne Absolution und ohne Sakramente schicke ich ihn zur Hölle, so thue ich. Bring mir mein Schwert, Diego!«

Aber Fröben zog den zitternden, vom Zorn erschöpften Alten zu sich nieder; er suchte ihm begreiflich zu machen, wie dies alles nicht nötig sei, denn Josephe sei schon aus der Gewalt des rohen Menschen befreit und lebe getrennt von ihm. Er holte, um ihn noch mehr zu besänftigen, jenes Bild herbei und entfaltete es vor den staunenden Blicken Pedros. Entzückt betrachtete es der Don. »Ja, sie ist es«, rief er, alles übrige vergessend, »meine arme, unglückliche Laura!« Und weinend umarmte er den jungen Mann, nannte ihn seinen lieben Sohn und dankte ihm mit gebrochener Stimme für alles, was er an der unglücklichen Mutter und ihrer armen Tochter gethan.

Am andern Morgen brach er mit Fröben nach dem Gut der Gräfin auf. Es war ein rührender Anblick, wie der alte Mann die schöne jugendliche Gestalt Josephes umschlungen hielt, wie er ihre Züge aufmerksam betrachtete, wie seine strengen Züge immer weicher wurden, wie er sie dann gerührt auf Auge und Mund küsste. »Ja, du bist Lauras Tochter!« rief er, »dein Vater hat dir nichts gegeben, als sein blondes Haar, aber das sind ihre lieben Augen, das ist ihr Mund, das sind die schönen Züge der Tortosi! Sei meine Tochter, liebes Kind; ich habe keine Verwandten und bin reich; durch Verwandtschaft, mein Herz und einen zwanzigjährigen Gram gehörst du mir näher an, als irgend jemand auf der Erde!« Ihre Blicke, die über seine Schultern weg auf Fröben fielen, schienen diese letztere Behauptung nicht gerade zu bestätigen, aber sie küsste gerührt seine Hand und nannte ihn ihren Oheim, ihren zweiten Vater.

Die Freude des Wiedersehens dauerte übrigens nur wenige Tage. Don Pedro erklärte sehr bestimmt, dass ihn seine Geschäfte nach Portugal riefen, und zugleich schien er gar nicht einzusehen, was Josephe abhalten könnte, ihm dahin zu folgen; er hegte zu strenge Grundsätze über die Artikel seiner Kirche, als dass er den Gedanken für möglich gehalten hätte, Fröben könne Josephe, die getrennte Gattin eines andern, zur Frau begehren. Es ist uns nicht bekannt geworden, was die Liebenden über diesen strittigen Punkt verhandelten; nur so viel ist gewiss, dass Fröben einigemal darauf hindeutete, sie solle zum evangelischen Glauben zurückkehren, dass sie jedoch, zwar mit unendlichem Schmerz, aber sehr bestimmt, diesen Vorschlag abwies. Oft soll ihr der junge Mann in Verzweiflung über die herannahende Trennung vorgeschlagen haben, sie solle Don Pedro ziehen lassen, sie solle für sich leben, in Deutschland bleiben, er wolle, wenn er nicht ihr Gatte werden könne, auf immer als Freund um sie sein. Aber auch dies lehnte sie ab; sie gestand ihm offen, dass sie sich zu schwach fühle, ein solches Verhältnis mit Ehren hinauszuführen, und stolzer gemacht durch ihr Unglück, bebte sie zurück vor dem Gedanken an eine unwürdige Verbindung mit einem Mann, den sie so hoch achtete, als sie ihn liebte. Allein mit sich, gestand sie sich wohl, dass ein noch edelmütigerer Gedanke ihre Schritte lenke. »Sollte er«, sagte sie zu sich, »die Blüte des Lebens an ein unglückliches Geschöpf verlieren, das ihm nur Freundin sein darf? Soll er den hohen Genuss häuslicher Freuden, das Glück, Kinder und Enkel um sich zu versammeln, wegen meiner aufgeben? Nein, er hat mich schon einmal verloren, und die Zeit wird auch jetzt seinen Schmerz lindern, er wird ein unglückliches Wesen vergessen, das ewig an ihn denken, ihn lieben, für ihn beten wird.«

So schienen denn jene prophetischen Worte Josephes: »Auf immer!« in Erfüllung zu gehen. Don Pedro verliess mit seiner neuen Verwandtin das Gut der Gräfin, um durch Holland auf die See zu gehen. Fröben, den vielleicht nur der Gedanke, Josephe bald nach Portugal nachzufolgen, und dort ihr Freund zu sein, aufrecht erhielt, geleitete die Geliebte auf der Reise durch Deutschland und Holland; und so oft sie ihn bat, durch längeres Begleiten die Tage der Trennung nicht noch schwerer zu machen, bat er mit Thränen im Auge: »Nur bis ans Meer und dann auf immer!«



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