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XXVIII.

Da der Baron erst bis Abend zurückkehren wollte, Josephe sich aber nach dieser Vorlesung in ihre Zimmer zurückgezogen hatte, so beschloss Fröben, um diesen quälenden Gedanken auf einige Stunden wenigstens zu entgehen, die heisse Mittagszeit vor der Tafel zu verschlafen. In jener Laube, die ihm durch so manche schöne Stunde, die er mit der liebenswürdigen Frau hier zugebracht, wert geworden war, legte er sich auf die Moosbank und entschlief bald. Seine Sorgen hatte er zurückgelassen, sie folgten ihm nicht durch das Thor der Träume; nur liebliche Erinnerungen verschmolzen und mischten sich zu neuen reizenden Bildern; das Mädchen aus der St.-Severinsstrasse mit ihrer schmelzenden Stimme schwebte zu ihm her und erzählte ihm von ihrer Mutter; er schalt sie, dass sie so lange auf sich habe warten lassen, da er doch jeden ersten und fünfzehnten gekommen sei; er wollte sie küssen zur Strafe, sie sträubte sich, er hob den Schleier auf, er hob das schöne Gesichtchen am Kinn empor, und siehe – es war Don Pedro, der sich in des Mädchens Gewänder gesteckt hatte, und Diego, sein Diener, wollte sich totlachen über den herrlichen Spass. – Dann war er wieder mit einem kühnen Sprung der träumenden Phantasie in Stuttgart in jener Gemäldesammlung. Man hatte sie anders geordnet, er durchsuchte vergebens alle Säle nach dem teuern Bilde; es war nicht zu finden; er weinte, er fing an zu rufen und laut zu klagen; da kam der Galeriediener herbei und bat ihn, still zu sein, und die Bilder nicht zu wecken, die jetzt alle schlafen. Auf einmal sah er in einer Ecke das Bild hängen, aber nicht als Brustbild wie früher, sondern in Lebensgrösse; es sah ihn neckend, mit schelmischen Blicken an, es trat lebendig aus dem Rahmen und umarmte den Unglücklichen; er fühlte einen heissen, langen Kuss auf seinen Lippen. Wie es zu geschehen pflegt, dass man im Traum zu erwachen glaubt, und träumend sich sagt, man habe ja nur geträumt, so schien es auch jetzt dem jungen Mann zu gehen. Er glaubte, von dem langen Kuss erweckt, die Augen zu öffnen, und siehe, auf ihn niedergebeugt hatte sich ein blühendes, rosiges Gesicht, das ihm bekannt schien. Vor Lust des süssen Atems, der liebewarmen Küsse, die er einsog, schloss er wieder die Augen; er hörte ein Geräusch, er schlug sie noch einmal auf und sah eine Gestalt in schwarzem Mantel, schwarzem Hütchen mit grünem Schleier entschweben; als sie eben um eine Ecke biegen wollte, kehrte sie ihm noch einmal das Gesicht zu, es waren die Züge des geliebten Mädchens, und neidisch wie damals hatte sie auch jetzt die Halbmaske vorgenommen. »Ach, es ist ja doch nur ein Traum!« sagte er lächelnd zu sich, indem er die Augen wieder schliessen wollte; aber das Gefühl, erwacht zu sein, das Säuseln des Windes in den Blättern der Laube, das Plätschern des Springbrunnens war zu deutlich, als dass er davon nicht völlig wach und munter geworden wäre. Das sonderbare, lebhafte Traumbild stand noch vor seiner Seele; er blickte nach der Ecke, wo sie verschwunden war; er sah die Stelle an, wo sie gestanden, sich über ihn hingebeugt hatte, er glaubte die Küsse des geliebten Mädchens noch auf den Lippen zu fühlen. »So weit also ist es mit dir gekommen«, sprach er erschreckend zu sich, »dass du sogar im Wachen träumst, dass du sie bei gesunden Sinnen um dich siehst! Zu welchem Wahnwitz soll dies noch führen? Nein, dass man so deutlich träumen könne, hätte ich nie geglaubt. Es ist eine Krankheit des Gehirns, ein Fieber der Phantasie, ja es fehlt nicht viel, so möchte ich sogar behaupten, Traumbilder können Fussstapfen hinterlassen; denn diese Tritte hier im Sande sind nicht von meinem Fuss.« Sein Blick fiel auf die Bank, wo er gelegen, er sah ein zierlich gefaltetes Papier und nahm es verwundert auf. Es war ohne Aufschrift, es hatte ganz die Form eines Billetdoux; er zauderte einen Augenblick, ob er es öffnen dürfe; aber neugierig, wer sich hier wohl in solcher Form schreiben könne, entfaltete er das Papier – ein Ring fiel ihm entgegen. Er hielt ihn in der Hand und durchflog den Brief, er las: »Oft bin ich Dir nahe, Du mein edler Retter und Wohlthäter; ich umschwebe Dich mit jener unendlichen Liebe, die meine Dankbarkeit anfachte, die selbst mit meinem Leben nicht verglühen wird. Ich weiss, Dein grossmütiges Herz schlägt noch immer für mich, Du hast Länder durchstreift, um mich zu suchen, zu finden; doch umsonst bemühst Du Dich – vergiss ein so unglückliches Geschöpf; was wolltest Du auch mit mir? Wenn auch mein höchstes Glück in dem Gedanken liegt, ganz Dir anzugehören, so kann es doch nimmermehr sein! Auf immer! sagte ich Dir schon damals, ja auf immer liebe ich Dich, aber – das Schicksal will, dass wir getrennt seien auf immer, dass nie an Deiner Seite, vielleicht nur in Deiner gütigen Erinnerung leben darf

Die Bettlerin vom Pont des Arts.«

Der junge Mann glaubte noch immer oder aufs neue zu träumen; er sah sich misstrauisch um, ob seine Phantasie ihn denn so ganz verführt habe, dass er in einer Traumwelt lebe; aber alle Gegenstände um ihn her, die wohlbekannte Laube, die Bank, die Bäume, das Schloss in der Ferne, alles stand noch wie zuvor, er sah, er wachte, er träumte nicht. Und diese Zeilen waren also wirklich vorhanden, waren nicht ein Traumbild seiner Phantasie? »Hat man vielleicht einen Scherz mit mir machen wollen?« fragte er sich dann; »ja gewiss; es kommt wohl alles von Josephe; vielleicht war auch jene Erscheinung nur eine Maske?« Indem er das Papier zusammenrollte, fühlte er den Ring, der in dem Briefchen verborgen gewesen, in seiner Hand. Neugierig zog er ihn hervor, betrachtete ihn und erblasste. Nein, das wenigstens war keine Täuschung, es war derselbe Ring, den er dem Mädchen in jener Nacht gegeben, als er auf immer von ihr Abschied nahm. So sehr er im ersten Augenblick versucht war, hier an übernatürliche Dinge zu glauben, so erfüllte ihn doch der Gedanke, dass er ein Zeichen von dem geliebten Wesen habe, dass sie ihm nahe sei, mit so hohem Entzücken, dass er nicht mehr an die Worte des Briefes dachte; er zweifelte keinen Augenblick, dass er sie finden werde, er drückte den Ring an die Lippen, er stürzte aus der Laube in den Garten, und seine Blicke streiften auf allen Wegen, in allen Büschen nach der teuern Gestalt. Aber er spähte vergebens; er fragte die Arbeiter im Garten, die Diener im Schlosse, ob sie keine Fremde gesehen haben; man hatte sie nicht bemerkt. Bestürzt, beinahe keiner Ueberlegung fähig, kam er zu Tische; umsonst forschte Faldner nach dem Grund seiner verstörten Blicke, umsonst fragte ihn Josephe, ob er denn vielleicht von gestern her noch so trübe gestimmt sei. »Es ist mir etwas begegnet«, antwortete er, »das ich ein Wunder nennen müsste, wenn nicht meine Vernunft sich gegen Aberglauben sträubte.«

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