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XXV.

»Acht Tage zuvor sagte ich es dem Mädchen, sie erschrak, sie weinte. Ich bat sie, ihre Mutter zu fragen, ob ich sie nicht besuchen dürfe, sie sagte es zu. Das nächste Mal aber brachte sie mir sehr betrübt die Antwort, dass mich ihre Mutter bitten lasse, diesen Besuch aufzugeben, der für ihren Gemütszustand allzu angreifend sein würde. Ich hatte jenen Besuch eigentlich nur darum nachgesucht, um mein Mädchen bei Tag und ohne Schleier zu sehen; ich verlangte dies also aufs neue wieder; aber sie bat mich, am Abend vor meiner Abreise noch einmal zu kommen, sie wolle ihre Mutter so lange bestürmen, bis sie die Erlaubnis erhalte, den Schleier aufzuheben. Unvergesslich wird mir immer dieser Abend sein. Sie kam, und meine erste Frage war, ob die Mutter es erlaubt habe; sie sagte ja und hob von selbst den Schleier auf. Der Mond schien hell und zitternd, begierig blickte ich unter den Hut. Aber die Erlaubnis schien nur teilweise gegeben zu sein, denn meine Schöne trug sogenannte Venezianeraugen, die den obern Teil ihres Gesichtes verhüllten. Doch wie schön, wie reizend waren die Partien, welche frei waren! Eine feine, zierliche Nase, schöngeformte, blühende Wangen, ein kleiner, lieblicher Mund, ein Kinn wie aus Wachs geformt, und ein schlanker, blendend weisser Hals. Ueber die Augen konnte ich nicht recht ins reine kommen, aber sie schienen mir dunkel und feurig.

»Sie errötete, als ich sie lange entzückt betrachtete. ›Werden Sie mir nicht böse‹, flüsterte sie, ›dass ich diese Halbmaske vornahm; die Mutter wollte es von Anfang ganz abschlagen, nachher gestattete sie es nur unter dieser Bedingung; ich war selbst recht ärgerlich darüber, aber sie sagte mir einige Gründe, die mir einleuchteten.‹

»›Und was sind diese Gründe?‹ fragte ich.

»›Ach, mein Herr!‹ erwiderte sie wehmütig, ›Sie werden ewig in unsern Herzen leben, aber Sie selbst sollen uns ganz vergessen; Sie sollen mich nie, nie wiedersehen, oder wenn Sie mich auch sehen, nicht erkennen.‹

»›Und meinen Sie denn, ich werde Ihre schönen Züge nicht wiedererkennen, wenn ich auch Ihre Augen, Ihre Stirn nicht sehen darf?‹

»›Die Mutter meint‹, antwortete sie, ›das sei nicht wohl möglich: denn wenn man ein Gesicht nur zur Hälfte gesehen, sei das Wiedererkennen schwer.‹

»›Und warum soll ich dich denn nicht wiedersehen, nicht wiedererkennen?‹

»Sie weinte bei dieser Frage, sie drückte meine Hand und sagte: ›Es darf ja nicht sein! Was kann Ihnen denn daran liegen, ein unglückliches Mädchen wiederzuerkennen; und – nein, die Mutter hat recht, es ist besser so.‹

»Ich sagte ihr, dass meine Reise nicht lange dauern werde, dass ich vielleicht schon nach zwei Monaten wieder in Paris sein könne, dass ich sie wiederzusehen hoffe. Sie weinte heftiger und verneinte es. Ich drang in sie, mir zu sagen, warum sie glaube, ich werde sie nicht mehr sehen?

»›Mir ahnt‹, erwiderte sie, ›ich sehe Sie heute zum letztenmal; ich glaube, meine Mutter wird nicht mehr lange leben, der Arzt sagte es mir gestern, und dann ist ja alles vorbei! Und wenn sie auch länger lebt, in London werden Sie ein so armes Geschöpf, wie ich bin, lange vergessen.‹

»Ihr Schmerz machte mich unendlich weich; ich sprach ihr Mut ein; ich gelobte ihr, sie gewiss nicht zu vergessen; ich nahm ihr das Versprechen ab, immer den ersten und fünfzehnten eines jeden Monats auf diesen Platz zu kommen, damit ich sie wiederfinden könne; sie sagte es unter Thränen lächelnd zu, als ob sie wenig Hoffnung hätte. ›Nun, so lebe wohl auf Wiedersehen‹, sagte ich, indem ich sie in meine Arme schloss und einen kleinen, einfachen Ring an ihre Hand steckte, ›lebe wohl und denke an mich und vergiss nicht den ersten und fünfzehnten!‹

»›Wie könnte ich Sie vergessen!‹ rief sie, indem sie weinend zu mir aufblickte. ›Aber ich werde Sie nimmer wiedersehen; Sie nehmen Abschied auf immer.‹

»Ich konnte mich nicht enthalten, ihren schönen Mund zu küssen; sie errötete, liess es aber geduldig geschehen; ich steckte ihr einen Tresorschein in die kleine Hand, sie sah mich noch einmal recht aufmerksam an, und drückte sich heftiger an mich. ›Auf Wiedersehen‹, sprach ich, indem sie sich sanft aus meinen Armen wand. Der letzte Moment des Abschieds schien ihr Mut zu geben: sie zog mich noch einmal an ihr Herz, ich fühlte einen heissen Kuss auf meinen Lippen. ›Auf immer! Lebe wohl auf immer!‹ rief sie schmerzlich, riss sich los und eilte über den Platz hin.

»Ich habe sie nicht wiedergesehen! Nach einem Aufenthalt von drei Monaten kehrte ich von London nach Paris zurück; ich ging am fünfzehnten auf den Place de l'Ecole de Médecine, ich wartete über eine Stunde, mein Mädchen erschien nicht. Noch oft am ersten und fünfzehnten wiederholte ich diese Gänge; wie oft ging ich durch die Strasse St.-Severin, blickte an den Häusern hinauf, fragte auch wohl nach einer armen deutschen Frau und ihrer Tochter; aber ich habe nie wieder etwas von ihnen erfahren, und das reizende Wesen hatte recht, als es mir beim Abschied zurief: › Auf immer

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