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XXIX.

Dieser sonderbare Vorfall und die Worte des Briefchens, das er wohl zehnmal des Tages überlas, hatten den jungen Mann ganz tiefsinnig gemacht. Er fing an, nachzusinnen, ob es denn möglich sei, dass überirdische Wesen in das Leben der Sterblichen eingreifen können. Wie oft hatte er über jene Schwärmer gelacht, die an Erscheinungen, an Boten aus einer andern Welt, an Schutzgeister, die den Menschen umschweben, wie an ein Evangelium glaubten. Wie oft hatte er ihnen sogar die physische Unmöglichkeit dargethan, dass körperlose Wesen dennoch sichtbar erscheinen, dass sie dies oder jenes verrichten können. Aber was ihm selbst begegnet war, wie sollte er es deuten? Oft nahm er sich vor, alles zu vergessen, gar nicht mehr daran zu denken, und im nächsten Augenblicke quälte er sich ab, seine Erinnerung recht lebhaft vor das Auge treten zu lassen; deutlicher als je erschienen dann wieder ihre Züge, er hatte sie ja gesehen, als sie sich an der Ecke noch einmal umwandte; er hatte den holden Mund, diese rosigen Wangen, dieses Kinn, diesen schlanken Hals wiedergesehen! Er holte jenes Bild herbei, er verglich Zug um Zug, er deckte die Hand auf Augen und Stirn der Dame, und es war das holde Gesichtchen, wie es unter der Halbmaske hervorschaute!

Er hatte sich, weil Josephe am nächsten Morgen im Hause allzusehr beschäftigt war, um ihn zu unterhalten, wieder in die Laube gesetzt. Er las, und während des Lesens beschäftigte ihn immer der Gedanke, ob sie ihm wohl wieder erscheinen werde. Die Hitze des Mittags wirkte betäubend auf ihn; mit Mühe suchte er sich wach zu halten, er las eifriger und angestrengter, aber nach und nach sank sein Haupt zurück, das Buch entfiel seinen Händen, er schlief.

Beinahe um dieselbe Zeit wie gestern erwachte er, aber keine Gestalt mit grünem Schleier war weit und breit zu sehen; er lächelte über sich selbst, dass er sie erwartet habe, er stand traurig und unzufrieden auf, um ins Schloss zu gehen, da erblickte er neben sich ein weisses Tuch, das er sich nicht erinnern konnte, hingelegt zu haben; er sah es an, es musste wohl dennoch ihm gehören, denn in der Ecke war sein Namenszug eingenäht. »Wie kommt dies Tuch hierher?« rief er bewegt, als er bei genauer Besichtigung entdeckte, dass es eins jener Tücher sei, die ihm das Mädchen hatte fertigen müssen, und die er wie Heiligtümer sorgfältig verschloss. »Soll dies aufs neue ein Zeichen sein?« Er entfaltete das Tuch, und suchte, ob nicht vielleicht wieder einige Zeilen eingelegt seien? Es war leer; aber in einer andern Ecke des Tuches entdeckte er noch einige Lettern, die wie sein Name eingenäht waren; zierlich und nett standen dort die Worte: » Auf immer!« – »Also dennoch hier gewesen!« rief der junge Mann unmutig. »Und ich konnte ihre liebliche Erscheinung schnöderweise verschlafen? Warum giebt sie mir wohl ein neues Zeichen? Warum diese traurigen Worte wiederholen, die mich schon damals und erst gestern wieder so unglücklich machten?« Auch heute befragte er nach der Reihe die Domestiken,, ob nicht eine fremde Person im Garten gewesen sei? Sie verneinten es einstimmig, und der alte Gärtner sagte, seit drei Stunden sei gar niemand durch den Garten gegangen, als nur die gnädige Frau. »Und wie war sie angezogen?« fragte Fröben, auf sonderbare Weise überrascht. »Ach Herr, da fragt Ihr mich zu viel«, antwortete der Alte; »sie ist halt angezogen gewesen in vornehmen Kleidern, aber wie, das weiss ich nicht zu beschreiben; als sie vor mir vorbeiging, nickte sie freundlich und sagte: »Guten Tag, Jakob!«

Der junge Mann führte den Alten beiseite: »Ich beschwöre dich«, flüsterte er; »trug sie einen grünen Schleier? Hatte sie nicht eine grosse, schwarze Brille auf?«

Der alte Gärtner sah ihn misstrauisch und kopfschüttelnd an. »Eine schwarze Brille?« fragte er. »Die gnädige Frau eine grosse schwarze Brille? Ei du Herr Gott, wo denken Sie hin, sie hat so scharfe, klare Augen wie eine Gemse, und soll eine Brille auf der Nase tragen, mit Respekt zu melden, eine grosse, schwarze Brille, wie sie die alten Weiber in der Kirche auf die Nase klemmen, dass es feiner schnarrt, wenn sie singen? Nein, gnädiger Herr, solche schlechte Gedanken müssen Sie sich aus dem Kopf schlagen, das ist nichts; und nehmen Sie es nicht ungütig, aber eine Mütze sollten Sie doch aufsetzen bei dieser Hitze, es ist von wegen des Sonnenstichs.« So sprach der Alte und ging kopfschüttelnd weiter; den übrigen Dienstboten aber deutete er mit sehr verdächtiger Bewegung des Zeigefingers ans Hirn an, dass es mit dem jungen Herrn Gast hier oben nicht ganz richtig sein müsse.

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