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XXVI.

Der junge Mann hatte seine Erzählung mit einem Feuer vorgetragen, das ihr grosse Wahrheit verlieh und wenigstens auf den weiblichen Teil der Gesellschaft tiefen Eindruck zu machen schien. Josephe weinte heftig, und auch die andern Fräulein und Frauen wischten sich hin und wieder die Augen. Die Männer waren ernster geworden und schienen mit grossem Interesse zuzuhören, nur der Baron lächelte hin und wieder seltsam, stiess bei dieser oder jener Stelle seinen Nachbar an und flüsterte ihm seine Bemerkungen zu. Jetzt, als Fröben geschlossen hatte, brach er in ein lautes Gelächter aus: »Das heisse ich mir, sich gut aus der Affaire ziehen!« rief er. »Ich habe es ja immer gesagt, mein Freund ist ein Schlaukopf. Seht nur, wie er die Damen zu rühren wusste, der Schelm! Wahrhaftig, meine Frau heult, als habe ihr der Pfarrer die Absolution versagt. Das ist köstlich, auf Ehre! Dichtung und Wahrheit! Ja, das hast du deinem Goethe abgelauscht, Dichtung und Wahrheit, es ist ein herrlicher Spass.«

Fröben fühlte sich durch diese Worte aufs neue verletzt. »Ich sagte dir schon«, rief er unmutig, »dass ich die Dichtung oder Erdichtung gänzlich beiseite liess und nur die Wahrheit sagte; ich hoffe, du wirst es als solche ansehen.«

»Gott soll mich bewahren!« lachte der Baron. »Wahrheit? das Mädchen hast du dir unterhalten, Bester, das ist die ganze Geschichte, und aus deinen Abendbesuchen bei ihr hast du uns einen kleinen Roman gemacht. Aber gut erzählt, gut erzählt, das lasse ich gelten.«

Der junge Mann errötete vor Zorn; er sah, wie Josephe ihren Gatten starr und ängstlich ansah; er glaubte zu sehen, dass auch sie vielleicht seinen Argwohn teile und schlecht von ihm denke; die Achtung dieser Frau wenigstens wollte er sich durch diese gemeinen Scherze nicht nehmen lassen. »Ich bitte, schweigen wir davon«, rief er, »ich habe nie in meinem Leben Ursache gehabt, irgend etwas zu bemänteln oder zu entstellen, kann es aber auch nicht dulden, wenn mir andre dieses Geschäft abnehmen wollen. Ich sage dir zum letztenmal, Faldner, dass sich, auf mein Wort, alles so verhält, wie ich es erzählte.«

»Nun, dann sei es Gott geklagt«, erwiderte jener, indem er die Hände zusammenschlug. »Dann hast du aus lauter übertriebenem Edelsinn und theoretischer Zartheit ein paar Hundert Franken an ein listiges Freudenmädchen weggeworfen, das dich durch ein gewöhnliches Histörchen von Elend und kranker Mutter köderte; hast nichts davon gehabt als einen armseligen Kuss! Armer Teufel! In Paris sich von einer Metze so zum Narren halten zu lassen!«

Noch mehr als die vorige Beschuldigung reizte den jungen Mann dieses spöttische Mitleid und das Gelächter der Gesellschaft auf, die auf seine Kosten den schlechten Witz des Barons applaudierte. Er wollte eben, aufs tiefste gekränkt, die Gesellschaft verlassen, als ein sonderbarer, schrecklicher Anblick ihn zurückhielt. Josephe war bleich, wie eine Leiche, langsam aufgestanden; sie schien ihrem Gatten etwas erwidern zu wollen, aber in demselben Moment sank sie ohnmächtig, wie tot zusammen. Bestürzt sprang man auf, alles rannte durcheinander, die Frauen richteten die Ohnmächtige auf, die Männer fragten sich verwirrt, wie dies denn so plötzlich gekommen sei. Fröben hatte der Schrecken beinahe selbst ohnmächtig gemacht, und der Baron murmelte Flüche über die zarten Nerven der Weiber, schalt auf die grenzenlose Dezenz, auf die ängstliche Beobachtung des Anstandes, wovon man ohnmächtig werde, suchte bald die Gesellschaft zu beruhigen, bald rannte er wieder zu seiner Frau; alles sprach, riet, schrie zusammen und keiner hörte, keiner verstand den andern.

Josephe kam nach einigen Minuten wieder zu sich; sie verlangte nach ihrem Zimmer, man brachte sie dahin, und die Mädchen und Frauen drängten sich neugierig und geschäftig nach; sie gaben hunderterlei Mittel an, die wider die Ohnmacht zu gebrauchen, sie erzählten, wie ihnen da und dort dasselbe begegnet; sie wurden darüber einig, dass die grosse Anstrengung der Frau von Faldner, die vielen Sorgen und Geschäfte an diesem Tage diesen Zufall notwendig haben herbeiführen müssen, und die Sorge, der Baron möchte sich vielleicht blamieren, da er ohnedies schon recht unanständig gewesen, habe die Sache noch beschleunigt.

Der Baron suchte indessen unter den Männern die vorige Ordnung wiederherzustellen. Er liess fleissig einschenken, trank diesem oder jenem tapfer zu, und suchte sich und seine Gäste mit allerlei Trostgründen zu beruhigen. »Es kommt von nichts«, rief er, »als von dem Unwesen der neuern Zeit; jede Frau von Stande hat heutzutage schwache Nerven, und wenn sie die nicht hat, so gilt sie nicht für vornehm; Ohnmächtigwerden gehört zum guten Ton; der Teufel hat die verrückten Einrichtungen erfunden. Und auch daher kommt es, dass man nichts mehr beim rechten Namen nennen darf. Alles soll überaus zart, dezent, fein, manierlich hergehen, dass man darüber aus der Haut fahren möchte. Da hat sie sich jetzt alteriert, dass ich einigen Scherz riskierte, was doch die Würze der Gesellschaft ist; dass ich über dergleichen zarte, feingefühlige Geschichten nicht ausser mir kam vor Rührung und Schmerz und mir einige praktische Konjekturen erlaubte. Was da! unter Freunden muss dergleichen erlaubt sein! Und ich hätte dich für gescheiter gehalten, Freund Fröben, als dass du nur dergleichen übelnehmen könntest.«

Aber der, an den der Baron den letztern Teil seiner Rede richtete, war längst nicht mehr unter den Gästen; Fröben war auf sein Zimmer gegangen im Unmut, im Groll auf sich und die Welt. Noch konnte er sich diesen sonderbaren Auftritt nicht ganz enträtseln; seine Seele, halb noch aufgeregt von dem Zorn über die Roheit des Freundes, halb ergriffen von dem Schrecken über den Unfall der Freundin, war noch zu voll, zu stürmisch bewegt, um ruhigern Gedanken und der Ueberlegung Raum zu geben. »Wird auch sie mir nicht glauben«, sprach er kummervoll zu sich, »wird auch sie den schnöden Worten ihres Gatten mehr Gewicht geben, als der einfachen ungeschmückten Wahrheit, die ich erzählte? Was bedeuten jene seltsamen Blicke, womit sie mich während meiner Erzählung zuweilen ansah? Wie konnte sie diese Begebenheit so tief ergreifen, dass sie erbleichte, zitterte? Sollte es denn wirklich wahr sein, dass sie mir gut ist, dass sie innigen Anteil an mir nimmt, dass sie verletzt wurde von dem Hohne des Freundes, der mich so tief in ihren Augen herabsetzen musste? Und was wollte sie denn, als sie aufstand, als sie sprechen wollte? Wollte sie den unschicklichen Reden Faldners Einhalt thun, oder wollte sie mich sogar verteidigen?«

Er war unter diesen Worten heftig im Zimmer auf und ab gegangen, sein Blick fiel jetzt auf die Rolle, die jenes Bild enthielt, er rollte es auf, er sah es bitter lächelnd an. »Und wie konnte ich mich auch von einem Gefühl der Beschämung hinreissen lassen, mein Herz Menschen aufzuschliessen, die es doch nicht verstehen, von Dingen zu reden, die solch überaus vornehmen Leuten so fremd sind; das Schlechte, das Gemeine ist ihnen ja lieber, scheint ihnen natürlicher als das Ausserordentliche; wie konnte ich von deinen lieben Wangen, von deinen süssen Lippen zu diesen Puppen sprechen? O du armes, armes Kind; wieviel edler bist du in deinem Elend, als diese Fuchsjäger und ihr Gelichter, die wahren Jammer und verschämte Armut nur vom Hörensagen kennen, und jede Tugend, die sich über das Gemeine erhebt, als Märchen verlachen! Wo du jetzt sein magst? Und ob du des Freundes noch gedenkst und jener Abende, die ihn so glücklich machten!«

Seine Augen gingen über, als er das Bild betrachtete, als er bedachte, welch bitteres Unrecht die Menschen heute diesem armen Wesen angethan. Er wollte seine Thränen unterdrücken, aber sie strömten nur noch heftiger. Es gab eine Stelle in der Brust des jungen Mannes, wohin, wie in ein tiefes Grab, sich alle Wehmut, alle zurückgedrängten Thränen des Grams still und auf lange versammelten; aber Momente, wie dieser, wo die Schmerzen der Erinnerung und seine Hoffnungslosigkeit so schwer über ihn kamen, sprengten die Decke dieses Grabes und liessen den langverhaltenen Kummer um so mächtiger überströmen, je mehr sein gebrochener Mut in Wehmut überging.

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