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XIX.

Es gereichte Josephe in den Augen ihres Freundes zu keinem geringen Ruhm, dass sie gerade jenen Dichter zu ihrem Liebling erwählt hatte, der auch ihn vor allen anzog. Zwar musste er ihr oft bei Vorlesungen aus Jean Pauls herrlichen Dichtungen zu Hilfe kommen, um dieses oder jenes dunklere Gleichnis zu erklären; aber sie fasste schnell, ihr natürlicher Takt und ihr zarter Sinn, der so ganz in dem Dichter lebte, liess sie manches erraten, ehe ihr noch der Freund Gewissheit gegeben hatte.

»Es liegt doch«, sagte sie eines Tages, »eine Welt voll Gedanken in diesem Hesperus! Jede menschliche Empfindung bei Freude und Schmerz, bei Liebe und Gram liegt zergliedert vor uns da; er weiss uns, indem wir den süssen Duft einer Blume einsaugen, ihre innersten Teile, ihre zarten Blätter, ihre feinsten Staubfäden zu beschreiben, ohne dass er sie zerstört, entblättert. Denn das, glaube ich, ist ja das grosse, tiefe Geheimnis dieses Meisters, dass er jede tiefere Empfindung nicht beschreibt, sondern andeutet, und doch wieder nicht flüchtig andeutet, sondern wie durch das feine Mikroskop eines Gleichnisses uns einen tiefen Blick in die Menschenseele thun lässt, wo Gedanke an Gedanke aufsteigt und das Auge, überrascht, aber entzückt über die wundervolle Schöpfung, in eine Thräne übergeht.«

»Sie haben«, erwiderte der Gastfreund, »wie es mir scheint, in diesen Worten sein Geheimnis wirklich ausgesprochen. Mir ist sonst, ich gestehe es offen, nichts so in der innersten Seele zuwider, als das sichtbare Abmühen eines Autors, dem Leser recht klar und deutlich zu machen, was sein Held oder die Heldin oder eine dritte, vierte Person da und dort empfunden oder gedacht. Aber unser Dichter! Wie herrlich, wie reich ist auch hierin seine Erfindung! Wir leben, wir denken, wir weinen unwillkürlich mit Viktor, und Klothildes bleichere Wangen, ihre klagelose Trauer trifft uns, tiefer als jede Beschreibung es sagen kann, und im warmen, weichen Glück der Liebenden möchten wir ein Strahl der Abendsonne sein, der in der Laube um ihre Umarmung spielt, jene Nachtigall, die ihnen die fromme Feier ihrer Seligkeit mit ihrer glockenhellen Stimme einläutete.«

»Es ist sonderbar«, bemerkte Josephe, »der Faden dieses Romans, was man sein Gerippe nennt, würde uns bei einem andern nicht im mindesten interessant, vielleicht sogar gesucht, langweilig dünken. Sechs verlorne, vertauschte, wiedergefundene Söhne, statt dass z. B. Walter Scott gewöhnlich nur einen hat, und sogar der Verfasser des Walladmor in seiner Parodie mit zweien sich begnügt; eine junge Dame, die zu ihrer Qual von ihrem Bruder geliebt wird, selbst aber seinen Freund liebt; ein kleiner, simpler Hof in Duodez, ein Pfarrhaus voll Ratten und Kinder und ein Edelsitz, wo Unedle wohnen; denken Sie sich diese gewöhnlichen Dinge in einer Reihenfolge, so haben Sie einen unsrer gewöhnlichen Romane von verlornen Söhnen etc. und nicht einmal einen rechten Jammer, um mich so auszudrücken, als etwa Le Beaus Ermordung durch den Hofjunker, oder das tragische Ende des Lords im fünften Akt. Aber welch ein Leben, welch eine Welt wird aus dieser Geschichte, wenn ihr jener Dichter seinen Blumenmantel umhängt! Welche geistreiche Luft, höher und reiner als jede irdische, kommt uns aus der verehrenden Liebe Viktors und Klothildes zu ihrem Lehrer Emanuel, welche Wehmut aus den Täuschungen eines kalten Lebens, wenn Viktor und jenes liebenswürdige Wesen sich verkennen, nicht finden; welche Wonne endlich, wenn ihre Seelen unter dem nächtlichen, gestirnten Himmel im Schmerz der Trennung sich aufschliessen und überströmen in Liebe!«

»Ja!« rief der junge Mann, »unser Dichter ist ein grosser Musiker. Er hat ein ausgespieltes, altes, längst gehörtes Thema vor sich; aber indem er den Gang des alten Liedchens beibehält, führt er die Gedanken auf eine Weise aus, die uns so überraschend, so neu erscheint, dass wir das Thema vergessen und nur auf die Wendungen horchen, in die er übergeht, in welchen er die Himmelsleiter der Töne wie ein Engel auf und ab geht und uns einen geöffneten seligen Himmel im Traume zeigt, während wir vielleicht wie Jakob in der Wirklichkeit auf recht hartem Lager liegen. Dann ist er bald weich wie eine Flöte, durchdringend, wie die Oboe, bald voll, rührend wie das Waldhorn aus der Ferne, bald braust er daher wie mit den mächtigsten tiefsten Bässen, majestätisch, erhaben, bald nur sanft lispelnd wie die Aeolsharfe, oder in Wehmut aufgelöst wie die Töne der Harmonika.«

»Wie danke ich es ihm«, sagte Josephe weich, »dass er versöhnt, dass er die Wunden unsrer Wehmut heilt! Es hätte ja in seiner Macht gestanden, Klothilde untergehen zu lassen im Schmerz unerwiderter Liebe, vor ihrem Tode hätte Viktor ihr noch zugerufen: ›Ich liebte dich ja über alles‹, und sie wäre lächelnd eingeschlafen. Denken Sie sich den ungeheuren Schmerz, die Bitterkeit gegen das Geschick, wenn wir diese Menschen so hätten untergehen sehen, ohne Hoffnung, ohne Trost! Aber es wäre ja nicht möglich gewesen; Viktor hätte nicht so lange geliebt, hätte sich an Joachime oder die Fürstin hingegeben, denn ein Mann kann ja ohne erwiderte Liebe nicht lange lieben!«

»Glauben Sie das wirklich?« erwiderte Fröben, wehmütig lächelnd. »O wie wenig müssen Sie uns kennen, wie klein müssen Sie von uns denken, wenn wir nicht einmal den Mut besässen, dieses kurze Leben hindurch treu zu lieben, auch ohne geliebt zu werden!«

»Ich halte es bei Frauen für möglich«, sagte die schöne Frau; »Liebe ohne Gegenliebe ist ein tiefes Unglück, und Frauen sind ja mehr dazu gemacht, stille Leiden zu tragen ein Erdenleben lang, als ihr. Der Mann würde einen solchen Gram von sich werfen, oder der glühende Kummer müsste ihn verzehren!«

»Beides nicht – ich lebe ja noch und liebe«, sagte Fröben, zerstreut vor sich hinblickend.

»Sie lieben!« rief Josephe, und mit so eignem Tone, dass der junge Mann erschrocken aufblickte; sie schlug die Augen nieder, als ihr sein Blick begegnete, eine tiefe Röte überflog ihr Gesicht und ging ebenso schnell wieder in tiefe Blässe über.

»Ja«, sagte er, indem es ihm mit Mühe gelang, es scherzhaft zu sagen: »der Fall, den Sie setzten, ist der meinige, und noch liebe ich, vielleicht ruhiger, aber nicht minder innig als am ersten Tag, ich liebe sogar beinahe ohne Hoffnung, denn die Dame meines Herzens weiss nicht um meine Liebe, und dennoch, wie Sie sehen, hat mich der Kummer noch nicht getötet.«

»Und darf man wissen!« sagte sie zutraulich, aber wie es Fröben schien, mit zitternder Stimme, »darf man wissen, wer die Glückliche ist?«

»Ach sehen Sie, das ist gerade das Unglück, ich weiss ja nicht, wer sie ist, noch wo sie sich aufhält, und liebe dennoch; ja Sie werden mich für einen zweiten Don Quichotte halten, wenn ich gestehe, dass ich sie nur einmal flüchtig sah, mich nur noch einiger Partien ihres Gesichtes erinnern kann und dennoch in der Welt umherstreife, um sie zu finden, weil es mir zu Hause keine Ruhe lässt.«

»Sonderbar«, bemerkte Josephe, indem sie ihn nachdenklich ansah; »sonderbar; es ist wahr, ich kann mir einen solchen Fall denken, aber dennoch machen Sie eine seltene Ausnahme, lieber Fröben; wissen Sie denn, ob Sie geliebt werden? Ob das Mädchen Ihnen treu ist?«

»Nichts weiss ich von diesem allen«, erwiderte er ernst und mit verschlossenem Gram, »ich weiss nichts, als dass ich glücklich wäre, wenn ich jenes Wesen mein nennen könnte, und weiss nur allzugut, dass ich vielleicht auf immer verzichten muss und nie ganz glücklich werde!«

Je seltener sonst der junge Mann über diese Gefühle sich aussprach, desto mächtiger kamen in diesem Augenblick alle Schmerzen der Erinnerung an gramvolle Stunden und eine Wehmut über ihn, der er sich nicht gewachsen fühlte. Er stand schnell auf und ging aus der Laube dem Schlosse zu. Aber Josephe sah ihm mit Blicken voll unendlicher Liebe nach, Thräne um Thräne löste sich aus den zuckenden Wimpern, und erst als sie wie ein Quell auf ihre schöne Hand herabfielen, erweckten sie Josephe aus ihren Träumen. Und beschämt, als hätte sie sich bei einer geheimen Schuld belauscht, errötete sie und presste ihr Tuch vor ihre verräterischen Augen.

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