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IX.

Sein Aufenthalt in Stuttgart hatte nur dem Bilde gegolten, das er in jener Galerie gefunden. Er war, als er die Hauptstadt Württembergs berührte, auf einer Reise nach dem Rhein begriffen, und dahin zog er nun weiter. Er gestand sich selbst, dass ihn die letzten Monate beinahe allzu weich gemacht hatten. Er fühlte nicht ohne Beschämung und leises Schaudern, dass sein Trübsinn, sein ganzes Dichten und Trachten schon nahe an Narrheit gestreift hatten. Er war zwar unabhängig, hatte dieses Jahr noch zu Reisen bestimmt, ohne sich irgend einen festen Plan, ein Ziel zu setzen, und wollte diese lange Unterbrechung seiner Reise auf die angenehme Lage der Stadt, auf die herrlichen Umgebungen schieben. Aber hatte er denn wirklich jene Stadt so angenehm gefunden? Hatte er Menschen aufgesucht, kennen gelernt? Hatte er sie nicht vielmehr gemieden, weil sie seine Einsamkeit, die ihm so lieb geworden, störten? Hatte er die herrlichen Umgebungen genossen? »Nein«, sagte er lächelnd zu sich, »man wäre versucht, an Zauberei zu glauben! Ich habe mich betragen wie ein Thor! Habe mich eingeschlossen in mein Zimmer, um zu lesen. Und habe ich denn wirklich gelesen? Stand nicht ihr Bild auf jeder Seite? Gingen meine Schritte weiter als zu ihr, oder um einmal unter dem Gewühl der Menge auf und ab zu gehn? Ist es nicht schon Raserei, auf so langen Wegen einem Schatten nachzujagen, jedes Mädchengesicht aufmerksam zu betrachten, ob ich nicht den holden Mund der unbekannten Geliebten wiedererkenne?«

So schalt sich der junge Mann, glaubte recht feste Vorsätze zu fassen, und wie oft, wenn sein Pferd langsamer bergan geschritten war, vergass er, oben es anzutreiben, weil seine Seele auf anderen Wegen schweifte; wie oft, wenn er abends sein Gepäck öffnete und ihm die Rolle in die Hände fiel, entfaltete er unwillkürlich das Bild der Geliebten und vergass, sich zur Ruhe zu legen.

Aber die reizenden Gebirgsgegenden am Neckar, die herrlichen Fluren von Mannheim, Worms, Mainz verfehlten auch auf ihn den eigentümlichen Eindruck nicht. Sie zerstreuten ihn, sie füllten seine Seele mit neuen, freundlichen Bildern. Und als er eines Morgens von Bingen aufbrach, stand nur ein Bild vor seinem Auge, ein Bild, das er noch heute erblicken sollte. Fröben hatte mit einem Landsmann Frankreich und England bereist, und aus dem Gesellschafter war ihm nach und nach ein Freund erwachsen. Zwar musste er, wenn er über ihre Freundschaft nachdachte, sich selbst gestehen, dass Uebereinstimmung der Charaktere sie nicht zusammenführte, doch oft pflegt es ja zu geschehen, dass gerade das Ungleiche sich heisser liebt als das Aehnliche. Der Baron von Faldner war etwas roh, ungebildet; selbst jene Reise, das bewegte Leben zweier Hauptstädte, wie Paris und London, hatte nur seine Aussenseite etwas abschleifen und mildern können. Er war einer jener Menschen, die, weil sie durch fremde oder eigene Schuld gewählte Lektüre, feinere, tiefere Kenntnisse und die bildende Hand der Wissenschaften verschmähten, zur Ueberzeugung kamen, sie seien praktische Menschen, d. h. Leute, die in sich selbst alles tragen, um was sich andre, es zu erlernen, abmühen, die einen natürlichen Begriff von Ackerbau, Viehzucht, Wirtschaft und dergleichen haben und sich nun für geborne Landwirte, für praktische Haushälter ansehen, die auf dem natürlichsten Wege das zu erreichen glauben, was die Masse in Büchern sucht. Dieser Egoismus machte ihn glücklich, denn er sah es nicht, auf welchen schwachen Stützen sein Wissen beruhte; noch glücklicher wäre er wohl gewesen, wenn diese Eigenliebe bei den Geschäften stehen geblieben wäre, aber er trug sie mit sich, wohin er ging, erteilte Rat, ohne welchen anzunehmen, hielt sich, was man ihm gerade nicht nachsagte, für einen klugen Kopf und ward durch dieses alles ein unangenehmer Gesellschafter und zu Hause vielleicht ein kleiner Tyrann, aus dem einfachen Grunde, weil er klug war und immer recht hatte.

»Ob er wohl sein Sprichwort noch an sich hat«, fragte sich Fröben lächelnd, »das unabwendbare: ›Das habe ich ja gleich gesagt!‹ Wie oft, wenn er am wenigsten daran gedacht hatte, dass etwas gerade so geschehen werde, wie oft fasste er mich da bei der Hand und rief: ›Freund Fröben, sag' an, habe ich es nicht schon vor vier Wochen gesagt, dass es so kommen würde? Warum habt Ihr mir nicht gefolgt?‹ Und wenn ich ihm so sonnenklar bewies, dass er zufällig gerade das Gegenteil behauptet habe, so liess er sich unter keiner Bedingung davon abbringen und grollte drei, vier Tage lang.«

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Fröben hoffte, Erfahrung und die schöne Natur um ihn her werden seinen Freund weiser gemacht haben. An einer der reizendsten Stellen des Rheinthales, in der Nähe von Kaub, lag sein Gut, und je näher der Reisende herabkam, desto freudiger schlug sein Herz über alle diese Herrlichkeit der Berge und des majestätischen Flusses, um so öfter sagte er zu sich: »Nein, er muss sich geändert haben; in diesen Umgebungen kann man nur hingebend, nur freundlich und teilnehmend sein, und im Genuss dieser Aussicht muss man vergessen, wenn man auch wirklich recht hat, was bei ihm leider der seltene Fall ist«.

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