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XV.

»Meine Verwandten?« sagte sie unter Thränen. »Ach, das ist ja gerade mein Unglück, dass ich keine habe. Wie glücklich sind die, welche auf viele Geschlechter zurücksehen können, die mit den Banden der Verwandtschaft an gute Menschen gebunden sind; wie angenehm sind die Worte Oheim, Tante; sie sind gleichsam ein zweiter Vater, eine zweite Mutter, und welcher Zauber liegt vollends in dem Namen Bruder! Wahrlich, wenn ich fähig wäre, einen Menschen zu beneiden, ich hätte oft dieses oder jenes Mädchen beneidet, die einen Bruder hatte; es war ihr inniger, natürlichster, aufrichtigster Freund und Beschützer.«

Fröben rückte ängstlich hin und her; er hatte hier, ohne es zu wollen, eine Saite in Josephes Brust getroffen, die schmerzlich nachklang; es standen ihm Aufschlüsse bevor, vor welchen ihm unwillkürlich bangte. Er schwieg, als sie ihre Thränen trocknete und fortfuhr:

»Das Schicksal hat mich manchmal recht sonderbar geprüft. Ich war das einzige Kind meiner Eltern, und so entbehrte ich schon jene grosse Wohlthat, Geschwister zu haben; wir wohnten unter fremden Menschen, und so hatte ich auch keine Verwandten. Mein Vater schien mit den Seinigen in der Schweiz nicht im besten Einverständnis zu leben, denn meine Mutter erzählte mir oft, dass sie ihm grollen, weil er sie geheiratet habe und nicht ein reiches Fräulein in der Schweiz, das man ihm aufdringen wollte. Auch meinen Vater sah ich nur wenig; er war bei der Armee, und Sie wissen, wie unruhig unter dem Kaiser die Zeiten waren. So blieb mir nichts als meine gute Mutter; und wahrlich, sie ersetzte mir alle Verwandten. Als sie starb, freilich, da stand ich sehr verlassen in der grossen Welt; denn da war unter Millionen niemand, zu dem ich hätte gehen und sagen können: »nun sind sie tot, die mich ernährten und beschützten, seid ihr jetzt meine Eltern!«

»Und Ihre Mutter hiess also nicht Tortosi«, sagte Fröben.

»Ich nannte sie nicht anders als Mutter, und nie hat sie über ihre frühern Verhältnisse mit mir gesprochen; ach, als ich grösser wurde, war sie ja immer so krank! Mein Vater nannte sie nur Laura, und in den wenigen Papieren, die man nach ihrem Tode fand und mir übergab, wird sie Laura von Tortheim genannt.«

»Ei nun!« rief Fröben heiter, »das ist ja so klar wie der Tag; Laura hiess ihre Mutter, Tortheim ist nichts andres als Tortosi, das die lieben Flüchtlinge veränderten, Tannensee hiess jener Kapitän in Valencia, er ist Ihr Vater, der Oberst Tannensee, und noch mehr, sagen Sie nicht selbst, dass dieses Bild Ihrer Mutter Laura vollkommen gleiche, und erkannte nicht mein werter Don Pedro in dem Urbild seine Donna Laura? Jetzt sind Sie nicht mehr einsam, einen trefflichen Vetter haben Sie wenigstens, Don Pedro de San Montajo Ligez! Ach, wie wird sich mein Freund über die berühmte Verwandtschaft freuen!«

»O Gott, mein Mann!« rief sie schmerzlich und verhüllte das Gesicht in ihr Tuch.

Unbegreiflich war es Fröben, wie sie dies alles so ganz anders ansehen könne, als er; er sah ja in diesem allen nichts als die Freude Don Pedros, eine Tochter seiner Laura zu finden. Er war reich, unverheiratet, trug noch immer den alten Enthusiasmus für seine schöne Kousine in sich, also auch eine schöne Erbschaft kombinierte Fröben aus diesem wunderbaren Verhältnis. Er ergriff Josephes Hand, zog sie herab von ihren Augen; sie weinte heftig.

»O, Sie kennen Faldner schlecht«, sagte sie, »wenn Sie meinen, dass ihn diese Vermutungen freudig überraschen werden; Sie kennen sein Misstrauen nicht. Alles soll ja nur seinen ganz gewöhnlichen Gang gehen, alles recht schicklich und ordentlich sein, und alles Aussergewöhnliche hasst er aus tiefster Seele. Ich musste es ja«, fuhr sie nicht ohne Bitterkeit fort, »ich musste es ja als eine Gnade ansehen, dass mich der reiche, angesehene Mann heiratete, dass er mit den wenigen Dokumenten zufrieden war, die ich ihm über meine Familie geben konnte. Muss ich es denn«, rief sie, heftiger weinend, »muss ich es denn nicht noch alle Tage hören, dass er mit den angesehensten Familien sich hätte verbinden, dass er dieses oder jenes reiche Fräulein hätte heiraten können? Sagt er es mir nicht so oft, als er mir zürnt, dass mein Adel neu sei, dass man von dem Geschlecht meiner Mutter gar nichts wisse, und dass sogar einige Tannensee in der Schweiz das von abgelegt haben und Kaufleute geworden seien?«

Jetzt erst ging dem jungen Mann ein schreckliches Licht auf. »Also in das Haus des Unglücks, in eine unglückselige Ehe bin ich gekommen«, sprach er zu sich. »Ach, nicht aus Liebe hat sie ihn geheiratet, sondern aus Not, weil sie allein stand; und Faldner, so kenne ich ihn, hat sie genommen, weil sie schön war, weil er mit ihr glänzen konnte. Das unglückliche Weib! Und der Barbar macht ihr Vorwürfe über ihr Unglück, lässt sie sogar fühlen, was sie ihm verdanke?« Ein gemischtes Gefühl von Unmut über seinen Freund, von Mitleid und Achtung gegen die schöne, unglückliche Frau zog ihn zu ihr hin; er bemühte sich, ihr Mut und Vertrauen einzuflössen. »Sehen Sie dies alles als nicht gesagt an«, flüsterte er; »ich sehe, es macht Ihnen Kummer; was nützt es denn Faldner? Verschweigen wir ihm die thörichten Mutmassungen, die ich hatte, die ja ohnedies zu nichts führen können.«

Josephe sah ihn bei diesen Worten gross an; ihre Thränen verlöschten in den weitgeöffneten Augen, und Fröben glaubte eine Art von Stolz in ihren Mienen zu lesen. »Mein Herr«, sagte sie, und ihre Gestalt schien sich höher aufzurichten, »ich kann unmöglich glauben, dass, was Sie sagten, Ihr Ernst sein kann; auf jeden Fall werden Sie wissen, dass die Gattin des Baron von Faldner kein Geheimnis mit Ihnen teilt, das nicht ihr Gatte wissen dürfte.«

Unter diesen Worten hatte sie das Theegeschirr unsanft von sich gerückt, war aufgestanden und – nach einer kurzen Verbeugung verliess sie den erstaunten Gast. Fröben wollte ihr nach, wollte abbitten, was er gethan, wollte alles auf einmal gutmachen, aber sie war schon in der Thür verschwunden, ehe er nur Fassung genug hatte, sich vom Sofa aufzuraffen. Unmutig ging er hinab in den Garten; er wusste nicht, sollte er sich selbst grollen oder der Empfindlichkeit der Dame, die ihm in diesem Augenblick übergross erschien. Doch, wie es in solchen Fällen zu geschehen pflegt, sein aufgeregtes Blut wallte nach und nach ruhiger, und sein Geist gewann Raum, über sich selbst nachzusinnen. Und hier fand er nun manches, was Josephe zur Entschuldigung diente. »Sie liebt ihn nicht«, sagte er zu sich, »er behandelt sie vielleicht roh, zeigt sich mehr als Herr, denn als Gatte. Sie wurde weich, als ich mit ihr über höhere Genüsse des Lebens sprach, ich sah, wie sie erschrak, als sie sich gegen mich verraten hatte, als sie aussprach, welcher Mangel selbst mitten im äussern Glück sie drücke. Und musste sie sich nicht ängstlich berührt fühlen, dass sie diesen Mangel einem Freunde ihres Gatten verriet? Und weiter, als ich ihr alles, alles sagte, als ich mit einer gewissen Bestimmtheit von ihrer Abstammung sprach, als ich, vielleicht etwas unzart, Saiten berührte, die sonst niemand bei ihr antastete, musste sie nicht dadurch schon ausser sich selbst geraten? Und als sie vollends den Argwohn, die Zweifelsucht des Barons bedachte, wurde sie nicht immer ängstlicher, immer verlegener, und ich«, fuhr er fort, indem er sich vor die Stirn schlug, »ich konnte ihr zumuten, ein Geheimnis mit mir zu teilen, das sie ihrem nächsten Freunde, ihrem Gatten, nicht verraten dürfte? Musste ihr nicht das ganze Anerbieten sonderbar, unzart vorkommen?« Wie hoch, wie edel erschien ihm jetzt erst der Charakter dieser Frau; wo nahm sie bei dieser Jugend – denn sie konnte höchstens neunzehn zählen – solche Stärke, solche Umsicht, solche ungewöhnliche Bildung, solche feine gesellige Formen her? Er fühlte, vielleicht zum erstenmal in seinem Leben, dass den Frauen etwas von Feinheit, Schlauheit, Kraft, Ueberwindung, kurz, dass ihnen ein Geheimnis innewohne, dem der Mann, selbst der stolze, gewichtige, nicht gewachsen sei.



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