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Boonder.

Nie erfuhr ich, wie der Gegenstand dieser Erinnerung dazu kam, ein so innig geliebter Freund meiner Familie zu werden. Er war kein Hund, der von vornherein für sich einnahm. Sein Stammbaum war von der tiefsten Dunkelheit umhüllt. Er mag Brüder und Schwestern gehabt haben, aber im ganzen Verlauf meiner Bekanntschaft mit dem Hundegeschlecht seiner ziemlich ausgedehnten Bekanntschaft) habe ich niemals irgend eine von Boonders Eigenthümlichkeiten in irgend einem andern seiner Gattung entdeckt. Sein Körper war lang und seine Vorderbeine waren von seinen Hinterbeinen sehr weit entfernt, wie wenn die Natur ursprünglich beabsichtigt hätte, ein Extrapaar dazwischen anzubringen, sich das aber unklugerweise hätte ausreden lassen. Diese Eigenthümlichkeit war verdrießlich in kalten Nächten, da sie stets die Zeit, die man für Boonders Hereinkommen die Thür offen halten mußte, um so viel verlängerte, daß zwei oder drei Hunde von vernünftiger Länge hätten hereingehen können. Boonders Füße waren schief, seine Zehen traten beträchtlich hervor, und wenn er ruhte, war seine Lieblingsattitude die erste Position beim Tanzen. Denke man sich zu einem Paar heller Augen Ohren, die einem andern Hunde anzugehören schienen, eine symmetrisch zugespitzte Nase, die in alle Oeffnungen wie ein Hauptschlüssel paßte, und man hat Boonder, wie wir ihn kannten.

Ich bin zu der Ansicht geneigt, daß seine Beliebtheit hauptsächlich auf seiner ruhigen Unverschämtheit beruhte. Seine Ankunft in der Familie war die eines alten Gliedes derselben, welches eine kurze Zeit abwesend gewesen, aber zu wohlbekannten Orten und Verbindungen zurückgekehrt war. Vom pythagoräischen Standpunkte mag das der Fall gewesen sein, aber ich kann mich auf kein dahingeschiednes Glied der Familie besinnen, welches im Leben aufs Verscharren von Knochen versessen gewesen wäre (freilich könnte dies nach dem Tode ein folgerechtes Vergnügen sein) und dies war Boonders große Schwäche. Man entdeckte ihn zuerst zusammengeringelt auf einem groben Teppich in einem obern Gemach, und er war der am wenigsten außer Fassung Gerathene vom ganzen Haushalte. Von diesem Augenblick an wurde Boonder ein anerkanntes Glied der Familie, und Privilegien, die man oft den Gescheidtesten und Werthvollsten seiner Gattung versagte, wurden gelassen von ihm in Anspruch genommen und von uns zugestanden. So, wenn er zusammengeringelt in einem Wäschkorbe gefunden wurde oder ein Stück Wäsche zu seinen Gunsten sich in Bewegung setzte, sagten wir nur: »O, 's ist Boonder!« und fühlten uns getröstet, daß es nichts Schlimmeres war.

Ich habe davon gesprochen, daß er gern Knochen verscharrte. Man konnte das keine Befähigung zur Sparsamkeit nennen; denn er vergaß stets die Oertlichkeit seines Schatzes und bedeckte den Garten mit zwecklosen Löchern. Aber obwohl sich die Veilchen und Gänseblümchen durch Boonders Gärtnerei nicht gefördert sahen, dachte doch niemand daran, ihn zu bestrafen. Er wurde gleichbedeutend mit Schicksal: ein Boonder, über den man murrte, den man philosophisch hinnehmen mußte – der sich aber durchaus nicht abwenden ließ.

Aber obwohl er kein gescheidter Hund und auch kein Hund, der das Haus schmückte, war, besaß er doch gewisse gentlemännische Triebe. Wenn er sein einziges Kunststück machte – auf seinen Hinterbeinen bettelte, wobei er merkwürdige Aehnlichkeit mit einem Pinguin hatte – so boten Fremde, die seinen Geschmack nicht kannten, ihm Zwieback oder Kuchen, die er nicht mochte, als Belohnung seiner Verdienste. Boonder that dann immer sehr eifrig, als nähme er die dargebotnen Leckerbissen an, und machte sogar heuchlerische Krümmungen, wie wenn er sie verschlänge, legte den Bissen aber, wenn er unbeobachtet war, in dem ersten besten Behältniß – gewöhnlich in den Ueberschuhen des Besuchs – nieder.

In Sachen, die keine Höflichkeit erforderten, war Boonder in seinen Neigungen und Abneigungen aufrichtig. Er war ein instinctmäßiger Gegner der Eisenbahn. Als die Strecke durch unsre Straße gelegt wurde, behauptete Boonder gegen jede Schiene, wenn sie niederging, eine herausfordernde Haltung und widerstand bald nachher den Waggons so weit nur irgend seine Lungen reichten. Ich habe die lebhafte Erinnerung, gesehen zu haben, wie er am Tage der Probefahrt die Straße vor den Wagen heruntergejagt kam und sich ganz aus Rand und Band bellte, und beim Athemholen zu neuem Gebell jedes Mal mehrere Fuß zurückschoß. Aber Boonder war nicht der Einzige, welcher Neuerungen Widerstand leistete oder es erlebte, daß die Neuerung gedieh und sogar die zermalmte, welche – aber ich anticipire. Boonder hatte früher dem Gas Widerstand geleistet, aber obwohl er einen ganzen Tag auf zornigen Zank mit den Arbeitern verwendete – wobei er seine Knochen unverscharrt in der Sonne bleichen ließ – machte es sich doch irgendwie mit dem Gase. Ebenso erfolglos bekämpfte er die Wasserleitung von Spring Valley, und die Planirung eines benachbarten Bauplatzes war für eine lange Zeit eine persönliche Angelegenheit zwischen Boonder und dem Unternehmer.

Diese Eigenthümlichkeiten schienen einen entschiednen Charakter anzuzeigen und eine Idee zu verkörpern. Eine sich in die Länge ziehende Debatte, die in der Familie sich über diesen Punkt entspann, hatte einen Zusatz zu seinem Namen zum Ergebniß – wir nannten ihn »Boonder, den Conservativen«, mit einer leisen Anerkennung seiner verhängnißvollen Macht. Aber obwohl Boonder seinen Willen hatte, war sein Pfad nicht ganz mit Rosen bestreut. Bisweilen stachen Dornen seine empfindlichen Stellen. Wenn gewisse Mollsaiten auf dem Piano angeschlagen wurden, wurde Boonder stets peinlich davon berührt und heulte seinen Einspruch. Als er bei der Wiederkehr der Herausforderung der Gesellschaft halber nach dem Hinterhofe entfernt worden, so streckte er sich nach seiner ganzen Länge (die doch etwas bedeutete), um zu einem Geheul auszuholen, welches den Spielenden erreichen sollte. Aber wir gewöhnten uns an Boonder, und da wir die Musik liebten, so wurde weiter gespielt.

Eines Morgens verließ Boonder das Haus in guter Laune, seinen regelmäßigen Knochen im Maule und augenscheinlich mit der gewöhnlichen Absicht, ihn zu verscharren. Am nächsten Tage wurde er leblos auf der Bahn aufgehoben – offenbar von dem ersten Wagen niedergerannt, der aus dem Bahnhof herausgegangen war.

 

Ende.

 


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