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Er wartet auf das Schiff.

Eine Idylle von Fort Point.

Ungefähr einen Ritt von einer Stunde von der Plaza ist eine hohe Wand, an deren felsigem Strande sich unablässig der Ocean bricht. Auf den Sandhügeln befinden sich verschiedene Hütten, die aussehen, als ob sie erst neuerdings von einer schweren See heraufgeschleudert worden wären. Das bebaute Fleckchen hinter jeder Wohnung ist mit Bambusstücken, zerbrochnen Spieren und Treibholz eingezäunt. Mit seinen wenigen grünen Kohlstrünken und Rübenköpfen steht jeder Garten wie ein Aquarium aus, wo das Wasser abgelassen ist. In der That, man würde nicht sehr überrascht sein, wenn man einen Nix die Kartoffeln umgraben und dicht daneben eine Seejungfer eine Kuh melken sähe.

In der Nähe dieser Stelle erhob sich früher ein großer semaphorischer Telegraph, der seine dürren Arme nach dem Horizont ausstreckte. Er ist durch ein Observatorium ersetzt worden, welches durch einen elektrischen Nerv mit dem Herzen der großen Handelsstadt verbunden ist. Von diesem Punkte werden die hereinkommenden Schiffe signalisirt und dann wieder auf der Börse angeschlagen. Und während wir hier nach dem erwarteten Dampfer ausschauen, lasse man mich eine Geschichte erzählen.

Vor nicht langer Zeit hatte ein einfacher, hart arbeitender Handwerker durch fleißige Arbeit in den Bergwerken genug zusammengebracht, um seine Frau und seine zwei Kinder von Hause sich Nachkommen lassen zu können. Er traf einen Monat vor der Zeit, wo das Schiff anlangen mußte, in San Francisco ein; denn er war ein Mann aus dem Westen und hatte die Reise über Land gemacht, und wußte wenig von Schiffen, Seegängen und Stürmen. Er verschaffte sich Arbeit in der Stadt, aber als die Zeit kam, ging er jeden Tag regelmäßig auf das Schifffahrts-Amt. Der Monat verging, aber das Schiff kam nicht; dann ein Monat und eine Woche, zwei Wochen, drei Wochen, zwei Monate und dann ein Jahr.

Das rauhe geduldige Gesicht mit den sanften Linien, die über seine harten Züge hinwegliefen, welches eine tägliche Erscheinung bei dem Schifffahrts-Agenten geworden war, verschwand dann. Es tauchte eines Nachmittags am Observatorium wieder auf, als die untergehende Sonne den Telegraphisten von seinen Pflichten entband. Es lag etwas so Kindliches und Einfaches in den wenigen Fragen, die dieser Fremde in Betreff des Berufs des Telegraphisten that, daß derselbe einige Zeit darauf verwendete, ihn aufzuklären. Als das Geheimniß der Signale und Telegramme enthüllt war, hatte der Fremde noch eine Frage zu stellen. »Wie lange könnte ein Schiff wohl ausbleiben, ehe man's aufgäbe, dasselbe zu erwarten?« Der Telegraphist konnte das nicht sagen, es würde von den Umständen abhängen. »Würde es wohl ein Jahr dauern?« Ja, es könnte wohl ein Jahr dauern, und nach zwei Jahren noch wären Fahrzeuge, die man aufgegeben, heimgekommen. Der Fremde legte seine rauhe Hand in die des Telegraphisten, dankte ihm für die Mühe, die er sich gemacht, und ging fort.

Noch immer kam das Schiff nicht. Stattliche Klipper fegten in das Gatt herein, und Kauffahrer fuhren vorüber mit fliegenden Farben, und die Willkomms-Kanone des Dampfers widerhallte oft an den Hügeln. Dann begegnete man dem geduldigen Gesichte mit dem alten in sein Schicksal ergebnen Ausdruck, aber einem helleren tiefsinnigen Blick in dem Auge regelmäßig auf den von Menschen wimmelnden Decks des Dampfers, wenn er seine lebendige Ladung ausschiffte. Er mag eine unbestimmte Hoffnung gehegt haben, daß die Vermißten noch diesen Weg gekommen sein und nur eine andere Straße über jene seltsame unbekannte Wasserfläche eingeschlagen haben könnten. Aber er sprach mit Schiffskapitänen und Matrosen, und selbst diese letzte Hoffnung schien zu versagen. Als das abgehärmte Gesicht und die hellen Augen sich wieder auf dem Observatorium zeigten, fand der Telegraphist, von Geschäften in Anspruch genommen, keine Zeit zur Beantwortung thörichter Fragen, und so ging er fort. Aber als die Nacht herabsank, sah man ihn mit seewärts gewendetem Gesicht aus dem Felsen sitzen, und er saß die ganze Nacht dort.

Als er hoffnungslos wahnsinnig wurde – denn das war es, was nach Aussage der Aerzte seine Augen so hell und tiefsinnig aussehen ließ – sorgte Einer von seinem Handwerke für ihn, der seinen Kummer erfahren hatte. Man erlaubte ihm, seiner Schrulle nachzugehen, nach welcher er bei Nacht, wo niemand sonst wachte, herauskam und nach dem Schiffe spähte, auf welchem »sie und die Kinder« waren. Er hatte sich's im Gemüthe zurechtgelegt, daß das Schiff des Nachts hereinkommen würde. Dies und die Idee, daß er den Telegraphisten ablöse, der von dem Beobachten den ganzen Tag über müde sein werde, schien ihm wohl zu thun. So ging er denn jede Nacht hinaus und löste den Telegraphisten ab.

Zwei Jahre lang kamen und gingen die Schiffe. Er war dort, um den nach außen bestimmten Klipper zu sehen und ihn bei seiner Rückkehr zu begrüßen. Er war nur Wenigen bekannt, die häufig an den Ort kamen. Als man ihn zuletzt an dem gewohnten Orte vermißte, vergingen ein paar Tage, bevor man sich irgendwie darüber beunruhigte. Eines Tages wurde eine Gesellschaft, die hier ihr Vergnügen suchte, durch das Bellen eines Hundes, der ihnen vorausgelaufen war, herbeigezogen. Als sie zur Stelle kamen, fanden sie einen einfach gekleideten Mann da todt liegen. In seiner Tasche waren einige Papiere, hauptsächlich Zettelchen, die aus verschiedenen Journalen herausgeschnitten waren und sich auf die See bezogen, und sein Gesicht war dem fernen Meere zugekehrt.


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