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Ein ehrwürdiger Betrüger.

Wenn ich über meinen Tisch hinblicke, werde ich ein wenig zerstreut durch den Anblick eines ehrwürdigen Hauptes, dessen Scheitel gelegentlich am andern Ende, ungefähr in gleicher Höhe mit der Platte, auftaucht. Die Erscheinung einer kleinen Hand, deren Finger Buckelchen und feine Grübchen haben, und welche häufig über den Tisch langt, indem sie den vergeblichen und ohnmächtigen Versuch macht, das Dintenfaß zu erreichen, wirkt bei jeder Wiederkehr des Phänomens stets auf mich als etwas Neues. Und doch gehören sowohl das ehrwürdige Haupt als die Finger mit Buckelchen einem Individuum an, mit dem ich wohlbekannt bin, und auf das ich die Bezeichnung anzuwenden für gut finde, welche die Ueberschrift dieses Artikels ist.

Seine Ankunft in der Familie war von besondern Umständen begleitet. Er wurde mit einiger Rücksicht empfangen – indem die Zahl der Dienstboten zu Ehren seines Erscheinens um einen vermehrt worden war. Er schien müde zu sein – er gab vor, von einer langen Reise gekommen zu sein – so daß er Tage, Wochen und selbst Monate sein Bett nicht verließ, außer wenn er getragen wurde. Aber es war merkwürdig, daß sein Appetit unverändert regelmäßig und gesund war, und daß seine Mahlzeiten, von denen er verlangte, daß sie ihm zugetragen würden, selten zurückgewiesen wurden. Während dieser Zeit hatte er wenig Unterhaltung mit seiner Familie, da seine Bekanntschaft mit unsrer einheimischen Sprache beschränkt war, aber gelegentlich redete er mit sich selbst in seiner eignen Sprache – einer fremden Zunge. Den Schwierigkeiten, die diese Excentricität begleiteten, wurde von dem jungen Frauenzimmer begegnet, welches ihn von Anfang unter ihre Protection genommen hatte – da sie wie die übrigen ihres Geschlechts besonders offen für Täuschungen war – welche sofort ihre eigne Zunge aufgelöst hatte, damit sie zur seinigen paßte. Dies wurde bewirkt durch Zusammenziehung der Sylben mancher Worte, durch die Hinzufügung von Sylben zu andern und durch eine geniale Nichtbeachtung der Zeitformen und der regierenden Mächte beim Verbum. Dasselbe eigenthümliche Gesetz, welches uns im Gespräch mit Fremden antreibt, ihr gebrochnes Englisch nachzuahmen, beherrschte die Familie in ihrem Verkehr mit ihm. Er nahm diese Beweise seiner Macht mit einer Gleichgültigkeit hin, die nicht ganz frei von Geringschätzung war. Der Ausdruck seines Auges wollte bisweilen andeuten, daß seine höhere Natur davor zurückschrak. Ich selbst habe keinen Zweifel, daß das, was er wollte, häufig falsch gedeutet wurde, daß das Emporstrecken seiner Hände nach dem Mond und den Sternen die Vollziehung irgend eines seinem Vaterlande eigenthümlichen religiösen Ritus gewesen sein mag, der in unserm Lande mißverstanden und mit dem Wunsche nach physischer Nahrung erklärt wurde. Seine Wiederholung des Wortes »Gu – Gu« – welches sehr verschiedenen und sich widersprechenden Deutungen unterworfen war – schien meinem Gemüthe, wenn ich sie mit seiner Größe zusammenhielt, auf eine Abkunft von dem Urvolke oder den Azteken hinzudeuten.

Ich neige mich diesem Glauben zu, da er den Eindruck unterstützt, auf den ich schon hingedeutet habe, daß nämlich seine außerordentliche Jugendlichkeit Verstellung und Täuschung ist, daß er in Wirklichkeit älter ist und schon in einer fernliegenden Periode gelebt hat, und daß sein Benehmen seinen Titel: Ein ehrwürdiger Betrüger, vollständig rechtfertigt. Eine Menge verschiedner Umstände bestätigt diesen Eindruck: sein wankender Gang, der sowohl dem Greisenalter wie der frühen Jugend eigen ist, sein ehrwürdiges Haupt, bedeckt mit so unmerklich dünnem Haar, daß es in der Entfernung wie ein sanfter Heiligenschein aussieht, und die unvollkommne Entwickelung seiner Zähne. Aber außer diesen physischen Eigentümlichkeiten kann man an ihm auch gewisse moralische Symptome beobachten, welche darthun, daß es mit der von ihm angenommenen Jugend nichts ist. Er hat die Gewohnheit, in Träumereien zu verfallen, die ohne Zweifel durch irgend einen Umstand, der einen Vergleich mit seiner Erfahrung in früherer Knabenzeit eingiebt, oder durch einen ernsten Rückblick auf vergangne Jahre hervorgerufen werden. Man hat entdeckt, daß er in Zeiten, wo er hätte eingeschlafen sein sollen, wach dagelegen und sich damit beschäftigt hat, neugierig die Betttücher, Wände und Möbeln mit irgend einer Erinnerung aus seiner Jugend zu vergleichen. In solchen Augenblicken hat man gehört, wie er sich leise Bruchstücke irgend einer unverständlichen Composition vorsang, die wahrscheinlich noch immer als Nachhall einer Musik, der er längst entwachsen ist, in seinem Gedächtniß weilen. Er hat die Gewohnheit, Fremde mit der Vertrautheit eines Mannes zu empfangen, der ihnen schon früher begegnet ist und dem ihr Vorleben und ihre Eigentümlichkeiten allbekannte Dinge sind, und sein Urtheil über ihren früheren Charakter ist ein so sicheres, daß, wo er mit seinem Vertrauen zurückhält, ich geneigt bin, mit meinem gleichfalls zurückzuhalten. Einigermaßen merkwürdig ist, daß, während der Reife seiner Jahre und der ihnen gebührenden Achtung von Seiten der Menschen die Anerkennung versagt wird, die thierische Schöpfung seine Ueberlegenheit und sein ehrwürdiges Alter nie in Frage zieht. Der Hund behandelt ihn mit einer Hochachtung und Rücksicht, die keinem Andern gewährt wird, und die Katze gestattet ihm eine Vertraulichkeit, vor der ich schaudern würde, wenn ich's mit ihr versuchen sollte. Man darf es vielleicht als einen Beweis für einen gewissen pantheistischen Zug in seiner früheren Erziehung betrachten, daß er selbst in leblosen Gegenständen eine Verwandtschaft mit sich anzuerkennen scheint; denn man hat bemerkt, daß er an Pflanzen, Blumen und Früchte Worte richtete und sein Vertrauen auf unbeseelte Dinge wie Tische und Stühle ausdehnte. Wenig Zweifel kann obwalten, daß in der fernliegenden Periode seiner Jugend diese Gegenstände nicht nur mit Gefühl, sondern auch mit moralischen Fähigkeiten begabt gewesen sind, und er ist noch immer gewohnt, sie zu schlagen, wenn sie ihm in die Quere kommen, und ihnen mit einem Kusse zu verzeihen.

Als er älter wurde – oder richtiger gesagt: als wir uns seinen Jahren näherten – verlor er, so paradox das auch scheint, viel von seiner greisenhaften Würde. Es muß zugestanden werden, daß einige seiner neuerlichen Handlungen unserm unvollkommnen Begriffsvermögen nicht zu seinem außerordentlich hohen Alter zu passen scheinen. Die Gewohnheit mit einem Bindfaden, der an eine Sodawasserflasche gebunden ist, auf und ab zu marschiren, die Neigung, Alles zu reiten, was, sei es auch nur durch Anwendung der lebhaftesten Einbildungskraft, die Formen eines Pferdes anzunehmen vermocht werden kann, der Hang, sein ehrwürdiges weißes Haar mit Dinte und Kohlenstaub zu schwärzen, und ein Alles verschlingender Appetit, der vor Kreide, Thon oder Asche nicht innehält, waren Eigenthümlichkeiten, die nicht darauf berechnet sind, Achtung zu erwecken. In der That, er schien in Demoralisation zu verfallen, und als man ihn nach längerer Abwesenheit neulich zuletzt entdeckte, wie er auf den Stufen vor dem Hause stand und aus seinem beschränkten Wortvorrath eine Ansprache an eine Gruppe entzückter Kinder hielt, konnte der Umstand nur mit der Geschwätzigkeit des Alters erklärt werden.

Aber ich lege meine Feder infolge eines Unheil verkündenden Schweigens und des Verschwindens des ehrwürdigen Hauptes aus meinem Gesichtsfelde bei Seite. Als ich nach der andern Seite des Tisches gehe, finde ich, daß ihn in einem offenkundigen Act eisgrauer Ruchlosigkeit der Schlaf übermannt hat. Dieselben Blätter, die ich der Aufdeckung seines trügerischen Treibens gewidmet hatte, hat er in der Stille wegstibizt, und ich finde sie mit kabbalistischen Figuren und wild aussehenden Hieroglyphen bedeckt, die er mit seinem in Dinte getauchten Zeigefinger gemalt hat, was ohne Zweifel in seiner eignen Sprache einen nachtheiligen Commentar zu meinem Aufsatz bedeutet.

Aber er schläft friedlich, und es liegt etwas in seinem Gesicht, was mir sagt, daß er schon weggeirrt ist in jene in Nebel verschwimmende Region seiner Jugend, wohin ich ihm nicht folgen kann. Und indem es sich in meinem Herzen seltsam regt, wenn ich die unermeßliche Kluft betrachte, die zwischen uns liegt, und wie gering und schwach noch sein Anhalt an dieser Welt und ihren fremdartigen Wirklichkeiten ist, so finde ich zu spät, daß auch ich ein williges Opfer des ehrwürdigen Betrügers bin.


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