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Die Iliade von Sandy Bar.

Vor neun Uhr schon war es am ganzen Flusse hin ziemlich gut bekannt, daß die beiden Besitzer der »Grube zur Freundschaft« sich bei Tagesanbruch mit einander gezankt und sich getrennt hatten. Zu dieser Zeit war die Aufmerksamkeit ihres nächsten Nachbars durch das Geräusch eines Wortwechsels und zweier rasch aufeinanderfolgender Pistolenschüsse auf die Stelle gelenkt worden. Indem er hinausgelaufen, hatte er unbestimmt in dem grauen Nebel, der vom Flusse aufstieg, die hochgewachsene Gestalt Scotts, des einen der Geschäftstheilhaber, den Hügel nach der Schlucht hinabsteigen sehen; einen Augenblick später war York, der andere Geschäftstheilhaber, aus der Hütte erschienen und war in entgegengesetzter Richtung auf den Fluß zugeschritten, wobei er wenige Schritte vor dem neugierigen Beobachter vorbeigegangen war. Später machte man die Entdeckung, daß ein ernster Chinese, der vor der Hütte Holz fällte, von einem Theil des Streites Zeuge gewesen war. Aber John war dumm, gleichgültig und schweigsam. »Ick holzhacki, ick nick fechti,« war seine heitere Antwort auf alle dringenden Fragen. »Was sagten sie aber, John?« John wußte es nicht. Oberst Starbottle zählte verstohlen vor ihm die verschiedenen landesüblichen Epitheta auf, die eine großdenkende öffentliche Meinung als genügende Herausforderung zu einem Angriffe betrachten konnte. Aber John erkannte sie nicht wieder. »Und von solchem Viehzeug,« sagte der Oberst mit einiger Strenge, »denken Einige, daß es ihm erlaubt sein müsse, gegen einen weißen Mann Zeugniß abzulegen. Fort mit Dir, Du Heide!«

Noch immer blieb der Streit unerklärlich. Daß zwei Leute, deren Liebenswürdigkeit und würdevoller Takt ihnen in einer den passiven Tugenden nicht sehr ergebenen Gemeinde den Namen »die Friedensstifter« erworben hatten, – daß diese einander ungemein zugethanen Leute sich plötzlich und heftig überworfen hatten, durfte wohl die Neugier des Lagers erregen. Einige von denen, die der Sache mehr auf den Grund zu gehen liebten, besuchten den jetzt von seinen früheren Insassen verlassenen Schauplatz des Zusammenstoßes. Es war in der sauber gehaltenen Hütte keine Spur von Unordnung oder Verwirrung zu sehen. Der grobe Tisch war zurecht gemacht, wie wenn es hätte ans Frühstück gehen sollen; die Pfanne mit gelbem Zwieback stand noch auf jenem Herde, dessen erloschne Kohlen als Typus der bösen Leidenschaften hätten dienen können, welche nur eine Stunde vorher dort getobt hatten. Aber Oberst Starbottle's Auge – obwohl etwas blutgeädert und verschnupft – war mehr auf praktische Details gerichtet. Beim Nachsuchen fand man ein Kugelloch im Thürpfosten und ein zweites, fast gerade gegenüber, im Fensterkreuz. Der Oberst lenkte die Aufmerksamkeit auf die Thatsache, daß das eine mit dem Kaliber von Scotts Revolver, das andre mit dem von Yorks Derringerpistol übereinstimmte. »Sie müssen,« sagte der Oberst, indem er Stellung nahm, »etwa hier, nicht weiter als drei Schritt von einander, gestanden und – sich gefehlt haben!« Es lag in der sinkenden Modulation der Stimme des Obersten ein schöner Zug von Pathos, der nicht ohne Wirkung war. Ein leises Bewußtsein, daß hier eine gute Gelegenheit schlecht benutzt worden, durchrieselte seine Zuhörer.

Aber die Bar war bestimmt, eine größere Enttäuschung zu erleben. Die beiden Widersacher waren sich seit dem Streite nicht wieder gegenübergetreten, und es ging ein unbestimmtes Gerücht, daß Jeder von ihnen entschlossen sei, bei Gelegenheit einer zweiten Begegnung den Andern beim ersten Gewahrwerden über den Haufen zu schießen. Es gab daher einige Aufregung – und, wie man fürchten muß, nicht wenig Befriedigung – als um zehn Uhr York aus dem Magnolia-Salon in demselben Augenblicke in die einzige lang hingestreut liegende Straße des Lagers hinausschritt, wo Scott die Werkstatt des Grobschmieds an der Stelle verließ, an der die Landstraße sich gabelte. Es lag beim ersten Blick auf der Hand, daß ein Zusammentreffen nur vermieden werden konnte, wenn Einer oder der Andere sich in aller Form zurückzog.

Im Nu füllten sich alle Thüren und Fenster der benachbarten Salons mit Gesichtern. Unzählige Köpfe erschienen über den Flußufern und über den umherliegenden Felsstücken. Ein leerer Lastwagen an der Kreuzung der Straße war plötzlich gedrängt voll Leute, die aus der Erde herausgefahren zu sein schienen. Am Berghang hin war großes verwirrtes Rennen und Laufen. Auf der Gebirgsstraße hatte Mr. Jack Hamlin sein Pferd angehalten und stand kerzengerade auf dem Sitz seines Buggy-Wägelchens. Und die beiden Gegenstände dieser Alles in Anspruch nehmenden Aufmerksamkeit näherten sich einander.

»York hat die Sonne gegen sich« – »Scott wird ihn an den Baum dort spießen« – »Er wartet auf den ersten Schuß,« kam es von dem Wagen, und dann war es still. Aber über dieser athemlosen Gespanntheit der Menschen rauschte und sang der Fluß und raschelte der Wind in den Baumwipfeln mit einer Gleichgültigkeit, die wie Unverschämtheit aussah. Oberst Starbottle fühlte das, und in einem Augenblick erhabenen Hingerissenseins von der Sache schwang er, ohne sich umzusehen, hinter sich seinen Spazierstock zur Warnung für die ganze Natur und sagte: »Bst!«

Die beiden Männer waren jetzt nur noch einige Fuß von einander. Eine Henne lief vor dem Einen von ihnen quer über die Straße. Ein federiges Samengehäuse von einem Baum am Wege fiel dem Andern vor die Füße. Und ohne auf diese Ironie der Natur zu achten, kamen die beiden Gegner sich näher, stramm und grimm, sahen sich einander in die Augen und – gingen weiter!

Oberst Starbottle mußte vom Wagen gehoben werden. »Mit diesem Lager hier ist nichts mehr los,« sagte er schwermüthig, indem er that, als müßte er sich in die Magnolie führen lassen. Mit welchem weiteren Ausdruck er seine Empfindungen angedeutet haben könnte, ließ sich nicht sagen; denn in diesem Augenblicke schloß Scott sich der Gruppe an. »Sprachen Sie zu mir?« fragte er den Obersten, indem er seine Hand wie mit zufälliger Vertraulichkeit diesem Herrn auf die Schulter fallen ließ. Der Oberst, welcher in der Berührung irgend eine verborgne Qualität und in dem Blicke des ihn Fragenden eine gewisse unbekannte Quantität erkannte, begnügte sich damit, daß er mit Würde: »Nein, mein Herr«, erwiderte.

Ein paar Ruthen weiter weg betrug York sich ebenso charakteristisch und eigenthümlich. »Sie hatten eine verteufelt schöne Chance; warum knallten Sie ihn nur nicht nieder?« sagte Jack Hamlin, als York sich dem Buggy näherte. »Weil ich ihn hasse,« lautete die nur von Jack gehörte Erwiderung. Diese Erwiderung wurde nicht, wie die Leute glaubten, zwischen den Lippen des Sprechenden hervorgezischt, sondern in gewöhnlichem Tone gesagt. Aber Jack Hamlin, der ein Beobachter der Menschen war, bemerkte, daß die Hände des Sprechenden kalt und seine Lippen trocken waren, als er ihm in den Buggy half, und nahm den anscheinenden Widerspruch mit einem Lächeln hin.

Als Sandy Bar die Ueberzeugung gewann, daß der Streit zwischen York und Scott nicht nach den ortsüblichen Methoden ausgetragen werden würde, kümmerte es sich nicht mehr darum. Aber bald nachher verbreitete sich das Gerücht, daß über die »Grube zur Freundschaft« ein Rechtsstreit im Gange sei, und daß ihr Besitz von jedem der beiden Theilhaber mit Kostenaufwand bestritten werden würde. Da es wohlbekannt war, daß die fragliche Grube erschöpft und werthlos, und daß die Theilhaber, die sie bereits zu reichen Leuten gemacht, erst ein paar Tage vor dem Zank davon gesprochen hatten, sie aufgeben zu wollen, so ließ sich dieses Verfahren nur mit zwecklosem Trotz erklären. Später erschienen zwei Rechtsanwälte aus San Francisco in diesem arglosen Arkadien und wurden schließlich in die Salons und – was so ziemlich dasselbe war – in das Vertrauen der Einwohner gezogen. Die Ergebnisse dieser ruchlosen Intimität waren viele Vorladungen bei Strafe, und in der That, als die »Grube zur Freundschaft« zur Verhandlung vor Gericht kam, so erschien dabei ganz Sandy Bar, soweit es nicht gezwungen am Grafschaftssitz anwesend war, dort aus Neugier. Die Gruben und Gräben waren Meilen in der Runde verlassen. Ich habe nicht die Absicht, diese bereits berühmte Gerichtsverhandlung zu beschreiben. Genug, daß sie, um mit dem Sachwalter des Klägers zu reden, »eine Verhandlung von nicht gewöhnlicher Bedeutsamkeit war, indem sie die inhärenten Rechte jener nimmer ermüdenden Industrie involvirte, welche die paktolischen Hülfsquellen dieses goldnen Landes erschlossen hatte,« was Oberst Starbottle ungekünstelter dahin ausdrückte: »Ein Spectakel, mit dem Gentlemen, wenn sie an ein Geschäft gedacht hätten, in zehn Minuten über einem gemüthlichem Glase, wenn sie einen Spaß im Auge gehabt hätten, in zehn Secunden mit einem Revolver fertig geworden wären.« Scott bekam einen günstigen Bescheid, gegen den York auf der Stelle appellirte. Es hieß, er habe geschworen, in diesem Kampfe seinen letzten Dollar zu verthun.

In dieser Weise begann Sandy Bar die Feindschaft der früheren Geschäftstheilhaber als eine lebenslängliche Fehde hinzunehmen, und die Thatsache, daß sie jemals Freunde gewesen, wurde vergessen. Die Wenigen, welche aus der Gerichtsverhandlung den Ursprung des Streites zu erfahren erwartet, sahen sich enttäuscht. Unter den verschiedenen Conjecturen war die, welche die Ursache irgend einem verborgnen weiblichen Einflusse zuschrieb, in einem Lager, welches über das schöne Geschlecht zweifelhafter Meinung war, natürlich die beliebteste.

»Mein Wort darauf, Gentlemen,« sagte Oberst Starbottle, der in Sacramento als ein Gentleman von der alten Schule bekannt gewesen war, »auf dem Grunde der Geschichte steckt irgend ein liebenswürdiges Geschöpfchen.«

Der tapfere Oberst ging dann daran, seine Theorie durch verschiedene lustige Geschichten zu illustriren, wie sie Gentlemen von der alten Schule zu wiederholen gewohnt sind, die ich aber, aus Rücksicht auf die Vorurtheile von Gentlemen einer jüngeren Schule, hier nachzuschreiben mich enthalte. Aber es wollte scheinen, als ob selbst die Theorie des Obersten trügerisch wäre. Das einzige Weib, welches persönlich einigen Einfluß auf die Geschäftstheilhaber ausgeübt haben konnte, war die hübsche Tochter des »alten« Folinsbee von Poverty Flat, in dessen gastlichem Hause – welches einige in dieser noch rohen Civilisation seltne Annehmlichkeiten und Verfeinerungen bot – York sowohl wie Scott häufig zu Besuch waren. Doch trat York einen Monat nach dem Streit mit großen Schritten in diesen reizenden Aufenthaltsort und wendete sich, als er Scott da sitzen sah, mit der kurz angebundenen Frage an die holde Wirthin: »Lieben Sie diesen Menschen?« Das auf diese Art angeredete junge Weib gab jene zugleich lebhafte und ausweichende Antwort, welche den meisten meiner schönen Leserinnen bei einer solchen Gelegenheit sich dargeboten haben würde. Ohne noch ein Wort zu sagen, verließ York das Haus. »Miß Jo« that, als die Thür sich hinter Yorks Locken und breiten Schultern schloß, einen möglichst leisen Seufzer und wendete sich dann, wie sich's für ein gutes Mädchen schickt, zu ihrem beleidigten Gaste. »Aber sollte man's glauben, Liebste?« erzählte sie später einer vertrauten Freundin, »das andere Geschöpf trat, nachdem es mich einen Augenblick finster angestiert hatte, auf seine Hinterbeine, nahm seinen Hut und ging auch, und das ist das Letzte, was ich von Beiden gesehen habe.«

Dieselbe harte Nichtachtung aller andern Interessen oder Gefühle in der Befriedigung ihres blinden Grolls charakterisirte alle ihre Handlungen. Als York das Land unter Scotts neuem Landstück kaufte und den Letztern nöthigte, mit großen Kosten einen weiten Umweg zu machen, um einen Flaschenzug herumzuführen, so fand Scott sich dadurch ab, daß er einen Damm baute, der Yorks Landstück am Flusse überschwemmte. Es war Scott, welcher in Verbindung mit Oberst Starbottle zuerst jene rührige Opposition gegen die Chinesen organisirte, die mit der Vertreibung der mongolischen Arbeiter Yorks endigte. Es war York, welcher die Straße für Lastwagen baute und die Eilpost einrichtete, die Scotts Maultiere und Gepäckzüge zu veralteten Dingen machten. Es war Scott, welcher den Wachsamkeitsausschuß ins Leben rief, der Yorks Freund, Jack Hamlin, verbannte, es war York, welcher den »Herold von Sandy Bar« schuf, der diese Handlung als »ungesetzlichen Unfug« und Scott als einen »Grenzstrolch« charakterisirte, und es war Scott, der an der Spitze von zwanzig vermummten Leuten in einer Mondscheinnacht die beleidigenden Formen in den gelben Fluß warf und die Typen auf die staubige Straße streute.

Diese Vorgänge wurden in den entfernten und civilisirteren Städten des Innern als leise Zeichen von Fortschritt und Lebenskraft aufgenommen. Ich habe vor mir ein Exemplar des »Bahnbrechers von Poverty Flat« für die Woche, die mit dem 12. August 1856 endigt, worin der Redacteur unter der Ueberschrift: »Verbesserungen in der Grafschaft« Folgendes sagt:

»Die neue Presbyterianer-Kirche in der C.-Straße zu Sandy Bar ist vollendet. Sie steht auf der Parzelle, die früher der Magnolia-Salon einnahm, welcher vergangnen Monat in so räthselhafter Weise niederbrannte. Der Tempel, der jetzt sich wie der Phönix aus der Asche der Magnolie erhebt, ist durchaus die freie Gabe des Herrn H. J. York von Sandy Bar, welcher die Parzelle kaufte und das Bauholz schenkte. Andere Gebäude steigen in der Nachbarschaft auf, aber das bemerkenswertheste ist der »Salon zum sonnigen Süden«, der von Kapitän Mat. Scott fast gerade gegenüber der Kirche errichtet worden ist. Kapitän Scott hat in der Ausstattung dieses Salons keinerlei Kosten gespart, und derselbe verspricht einer der angenehmsten Vergnügungsorte im alten Tuolumne zu werden. Er hat neuerdings zwei neue Billards erster Klasse mit Korkkissen eingeführt. Unser alter Freund »Jimmy vom Berge« wird am Schenktische geistige Getränke verzapfen. Wir verweisen unsre Leser auf die Anzeige in einer andern Spalte. Besucher von Sandy Bar können nichts Besseres thun, als Jimmy zu begrüßen.«

Unter den Localnachrichten befand sich folgende:

»Herr H. J. York von Sandy Bar hat eine Belohnung von 100 Dollars auf die Entdeckung Derjenigen gesetzt, welche am letzten Sabbatabend während des Gottesdienstes die Stufen zu der neuen Presbyterianer-Kirche auf der C.-Straße zu Sandy Bar weggeschleppt haben. Kapitän Scott fügt ein zweites Hundert für die Ergreifung der Taugenichtse hinzu, welche am folgenden Abend die prachtvollen Tafelglasfenster des neuen Salons eingeworfen haben. Man hört von der Wiedererrichtung des Wachsamkeits-Ausschusses in Sandy Bar reden.«

Als viele Monate wolkenlosen Wetters hindurch die harte, starrblickende Sonne von Sandy Bar regelmäßig über dem unversöhnten Groll dieser Männer untergegangen war, hörte man von einer Vermittelung reden. Namentlich ergriff der Pastor der von mir soeben erwähnten Kirche – ein ehrlicher, furchtloser, aber vielleicht nicht vollständig aufgeklärter Mann – freudig die Gelegenheit, die ihm York's Freigebigkeit bot, zu einem Versuche, die früheren Geschäftsfreunde wieder zu vereinigen. Er hielt eine ernstgemeinte Predigt über die unbedingte Sündhaftigkeit von Unfrieden und Hader. Aber die trefflichen Predigten des hochwürdigen Mr. Daws richteten sich an eine ideale Gemeinde, die in Sandy Bar nicht vorhanden war – eine Gemeinde bestehend aus Wesen von ungemischten Tugenden und Lastern, von einfachen Antrieben und vollkommen logischen Beweggründen, von übernatürlicher Herzenseinfalt, von einem Glauben, wie er nur Kindern, und einem Gefühl der Verantwortlichkeit, wie es nur Erwachsenen eigen ist. Da unglücklicherweise die Leute, welche in der Wirklichkeit Mr. Daws Kirche besuchten, meist sehr menschliche, etwas geriebene, mehr zur Selbstentschuldigung als zur Selbstanklage geneigte, ziemlich gutmüthige und entschieden schwache Leute waren, so ließen sie den auf sie selbst bezüglichen Theil der Rede gelassen an sich vorüberströmen und empfanden, indem sie York und Scott – die beide in trotziger Haltung zugegen waren – als seltsame Beispiele jener obenerwähnten idealen Wesen hinnahmen, eine gewisse Genugthuung – die, wie ich fürchte, nicht völlig christlich war – über ihre »Durchhechelung«. Wenn Mr. Daws erwartete, York und Scott würden sich nach der Predigt die Hände schütteln, so täuschte er sich. Aber er ermüdete nicht in seinem Vorhaben. Mit jener ruhigen Furchtlosigkeit und Entschlossenheit, die ihm die Achtung von Leuten gewonnen hatte, welche nur zu geneigt waren, Frömmigkeit für gleichbedeutend mit weibischem Wesen anzusehen, griff er Scott in seinem eignen Hause an. Was er sagte, ist nicht aufgezeichnet worden, aber es steht zu fürchten, daß es aus seiner Predigt war. Als er geschlossen, sah ihn Scott über die Gläser seines Schenktisches nicht unfreundlich an und sagte, weniger unehrerbietig, als man nach den Worten schließen möchte: »Junger Mann, ich habe Ihren Styl recht gern, aber wenn Sie York und mich einmal so gut kennen wie Gott den Allmächtigen, so wird sich darüber reden lassen.«

Und so ging die Fehde fort, und so führte, wie bei berühmteren Beispielen, die private und persönliche Feindschaft von zwei Männern der Volksvertretung allmählig zur Entfaltung eines gewissen unreifen, halb zum Ausdruck gekommenen Grundsatzes oder Glaubens. Nicht lange, so wurde es offenbar, daß diese Glaubenssätze identisch waren mit gewissen von den Gründern der amerikanischen Verfassung niedergelegten großen Principien, wie sie der staatsmännische A. erläutert hat, oder daß sie der verhängnißvolle Triebsand waren, auf dem das Staatsschiff scheitern konnte, wie der beredte B. warnend gezeigt hat. Das praktische Ergebniß von dem Allen war die Aufstellung Yorks und Scotts als Kandidaten für die Vertretung der sich gegenüberstehenden Parteien Sandy Bars in den gesetzgebenden Versammlungen.

Einige Wochen schon waren die Wähler Sandy Bars und der benachbarten Lager in großen Buchstaben aufgefordert worden, sich »zusammenzuschaaren!« Umsonst stöhnten und protestirten die großen Fichten an den Kreuzwegen, deren Stämme gezwungen wurden, diese und andere Ansprachen zu tragen, dagegen von ihren windumrauschten Wachtthürmen. Sondern eines Tages marschirte mit Pfeifenschall und Trommelschlag und flammenden Transparenten eine Procession in den dreieckigen Hain oben an der Schlucht. Die Versammlung wurde von Oberst Starbottle zur Ordnung gerufen, der, indem er sich früher gesetzgeberischer Befugnisse erfreut hatte und indem man von ihm die dunkle Vorstellung hatte, daß er ein »Streithengst« sei, als werthvoller Parteigänger von York betrachtet wurde. Er schloß eine Ansprache zu Gunsten seines Freundes mit einer Verkündigung von Grundsätzen, in die ein paar Anekdoten so unbewußt rüpelhafter Art verflochten waren, daß sogar die Fichten sich hätten regen mögen, um ihn, wie er so dastand, mit ihren abgeworfnen Zapfen zu bewerfen. Aber er bewirkte ein Gelächter, auf welchem sein Candidat in die Beachtung der Menge ritt, und als York sich erhob, um zu sprechen, wurde er mit Beifallsrufen begrüßt. Aber zu allgemeinem Erstaunen ging der neue Redner sofort zu bittrer Anklage gegen seinen Nebenbuhler vor. Er verweilte nicht nur bei Scotts Thaten und Beispiel, wie sie in Sandy Bar bekannt waren, sondern sprach von Thatsachen, die sich an seinen früheren Lebenslauf knüpften, der seinen Zuhörern bisher unbekannt gewesen war. Mit großer Präcision in der Wahl seiner Epitheta und gerade aufs Ziel losgehenden Angaben verband der Redner den Zauber der Enthüllung und Bloßstellung. Die Menge jauchzte ihm zu, johlte und war entzückt, aber als diese staunenerregende Philippika zum Schluß kam, hörte man einstimmig den Ruf: »Nun Scott!« Oberst Starbottle würde dieser offenkundigen Ungehörigkeit widerstanden haben, aber er versuchte es vergebens. Theils aus einem rohen Gerechtigkeitssinn, theils aus einem gemeineren Verlangen nach Aufregung war die Versammlung unbeugsam, und Scott wurde auf die Plattform gezerrt, geschoben und gezogen.

Als sein schmieriger Kopf und ungekämmter Bart über dem Geländer erschien, sah man sofort, daß er betrunken war. Aber man sah auch sofort, bevor er noch seine Lippen öffnete, daß der Redner von Sandy Bar, der einzige Mann, der ihre schwankenden Sympathien zu fesseln wußte (vielleicht, weil er nicht darüber erhaben war, sich an sie zu wenden), vor ihnen stand. Das Bewußtsein dieser Gewalt über sie verlieh seiner Gestalt eine gewisse Würde, und ich bin nicht sicher, ob nicht gerade sein physischer Zustand auf sie den Eindruck einer Art von königlicher Unbeugsamkeit und großer Herablassung machte. Wie dem aber auch sei, als dieser unerwartete Hektor sich erhob, erzitterten Yorks Myrmidonen.

»Unter dem, was jener Mann gesagt hat, Gentlemen,« sagte Scott, indem er sich auf das Geländer vorlehnte, »ist nichts, was nicht wahr wäre. Ich wurde aus Cairo weggejagt, ich gehörte wirklich zu den Regulatoren So nannte man eine Art Vehme, die sich in den Staaten des Mississippithals gegen die dort grassirenden Räuber und Gauner gebildet hatte und Lynchjustiz übte., ich bin wirklich von der Armee desertirt, ich habe wirklich eine Frau in Kansas verlassen. Aber es giebt noch Eins, was er mir nicht zur Last gelegt hat, und mag sein, daß er's vergessen hat. Drei Jahre lang, Gentlemen, war ich der Geschäftstheilhaber dieses Menschen!« – Ob er noch mehr zu reden vorhatte, kann ich nicht sagen. Ein Ausbruch von Beifall rundete kunstgerecht die Climax ab, verstärkte sie und bewirkte die Wahl des Redners. Diesen Herbst ging er nach Sacramento, York verreiste ins Ausland, und zum ersten Male seit vielen Jahren trennten die Entfernung und eine neue Atmosphäre die alten Gegner.

Mit wenig Wechsel in dem grünen Walde, den grauen Felsen und dem gelben Flusse, aber mit vielen Veränderungen in den menschlichen Landmarken und neuen Gesichtern in seinen Wohnstätten gingen drei Jahre über Sandy Bar hin. Die beiden einst so mit seinem Charakter identificirten Männer schienen ganz vergessen zu sein. »Sie werden nie nach Sandy Bar zurückkehren,« sagte Miß Folinsbee, »die Lilie von Poverty Flat«, als sie York in Paris begegnete, »denn Sandy Bar existirt nicht mehr. Sie nennen es jetzt Riverside, und die neue Stadt ist höher am Flußufer hinaufgebaut.« Beiläufig sagt Jo, daß Scott seinen Proceß wegen der »Grube zur Freundschaft« gewonnen hat, daß er in der alten Hütte wohnt, und daß er die Hälfte seiner Zeit betrunken ist. »O, bitte um Vergebung,« fügte diese lebhafte Dame hinzu, als ein Erröthen über Yorks blasses Gesicht ging, »aber, lieber Himmel, ich dachte wirklich, dieser alte Groll wäre vorüber. Wahrhaftig, so sollte es wenigstens sein.«

Drei Monate nach dieser Unterhaltung, an einem freundlichen Sommerabend, hielt die Postkutsche von Poverty Flat vor der Verandah des Union Hotel zu Sandy Bar. Unter ihren Passagieren war einer, nach der ortsüblichen Unterscheidung gut passender Kleider und eines fein abrasirten Gesichts augenscheinlich ein Fremder, der ein besonderes Zimmer verlangte und sich zeitig zu Bett begab. Aber am nächsten Morgen stand er vor Sonnenaufgang auf und ging, indem er einige Kleidungsstücke aus seiner Reisetasche zog, daran, sich mit einem Paar weißer Segeltuch-Hosen, einem weißen Segeltuch-Oberhemde und einem Strohhut zu schmücken. Als er mit seiner Toilette fertig war, knüpfte er ein rothes Bandannatuch in eine Schleife und warf es lose über seine Schultern. Die Umgestaltung war vollständig. Als er sich leise die Treppe hinabschlich und in die Straße hinaustrat, würde kein Mensch in ihm den eleganten Fremden von voriger Nacht entdeckt, und nur Wenige würden das Gesicht und die Gestalt Henry Yorks von Sandy Bar wiedererkannt haben.

In dem ungewissen Lichte dieser frühen Stunde und bei der Veränderung, welche die Niederlassung erfahren hatte, mußte er einen Augenblick innehalten, um sich ins Gedächtniß zurückzurufen, wo er stand. Das Sandy Bar seiner Erinnerung lag unter ihm, näher am Flusse, die Gebäude um ihn herum waren von späterem Datum und neuerer Mode. Als er auf den Fluß zuschritt, bemerkte er hier ein Schulhaus und dort eine Kirche. Ein Stück weiterhin kam »Der sonnige Süden« in Sicht, der sich in eine Restauration umgestaltet hatte, und dessen Vergoldung verblichen, dessen Farbe abgerieben war. Er wußte jetzt, wo er war, und indem er rasch einen Abhang hinunterlief, sprang er über einen Graben und stand auf der untern Grenze der »Grube zur Freundschaft«.

Der graue Nebel erhob sich langsam vom Fluß, blieb an den Baumwipfeln hängen und schwebte am Berghange empor, bis er zwischen diesen Felsenaltären gefaßt und als ein Opfer für die aufgehende Sonne festgehalten wurde. Zu seinen Füßen hatte die von seinen vergessenen Maschinen furchtbar zerfetzte und mit Narben bedeckte Erde hier und da sich mit Grün überzogen und blickte jetzt verzeihend zu ihm empor, wie wenn die Dinge am Ende doch nicht so schlimm ständen. In dem Graben badeten sich ein paar Vögel, die den wohlthuenden Gedanken erweckten, daß er eine neue und besondere Vorkehrung der Natur sein möchte, und ein Hase lief, als er sich näherte, nach einem auf den Kopf gestellten Schleußenkasten, als ob der zu diesem Zweck dorthin gestellt wäre.

Er hatte bis jetzt noch nicht gewagt, nach einer gewissen Richtung zu blicken. Aber die Sonne stand jetzt hoch genug, um die kleine Erhöhung zu bemalen, auf welcher die Hütte stand. Trotz seiner Selbstbeherrschung schlug ihm das Herz schneller, als er seine Augen nach ihr erhob. Ihre Thür und ihre Fenster waren geschlossen, kein Rauch kam aus ihrem von Adobe-Ziegeln erbauten Schornstein, aber sonst war sie unverändert. Als er nur noch ein paar Schritte von ihr entfernt war, las er eine zerbrochne Schaufel auf, schwang sie mit einem Lächeln auf die Schulter, schritt auf die Thür zu und klopfte. Drinnen war nichts zu hören. Das Lächeln erstarb auf seinen Lippen, als er bebend die Thür aufstieß.

Eine Gestalt fuhr ärgerlich auf und kam auf ihn zu – eine Gestalt, deren blutgeäderte Augen plötzlich zu gedankenlosem Stieren erstarrten, deren Arme zuerst sich ausstreckten und dann zu einer warnenden Geberde emporfuhren – eine Gestalt, die auf einmal nach Luft schnappte, ersticken wollte und dann in einem Schlaganfall nach vorn fiel.

Aber ehe sie den Boden berührte, hatte sie York schon an die freie Luft und in den Sonnenschein hinausgebracht. Bei dem Ringen fielen Beide hin und wälzten sich auf der Erde. Aber im nächsten Augenblick saß York aufrecht und hielt die vom Krampf gepackte Gestalt seines früheren Geschäftstheilhabers auf seinem Knie und wischte ihr den Schaum von den Lippen, die unarticulirte Laute murmelten. Allmählig wurde das Zittern weniger häufig, und dann hörte es ganz auf, und der starke Mann lag bewußtlos in seinen Armen.

Einige Momente hielt ihn York ruhig so und blickte ihm ins Gesicht. In der Ferne der Schlag der Axt eines Waldarbeiters – ein bloßes Phantom von Geräusch – war Alles, was die Stille unterbrach. Hoch oben am Berge hing ein kreisender Habicht athemlos über ihnen. Und dann kamen Stimmen, und zwei Männer schlossen sich ihnen an.

»Eine Prügelei?«

»Nein, ein Schlaganfall, und ob sie ihm helfen wollten, den kranken Mann nach dem Hotel zu bringen.«

Und dort lag der vom Schlage getroffne Geschäftstheilhaber eine Woche lang, ohne von etwas Anderem zu wissen als von den Visionen, welche Krankheit und Furcht erzeugten. Am achten Tage bei Sonnenaufgang kam er zu sich, öffnete seine Augen, blickte York an und drückte ihm die Hand. Dann sprach er:

»Und so bist Du's wirklich? Ich dachte, es wäre nur der Whiskey.«

York erwiderte, indem er seine beiden Hände nahm und mit ihnen, freundlich lächelnd wie Knaben pflegen, hin und her sägte, indem sein Ellbogen auf dem Bette ruhte:

»Und Du bist im Ausland gewesen. Wie gefiel Dir Paris?«

»So, so. Und wie gefiel es Dir in Sacramento?«

»Großthuerei.«

Und das war Alles, was ihnen zu sagen einfallen konnte. Bald nachher öffnete Scott wieder die Augen.

»Ich bin schrecklich schwach.«

»Es wird bald besser mit Dir werden.«

»Nicht viel.«

Ein langes Schweigen folgte, in welchem sie den Schall des Holzfällens hören konnten, und wie Sandy Bar schon für den kommenden Tag auf den Beinen war. Dann wendete Scott langsam und mit Mühe sein Gesicht nach York und sagte:

»Ich hätte Dich einmal todtschießen können.«

»Ich wollte, Du hättest es gethan.«

Sie drückten sich wiederum die Hände, aber Scotts Griff ließ dabei offenbar nach. Er schien seine Kräfte zu einer besondern Anstrengung aufzubieten.

»Alter Mann!«

»Alter Kerl!«

»Näher heran!«

York beugte seinen Kopf nach dem langsam hinschwindenden Gesichte.

»Denkst Du noch an jenen Morgen?«

»Ja.«

Ein Funke von Schelmerei glitt in den Winkel von Scotts blauem Auge, als er flüsterte:

»Alter Mann, 's war wirklich zu viel Salz im Brote damals.«

Es heißt, daß dies seine letzten Worte waren. Denn als die Sonne, die so oft über dem unvernünftigen Zorne dieser thörichten Männer untergegangen war, auf sie als Wiedervereinigte blickte, sah sie, wie die Hand Scotts kalt und ohne Erwiderung aus der gramvollen Umklammerung seines früheren Geschäftstheilhabers fiel, und sie wußte, daß die Fehde von Sandy Bar zu Ende war.


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