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Das rechte Auge des Commandanten.

Das Jahr der Gnade 1797 schied an der Küste Californiens in einem Südweststurm. Die kleine Bucht von San Carlos war, obwohl von den Vorgebirgen der heiligen Dreifaltigkeit geschützt, rauh und aufgeregt; ihr Schaum hing zitternd an der seewärts gelegnen Mauer des Missionsgartens; die Luft war mit fliegendem Sand und Gischt angefüllt, und als der Senor Comandante Hermenegildo Salvatierra aus dem tief eingeschnittnen Fenster der Wachtstube des Präsidios schaute, fühlte er, wie der salzige Hauch der fernen See die Farbe ihm in die rauchgedörrten Wangen steigen ließ.

Der Kommandant, sagte ich, schaute nachdenklich aus dem Fenster der Wachtstube. Er mag die Ereignisse des jetzt scheiden wollenden Jahres haben an sich vorübergehen lassen. Aber es war damit wie mit der Besatzung des Präsidios: es gab dabei nicht viel, was man an sich vorübergehen lassen konnte. Das Jahr war gleich seinen Vorgängern ereignißlos gewesen, die Tage waren in einer köstlichen Eintönigkeit einfacher Pflichten ohne störende Vorkommnisse dahingeschwunden. Die regelmäßig wiederkehrenden Feste und Heiligentage, der alle Halbjahre von San Diego eintreffende Courier, selten einmal ein Transportschiff und noch seltner ein fremdes Fahrzeug waren die einzigen Ereignisse seines patriarchalischen Lebens. Wenn nichts geleistet wurde, so schlug gewiß auch nichts fehl. Reichliche Ernten und geduldiger Fleiß lieferten übergenug, was Präsidio und Mission brauchten. Getrennt von der Familie der Nationen, kümmerten sie sich um die Kriege, welche die Welt erschütterten, nicht so viel als um das letzte Erdbeben. Der Kampf, der ihre Schwestercolonien auf der andern Seite des Continents befreite, ließ in ihnen keine ähnlichen Gedanken wach werden. Kurz es war jener glorreiche Indianersommer der Geschichte Californiens, um den noch jetzt so viel poetischer Duft hängt – jener weiche, träge Herbst spanischer Herrschaft, dem so bald die winterlichen Stürme mexikanischer Unabhängigkeit und der wiederbelebende Frühling amerikanischer Eroberung folgen sollten.

Der Commandant wendete sich von dem Fenster ab und schritt auf das Feuer zu, welches hell auf dem tiefen backofenartigen Herde brannte. Eine Schicht Schreibebücher, die Arbeit der Präsidio-Schule, lag auf dem Tische. Als er die Blätter mit väterlichem Interesse umwendete und den schönen runden Schrifttext überblickte – die ersten frommen Topfhaken, mit denen die Zöglinge von San Carlos angefaßt wurden – fiel ihm ein hörbarer Commentar von den Lippen. »Abimelech nahm sie Abraham weg – ah, Kleine, vortrefflich! – Jakob schickte, um seinen Bruder zu sehen – bei Christi Leib! Dieser Haarstrich, Paquita, ist wundervoll, das muß der Gouverneur sehen!« Ein ehrlicher Stolz ließ dem Commandanten das linke Auge übergehen. Das rechte war ihm leider vor zwanzig Jahren durch einen indianischen Pfeil zugesiegelt worden. Er rieb es sanft mit dem Aermel seiner Lederjacke und fuhr fort: »Als die Ismaeliten angekommen waren –«

Er hielt inne; denn man hörte Schritte im Hofe, einen Fuß auf der Schwelle, und ein Fremder trat ein. Mit dem Instinct eines alten Soldaten wendete sich der Commandant nach einem einzigen Blick auf den Eindringling schnell der Wand zu, wo sein getreuer Toledo hing oder hätte hängen sollen. Denn er war nicht da, und als er sich erinnerte, daß das letzte Mal, wo er diese Waffe gesehen, sie von Pepito, dem Söhnchen Bautista's, des Tortilio-Bäckers, in der Galerie auf- und abgeritten worden war, erröthete er und begnügte sich dann, dem Fremden einen finstern Blick zuzuwerfen.

Aber die Miene des Fremden war zwar unehrerbietig, doch entschieden friedlich. Er war unbewaffnet und trug den gewöhnlichen Kragen von Theertuch und die Seestiefeln der Matrosen. Abgesehen von einem abscheulichen Stockfischgeruche war wenig Eigenthümliches an ihm.

Sein Name war, wie er dem Kommandanten in einem Spanisch mittheilte, welches mehr fließend als elegant und präcis war, Peleg Scudder. Er war der Schiffer vom Schooner »General Court« vom Hafen Salem in Massachusetts, der sich auf einer Handelsreise nach der Südsee befand, jetzt aber durch schlechtes Wetter in die Bucht von San Carlos getrieben worden war. Er bat um die Erlaubniß, den Sturm unter den Vorgebirgen der heiligen Dreifaltigkeit abzuwarten, und um weiter nichts. Wasser brauchte er nicht, da er in Bodega einen Vorrath davon eingenommen hätte. Er kenne die strenge Ueberwachung der spanischen Hafenregeln in Betreff fremder Fahrzeuge und würde nichts gegen die stramme Disciplin und die gute Ordnung der Niederlassung thun. Es lag ein leichter Anflug von Spott in seinem Tone, als er auf den öden Paradeplatz des Präsidios und das offne unbewachte Thor hinausblickte. Die Sache verhielt sich so, daß die Schildwache, Felipe Gomez, sich bei Beginn des Sturms wohlweislich unter Dach und Fach zurückgezogen hatte und dann im Korridor in einen gesunden Schlaf gefallen war.

Der Kommandant zögerte. Die Hafengesetze waren streng, aber er war gewohnt, nach individuellem Ermessen zu verfahren, und außer einer alten Ordre, die vor zehn Jahren in Betreff des amerikanischen Schiffs »Columbia« ergangen war, gab es keinen Präcedenzfall, der ihn hätte leiten können. Der Sturm war schwer, und ein Gefühl der Menschlichkeit drängte ihn, die Bitte des Fremden zu gewähren. Es ist nur Gerechtigkeit gegen den Kommandanten, wenn ich sage, daß seine Unfähigkeit, einer Weigerung Beachtung zu erzwingen, bei seiner Entscheidung nicht mit ins Gewicht fiel. Er würde mit gleicher Nichtbeachtung der Folgen einem Schiffe von vierundsiebzig Kanonen jenes Recht verweigert haben, welches er jetzt so anmuthig diesem Yankee-Schooner gewährte. Er machte sich nur aus, daß zwischen Schiff und Ufer kein Verkehr stattfinde. »Was Sie selbst betrifft, Senor Kapitän,« fuhr er fort, »so nehmen Sie meine Gastfreundschaft an. Das Fort gehört Ihnen, so lange Sie es mit Ihrer hochehrenwerthen Gegenwart begünstigen wollen,« und mit einer altmodischen Verbeugung gab er sich den Anschein, als wolle er sich aus der Wachtstube zurückziehen.

Der Schiffer Peleg Scudder lächelte, als er an das halb verfallne Fort, die beiden verschimmelten Messingkanonen, die hundert Jahre zuvor in Manila gegossen waren, und an die hülflose Besatzung dachte. Ein toller Gedanke, das Anerbieten des Kommandanten buchstäblich anzunehmen, in dem rücksichtslosen Geiste eines Mannes aufgestiegen, der nie einen Antrag, bei dem sich Geschäfte machen ließen, sich entschlüpfen ließ, erfüllte auf einen Augenblick sein Gehirn, aber die rechtzeitige Erkenntniß der commerziellen Bedeutungslosigkeit der Angelegenheit ließ ihn davon absehen. Er nahm sich nur ein reichliches Primchen, als der Commandant mit Würde einen Sessel vor das Feuer zog und zu Ehren seines Gastes das schwarzseidne Tuch abband, welches er über seinen graugesprenkelten Augenbrauen trug.

Was diese Nacht zwischen Salvatierra und seinem Gaste vorging, darf ich als ein ernster Chronist der springenden Punkte in der Geschichte nicht berichten. Ich habe gesagt, daß der Schiffer Peleg Scudder fließend sprach, und unter dem Einflusse verschiedner starker Getränke, die sein Wirth herbeischaffte, wurde er noch geschwätziger. Und dazu denke man sich einen Mann, der zwanzig Jahre Geplauder guthat! Der Commandant erfuhr zum ersten Male, wie Großbritannien seine Colonien verlor, von der französischen Revolution, von dem großen Napoleon, dessen Thaten Peleg vielleicht lebhafter färbte, als die Obern des Commandanten gern gesehen haben würden. Und als Peleg nun zum Ausfragen überging, war der Commandant ganz in seiner Gewalt. Allmählig setzte er sich in den Besitz des Klatsches von Präsidio und Mission und ließ sich die »Dünnebier«-Chroniken dieses idyllischen Zeitalters, von der Bekehrung der Heiden, den Schulen des Präsidios erzählen, ja er fragte sogar den Commandanten, wie er sein Auge eingebüßt habe. An dieser Stelle der Unterhaltung soll Schiffer Peleg aus seinen Taschen verschiedenen kleinen Flitterkram, Spielereien und neuerdings erfundene Tändeleien hervorgezogen und sogar einiges davon seinem Wirthe aufgedrungen haben. Ferner aber wird behauptet, daß der Commandant unter dem schlimmen Einflusse Pelegs und mehrerer Gläser Aguardiente etwas von seinem Decorum eingebüßt und sich in einer für einen Mann von seiner Stelle ungeziemenden Art aufgeführt habe, indem er hochfliegende spanische Poesien recitirt und sogar mit dünner, hoher Stimme verschiedene Madrigals und heidnische Canzonen verliebter Gattung gepiept, die sich vorzüglich auf eine »Kleine« bezogen hätten, die seine, des Commandanten, »Seele« sein sollte. Diese Behauptungen, welche vielleicht nicht werth sind, daß ein ernsthafter Chronist sich mit ihnen befaßt, sollten mit großer Vorsicht aufgenommen werden und werden hier nur als Hörensagen eingeführt. Das ist indeß in Abrede gestellt worden, daß der Commandant ein Tuch nahm und seinem Gaste die Geheimnisse des Sembi Cuaca zu zeigen versuchte, indem er in flinker, aber unanständiger Weise im Gemache auf- und abhüpfte. Genug für die Zwecke dieser Erzählung, daß um Mitternacht Peleg seinem Wirth unter vielen Versicherungen nie ersterbender Freundschaft zu Bette half und dann, da der Sturm sich gelegt, sich von dem Präsidio verabschiedete und sich eilig an Bord des »General Court« begab. Als der Tag anbrach, war das Schiff fort.

Ich weiß nicht, ob Peleg seinem Wirthe Wort hielt. Es wird erzählt, daß die frommen Väter in der Mission diese Nacht einen lauten Gesang vernahmen, wie von den Heiden, wenn sie ihre Psalmen durch die Nase singen, daß in der Niederlassung viele Tage nachher ein Duft von gesalznem Stockfisch herrschte, daß man im Besitz der Frau des Bäckers ein Dutzend harte Muskatnüsse fand, die weder zum Würzen noch zur Aussaat taugten, und daß mehrere Scheffel Schuhpflöckchen, die eine anmuthige Aehnlichkeit mit Hafer hatten, aber dem Zweck, zum Pferdefutter zu dienen, ganz und gar nicht entsprachen, im Stalle des Grobschmieds entdeckt wurden. Aber wenn der Leser sich die Heiligkeit des Wortes eines Yankee-Händlers, die strenge Handhabung der spanischen Hafenregeln und die sprichwörtliche Ungeneigtheit meiner Landsleute, das Vertrauen einfacher Leute zu täuschen, vergegenwärtigt, so wird man sofort diesen Theil der Geschichte zurückweisen.

Ein Trommelwirbel, der das Jahr 1798 einführte, weckte den Commandanten. Die Sonne schien hell, und der Sturm hatte aufgehört. Er setzte sich im Bette auf und rieb infolge der Macht der Gewohnheit sein linkes Auge. Als er sich wieder an die vergangne Nacht erinnerte, sprang er von seinem Lager und lief an das Fenster. Es war kein Schiff in der Bucht. Plötzlich schien ihm ein Gedanke durch den Kopf zu fahren, und er rieb sich beide Augen. Damit nicht zufrieden, befragte er den Metallspiegel, der neben seinem Kruzifix hing. Es war kein Irrthum, der Commandant hatte ein sichtbares zweites Auge – ein rechtes – welches ausgenommen zu Zwecken des Sehens ganz ebenso gut war wie das linke.

Was auch das wahre Geheimniß dieser Umgestaltung gewesen sein mochte, in San Carlos herrschte darüber nur eine Meinung. Es war eins jener seltnen Wunder, dessen eine fromme katholische Gemeinde als eines Beweismittels gegenüber den Heiden durch die Vermittelung des heiligen Carlos selbst gewürdigt worden war. Daß ihr geliebter Commandant, der weltliche Vertheidiger des Glaubens, der Empfänger dieser wunderbaren Offenbarung sein sollte, war höchst passend und angemessen. Der Commandant selbst verhielt sich schweigend, er konnte keine Lüge erzählen, – er wagte die Wahrheit nicht zu sagen. War es denn am Ende, wenn die guten Leutchen von San Carlos glaubten, daß die Kräfte seines rechten Auges wirklich wiederhergestellt wären, klug und vorsichtig, sie zu enttäuschen? Zum ersten Mal in seinem Leben dachte der Commandant an Politik – zum ersten Mal citirte er jenes Schriftwort, welches für so viele wohlmeinende, aber leichtfertige Christen zur Verlockung geworden ist, daß man »Allen Alles sein« soll. Unglückseliger Hermenegildo Salvatierra!

Denn allmählig schlich sich ein unheimliches Geflüster durch die Niederlassung. Das rechte Auge des Commandanten schien, obwohl wunderbarer Natur, auf den Betrachter eine verderbliche Wirkung zu üben. Niemand konnte es ansehen, ohne zu blinzeln. Es war kalt, hart, starr und unbeugsam. Und mehr noch, es schien mit einer furchtbaren Voraussicht begabt – einer Fähigkeit zum Durchschauen und Hineinblicken in die noch unausgebildeten Gedanken Derer, die es ansah. Die Soldaten der Besatzung gehorchten mehr dem Auge als der Stimme ihres Commandanten und antworteten bei Befragungen mehr seinem Blick als seinen Lippen. Die Dienstleute konnten der stets wachen, aber kalten Aufmerksamkeit, die sie zu verfolgen schien, nicht entgehen. Die Kinder des Präsidios machten unter der unheimlichen Beaufsichtigung Klexe in ihre Schreibebücher, und die arme Paquita, die Musterschülerin, brachte jenen wundervollen Haarstrich durchaus nicht mehr zu Wege, wenn ihr Gönner neben ihr stand. Allmählig traten in ganz San Carlos an die Stelle von Verlaß, Vertrauen und Sicherheitsgefühl Mißtrauen, Verdacht und Selbstanklage. Wohin auch das rechte Auge des Commandanten fiel, immer fiel dahin ein Schatten.

Auch war Salvatierra nicht völlig frei von dem verderblichen Einfluß seiner wunderbaren Erwerbung. Sich der Wirkung derselben auf Andere nicht bewußt, sah er in ihren Handlungen nur Beweise für gewisse Dinge, auf die der verschlagne Peleg an jenem ereignißvollen Sylvesterabend hingedeutet hatte. Seine ehrlichsten Anhänger stotterten vor ihm, errötheten und blieben stecken. Selbstanklagen, Geständnisse kleinerer Fehler und Unterlassungen oder übertriebne Entschuldigungen und Vertheidigungen begegneten seinen mildesten Nachfragen. Sogar die Kinder, die er liebte, sein Lieblingszögling Paquita schienen sich einer verborgnen Sünde bewußt. Die Folgen dieser steten Aufregung zeigten sich deutlicher. Für das erste halbe Jahr standen Stimme und Auge des Commandanten im Widerspruch mit einander. In seiner Rede war er noch immer gütig, zartfühlend und überlegt. Allmählig jedoch nahm seine Stimme die Härte seines Blickes und dessen skeptische, unduldsame Eigenschaft an, und als das Jahr sich wieder seinem Schlusse näherte, war es klar, daß der Commandant sich seinem Auge und nicht das Auge sich dem Commandanten angepaßt hatte.

Man wird ahnen, daß diese Veränderungen der wachsamen Sorge der Patres nicht entgingen. In der That, die wenigen, welche die ersten gewesen waren, das rechte Auge des Commandanten einem wunderbaren Ursprung und der besondern Gnade des heiligen Carlos zuzuschreiben, sprachen jetzt offen von Zauberei und daß Luzbel, der Böse, dahinterstecke. Es würde Hermenegildo übel ergangen sein, wenn er etwas Anderes als Commandant gewesen wäre oder der Ortsbehörde hätte vorgeführt werden können. Aber der hochwürdige Vater, Bruder Manuel de Cortes hatte keine Macht über die politische Executivgewalt, und alle Versuche geistlichen Rathes mißglückten völlig. Er zog sich verblüfft und verwirrt von seinem ersten Gespräch mit dem Commandanten zurück, welcher jetzt eine grimme Befriedigung über die verhängnißvolle Wirkung seines Blickes zu empfinden schien. Der fromme Vater widersprach sich selber, legte das Trügerische seiner eignen Beweise bloß und verfiel sogar, wie es heißt, in verschiedene unzweifelhafte Ketzereien. Wenn der Commandant während der Messe aufstand, und der dienstthuende Priester jenem skeptischen und forschenden Auge begegnete, ging der Gottesdienst unausbleiblich in die Brüche. Selbst die Macht der heiligen Kirche schien verloren, und der letzte Halt an den Zuneigungen des Volkes und der guten Ordnung der Ansiedelung schwand von San Carlos hinweg.

Als der lange dürre Sommer verging, nahmen die niedrigen Hügel, welche die weißen Mauern des Präsidios umgaben, mehr und mehr die Farbe der Lederjacke des Commandanten an, und die Natur sogar schien sich von ihm den trocknen, harten Blick geliehen zu haben. Die Erde war von der Dürre aufgesprungen und rissig geworden, ein Mehlthau schien auf die Obstgärten und Weinberge gefallen zu sein, und der Regen, lange verzögert und inbrünstig herbeigebetet, kam nicht. Der Himmel war so thränenlos wie das rechte Auge des Commandanten. Gerüchte von Mißvergnügen, Unbotmäßigkeit und Verschwörungen unter den Indianern erreichten seine Ohren. Er biß aber nur die Zähne fester zusammen, knüpfte den Knoten seines schwarzseidnen Tuches fester und blickte nach seiner Toledoklinge hinauf.

Der letzte Tag des Jahres 1798 sah den Commandanten um die Stunde des Abendgebetes allein in der Wachtstube sitzen. Er besuchte die Gottesdienste der heiligen Kirche nicht mehr, sondern schlich sich zu solchen Zeiten nach irgend einem einsamen Fleck, wo er die Zwischenpause in schweigendem Nachsinnen verbrachte. Das Licht des Feuers spielte auf den niedrig liegenden Deckbalken und Sparren, ließ aber die gebeugte Gestalt Salvatierra's im Dunkeln. Indem er so dasaß, fühlte er, wie eine kleine Hand seinen Arm berührte, und indem er niederblickte, sah er die Gestalt Paquita's, seiner kleinen indianischen Schülerin, an seinem Knie.

»Ah, Du Allerkleinste,« sagte der Commandant mit etwas von seiner alten Zärtlichkeit, indem er die schmeichelnden Verkleinerungswörter seiner Muttersprache gebrauchte, »Liebchen, was thust Du hier? Fürchtest Du Dich denn nicht vor ihm, den jedermann scheut und mit Angst betrachtet?«

»Nein,« sagte die kleine Indianerin sogleich, »nicht im Dunkeln. Ich höre Deine Stimme – die alte Stimme; ich fühle Deinen Händedruck – den alten Händedruck, aber ich sehe Dein Auge nicht, Señor Commandante. Nur das fürchte ich, und das, o Señor, o mein Vater,« sagte das Kind, indem es seine Aermchen nach ihm erhob, »das ist, ich weiß es, nicht Dein eignes.«

Der Commandant schauderte und wendete sich ab. Dann sich wiederfindend küßte er Paquita ernst auf die Stirn und hieß sie zu Bett gehen. Einige Stunden später, als Schweigen sich auf das Präsidio herabgesenkt hatte, suchte er selbst sein Lager und schlief in Frieden.

Ungefähr um die mittelste Wache der Nacht kroch eine dunkelbraune Gestalt durch die niedrige Schießscharte des Gemachs des Commandanten. Andere Gestalten huschten über den Paradeplatz, welche der Commandant vielleicht gesehen haben würde, wenn er nicht so ruhig geschlafen hätte. Der Eindringling schritt geräuschlos nach dem Lager und lauschte den tiefen Athemzügen des Schläfers. Als der Wilde seinen Arm erhob, blitzte etwas im Lichte des Feuers. Noch ein Augenblick, und die bösen Verlegenheiten Hermenegildo Salvatierra's würden ein Ende gehabt haben, wenn der Wilde nicht plötzlich zusammengefahren und in einem Anfall von Schauder zurückgefallen wäre. Der Commandant schlief in Frieden, aber sein rechtes Auge, weit geöffnet, starr und unveränderlich, stierte kalt auf Den, der an ihm zum Mörder werden wollte. Der Mann fiel ohnmächtig zur Erde, und der Lärm weckte den Schläfer.

Auf seine Füße springen, seinen Degen erfassen und Hiebe dicht und rasch unter die meuterischen Wilden austheilen, die sich jetzt im Zimmer drängten, war das Werk eines Augenblicks. Zur rechten Zeit kam Hülfe, und die undisciplinirten Wilden wurden schnell über die Mauern getrieben, aber in dem Handgemenge bekam der Commandant einen Hieb über sein rechtes Auge, und als er seine Hand nach diesem geheimnißvollen Organe erhob, war es weg. Niemals fand man es wieder, und niemals wieder zierte es zu Fluch oder Segen die rechte Augenhöhle des Commandanten.

Mit ihm schwand der böse Zauber hinweg, der auf San Carlos gefallen war. Der Regen kehrte zurück, um den verschmachteten Boden wieder zu beleben, das gute Einvernehmen zwischen Priester und Kriegsmann wurde wiederhergestellt, binnen Kurzem wogte wieder das grüne Gras an den dürren Bergflanken, die Kinder sammelten sich wieder an der Seite ihres martialischen Schulmeisters, in der Missionskirche wurde ein Tedeum gesungen, und das Behagen des Hirtenlebens lächelte wiederum auf die sanften Thäler von San Carlos hernieder. Und fern im Süden schlich sich der »General Court« hin mit seinem Schiffer Peleg Scudder, schacherte in Glasperlen und Pelzwerk mit den Indianern und bot den Häuptlingen Glasaugen, hölzerne Beine und andere Bostoner »Notions« zum Tausch an.


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