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Die Ruinen von San Francisco.

Gegen das Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurde die Stadt San Francisco von einem Erdbeben gänzlich verschlungen. Obschon die ganze Küstenlinie sehr erschüttert worden sein muß, scheint das Unglück doch rein lokal gewesen und selbst die Stadt Oakland entschlüpft zu sein. Schwappelfurt, der berühmte deutsche Geolog, hat versucht, diese eigenthümliche Thatsache mit der Vermuthung zu erklären, es gäbe gewisse Dinge, welche die Erde nicht verschlucken könne – eine Behauptung, die man mit einiger Vorsicht aufnehmen sollte, da sie über die Schranke gewöhnlicher geologischer Speculation hinausgeht.

Die Geschichtschreiber weichen in Betreff des genauen Datums des traurigen Ereignisses von einander ab. Tulu Krisch, der wohlbekannte Neuseeländer, dessen bewundernswürdige Betrachtungen über die Ruinen der Sanct Paulskirche, von der London Bridge gesehen, ihm die aufmerksame Beachtung der wissenschaftlichen Welt gewonnen haben, setzt das Ereigniß in das Jahr des Herrn 1880. Dies würde, gesetzt, die Stadt wäre wirklich, wie behauptet wird, 1850 gegründet worden, ihr nur dreißig Jahre geben zur Annahme der Größe und Gestalt, die sie augenscheinlich zur Zeit ihrer Zerstörung erreicht hatte. Es ist indeß nicht unsre Absicht, die Schlüsse des mit Recht berühmt gewordenen maorischen Philosophen in Frage zu ziehen. Unsere gegenwärtige Aufgabe bezieht sich auf die Ausgrabungen, die jetzt auf Befehl der hawaischen Regierung auf der Stelle der verschwundnen Stadt vorgenommen werden.

Jedermann ist mit der Geschichte ihrer Entdeckung bekannt. Viele Jahre hindurch war die Bucht wegen des Wohlgeschmacks ihrer Austern berühmt gewesen. Es wird behauptet, daß ein Schleppnetz eines Tages eine große Glocke mit seinem Rechen aufraffte, welche sich als zum Rathhause gehörig erwies und zur Entdeckung der Kuppel dieses Gebäudes führte. Die Aufmerksamkeit der Regierung wurde sofort auf die Stelle gelenkt. Die Bucht von San Francisco wurde rasch durch ein System von Patentpumpen trocken gelegt und die tief in Schlamm eingebettete Stadt, nachdem sie viele Jahrhunderte begraben gewesen, ans Licht gebracht. Das Rathhaus, das Postamt, die Münze und das Zollhaus wurden sogleich an den großen vollen und fetten Entenmuscheln erkannt, die an ihren Wänden hingen. Bald nachher wurde das erste Gerippe entdeckt. Es war das eines Maklers, dessen Lage in den obern Schichten des Schlammes der maßlosen schwimmblasenhaften Leichtigkeit und nach oben treibenden Art der Actien zugeschrieben wurde, die er sich um den Leib befestigt, als er den Versuch zu entkommen gemacht hatte. Viele Gerippe, von denen man annahm, daß sie weiblichen Geschlechts, wurden, eingeschlossen in jenen eigenthümlichen stählernen Hühnerstand oder Käfig, der von den Frauen dieser Periode getragen worden zu sein scheint, ebenfalls in der obern Schicht gefunden. Alexis von Puffer erklärt in seinem bewundernswürdigen Werke über San Francisco die Lage dieser unglücklichen Geschöpfe mit der Behauptung, daß der Stahlkäfig ursprünglich die Gestalt eines fallschirmartigen Kleidungsstückes hatte, welches den Unterrock aufgebauscht hielt und sie bei der Ueberschwemmung der Stadt am Untersinken verhinderte. »Wenn irgend etwas,« sagt von Puffer, »noch gefehlt hätte, um der grausenvollen Katastrophe, als die Gewässer zuerst in die Stadt drangen, Intensität zu verleihen, so würde es in der gewaltsamen Trennung der Geschlechter in diesem entsetzlichen Augenblicke gelegen haben. Wie Schwimmblasen emporgehoben durch ihre eigenthümlichen Gewänder, stieg die weibliche Bevölkerung sofort an die Oberfläche. Als der ertrinkende Gatte seine Augen nach oben richtete, welchen Seelenschmerz muß er empfunden haben, wenn er seine Gattin emporschießen sah und erkannte, daß er des Rechtes beraubt sei, mit ihr unterzugehen. Zur bleibenden Ehre der männlichen Bevölkerung sei gesagt, daß nur wenige sich die größere Leichtigkeit ihrer Frauen zu Nutze gemacht zu haben scheinen. Nur ein Gerippe wurde gefunden, welches die Fußknöchel eines andern in ihrer Reise nach der Oberfläche hinauf noch umklammert hielt.«

Viele Jahre lang waren die Californier leichten Erdbeben ausgesetzt gewesen, die mehr oder weniger allgemein gefühlt wurden, aber nicht von hinreichender Bedeutung waren, um Angst oder Furcht zu erwecken. Vielleicht machte die Alles aufsaugende Natur der Bestrebungen der San Franciscaner, Gold zu erwerben, welches Metall in jenen Tagen werthvoll gewesen und als Umlaufsmittel benutzt worden zu sein scheint, die Einwohner gleichgültig gegen alle andern Dinge. Alles weist darauf hin, daß das Unglück ganz unverhofft eintrat. Wir citiren die malerische Darstellung Schwappelfurts:

»Der Morgen der schrecklichen Katastrophe brach wahrscheinlich über dem gewöhnlichen rastlosen Gedränge der Goldverdiener an, die eifrig ihren verschiedenen Berufsarten folgten. Die Straßen waren gefüllt mit den weit aufgebauschten Gestalten buntgekleideter Frauen, die mit spröden Blicken die achtungsvollen Begrüßungen von Stutzern erwiderten, welche anmuthig ihre merkwürdigen cylinderförmigen Kopfbedeckungen lüfteten, von denen noch ein Modell im Honolulu-Museum aufbewahrt wird. Die Makler hatten sich in ihren verschiednen Tempeln versammelt. Die Ladenbesitzer legten ihre Waaren aus. Die Müßiggänger oder »Bummler« – ein Ausdruck, der zur Bezeichnung einer aristokratischen, bevorrechteten Klasse angewendet wurde, welche sich der Freiheit, nicht zu arbeiten, erfreute, und aus welcher die Mehrheit der Regierenden gewählt wurde – warfen von Straßenecken oder aus den Thüren ihrer Trinkhallen achtlose Blicke auf die Vorübergehenden. Da läuft ein leises unheilverkündendes Zittern durch die Stadt. Das rührige Leben dieses rastlosen Mikrokosmos hält an. Der Ladenbesitzer stockt, als er die Waaren in die Höhe hebt, um sie in ein günstiges Licht zu bringen, und die geläufig glatte berufsmäßige Empfehlung bleibt ihm auf der Zunge stecken. In den Trinksalons hält das Glas auf halbem Wege zu den Lippen inne, auf den Straßen stehen die Spaziergänger still. Noch ein Stoß, und die Stadt fängt an unterzugehen, während im selben Augenblick ein paar der erpichtesten Zecher ihren Schnaps hinunterstürzen. Außer einem fürchterlichen Gefühl von Schwindel merken die Menschenmassen, welche sich jetzt in den Straßen drängen, noch nicht völlig, was die Katastrophe zu bedeuten hat. Die Gewässer der Bucht weichen zuerst vom Mittelpunkt des Niederganges zurück und nehmen eine concave Gestalt an, indem der äußere Rand des Kreises sich viele tausend Fuß über der Stadt aufthürmt. Noch ein krampfhaftes Beben, und das Wasser bildet wieder eine Fläche. Die Stadt ist sanft neuntausend Fuß tief hinuntergegangen, und der regelmäßige Schwall des Stillen Meeres wälzt sich ruhig darüber hin. So furchtbar,« sagt Schwappelfurt zum Schlusse, »das Unglück gewesen sein muß in directer Beziehung auf diejenigen, die unmittelbar dabei betheiligt waren, so können wir doch nicht umhin, seine artistische Anordnung zu bewundern, die Eintheilung der Katastrophe in drei Perioden, die Vollständigkeit der Überschwemmung und die seltne Verbindung ernst gemeinter Absicht mit glücklicher Ausführung.«


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