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Kapitel XII.
Politiker und Offiziere

Vom Jahre 1883 an habe ich dreißig Jahre lang das englische Leben, die englische Politik, Literatur und Kunst so genau wie möglich studiert. Zuerst als Herausgeber der »Evening News« und dann als der der »Fortnightly Review« konnte ich fast jeden treffen, den ich kennenlernen wollte, und da ich ziemlich viel Geld verdiente und bald den Ruf bekam, ausgezeichnete Essen zu veranstalten, konnte ich selbst bedeutende Menschen als gleichgestellt empfangen. Ich erwähne dies nur, weil drittklassige amerikanische Journalisten darauf bestehen, mich als ihresgleichen zu betrachten. Sie fragen sich, wie es möglich ist, daß ein »obskurer Journalist« auf gleichem Fuße mit dieser oder jener Berühmtheit verkehren konnte. Vielleicht eben, weil er nicht obskur war, sondern ein Gleichgestellter, und ich unterstreiche dies gleich im Anfang, weil es England zur Ehre gereicht und auch in der Tat der Hauptfaktor ist, der die englische Gesellschaft zu der interessantesten der Welt macht. London erkennt die individuelle Fähigkeit schneller und sicherer als irgendeine andere Stadt auf Erden. Infolgedessen gibt es hier eine Verschiedenheit der Talente, die man nirgendwo anders trifft, und eine reiche Angeregtheit vielfältiger Interessen, die man vergeblich in einer anderen Hauptstadt sucht. Selbst Wien und Paris erscheinen einem langweilig nach London, denn in diesen Städten kann man nach der Stellung der Gastgeber erraten, wen man treffen wird. Ich habe in einem Salon in London den späteren König Edward als Prinzen von Wales im Gespräch mit Hyndman, dem sozialistischen Agitator, gesehen, während Lord Wolseley und Herbert Bismarck gespannt zuhörten. Zur selben Zeit waren Arthur Balfour, Henry Irving und Roosevelt um den Kamin versammelt und hingen an Whistlers Lippen, der ihnen eine Geschichte erzählte.

Ich erinnere mich an ein Mittagessen, bei dem ich den alten Herzog von Cambridge zu meiner Rechten und Russel Lowel, den amerikanischen Botschafter, zu meiner Linken hatte, neben Beerbohm Tree und Willy Grenfell, dem jetzigen Lord Desborough, John Burns, dem Feuerbrand-Agitator und späteren Minister, George Wyndham, dem Dichter, und Alfred Russel Wallace, die alle wie gebannt dem Humor und der Beredsamkeit von Oscar Wilde lauschten, und es war der Onkel der Königin, der mich gebeten hatte, ihn einzuladen, da er soviel von Wildes Genie gehört hatte.

Ich möchte hier von diesen Männern und von manchen anderen, die mindestens so berühmt sind, erzählen, um ein Bild dieser ereignisreichen Tage in London in den letzten Jahrzehnten des 19. und der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts zu übermitteln.

Da ich, wie ich schon sagte, den Ehrgeiz hatte, selbst ins Unterhaus zu kommen, lag es mir zuerst mehr daran, die Politiker, als die Dichter kennenzulernen. Ich versuchte jahrelang jeden Abend bei den Debatten des Hauses zu sein, bis ich nicht nur fünfzig oder sechzig der prominenten Mitglieder, sondern auch die Prozedur, die Traditionen und den Ton der Versammlung kennenlernte. Das Unterhaus wird auch als einzigartig und ideal bezeichnet, und es ist sicher die vornehmste beratende Versammlung der Welt. Ein Umstand, der in der ersten Zeit den größten Eindruck auf mich machte, war die Wahl von Arthur Peel als Speaker an Stelle von Brand, der sich als Lord Hampden zurückzog. Zu jener Zeit wußten kaum einige Mitglieder etwas über Arthur Peel, der der jüngste Sohn des berühmten Premierministers war und der sich auch als Abgeordneter für Warwick ausgezeichnet hatte. Aber in dem Augenblick, in dem er aufstand, um für seine Wahl zu danken, war jedermann bewegt. Er war ziemlich groß, sah gut aus, hatte ein dunkles bärtiges Gesicht, von einer hohen Adlernase gehoben, eine gewöhnliche Baritonstimme, und doch lag eine gewisse überlegene Würde in ihm, die einen großen Eindruck machte, und alles, was er sagte, war bemerkenswert.

Ich werde nie einen seiner langen, schlecht konstruierten Sätze vergessen, die so natürlich klangen – die Rede eines Mannes, der laut denkt und keine vorbereitete Oration vorträgt –, in ungelenken Worten eine seltsame Autorität vermittelnd. »Mit der Erlaubnis des Hauses«, sagte er, »mag es mir gestattet sein« – er hielt inne –, »das ungeschriebene Gesetz, die teuerste und unschätzbare Tradition dieses Hauses durchzusetzen, und zwar meine ich diese persönliche Höflichkeit, die gegenseitige Ritterlichkeit, die sich mit der heftigsten Parteidebatte verträgt – und die eine der ältesten und, wie ich hoffen will, immer geltenden Traditionen dieser großen Versammlung ist.« Seine Rede wirkte sensationell. Alles fühlte allgemein, daß er den richtigen Ton getroffen hatte, und zwar mit einer fast magischen Würde der Persönlichkeit. Von diesem Augenblicke an hatte der Speaker das Haus in der Hand. Nicht nur seine unparteiische Objektivität, sondern auch die Größe seines Charakters wurde nie angezweifelt. Seit jener Zeit bekam ich eine höhere Meinung vom Unterhaus, vielleicht gibt es in der Schar der schweigsamen Mitglieder, die man nicht kennt, noch einen Arthur Peel.

Ich verfolgte nun die Debatten so genau wie möglich, und zwar konnte ich es so bequem durch die Güte des Lord Randolph Churchill tun, den ich um diese Zeit näher kennenlernte. Sobald er hörte, daß ich hie und da Schwierigkeiten hatte, einen Platz auf der Tribüne »für vornehme Fremde« zu bekommen, sprach er mit dem Speaker, und ich bekam einen Sessel im Plenarsaal selbst, auf dem abgeschlossenen Podium, das für einige Freunde des Speakers reserviert ist. Dort konnte ich selbst bei meiner Kurzsichtigkeit alles so genau sehen, als ob ich ein Mitglied wäre.

Mein erstes Zusammentreffen mit Lord Randolph Churchill hat auf mich einen großen Eindruck gemacht. Er wurde im »Punch« und in den Witzblättern als ein kleines Männchen oder sogar als ein Knabe trotz seines gewaltig aufgedrehten Schnurrbarts dargestellt. Zu meiner Verblüffung fand ich, daß er mehr als fünf Fuß neun oder zehn groß war und sich gut und sehr aufrecht hielt. Der sonderbare Zug seines Gesichtes wurde selten oder nie karikiert. Er bestand in einem Paar prominenter, runder, graublauer Augen, die man mit Recht als Glotzaugen bezeichnen konnte. Sein Gesicht spiegelte besonders ausdrucksvoll Zorn und Verachtung. Aber ein zweiter Blick zeigte, daß die Züge ziemlich regelmäßig waren und die Kopfform ganz ausgezeichnet. Er war im großen ganzen ein repräsentabler Mann. Aber wenn er im Hause sprach, stützte er oft seine Hand in die Hüfte, was ihm neben seinem dicken, aufgewirbelten, dunklen Schnurrbart ein übermütig freches Aussehen verlieh und die Menschen, die witzig sein wollten, dazu verführte, ihn als frechen Knaben zu behandeln. Er hatte sicherlich keine Achtung vor den ehrwürdigen Führern des Unterhauses.

Gleich zu Anfang unserer Bekanntschaft lud er mich eines Nachmittags in den Carlton Club ein, um mit mir über den Bradlaugh-Zwischenfall zu sprechen. Ich wurde sofort von der Überlegenheit des Mannes und seiner kolossalen Selbstsicherheit betroffen. Ich war zufällig zu unserer Verabredung gekommen, ohne vorher gegessen zu haben, und da ich wußte, daß es im Carlton verboten war, einem Nichtmitglied Essen zu servieren, erwähnte ich nur en passant, daß ich Hunger hätte. Er erklärte mir sofort, er würde etwas heraufbringen lassen, und als ich ihn an das Verbot erinnerte, zuckte er die Achseln, klingelte, und als der Kellner kam, gab er ihm den Auftrag mit einer solchen Bestimmtheit, daß der Mann froh war, wegzukommen und zu tun, was man ihm befahl. Ich bekam im Nu ein ausgezeichnetes Frühstück und eine gute Flasche Wein. Ich fand, daß auch hier wie überall in England kleinliche Regeln für kleinliche Menschen gemacht sind.

Bald nach unserer ersten Begegnung sprach ich mit Randolph über Bradlaugh, denn ich hatte mir eine hohe Meinung über Bradlaughs Charakter nach seiner Konferenz in Amerika gebildet. Randolph war auf einen Vorfall stolz, den Winston in seiner Schilderung des Lebens seines Vaters ausgezeichnet erzählt und den ich mir hier anzuführen erlaube.

»Am 21. Februar fand noch eine Bradlaugh-Szene statt. Der Abgeordnete für Northampton kam plötzlich an den Tisch heran, zog ein Buch heraus, das er als das Testament bezeichnete, und leistete darauf den Eid zur Verblüffung der Mitglieder. Lord Randolph war der erste, der sich von der durch diese Kühnheit hervorgerufenen Verblüffung erholt hatte. Er erklärte, daß Bradlaugh durch die Beleidigung, die er dem Hause durch einen belanglosen Eid auf ein Buch, das er als das Testament bezeichnete – es hätte auch die »Fruchtlese der Philosophie« sein können –, angetan habe, seines Sitzes verlustig gegangen sei und so behandelt werden müßte, als ob er tot wäre. Er beantragte daher eine neue Wahlausschreibung und bestürmte das Haus, möglichst schnell zu handeln, um seine Autorität nicht einzubüßen. Gladstone brachte jedoch beide Parteien dahin, die Entscheidung bis zum nächsten Tage zu verschieben. Am zweiundzwanzigsten fand die Debatte statt. Sir Stafford Northcote brachte die Resolution ein, Bradlaugh aus dem Bereich des Hauses zu entfernen, anstatt ihm das Mandat zu entziehen, wie Lord Randolph vorgeschlagen hatte. Lord Randolph protestierte gegen eine derartige »Milch- und Wasserpolitik« und schlug eine sofortige Bestrafung vor. Nach einer langen Diskussion, in der das Temperament aller Parteien durch Bradlaughs dauernde Unterbrechungen auf den Siedepunkt gebracht wurde, ersetzte Sir Strafford seinen vermittelnden Ausweg des Ausschlusses durch den Vorschlag, Bradlaugh aus dem Hause zu verbannen. Nachdem dies durchgeführt worden war, wurde der Sitz für Northampton frei.«

Lord Randolph scheint durch die Schnelligkeit und die Energie, mit der er gehandelt hatte, in den Tory-Kreisen sehr viel an Ansehen gewonnen zu haben, schreibt sein Sohn.

Dann kamen die Kilmainham-Verhandlungen, die Freilassung von Parnell und obendrein die Ermordung von Lord Frederick Cavendish und Burke im Phoenix-Park. Aber Randolph war leider krank und ein halbes Jahr lang kampfunfähig. Jeder sagte, daß, wenn Randolph imstande gewesen wäre, den Angriff auf den Kilmainham-Vertrag zu führen, Gladstones Regierung gestürzt worden wäre.

Als er zurückkehrte, sicherte er sich einen Triumph. Die Liberalen wurden von ihren Einpeitschern ersucht, an der Diskussion über Ägypten nicht teilzunehmen, und Randolph höhnte, daß sie »eine stumme Statistenrolle bei dem Begräbnis der Redefreiheit« spielten. Ich führe dies als Beweis seiner Sprachbeherrschung an, obwohl es seine Führerfähigkeit war, die ich immer bewunderte, und nicht seine Beredsamkeit. Als ich Jahre später mit Lord Hartington von Lord Randolphs Karriere sprach, fand ich, daß er, den ich immer als das »Gewissen des Unterhauses« betrachtete, mit mir in der Schätzung Randolphs übereinstimmte.

Er erzählte mir, wie ärgerlich Gladstone über Randolph bei der Bradlaugh-Affäre war. »Er glaubt nicht an das Christentum, und doch schämt er sich nicht, die religiösen Vorurteile anderer zu kleinlichen politischen Zwecken auszunützen«, sagte er. »Aber schließlich«, fügte Lord Hartington hinzu, »fanden sich die Führer der beiden Parteien in einem Konferenzzimmer zusammen, während die Mehrheit des Hauses um Randolph versammelt war, woraus ich erkannte, daß Randolph ein unvergleichlicher Stratege war. Und später führte keiner das Unterhaus wie er. Er kannte das Haus besser, als er sich selbst kannte. Als Parlamentarier war er unvergleichlich, und ich kenne keinen zweiten, der ihn auch nur annähernd erreichte.«

In unserem ersten Gespräch hatte ich keinen so starken Eindruck von den Führerqualitäten Randolphs, wie später, aber doch einen starken genug, um in ihm die Verkörperlichung der seltsamen Macht seines Vorfahren, des ersten Herzogs, zu erkennen. Er hatte auch zu jener Zeit einen Zug außerordentlicher Genialität und einen leidenschaftlichen Glauben an die Wirksamkeit einer Reihe von Reformen, die ich als bloße Heilmittelchen empfand, die er jedoch als charakteristisch englisch lobte. Ich werde noch später mehr über ihn erzählen. Aber weil es nun Sitte geworden ist, über ihn zu spotten, möchte ich es unterstreichen, daß man ihm ebenso wenig wie Parnell begegnen konnte, ohne die Größe in ihm zu empfinden. Er hat auf mich einen viel tieferen Eindruck als Gladstone gemacht.

In diesen ersten Jahren meiner Herausgebertätigkeit lernte ich A. M. Broadley kennen, der für die »World« schrieb und sich als Verteidiger des Arabi Pascha und der ägyptischen Unabhängigkeit einen Namen gemacht hatte. Es war Broadley, der mich zuerst mit Oberst Burnaby bekannt machte, der auch ein begeisterter Verehrer von Lord Randolph Churchill war. Fred Burnaby war ebenfalls eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Ich halte ihn physisch für den schönsten männlichen Typus, den ich je gesehen habe, er war mehr als sechs Fuß vier hoch, mit ungefähr siebenundvierzig Zoll Brustumfang. Unzählige Geschichten wurden über seine ungeheure Muskelkraft erzählt, von denen ich die meisten für zutreffend halte. Als er in die Garde eintrat, machten sich zwei Subalterne den Spaß, ihm zwei Esel durch das Fenster in sein Schlafzimmer zu schmuggeln. Als Burnaby nach Hause kam, fand er sie vor, nahm jeden unter einen Arm und trug sie ruhig die Treppe hinunter. Ich sah einmal, wie er einen Feuerhaken zusammenbog. Er sah sehr gut aus, hatte eine große Stirn und ein starkes Kinn, eine gerade, schwere Nase und wirklich schöne, gütiglachende Augen, weit gestellt, während ein schwerer, dunkler Schnurrbart teilweise seinen anziehenden Mund verbarg. Wenn ich ihn fünfzehn Jahre früher getroffen hätte, wäre ich vielleicht in der Lage gewesen, aus ihm einen Helden zu machen, denn er war ebenso intelligent wie kräftig. Er sprach ein halbes Dutzend Sprachen und war vollkommen frei von jedem Snobismus oder Vorurteil. Ich war ihm dankbar für die Art und Weise, wie er sich mir anschloß. Es freute ihn, als ich ihm sagte, ich hätte seinen »Ritt nach Khiva« gelesen; und er erzählte mir darüber eine Geschichte, die mich amüsierte.

Bei seiner Rückkehr nach England nach seinem berühmten Ritt wurde er zum Essen in Windsor eingeladen, um der Königin von seinen Abenteuern zu erzählen. Er folgte selbstverständlich der Aufforderung, stieg bei Waterloo in den Zug, schlief ein, versäumte es, in Weybridge auszusteigen, und wachte erst in Basingstoke auf. Er mußte den Stationsvorsteher überreden, ihm einen Sonderzug nach Windsor zu geben. »Es war das teuerste Essen in meinem Leben«, war der humoristische Kommentar, mit dem er die Geschichte schloß.

Wir sprachen eines Nachmittags über Körpertraining und Muskelentwicklung, und ich entdeckte zu meiner Überraschung, daß Burnaby in dieser Hinsicht für Mäßigung eintrat. »Hauptsächlich in der Jugendzeit kann man es leicht übertreiben und die Muskeln auf Kosten unserer vitalen Energie entwickeln. Ich weiß nicht, wie ich es besser ausdrücken soll,« fuhr er fort, »aber ich bin sicher, daß ich überentwickelt bin. Ich habe kleine Männchen gesehen, die sich der Liebe wunderbarer Frauen erfreuten, während die großen Athleten keine besonderen Liebhaber sind.« Er sprach mit Bitterkeit, und ich faßte es als persönliche Beichte auf, denn ich hatte schon dieselbe Wahrheit festgestellt, und es war allgemein bekannt, daß die Ehe des armen Burnaby keineswegs glücklich war. Und doch nahmen sich römische Damen und selbst Kaiserinnen Gladiatoren zu ihren Geliebten. Warum?

Burnaby traf ein Mißgeschick, das ein charakteristisches Licht auf den Kodex der englischen Aristokratie wirft. Einer seiner Kameraden, ein Hauptmann, wenn ich nicht irre, hatte ein Verhältnis mit einer Dame, die er in einem Absteigequartier im Temple traf. Eines Tages begegnete Burnaby dem Offizier auf seinem Wege zu Broadley. Er muß Broadley lachend von der Begegnung erzählt haben; jedenfalls erschien in der nächsten Woche in der »World«, für die Broadley schrieb, eine Notiz, die den betreffenden Offizier davor warnte, sich auf dem Wege zu Nr. Soundso im Temple ertappen zu lassen, da die Attraktion allgemein bekannt war.

Der Offizier rief eine Versammlung seiner Regimentskameraden zusammen und beschuldigte Burnaby der Indiskretion. Burnaby, der im Innersten wahrhaftig war, konnte nur sagen, er könne sich nicht erinnern, die Tatsache erwähnt zu haben, aber es sickerte durch, daß Broadley diesen Artikel geschrieben hatte; worauf die Offiziere den gesellschaftlichen Verkehr mit Burnaby abbrachen, und als etwas später Prinz Edward zu einem Regimentsessen eingeladen war, verständigten sie den Oberst, daß kein Offizier an dem Essen teilnehmen würde, falls Burnaby bei Tisch erscheinen sollte. Dieser Boykott traf Burnaby tief ins Herz. Bevor er mit der Wolseleyschen Expedition zur Rettung Gordons ging, lud er mich zum Essen zu sich ein. Ich hatte früher schon oft mit ihm gegessen und fand ihn sehr interessant. Er hatte an viel mehr Punkten mit dem Leben Berührung als der gewöhnliche Offizier. Er war in drei oder vier Literaturen belesen und von höchster Aufnahmefähigkeit für alles Schöne in der Kunst und im Leben. Er war ein ausgezeichneter Plauderer. Er konnte eine gute Geschichte mit viel Humor erzählen und war seinem Wesen nach großzügig und freigebig. Ich habe Fred Burnaby immer neben Dick Burton gestellt, unter die edelsten Männer, die ich in meinem Leben getroffen habe. Nach dem Essen sagte er mir in seiner ruhigen Art, daß er nicht beabsichtige, lebend zurückzukommen. »Es ist ein komisches Gefühl,« bemerkte er obenhin, »so ein Todesurteil über sich schweben zu lassen. Es dauert wohl kaum einen Monat, bis ich »das große Vielleicht« betreten habe, wie Danton, wenn ich nicht irre, ›den unentdeckten Bezirk‹ nannte.«

Ich kämpfte leidenschaftlich gegen seinen Entschluß, sagte ihm, daß sein Schicksal des großen Abenteurers und seine Erlebnisse in meinen Augen himmelhoch über dem ganzen Offizierskorps stünden. »Ich würde eine Wildnis von Affen und Mediokritäten für einen Burnaby geben«, rief ich aus. »Um Gottes Willen, halten Sie aus und leben Sie ein so großes Leben bis zu einem edlen Ende.«

»Wissen Sie denn, in welcher Weise ich boykottiert werde?« fragte er.

»Ich habe davon von Broadley gehört«, erwiderte ich. Aber ich hatte auch gehört, daß Oberst Ralph Vivian, der ungeheuer populär war, sich vor einigen Wochen im Hyde Park ostentativ von Burnaby abgewandt hatte, und es war mir schon seit langem klar, daß Burnaby bis in die tiefste Seele verwundet war.

Jetzt brach das in ihm aufgespeicherte Leid aus.

»Das Leben ist viel schwieriger, als wir es in unserer Jugend uns vorstellen«, begann er. »Wer konnte einen bessern Anfang haben als ich: von guter Herkunft mit vollkommener Gesundheit, großer Kraft, hochgewachsen und nicht so häßlich wie der Wolf, wie die Franzosen sagen, außerdem noch ziemlich begabt, mit einem guten Gedächtnis, voll Abenteuerlust, Sehnsucht nach der Fremde und außerdem ernsthaft genug, um meine Vorteile zum Besten auszunutzen. Mit fünfunddreißig Jahren war ich schon nach Windsor eingeladen, hatte mir eine große Stellung in der Gesellschaft geschaffen, wurde Oberst der Garde, und heute, mit vierzig Jahren, bin ich ohne eigene Schuld, ohne ein Verbrechen begangen zu haben, ein Ausgestoßener, ein Paria.« (Er sprach mit ungeheurer Bitterkeit.) »Ich habe keine Chance mehr, und das Schlimmste ist, daß die Außenseite noch so glänzt wie vorher. – Für eins sei Gott Dank: daß ich zu sterben weiß.« Sein ganzes Gesicht war wie verwandelt, von einer unbeugsamen Entschlossenheit und einem fröhlichen Mut erleuchtet.

»Sprechen Sie nicht so,« rief ich aus, »ich darf Ihnen nicht zuhören. Es ist Ihrer nicht würdig. Sie haben kein absichtliches Unrecht getan. Ihre Lage ist eigentlich die Empörung von Durchschnittsidioten gegen eine hervorragende Persönlichkeit, die sich durchgesetzt hat. Es ist Ihre Pflicht, durch diese Dinge unbekümmert durchzugehen. Sie kennen doch das Goethewort: ›Wenn der König ausreitet, bellen die Dorfköter hinter seines Pferdes Hufen!‹ Lassen Sie sie bellen!«

Aber Burnaby lehnte den Trost ab. »Wenn es hier anders stünde,« seufzte er auf, »würde ich es vielleicht versuchen. Aber nein, mein Leben ist ein Fehlschlag, Harris! Ich bin überall geschlagen worden, es bleibt mir nur noch ein Kampf, der beste und der letzte.« Und wieder leuchteten seine Augen hell auf.

Ich kann mir keine Vorwürfe machen, ich tat alles, was ich konnte, widerlegte seine Argumente, versicherte ihm, daß die Besten in der öffentlichen Meinung ihn nicht verdammen würden, bat ihn um unser aller willen, die ihn liebten, das Spiel zu Ende zu führen. Schließlich unterbrach er mich: »Der Würfel ist gefallen. Ich gehe Anfang der Woche nach dem Sudan. Ich werde mir Ihre Worte überlegen, lieber Freund, und ich bin Ihnen dafür sehr dankbar. Aber jeder Mensch muß sein Schicksal tragen –«

Tränen standen in meinen Augen, mein Herz schmerzte, als wir uns trennten. Es ist allgemein bekannt, wie edel Burnaby sein Leben in der Schlacht von Abu Klea im Sudan aufgab. Der arabische Angriff hatte die britischen Reihen durchbrochen, und im nächsten Moment hätten sich die Derwische wie ein Keil eingeschoben und die ganze Formation auseinandergesprengt, wenn sich nicht der Riese Burnaby in die Bresche geschlagen und den Anprall aufgefangen hätte. Während sich das Viereck hinter ihm wieder zusammenschloß, kämpfte Burnaby, trotzdem er aus vielen Wunden blutete, bis ihn ein arabischer Speer in die Kehle traf. Er hatte tausend Leben gerettet und eine Niederlage in einen Sieg verwandelt. Bennet Burleigh, der berühmte Kriegskorrespondent des »Telegraph« schrieb mir später, daß Burnaby »unser aller Leben« gerettet habe.

Als ich von seinem heroischen Tode las, weinte ich wie ein Kind und fragte mich, ob seine Kameraden noch auf ihren idiotischen Boykott stolz waren. Für mich war der liebe Fred Burnaby der Held des Sudan und nicht Charles Gordon.

Ich hatte nie viel für den chinesischen Gordon übrig gehabt, vielleicht weil er überall so in alle Himmel gepriesen wurde, von billiger Begeisterung auch von solchen besabbert, die ihn nicht einmal von Angesicht kannten. Ich interviewte ihn für die »Evening News«, als er auf Gladstones Befehl aus Brüssel herüberkam und nach dem Sudan ging, um die von den Streitkräften des Mahdi belagerten Garnisonen zu befreien. Vielleicht weil ich nicht viel erwartete, bekam ich auch kaum etwas aus ihm heraus. Nach der Meinung von Stead in der »Pall Mall Gazette« war er »ein christlicher Held« ... »ein Kämpfer Christi«, eine blasphemische Contradictio in adjecto, die nur in England oder Amerika möglich war. Charles Gordon war in einer Hinsicht ganz unenglisch: er hatte keine Spur von Voreingenommenheit in sich, er war von einer durchsichtigen Offenheit und Einfachheit. Er sah auch gut aus, hatte eine auffallende Stirn, hoch und breit. Aber ich gab nicht viel auf hohe Stirnen, denn meiner Erfahrung nach hatte sich das deutsche Sprichwort bewährt:

Große Stirn,
Wenig Gehirn –

obwohl Victor Hugos Lob uns alle beeinflußt. Hugo sagte sehr schön, daß eine große Stirn auf ihn dieselbe Wirkung hätte wie eine Weite des Himmels über der Landschaft.

Ich habe Gordon sicherlich nicht verstanden. Als ich ihn fragte, warum er seine Absicht, nach dem Kongo zu gehen, aufgegeben habe, und statt dessen nach Khartum gehe, erwiderte er lächelnd, daß ihm die Not im Sudan größer schiene. »Ich werde später nach dem Kongo gehen, wenn Gott will!« Ich entnahm daraus, daß er sich als ein Instrument in Gottes Händen ansah, das die Tat ausführte, zu der es berufen war. Sein fatalistischer Glaube schien mir kindisch, das Ergebnis des Erfolges und der Lobhudelei, die auf ein schwaches Gehirn wirkten. Seine Selbstüberhebung oder, wenn man will, sein Glaube ging über alle Vernunft hinaus. Er hatte keine Einsicht weder in Menschen noch Ereignisse. Sobald er Khartum erreichte, verblüffte er Baring und empörte Gladstone durch die Forderung, daß sein alter Feind Zebehr Pascha, der berüchtigte Sklavenhändler, von Kairo geschickt werden sollte, um ihm zu helfen. Einige von uns erinnerten sich, daß Zebehr Paschas Sohn, Suleiman, im Jahre 1879 in Darfur gegen Gordon und seinen Leutnant Gessi rebelliert hatte. Gessi schlug Suleiman in der Schlacht, nahm ihn gefangen und ließ ihn kaltblütig hinrichten. Baring war der Ansicht, daß Zebehr Gordon nur schaden könnte, und Gladstones Vorurteil gegen den Sklavenhändler war so unüberwindlich, daß Zebehr Gordon verweigert wurde.

Wie um seinen Glauben an die Vorsehung zu verhöhnen, waren die Ereignisse von Anfang an gegen Gordon. Kaum hatte er Khartum erreicht, als der Leutnant des Mahdi, Osman Digna, Sinkat im Sturm nahm und nicht nur die ägyptische Garnison, sondern alle Männer, Frauen und Kinder über die Klinge springen ließ. Kein Wunder, daß die Garnison von Tokar sich mit ihrem wilden Feind verständigte und unter gewissen Bedingungen ergab – eine große Menge ging mit Herz und Hand zum Feind über. Dann wurde Khartum bedroht, das christliche England zwang Gladstone zum Handeln, und eine militärische Expedition wurde abgesandt, um den Retter zu retten.

General Wolseley wurde selbstverständlich der Führer der britischen Kräfte, und er entschloß sich – wohl in Erinnerung an seine Red River-Expedition –, den Nil heraufzufahren, statt den kürzeren Weg über Suakim und Berber zu nehmen. Die ganze alberne Tragikomödie enthüllte mir blitzartig die unsagbare Dummheit einer demokratischen Regierung, die heutzutage eine schlecht informierte Presse und eine sentimentale, laute Mehrheit bedeutet.

Mitten in diesem Lärm erscholl plötzlich die Stimme eines wirklichen Menschen. Eines Morgens veröffentlichten die »Times« einen Brief des Mahdi, den er, wenn ich mich nicht irre, an die englische Regierung geschrieben hatte. Er war verblüffend gut geschrieben und in das beste, reine Bibelenglisch übersetzt. Ich habe ihn leider nicht aufgehoben. Aber er machte auf mich einen unauslöschlichen Eindruck als das größte Dokument, das in meiner Zeit veröffentlicht wurde, bedeutender sogar als der Brief, den Parnell publizierte, nachdem ihn Gladstone in dem O'Shea-Scheidungsprozeß fallen ließ. Der Mahdi fragte die Engländer, warum sie gegen ihn mit soviel Streitkräften und Artillerie vorgingen. Wußten sie denn nicht, daß, wenn sie mit Gott und für seine hohen Ziele wirkten, auch eine kleine Streitmacht unbesiegbar sein würde? Wenn jedoch ihr Ziel selbstsüchtig und grausam wäre, würde keine Kraft genügen! »Sagt mir, was ihr wollt,« schrieb er ungefähr, »und wenn es recht und billig ist, werdet ihr es ohne Schwierigkeit erlangen. Wenn euer Ziel jedoch geheim und verderblich ist, wird euer Tun nichts anderes sein als Pflügen im Sand.« An Gladstone gerichtet, erschien dieser Appell unwiderstehlich komisch. Der alte christliche Rhetor wurde auf ein Pulverfaß eigener Fabrikation gehoben.

Den ganzen Sommer hindurch verfolgte England die Nil-Expedition mit atemlosem Interesse. Schließlich im Dezember, nach dem Siege von Abu Klea, wurde ein Vorstoß auf Khartum beschlossen. Wie um die vollkommene Wertlosigkeit seiner Urteilsfähigkeit zu beweisen, schickte Gordon am 29. Dezember eine Depesche, daß »in Khartum alles in Ordnung sei und es sich noch jahrelang halten könne«. Aber Wolseley war besser orientiert, und Anfang Januar machte Sir Charles Wilson seinen Vorstoß nach Khartum. Er fand, daß die Stadt bereits gefallen war, die Streitkräfte des Mahdi schossen von den Mauern auf sein Schiff herunter. »Gordon gefangen«, lautete der erste Bericht, und dann erst erfuhr man die Wahrheit. Als er das Hereinstürmen der Feinde hörte, lief Gordon aus seinem Palast mit gezogenem Säbel heraus und wurde am Eingang erdolcht. Die ganze kostspielige Expedition erwies sich als ein Fiasko. Sollte denn die Expedition zurückkehren und den Sudan dem Sklavenhändler und Mahdi überlassen? Gladstone wollte es gern, aber das aristokratische England konnte sich nicht so leicht in die Niederlage fügen.

Sobald Wolseley nach England zurückgekehrt war, suchte ich ihn auf und stellte mit großem Interesse fest, daß seine Ansicht über Menschen und Dinge von der meinigen nicht sehr verschieden war. Ich hielt Wolseley für einen ziemlich belanglosen Mensch, er besaß keine Macht der Persönlichkeit, keine tiefe Einsicht, er war ein durchschnittlicher englischer Gentleman mit einer Menge geschäftlicher Erfahrung. Jedoch durch den Kontakt mit fähigeren Leuten als er selbst hatte er eine Art von flair, wie ihn kluge Frauen besitzen, für das, was über seinem Kopfe vorging, bekommen. Er war unendlich gütig und anständig, sein Ehrgeiz stand jedoch in gar keinem Verhältnis zu seinen Fähigkeiten. Dies alles und noch einiges mehr wurde durch einige der Geschichten illustriert, die er mir erzählte. Wir sprachen über Mut, und er verblüffte mich durch die Behauptung, daß eine Freiwilligenarmee immer besser sei als ein Rekrutenheer. »Einer unter drei Rekruten ist sicher ein Feigling – und diese Minorität kann zu jeder Zeit ein Unglück heraufbeschwören.« Es klang durchaus plausibel. Dann drehte sich unser Gespräch um Gordon wie die meisten in jener Zeit. »Ich war mit Gordon in der Krim zusammen. Tag für Tag lagen wir stundenlang Seite an Seite in den Schützengräben vor Redan.«

»Wirklich?« rief ich aus, »das muß sehr interessant gewesen sein.«

»Es war sehr interessant«, fuhr er fort, »und ein Anschauungsunterricht über den Mut, von dem wir gerade sprachen. Die Schützengräben zogen sich ungefähr 80 Yards vor den Befestigungswällen hin und waren so flach und verschlammt, daß sie uns nicht viel Schutz boten. Gegen sechs Uhr an jedem Abend wurden wir abgelöst. Gerald Graham, jetzt General Sir Gerald Graham, war der mutigste Mensch, den ich je kannte, mehr als sechs Fuß hoch und ein schöner Mann obendrein. Jede Nacht, wenn die Stunde schlug, pflegte Graham aufzustehen, die Hände in die Taschen zu stecken und nach seinem Quartier hinzuschlendern. Sobald die Russen das bemerkt hatten, sammelten sie sich abends auf dem nächsten Festungswall, um den großen Engländer aus dem Hinterhalte niederzuknallen. Wie es jedoch das Glück wollte, gingen die Kugeln immer fehl. Ich zankte mit ihm immer wieder. »Es ist nur eine Frage der Zeit, Graham,« sagte ich, »und dann haben sie Sie. Um Gottes Willen, seien Sie doch nicht so tollkühn.« Aber Graham achtete nicht darauf und machte sich jeden Abend wochenlang zu einer Zielscheibe für die Russen, und ich versichere Ihnen, nach zehn Tagen war es ein Wunder, daß er nicht getroffen wurde, denn wohl Hunderte zielten nach ihm, und die Kugeln summten wie Bienen in der Luft herum.«

»Sie sind wohl seinem Beispiel nicht gefolgt?« fragte ich lachend.

»Keineswegs«, erwiderte Wolseley ernst. »Schon zu jener Zeit hatte ich mir vorgenommen, Hauptkommandeur der britischen Armee zu werden, soweit es mir nur gelänge. Und jeden Abend kroch ich auf allen vieren durch die feuchten, schlammigen Schützengräben Hunderte von Yards lang, bis ich aus der Schußlinie war. Ich hielt mich für zu gut, um mich zur Zielscheibe herzugeben.« – »Und Gordon?« fragte ich. »Gordon war doch damals Ihr Untergebener, wie benahm er sich denn?«

»Keiner von uns wurde damals aus Gordon klug«, erwiderte Wolseley. »Eines Abends kroch er mir durch den Schlamm und Schmutz nach, und am nächsten Abend richtete er sich auf, stolz wie ein Spanier, hakte sich in Grahams Arm ein und schlenderte mit ihm weg, als ob der nächste russische Schütze tausend Meilen entfernt wäre. Ich begriff erst allmählich, daß das alles bei Gordon mit seinen Gebeten zu tun hatte. Wenn Gott ihm irgendein Zeichen seiner Gnade zukommen ließ, ging er ganz unbekümmert mit Graham los, wenn er jedoch über die göttliche Gnade irgendwie im Zweifel war, kroch er länger und tiefer durch den Schmutz als notwendig. Gordon war ein komischer Kauz, aber Graham war der Mutigste der Mutigen.

Ich erinnere mich, daß ich später in dem Chinesenkrieg Graham zufällig traf«, fuhr Wolseley fort. »Eines Abends sah ich im Nebel einen Mann zu Pferde und rannte zu ihm hinüber, um ihn etwas zu fragen. Als ich ihn erreichte, erkannte ich Graham, und in meiner Freude schlug ich ihm auf den Schenkel, während ich meine Frage stellte. »Ja, es stimmt,« erwiderte er, »aber bitte, lassen Sie meinen Schenkel in Ruh', ich habe da eben eine Kugel reinbekommen.« Und als ich auf meine Hand guckte, war sie karmoisinrot. Graham kümmerte sich um Wunden so wenig wie um Gefahr. Sie wissen ja, daß er das Victoriakreuz bekommen hat. Ich habe mich immer wieder darum bemüht, aber ich habe kein Glück – das Leben versagt uns so viele unserer Wünsche. –«

Zu meiner Verblüffung war er enttäuscht. Man stelle sich einen Heerführer vor, der sich nach dem Victoriakreuz sehnt!

Wolseley war ein interessanter Mensch, obwohl die Geschichten über Gordon und Graham die besten waren, die ich je von ihm gehört habe. Er hatte ein ereignisreiches Leben geführt, und seine Erinnerungen an den Bürgerkrieg in Amerika faszinierten mich, und ich werde sie später noch erwähnen, weil sie meine Bemühungen um seine Beförderung zum Hauptkommandeur erklären, um ihn den Gipfel seiner Ambitionen erreichen zu lassen. Jahre hindurch trafen wir uns von Zeit zu Zeit. Ich fand in ihm immer einen ausgezeichneten Gastgeber; und es war in seinem Hause in Woolwich, wo mir der Witz gelang, der später andern zugeschrieben wurde. Alfred Austin war gerade von Lord Salisbury zum Poeta laureatus ernannt worden, obwohl er in seinen Werken nicht mehr Poesie hatte als eine Stubenfliege. Er hatte jedoch andere Verdienste. Er hatte jahrelang Leitartikel im »Standard« geschrieben und Lord Salisbury über alle Maßen gepriesen. Als Lord Tennyson starb, ernannte Lord Salisbury Alfred Austin an seiner Stelle, »Alfred der Kleine nach Alfred dem Großen«, wie irgendein anonymer Witzbold erklärte. Selbstverständlich hätte Lord Salisbury Swinburne ernennen sollen oder ein halbes Dutzend größerer Dichter als diese kleine Kreatur gefunden; aber er zog seinen Lobredner vor – eine unerhörte Beleidigung der englischen Dichtung – eine Beleidigung, deren Schwere er nicht einmal ermessen konnte.

Ich hatte Austin oft getroffen und hielt ihn für nichts anderes als einen bloßen Journalisten und Stellungsjäger ohne Talent und Persönlichkeit, aber an diesem Abend bei Wolseley behandelte er mich mit betonter Herablassung. »Ich habe Herrn Harris gekannt,« bemerkte er, »als er bloß Herausgeber der ›Evening News‹ war.« Er sprach in einem so hochfahrenden und überlegenen Tone, daß ich erwiderte: »Ich höre, daß Sie sich sowohl in der Poesie wie in der Prosa versuchen. Welcher von beiden werden Sie sich in Zukunft widmen?«

»Ich muß jetzt wohl eine gewisse Anzahl Gedichte schreiben«, erwiderte er.

»Warum?« fragte ich in gespielter Unwissenheit.

»Ach, um den Wolf von der Tür fernzuhalten«, erwiderte er lachend.

»Ach ja, ich verstehe, ausgezeichnet! Sie lesen also dem Wolf Ihre Gedichte vor.« Austin mied mich seit dieser Zeit. Aber ich war mit meiner Bemerkung sehr zufrieden, vielleicht, weil ich so selten witzig war.


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