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Kapitel IV.
Athen und die englische Sprache

Ich werde nie imstande sein, die Schönheit der Natur zu schildern, obwohl ich so wunderbare Landschaften kenne, daß die bloße Erinnerung an sie Tränen in meine Augen treibt, und es gibt auch zwei Städte, Athen und Rom, bei denen ich nicht einmal den Versuch wage, sie zu beschreiben. Man muß sie gesehen haben und sie genau kennen, um sich von ihnen eine Vorstellung zu machen. Der Eindruck von Athen ist ebenso einfach, wie der von Rom kompliziert. Die Schönheit des menschlichen Körpers ist das erste, was einem auffällt. Die Majestät der männlichen Gestalt und der sinnliche Reiz des Frauenkörpers ist das, was uns Athen sofort übermittelt, während Rom uns einen Querschnitt durch viele verschiedene Zivilisationen gibt und auf die vielfältigste Weise auf uns einwirkt.

Die zweite Nacht nach meiner Ankunft in Athen lag im Vollmondlicht. Über den Himmel waren kleine, weiße Wölkchen wie Silberschilde auf dem intensiven Blau verstreut und strahlten den Glanz zurück. Ich hatte nichts zu tun, und so wanderte ich über den Platz, auf dem die Kaserne des Palastes steht, und schritt durch die Propyläen zur Akropolis hinauf. Als ich vor dem Parthenon stand, sang seine reine Schönheit vor mir wie ein köstliches Gedicht. Ich verbrachte die Nacht im Hin- und Herwandern zwischen den Karyatiden des Erechtheion und dem Fries des Tempels der flügellosen Nike. Als die Morgendämmerung einbrach und die ersten Lichtpfeile den Parthenon berührten, stand ich mit gefalteten Händen da, meine Seele ein einziger Schauer der Bewunderung und der Ehrfurcht vor dem Geist der Schönheit, den ich dort verkörpert sah.

Athen ist rein heidnisch, und seine Tempel wie seine Dichtungen rühren an die tiefste Menschlichkeit in uns. Seine Gebäude leiten nicht das Auge von Fiale zu Fiale in das Unendliche hinein, wie die Spitztürme des gotischen Tempels. Der Tempel hier ist sozusagen nur ein Rahmen für die köstliche weiße Form von Männern und Frauen, gegen einen Hintergrund von tiefem Blau gestellt. Hier ist der Raum, wo sich die edlen Frauen und Männer trafen: Perikles und Phidias, Sokrates und Aspasia, hier schritt der große Dichter Sophokles – selbst ein Ideal der Schönheit unter schönen, mädchenhaften Frauen mit den kleinen runden Brüsten und den festen schmalen Hüften. Hier war die Vergöttlichung der Menschheit. Und diese Religion ergreift mich tiefer als irgendeine andere, sowohl in ihrer Sinnlichkeit wie in ihrer Vornehmheit. Hier sind die schönsten Körper der Welt und hier auch der Mut, der den Tod anlächelt. Und ich erinnere mich an die Worte des Sokrates im Kriton: »Laß uns gehen, wohin uns Gott führt. Das Höchste in uns wird zu unserem Gott und unserem Führer.«

Gibt es etwas Höheres? In Sokrates rühren wir an den Zenit der Menschheit. Aber die Gebote Jesu sind von einer noch größeren Süße. Wir Menschen brauchen alle Vergebung, brauchen Liebe, und das Geben der Liebe ist seliger denn Nehmen. Aber die Anbetung der Menschen war die erste Religion, und dieses Athen ist sein Geburtsort, sein Altar und sein Heim.

Oscar Wilde sagte mir einmal, er sei sich schon als Schulknabe seines Genies bewußt und vollkommen sicher gewesen, ein großer Dichter zu werden, bevor er noch das Trinity College in Dublin verließ, um nach Oxford zu gehen. Ich hatte schon eine gewisse Eigenart mit Fünfundzwanzig erreicht, als ich Shakespeare so klar sah wie später mit vierzig Jahren, aber ich hatte die Dreißig überschritten, bevor ich nur an die Möglichkeit dachte, Schriftsteller zu werden. Ich war mir dessen immer schmerzlich bewußt, daß ich kein schriftstellerisches Talent habe, und ich pflegte die Balzacworte zu wiederholen: »Sans génie je suis flambé!« Als ich mich in München entschloß, nach Griechenland zu gehen, empfand ich, daß ich lange genug Sprachen studiert hatte, und die besten klassischen Dichter und Helden machten keinen großen Eindruck auf mich; mit Ausnahme von Sokrates erreichte keiner mein Ideal. Ich sah, daß Sophokles sich wiederholte, daß seine »Elektra« eine schlechte Kopie seiner »Antigone« sei und er seinen »Ajax« mit einem politischen Pamphlet zugunsten von Athen beendet hatte. Er war ein Meister der Sprache und nicht ein Meister über Leben oder Kunst. Und ich hatte viel Zeit an ihn verschwendet. Dann erkannte ich, daß es keinen Römer gibt mit Ausnahme von Tacitus und Catull, den Dichterliebhaber der Claudia-Lesbia, und selbstverständlich Cäsar, der mir beinah zum Ideal des Schriftstellers und Tatmenschen wurde. Ich hatte durch die vier Jahre angestrengten Studiums nicht viel gewonnen, die paar Monate, die ich mit Skobelieff verbrachte, gaben meinem Geist eine reichere Nahrung als die vier Jahre, denn sie bestärkten mein Ideal eines vollen, mutigen, in Verachtung der Konvention gelebten Lebens.

Ich schickte mein Gepäck voraus, machte eine Fußwanderung über die Berge nach Innsbruck, um von dort den Zug nach Venedig zu nehmen. Es war ein unvergeßliches Erlebnis. Zum ersten Male erkannte ich den Wert des Ungewöhnlichen. Die Wasserstraßen verleihen dieser Stadt den eigenartigen Zauber. Die Seufzerbrücke ist unvergeßlicher als die beliebige Zahl von Brooklynpfeilern oder selbst Waterloobrücken. Marlowes großer Satz kam mir oft in den Sinn: »Ich bin ich selbst und allein!« Im Besonderen liegt die Auszeichnung.

Nun arbeitete ich angestrengt vierzehn Tage lang, um Italienisch zu lernen, und konnte mich nach dieser Zeit verständlich machen und auch alles verstehen, was man mir sagte. Aber als ich ins Volkstheater ging, wo im venezianischen Dialekt gesprochen wurde, konnte ich kein Wort verstehen, und ich hatte doch den Vorstellungen im Münchener Volkstheater folgen können. In einer Woche jedoch, nachdem ich »I promessi sposi« und viel Dante gelesen hatte, war ich imstande, den venezianischen Dialekt zu verstehen, und in den gewöhnlichen Trattorien bekam ich flüchtige Einblicke in das venezianische Volksleben. Überall auf der Welt herrscht bei der Arbeiterklasse die größte Idiosynkrasie gegen das Fremde vor, und ihr Leben ist infolgedessen am interessantesten.

Aber ich hatte Sehnsucht nach Griechenland, und so nahm ich einen Floriodampfer und fuhr ab. Ein Signor Florio war an Bord, mit dem ich mich bald anfreundete. Von Florio hörte ich viel über Sizilien und beschloß, mich auf meinem Rückwege in Palermo oder Syrakus aufzuhalten, um das Land kennenzulernen.

Auf dem Schiff war ein kleines, lahmes Griechenkind. Die Mutter brachte es nach Athen zurück, um es dort operieren zu lassen. Sie schien sehr niedergeschlagen. Ich fand bald den Grund heraus. Der Vater war nach den Vereinigten Staaten ausgewandert, hatte seither nicht mehr geschrieben, und die Mutter besaß kein Geld für die Operation. Wieviel sollte sie denn kosten? Fünfhundert Drachmen! Durch einen glücklichen Zufall hatte ich gerade etwas über diese Summe bei mir. Ich gab sie der Mutter. Sie weinte und küßte mir die Hand. Ich weiß nicht, warum ich ihr das Geld gegeben habe. Ich selbst blieb fast ohne Mittel zurück. Ich mußte mit einer Flasche Wein zwei Tage sparen. Am Schluß meiner Reise verschlang die Rechnung für kleine Ausgaben und Trinkgelder mein letztes Geldstück, und als wir Piräus erreichten, hatte ich nicht einmal Geld, um den Bootsmann zu bezahlen. Ich verfluchte meine unüberlegte Großmut. Was scherte mich denn die ganze Sache? An diesem Abend ging ich in die Kabine und sah mir die Passagiere an. Der eine junge Mann sah wie ein Jude aus, trotz seiner geraden Nase. Ich ging auf ihn zu, erzählte ihm von meinem Dilemma und bat ihn, mir etwas Geld zu leihen. Er lächelte, nahm seine Brieftasche heraus und zeigte mir Scheine von fünfhundert und tausend Drachmen. »Kann ich das haben?« fragte ich und tippte auf einen Schein von tausend Drachmen. »Selbstverständlich,« erwiderte er, »mit Freuden.« – »Geben Sie mir, bitte, Ihre Visitenkarte. In einer Woche, sobald ich das Geld aus London bekomme, will ich es Ihnen zurückzahlen. Ich möchte im Hotel Grande Bretagne wohnen. Es ist doch gut, nicht wahr?« »Es scheint so,« erwiderte er, »denn alle reichen Engländer gehen dahin. Aber ich selbst würde das Hotel d'Athènes vorziehen.« »Ich werde es mir merken«, sagte ich zu ihm und schüttelte ihm die Hand. In dieser Nacht schlief ich in einem Zimmer, das über den Palastplatz auf die Akropolis sah.

Der junge Mensch, der mir das Geld geliehen hatte, war, wenn ich mich nicht irre, ein Herr Constantine, der Besitzer von Gaswerken im Piräus. Das Geld, das mir meine Londoner Bank schickte, durfte mir jedoch nicht ausgehändigt werden, bevor ich mich nicht auszuweisen vermochte. Ich mußte mich daher an die Britische Botschaft wenden und lernte dort den ersten Sekretär Raikes kennen, der so liebenswürdig war, ohne weiteres meine Identität zu bestätigen. Ich gab ein Essen für Constantine, bei dem er Raikes und andere meiner Freunde traf, und zahlte ihm das Geld mit tausend Dank zurück. Constantine und ich blieben jahrelang befreundet.

Im Hotel d'Athènes kam einmal wöchentlich eine Anzahl studierender Ausländer zusammen, um über verschiedene Fragen, die mit der griechischen Sprache, der Literatur, der Kunst und dem dortigen Leben zusammenhingen, zu diskutieren.

Meistens waren es sehr begabte Männer, die sich nach Abschluß ihrer Studien noch weiter ausbilden wollten. Sie kamen von italienischen, französischen und deutschen Universitäten, aber kein Engländer oder Amerikaner schloß sich uns an, nur Raikes kam ungefähr einmal im Monat; er war nicht nur der erste Attaché bei der englischen Botschaft, sondern auch der Bruder des späteren Postministers. Wir nannten ihn den »langen Raikes«, denn er war ungefähr sechs Fuß fünf groß. Ich stellte mir immer vor, daß er etwas Bemerkenswertes im Leben leisten müßte, denn er hatte eine seltsam objektive Mentalität, der jedoch jede Dynamik fehlte.

Es kam auch ein Deutscher namens Lolling hin, der später, wenn ich mich nicht irre, das archäologische Institut in Berlin leitete und den berühmten Baedeker Griechenlands schrieb. Ein Italiener war auch dabei, ich glaube ein Kurator der Pitti-Galerie in Florenz und ein bemerkenswerter Franzose, ein Mann von etwa vierzig oder fünfundvierzig Jahren, eine interessante Gestalt mit einem herrlichen Kopfe, der fast jede europäische Sprache und mit vollkommenem Akzent sprach, der einzige Franzose, ja der einzige Ausländer, dem ich begegnet bin, der englisch so sprach, daß man ihn für einen Engländer halten konnte. Ich habe seinen Namen vergessen, wir nannten ihn den Baron. Eines Abends brachte Raikes einen Herrn Bryce mit, den späteren Lord Bryce, der damals seine erste Reise durch Griechenland machte. Einige griechische Professoren der Universität suchten uns ziemlich regelmäßig auf. Einen davon taufte ich Plato, und der Name blieb ihm haften. Eines Abends kam ich ziemlich spät in das Zimmer, und der Vorsitzende, Lolling, sagte mir, sie führten gerade eine interessante Diskussion über die verschiedenen europäischen Sprachen und hätten sich auf einige Punkte vollkommen geeinigt. Man sei übereinstimmend der Meinung, daß das Italienische die musikalischste Sprache sei. Das Spanische wurde wegen seiner harten Gutturallaute ausgeschaltet. Man hatte sich darauf geeinigt, daß das Deutsche das beste Instrument für den abstrakten Gedanken sei und in der Tat das bequemste Vehikel für alles Allgemeine. Das Französische wurde als die beste Diplomatensprache bezeichnet, da es sehr präzise und einfach sei und sich einer großen Popularität in der Welt erfreue. Das waren einige der allgemeinen Schlußfolgerungen.

»Das ist alles sehr interessant,« erwiderte ich, »aber wo tun Sie, um Gottes willen, das Englische hin?«

»Das Englische«, erwiderte der Deutsche, »ist zwar sehr einfach und logisch, aber fast ohne grammatikalische Konstruktion oder irgendwelche Regeln der Aussprache. Es läßt sich nicht sehr viel zugunsten des Englischen anführen. Aber wir werden uns freuen, wenn Sie uns Ihre Meinung darüber sagen.«

Ich packte sofort den Stier bei den Hörnern und sagte, es würde leicht zu beweisen sein, daß das Englische die musikalischste aller erwähnten Sprachen sei, worauf ein schallendes Gelächter im Kreise ertönte. Manzoni, der Italiener, fragte mich, ob es mein Ernst sei. Er glaubte, es sei doch leicht zu beweisen, daß das Englische die schlimmsten Kakophonien aller europäischen Sprachen aufweise.

»Lassen Sie mich erst meinen Standpunkt auseinandersetzen«, unterbrach ich ihn. »Warum sagen Sie, daß das Italienische die musikalischste Sprache der Welt sei?«

»Weil wir die wunderschönen offenen Vokallaute besitzen«, erwiderte er. »Und wir haben weder harte Gutturale, noch Zischlaute!«

»Aber das Englische hat nicht nur Ihre fünf reinen Vokallaute,« erwiderte ich, »sondern noch mehr. Das Englische hat sechs oder sieben verschiedene O-Laute und vier oder fünf verschiedene A-Vokale. In der Tat besitzen wir zwanzig Vokallaute gegen Ihre fünf. Behaupten Sie wirklich, daß, je weniger Instrumente in einem Orchester vorhanden sind, desto göttlicher die Musik klingt?

»Ja, ich sehe jetzt ein, worauf Sie hinaus wollen,« sagte Manzoni, »ich habe vorher nicht daran gedacht. In diesem Punkte haben Sie recht. Aber Sie müssen zugeben, daß Ihre englischen S noch schlimmer sind als die deutschen Gutturale.«

»Wir vermeiden die Zischlaute, soweit es nur geht,« erwiderte ich, »obwohl ich zugeben muß, daß das S im Englischen eine ebensolche Gefahr ist wie die Gutturale im Deutschen. Aber der Punkt, in dem Sie mir zustimmen müssen, ist, daß wir ein größeres Orchester der Vokallaute haben als irgendeine andere europäische Sprache, und Sie müssen auch zugeben, daß wir die größten Dichter auf der Welt hatten, um es zu dirigieren. Sie werden kaum das Ergebnis bezweifeln können, denn Sie sind mit mir der gleichen Meinung, daß die komplizierteste Musik auch die schönste ist.«

»Ja,« erwiderte er nachdenklich, »aber Sie würden vielleicht richtiger gesagt haben, daß ihr Engländer das beste Orchester und wir Italiener das schönste Streichquartett der Welt besitzen.«

»Wir wollen es dabei lassen«, erwiderte ich lachend. »Aber wenn Sie meine volle Meinung hören wollen, so kann ich Ihnen versichern, die englische Poesie besitzt so musikalische und schwingende Kadenzen, daß ich sie über jede Dichtung der Welt, selbst über die besten Verse von Goethe stelle. Denken Sie an den überschätzten Griechen, den Euripides, der unveränderlich die Cäsur nach dem zweiten Fuß setzt. Seine Musik ist so mechanisch wie eine Tretmühle. Außerdem wird die Streitfrage noch auf eine andere Weise entschieden. Vor ungefähr einem Jahrhundert sprachen vielleicht fünfzehn Millionen Englisch, jetzt spricht eine unerhört schnell wachsende Bevölkerung von beinah zweihundert Millionen unsere Sprache. Noch ein Jahrhundert, und vier- oder fünfhundert Millionen Menschen werden es sprechen. Der einzige Konkurrent, den wir wirklich haben, ist das Russische. Und das Russische wird auf die zweite Stelle rücken, sobald Australien und das große Plateau von Zentralafrika von englisch sprechenden Menschen besetzt ist. Das Urteil der Menschheit fällt zugunsten des Englischen als der Sprache des fortschrittlichsten und zahlreichsten Volkes in der Welt aus. Und ich neige zu der Ansicht, daß diese Beurteilung auf Grund von Ergebnissen die richtige ist. (Ungefähr ein Jahr später sagte mir Turgenjeff, er ziehe das Russische dem Deutschen oder Französischen bei weitem vor, obwohl er beide Sprachen ausgezeichnet sprach. Er bestand darauf, daß das Russische ein bei weitem reicheres und komplizierteres Instrument als das Deutsche sei und »außerdem bedeutend mehr verbreitet«.)

»Das Überlebende mag das Tauglichste sein,« sagte der Baron, »aber das Tauglichste ist nicht immer das Beste und Höchste. Trotz Ihrer Argumente, die ausgezeichnet sind, halte ich die Schlußfolgerungen, zu denen wir kamen, bevor Sie in die Diskussion eingriffen, in manchen wesentlichen Punkten für richtiger. Ich halte noch immer das Italienische für musikalischer als das Englische. Sie können doch nicht behaupten, daß euer ›krietscher‹ ebenso musikalisch klingt wie ›creatura‹. Und das Französische ist eine bessere Sprache für Diplomaten als das Englische und hat feinere Nuancen einer liebenswürdigen Unterhaltung. Wir Franzosen besitzen fünfzig verschiedene Möglichkeiten, um unsere Briefe zu schließen; setzen Sie nur Ihre yours sincerely, yours truly, yours faithfully dagegen. Es scheint mir, daß wir in allen Höflichkeitsformeln das volle Orchester besitzen, während ihr nichts anderes als das Banjo, die Zimbel und die große Trommel habt.«

»Die Frage ist noch nicht entschieden. Geben Sie mir einen dieser Ausdrücke, mit denen Sie Ihre Briefe schließen, und ich will sie ohne Schwierigkeiten ins Englische mit jeder Nuance der ihnen zukommenden Bedeutung übersetzen.«

»Pardon, aber Sie werden nicht einmal imstande sein, amitiés zu übersetzen, die Nuance zwischen Liebe und Freundschaft würde durch das weitmaschige englische Netz hindurchschlüpfen und verlorengehen.«

»Wir können ›your loving friend‹ sagen, ›your friend and lover‹ oder ›your affectionate friend‹, die Sache ist ganz einfach.«

Die nächsten Minuten hindurch beteiligten sich alle an der Diskussion. Von überall flogen mir Sätze zu, von denen man glaubte, sie ließen sich nicht ins Englische übersetzen, ich löste jedoch alle Schwierigkeiten und nahm dann die Diskussion wieder auf.

»Ich kann Ihnen eine wohlbekannte Stelle von Ruskin zitieren, in der er die venezianischen Maler lobt, und Sie würden nicht imstande sein, sie zu übersetzen. Sie lautet: »Venice taught these men to learn another sort of beauty: broad chested and level browed like her horizons; thighed and shouldered like her billows; footed like her stealing from bathed in clouds of golden hair like her sunsets.« Man könnte diese Stelle kaum in irgendeine moderne Sprache übertragen, ohne daß sich ihre Poesie und Schönheit dabei verflüchtigt, während Sie zugeben müssen, daß ich Ihre deutschen und französischen Beispiele ohne weiteres in ein ebenbürtiges Englisch zu übersetzen vermochte.«

»Sagen Sie uns nun, was Sie wirklich über die englische Sprache denken«, meinte Lolling.

Ich fühlte mich geschmeichelt und faßte meine Argumente folgendermaßen zusammen: »Es war wohl Max Müller oder irgendein anderer deutscher Philologe, vielleicht Karl Werner, der mich auf die Spur brachte, indem er sagte, das Englische hätte mehr Namen für Sachen, sei reicher als irgendeine andere Sprache, da die Beobachtungsgabe und die Tatsachentreue beim Engländer sehr stark ausgeprägt sind.

Das Englische hat, wie es mir scheint, alle grammatikalischen Formeln in seinem Kampf um die Existenz abgestreift. Es ist einfacher und logischer als irgendeine andere moderne Sprache. Es kann von ungebildeten Menschen leichter gebraucht werden als die anderen Sprachen, leichter sogar als das Französische, und diese Fähigkeit gibt ihm die Möglichkeit, sich über die Welt auszubreiten. Seine wirkliche klangliche Schwäche ist, wie der Baron weiß, die Gewohnheit, die erste Silbe zu akzentuieren, wodurch alle Worte verkürzt werden, sowie der Zischlaut, der, soweit es möglich ist, vermieden werden sollte. Die schlimmste Schwäche der englischen Sprachstruktur ist, so seltsam es bei einem so tatkräftigen Volke klingt, die Armut an Verben.

Aber hier kamen die Dichter zu Hilfe und machten die jetzigen Partizipien der Gegenwart zu Verben, und es gelang ihnen auch, die Substantive in Verben umzubilden. Der große Reichtum der englischen Substantive wird zu einem verblüffenden, unerwarteten Reichtum der Sprache an malenden Verben. Alle modernen europäischen Sprachen verfügen über malende Adjektiva und Epitheta in allen Farben der Palette. Aber wir allein sind imstande, die Partizipien der Gegenwart, die halb Adjektiva und halb Verben sind, zu verwenden, selbst Hauptworte zu Verben umzugestalten und so der Sprache sowohl malerische Schönheit wie Rhythmus zu verleihen.

Obwohl ich eine große Vorliebe für das klassische Griechisch, das Griechisch von Plato und Sophokles besitze, halte ich die Sprache Shakespeares und Keats' noch immer für die schönste der Welt. Darum empfinde ich die Art und Weise so bitter, wie sie jetzt von denen, die sie gebrauchen, prostituiert und degradiert wird. Die Aristokratie Englands hat die Sprache zu einigen snobistischen Schibboleths degradiert. Dieses ist »awfully« und jenes ist »awfully« – eine Generation von Snobs möchte sich von den Mittelklassen nicht durch die Kultiviertheit der Sprache, sondern durch einige idiotische Schibboleths abgrenzen. Der englische Aristokrat degradiert seine Sprache ebenso sehr wie der Straßenjunge, dessen einziges Adjektiv »bloody« ist.

Oh, diese englische Aristokratie, wie sie das Ideal verkümmert! Sie weiß eine Menge über äußere Dinge, über den Körper und die Männerkleidung, die gesellschaftlichen Gebräuche, die trivialen Höflichkeiten, aber sie weiß leider sehr wenig über den Geist, und nichts über die Seele – nichts! Welcher englische Aristokrat hat je daran gedacht, seine geistigen Fähigkeiten zu schulen, wie die Knaben ihre Muskeln zu fast vollkommener Kraft und Schönheit trainieren, mit dem instinktiven Wissen, daß kein Muskel überentwickelt werden kann, daß alles in vollkommener Harmonie gehalten werden soll. Jedoch auch hier weiß der indische Yogi über die Herzmuskeln, den Magen und die Gedärme, den wichtigsten Teil des Körpers besser als unsere Leute Bescheid ...

Kein Engländer schämt sich heute, wenn er weder Deutsch, Französisch noch Russisch kann und keine Ahnung von den besonderen Errungenschaften dieser Völker im Denken, in der Kunst und der Literatur hat – ...«

»Richtig,« unterbrach mich der Baron, »und es muß einmal gesagt werden. Aber was verstehen Sie genau unter Seele? Und wie kann man sie trainieren?«

»Ich selbst weiß sehr wenig darüber, muß ich gestehen,« erwiderte ich, »aber ich bekam davon eine Ahnung, als ich durch Indien fuhr. Und ich habe mir immer vorgenommen, noch einmal hinzufahren und dort sechs Monate oder ein Jahr zu verbringen, um mir die Weisheit des Ostens anzueignen. Gautama Buddha schien mir immer einer der edelsten Menschen, und wo ein einzelner Baum bis in den Himmel wächst, muß auch der Boden und das Klima etwas Bemerkenswertes haben – – –. Aber wir sind von unserem Thema abgewichen ...«

»Lassen Sie mich nur noch ein Wort sagen«, unterbrach mich der Baron. »Ich glaube, daß Frankreich fast in jeder Hinsicht besser als England, dem Ideal näher ist. Jeder intelligente Franzose liebt alles Geistige – die Kunst und die Literatur, und bemüht sich, Französisch so rein und so gut wie möglich zu sprechen, während in England kaum eine Klasse vorhanden ist, der es an dem schönsten Erbteil in derselben Weise gelegen ist. Und dieser Hochmut des englischen Aristokraten! Er läßt sich kaum herbei, menschlich zu erscheinen. Ist es Ihnen nicht aufgefallen, daß die einzigen Leute, die nicht in unsere Versammlungen kommen, die englischen Studenten sind? Und doch brauchen sie die kosmopolitische Erziehung mehr als jede andere Rasse.«

Athen verdanke ich manche unsterbliche Erinnerung meines Lebens. Als ich mir eines Tages die Gestalten an der Vormauer des Tempels der flügellosen Nike ansah, bemerkte ich plötzlich, daß das Gewand eng über die Brüste gespannt war, um die köstliche Schönheit der Rundung hervorzuheben – eine bloße Sinnlichkeit des Künstlers. Dreißig Jahre später fragte ich Rodin um seine Meinung, und er erklärte mir, daß die griechischen Götter des Parthenon so unverhohlen sinnlich sind wie andere Werke der plastischen Kunst.

Ich traf noch einen anderen Menschen im Hotel d'Athènes, den ich erwähnen möchte. Eines Tages wurde mir ein großer, gut aussehender Engländer von dem Besitzer des Hotels vorgestellt. »Dies ist Major Geary, Herr Harris! Ich habe dem Major gesagt, daß Sie mehr über Athen und eigentlich über Griechenland wissen als irgendein anderer meiner Bekannten, und er möchte Ihnen einige Fragen stellen.« – »Ich werde sie mit Freude, beantworten, soweit ich dazu in der Lage bin«, erwiderte ich, denn Major Geary sah gut aus und gehörte anscheinend einer guten Gesellschaftsklasse an. Er erzählte mir, er hätte vor einigen Jahren den Artilleriedienst quittiert und wäre jetzt bei Armstrong. »Ich bin hergeschickt worden,« begann er, »um unsere Gewehre zu verkaufen, und möchte durch jemanden, der die Dinge hier kennt, wissen, wie ich es anfangen soll. Ein Mann in unserer Botschaft gab mir den Rat, mich zuerst an den König zu wenden.«

»Das wird Ihnen nicht viel helfen«, erwiderte ich. »Kennen Sie den Ministerpräsidenten Tricoupis? Sie können sicher einen Einführungsbrief zu ihm bekommen, und das wird der beste Weg sein.« Geary dankte mir und folgte meinem Rat. Etwas später frühstückten wir zusammen, und ich fand in ihm einen wunderbaren Gastgeber mit einer seltenen Kenntnis der englischen Poesie. Von Shakespeare wußte er sehr wenig, aber der größere Teil der englischen Lyrik war ihm geläufig, und er zeigte außerordentliche Kenntnisse und einen sicheren Geschmack.

Gearys Freude an der Poesie brachte uns näher zueinander, und eines Morgens bat er mich, mit ihm zu Tricoupis zu gehen, um den Vorschlag von Armstrong zu unterstützen. Die englische Firma war bereit, einen größeren und längeren Kredit zu geben als Krupp oder Creusot. Ich ging mit ihm um so lieber, als ich gern Tricoupis, der eine meisterhafte »Geschichte der Revolution« geschrieben hatte, kennenlernen wollte. Aber bei der Begegnung, bei der noch andere Minister zugegen waren, war Tricoupis ganz auf das Geschäftliche gestellt und ich konnte mit ihm über nichts Privates sprechen.

Als ich Athen genau kannte und das moderne Griechisch fließend sprach, machte ich mich mit ein paar Freunden, einem deutschen und einem italienischen Studenten, auf eine Fußwanderung durch Griechenland. Wir gingen nach Theben und Delphi, bestiegen den Parnaß, dann trennten wir uns, ich ging nach Janina, sah mir auf meiner Rückkehr Korinth, Sparta und Mykene an, wo ich das Glück hatte, als einer der Ersten den verblüffenden Kopf des praxitelischen Hermes zu sehen, sicherlich den schönsten Kopf in der plastischen Kunst, denn keine Venus, weder die von Melos noch die von Knidos besitzt diesen wunderbaren intellektuellen Zauber. Es ist seltsam, daß, trotzdem Liebe das Reich der Frauen ist und Liebe die tiefste Emotion des Lebens, der tiefere Ausdruck selbst in der Liebe nicht von ihnen erreicht wird; und doch kann ich nicht glauben, daß die Frau inferiorer als der Mann ist, und sie hat sicherlich genug Ausdrucksmöglichkeiten.

Es ist ein Geheimnis, das nur die Zukunft oder irgendein klügerer Mensch als ich zu ergründen vermag.


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