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Kapitel X.
Laura

Ich sollte meinem Schicksal wieder unerwartet begegnen. Es war im zweiten Jahr meiner redaktionellen Arbeit bei den »Evening News«, und ich war meines endgültigen Erfolges im journalistischen Berufe so sicher, daß ich immer häufiger in Gesellschaft ging und immer mehr meine Kenntnis des wunderbar pulsierenden Lebens in London erweiterte.

Eines Abends ging ich ins Lyzeum-Theater. Ich weiß nicht mehr, was gespielt wurde. Ich erinnere mich nur, daß ich nach Schluß der Vorstellung mit Bram Stoker an der Tür stand, als ich mitten in der aus dem Theater strömenden Menge Laura Clapton mit ihrer dicken Mutter erblickte. Sie lächelte mich strahlend an, und ich war wieder in ihrem Bann. Ihre Größe verlieh ihr die Überlegenheit. Sie hatte eine herrliche Haltung – sie war die einzige Frau auf der Welt für mich. Ich sagte mir, daß das Oval ihres Gesichtes etwas zu rund sei, ebenso wie ich wußte, daß ihre Finger häßlich und abgeplattet waren, aber für mich war sie mehr als schön. Ich hatte vollkommenere Frauen gesehen, auch Frauen von größerer Vornehmheit, aber sie schien nach meinem Herzenswunsch geformt zu sein. Ihre Bewegungen verrieten ihre herrliche Gestalt. Ihre langen, haselnußbraunen Augen, die Fülle des nachlässig gewundenen kastanienbraunen Haares, das schnelle Lächeln, das ihr Gesicht erleuchtete – alles bezauberte mich. Ich ging ihnen entgegen und begrüßte sie. Die Mutter war von einem ungewöhnlichen Entgegenkommen. In der Menschenmenge konnte ich nur höflich sein und sie fragen, ob sie mit mir im »Criterion« essen würden, denn Savoy war damals noch nicht bekannt, da Ritz noch nicht aufgetaucht war, um London zu erobern und seine Restaurants zu den besten der Welt zu machen.

»Warum haben Sie mich nie mehr aufgesucht?« war ihre erste Frage. Ich konnte nur antworten: »Es war zu gefährlich, Laura!« Das Geständnis gefiel ihr. Werde ich je diesen Abend vergessen? Sicherlich nicht, solange dieser Mechanismus existiert. Ich war zum ersten Male verliebt, kniefällig verliebt, demütig zum ersten Male und voller Ehrfurcht in der Anbetung der wahren Liebe.

Ich erinnere mich, wie ich zum ersten Male die Schönheit der Blumen sah. Ich war dreizehn Jahre alt und war nach Wynnstay eingeladen. Wir hatten zusammen gefrühstückt, und Lady Watkin Wynn nahm mich später in den Garten mit, wir gingen zwischen den Randbeeten, die vier oder fünf Yards breit mit verschiedenen Blumen besetzt waren, am Rande die kleinen Blumen, die immer höher und höher zu schlanken Stauden aufstiegen ein einziges Gefälle der Schönheit! Zum ersten Male sah ich die Herrlichkeit der Farben und die köstliche Zartheit der Blüte. Meine Sinne waren wie berauscht, meine Augen von Tränen überflutet!

Ebenso überwältigend war die Sensation im Theater. Das Erscheinen Lauras bannte meine Seele in Bewunderung. Aber sobald wir in der Droschke zusammen waren, begannen mich die Forderungen ihrer Mutter abzukühlen. »Tochter, das Fenster muß geschlossen werden, – Tochter, wir dürfen nicht zu spät nach Hause kommen, dein Vater –«, und so weiter. Aber was kümmerte es mich schließlich? Mein linker Fuß traf auf den Lauras, und auf einmal fühlte ich mit Entzücken, daß ihr rechter Fuß ihn von der andern Seite berührte. Ich preßte mein Knie gegen ihr Bein. Laura rührte sich nicht, und ihr lächelnder, gütiger Blick wärmte mein Herz.

Das Essen war unvergeßlich, denn Laura hatte meine Arbeit verfolgt, und ihre verständnisvolle Schmeichelei entzückte mich. »Ist May Fortiscue wirklich so schön, wie Sie sie schilderten?« »Es gehörte zu meiner Rolle, sie möglichst schön erscheinen zu lassen«, erwiderte ich. Laura nickte mit vollkommenem Verständnis. Sie ließ sich alle Einzelheiten erzählen, denn sie interessierte sich besonders für alles, was die Bühne anging.

An diesem Abend ging alles glatt. Der Perrier-Jouèt von 1875, der beste Tropfen, war gekühlt und nicht geeist, und als ich Mutter und Tochter später nach Hause führte, drückte Laura ihre Lippen auf die meinen, während ihre Mutter ausstieg, und ich berührte ihre festen Hüften. Ich hatte auch eine Begegnung für den nächsten Tag zum Frühstück bei Kettner in Soho in einem Chambre séparée verabredet. Ich ging nach Hause wie trunken vor Erregung. Ich wohnte damals in Gray's Inn, und als ich an diesem Abend nach Hause kam, beschloß ich, Laura nach dem Frühstück zu mir zu bitten, denn ich hatte einige Chippendale-Stühle und einige Stücke Tafelsilber des 18. Jahrhunderts gekauft, die ich ihr zeigen wollte.

Diese Vorliebe für die alten englischen Möbel und das alte Silber verdanke ich eigentlich Alfred Tennyson, dem älteren Bruder des großen Dichters, der mich gelehrt hat, die Schönheit der Dinge des täglichen Gebrauchs zu werten. Ich werde noch einiges über ihn in den spätern Bänden meiner Autobiographie zu erzählen haben, denn er ist noch immer mein Freund hier in Nizza nach vierzig Jahren. Damals war er ein Ideal männlicher Kraft, nur mittelgroß, aber mit gutgeschnittenen Zügen und einer wunderbar kräftigen Gestalt. Seine Liebe zur Poesie bildete das erste Band zwischen uns. Er war auch ein geborener Schauspieler und hatte sich immer gewünscht, auf die Bühne zu gehen – wirklich ein Mann von kultiviertem Geschmack und ein anregender Plauderer. Ich möchte hier nur auf seinen Einfluß auf mich hinweisen. Er hat mir den richtigen Pfad gezeigt. Ich merkte bald mit Erstaunen, daß fast jedes Zeitalter in England seine eigenen Schönheitsideale hatte und daß das Silber der Zeit der Königin Anna ebenso schön war wie das der Gebrüder Adam, daß die Tische von William und Mary etwas Würdiges an sich haben und die Sessel aus den Zeiten Elisabeths den ganzen Pomp höfischer Manieren widerspiegeln. Ich begann zu begreifen, daß die Schönheit zu allen Zeiten in unendlich vielfältigerer Form vorhanden war, als ich es mir je vorgestellt hatte. Und wenn es so bei allen Zeiten der Fall ist, so war auch in allen Ländern Schönheit mit den feinen Rassenmerkmalen zu finden, die den Geist entzücken. Schließlich kam ich in das wirkliche Reich des Menschen und entdeckte die richtige Nahrung für meinen Geist. Kein Wunder, daß ich Alfred Tennyson dankbar war, denn er hatte mir sozusagen den Schlüssel zu dem Schatzhause gezeigt.

Es war Alfred Tennyson, der mir in seiner Wohnung in Gray's Inn Carlo Pelligrini vorstellte. Pelligrini war ein kleiner, dicker Italiener aus den Abruzzen, und da Tennysons Mutter Italienerin war, hatte sie ihrem Sohn Sympathie für ihre Landsleute vererbt. Tennyson war mit Carlo sehr befreundet, und in den achtziger Jahren war Carlo in London zu ziemlicher Berühmtheit gelangt. Er war der Hauptzeichner von »Vanity Fair« und signierte seine Karikaturen mit »Ape«. Sie bildeten eine neue Etappe in der Kunst. Er war so gütig, daß seine Karikaturen selbst für seine Opfer nicht beleidigend wurden. Er schlenderte in den Couloirs des Unterhauses und machte flüchtige Skizzen. Manche seiner Karikaturen gehören zu den besten existierenden Porträts. Sein Kollege Leslie Ward, der »Spy« signierte, war fast ebenso erfolgreich und eigentlich ein besserer Zeichner. Aber er begnügte sich mit der äußeren Darstellung des Menschen und suchte nicht wie Pelligrini die Seele seines Modells selbst bloßzulegen.

Carlo gestand offen, daß er homosexuell war, rühmte sich dessen sogar und war der erste, der mir durch sein Beispiel zeigte, daß sexuelle Perversion mit einer liebevollen, großzügigen Natur gepaart sein kann. Carlo Pelligrini war wahrhaftig ein Heiliger. Ich möchte hier nur einen Zug anführen. Einmal in vierzehn Tagen ging er ins Bureau der »Vanity Fair« und bekam zwanzig Pfund für seine Zeichnung. Er hatte kaum mehr als hundert Yards zu gehen, bis er Charing Croß erreichte, und gewöhnlich schuldete er seiner Hauswirtin fünf Pfund. Und doch kam er selten mit mehr als fünf Pfund in der Tasche an, wenn er das Ende der Straße erreichte. Ich habe gesehen, wie er einer alten Prostituierten fünf Pfund gab und dem Geschenk ein gütiges Wort hinzufügte. Manchmal gab er auch alles weg, was er hatte, und sagte mit einer launigen Miene der Demut: »Spero, daß Sie mich zum Essen einladen werden, nicht wahr, Frankarris?«

Das Beste, was ich von der englischen Aristokratie sagen kann, ist, daß dieser oder jener aus ihr sein Leben lang Carlos Freund blieb und ihm immer half. Lord Rosebery war einer seiner gütigsten Gönner, ein zweiter mein Freund Tennyson. Carlos offenes Geständnis der Päderastie erweckte in mir Zweifel an der Richtigkeit meines instinktiven oder – besser gesagt – unbegründeten Vorurteils. Denn nach reiferer Überlegung war ich gezwungen zuzugeben, daß der Homosexualismus offen und ohne jede Verurteilung, ja, fast als ein halb religiöser Kult von den männlichsten und mutigsten Griechen, hauptsächlich den Spartanern, auf der höchsten Höhe ihrer Entwicklung im siebenten, sechsten und fünften Jahrhundert vor unserer Ära ausgeübt wurde. Und was von Aeschylos und Sophokles gutgeheißen wurde, dürfte nicht leichthin von einem denkenden Menschen verurteilt werden. Die Knaben sind sicher imstande, eine so edle Zuneigung hervorzurufen wie Mädchen, obwohl sie für mich keinen Reiz besitzen. Ich habe auch durch Carlo Pelligrini die überwältigende Anziehungskraft der bloßen, liebevollen Güte begriffen. An sich war er eine groteske Karikatur eines Menschen, kaum mehr als fünf Fuß zwei hoch, dick und gedrungen, merkwürdig schlecht gekleidet – mit einem Gesicht wie eine Sokratesmaske und doch immer und überall ein Gentleman – und für diejenigen, die ihn kannten, noch viel mehr als das.

Am nächsten Tage wartete ich an der Tür bei Kettner, als Laura in einem Wagen heranfuhr. Ich stürzte hin, um den Wagen zu bezahlen, und führte sie nach oben. Sie zögerte nicht einmal, als sie das Chambre séparée betrat, und küßte mich mit ungespielter Zärtlichkeit. Irgendeine Veränderung war in ihr vorgegangen – ich wußte nicht, welche. »Hast du jemanden geliebt?« fragte ich, aber sie schüttelte den Kopf. »Ich wartete auf dich,« erwiderte sie, »aber das Jahr war um und noch fünf Monate drüber –.«

»Mea culpa, mea maxima culpa, aber – verzeih mir, und ich werde versuchen, es gutzumachen –«

Nachdem wir gefrühstückt hatten und ich die Tür verschloß, um nicht gestört zu werden, setzte sie sich auf meine Knie, und ich küßte und umarmte sie, aber –. »Was ist denn los, Laura?« fragte ich. »Das Rot deiner Lippen ist nicht so gleichmäßig, wie es früher war. Was hast du denn mit dir angefangen?« – »Nichts«, erwiderte sie mit Verwunderung. »Was meinst du denn damit?«

»Du bist verändert«, beharrte ich. – »Wir alle verändern uns in anderthalb Jahren«, erwiderte sie, aber ich gab mich nicht zufrieden. Ich küßte sie, und sie zog sich halbfragend zurück. »Wie seltsam du küßt!« Bald erglühten ihre Lippen unter meinen Küssen, und sie entwand sich mir nicht mehr, wie sie es vor anderthalb Jahren tat. Sie überließ mir ihre Lippen, und ihre Augen wurden schmal und lang in sinnlicher Hingabe. Ich hielt inne, denn ich hatte viel über sie nachzudenken, und in erster Linie wollte ich ein bewußtes Geschenk und nicht eine zufällige Eroberung. »Ich möchte dir eine Menge Sachen zeigen, Laura, willst du morgen zu mir kommen und den Nachmittag bei mir verbringen?« Sobald wir die Vereinbarung getroffen hatten, brachte ich sie nach einigen Küssen und Umarmungen nach Hause.

Laura sollte auf meinem Zimmer in Gray's Inn frühstücken. Der bloße Gedanke benahm mir den Atem, ließ die Pulse in meinen Schläfen hämmern und trocknete mir die Kehle aus. Ich hatte bereits das Café Royal entdeckt, zu jener Zeit bei weitem das beste Restaurant in London, dank dem Inhaber, Monsieur Nichol, einem Franzosen, der zweimal in Frankreich scheiterte, weil er ein wirklich gutes Restaurant eröffnen wollte, aber nun in London über seine kühnsten Erwartungen hinaus prosperierte (London verlangt immer das Beste) und bereits zu Vermögen gekommen war. Nichols Tochter war verheiratet, und sein Schwiegersohn wurde mit dem Einkauf der Weine für das Restaurant beauftragt. Selbstverständlich bekam er bei allen Einkäufen eine Provision, und nach fünfundzwanzig Jahren stellte sich heraus, daß er mit seltener Geschmacksicherheit für mehr als eine Million Pfund über den Bedarf hinaus gekauft hatte. An anderer Stelle werde ich die Weiterentwicklung dieser Geschichte erzählen, aber schon im Jahre 1884-85 hatte das Café Royal den besten Keller auf der Welt, fünfzehn Jahre später war es der beste, den es je auf Erden gegeben hat.

Ich hatte bereits Nichol kennengelernt, und da ich volles Verständnis für seine Ideale hatte, schrieb ich über ihn sehr lobend in den »Evening News«. Infolgedessen gab er sich immer Mühe, sich selbst zu übertreffen. Für jenen Tag hatte ich das beste Essen bestellt, hors d'oeuvres mit Kaviar aus Nischni, ein Schwanzstück kalter Lachsforelle und ein kaltes Schneehuhn, frisch, ohne hautgoût und doch so zart, als ob es wochenlang gehangen hätte. Und als Getränk ein Glas Chablis zum Fisch und zwei Haut Brion von 1878 zum Schneehuhn, eine Flasche Perrier-Jouet zu der Süßspeise, einer omelette surprise mit duftenden Walderdbeeren.

Man hätte nirgends ein besseres Essen bekommen können. Und Laura paßte sich dem Geist der ganzen Zeremonie an. Sie kam, als die Uhr eins schlug, hatte einen neuen Hut, ein neues Kleid, sah sehr vorteilhaft aus und war in bester Verfassung. Es ist seltsam, wie die Art einer Frau, sich zu geben, mit ihren Kleidern wechselt. In Seide gekleidet ist sie von einer seidenweichen Grazie, die Königin in dem Mädchen ist sich des Rauschens der seidenen Röcke bewußt. Ich nahm sie in die Arme, als ich ihr half, den Mantel abzulegen, zeigte ihr dann die Vorbereitungen zum Essen und verbreitete mich über das Tafelsilber der Gebrüder Adam.

Als wir gegessen hatten, kochte schon das Wasser, ich machte den Kaffee fertig, und dann sprachen wir, sprachen unaufhörlich; denn ich war mir einer Veränderung in ihr eifersüchtig bewußt und beharrte darauf, das Geheimnis zu enträtseln. Aber sie gab mir kein Lösungswort. Ich hielt ihre Zurückhaltung für ein schlechtes Zeichen. Sie wollte nicht zugeben, daß sie irgendeinen bevorzugten Flirt in dem langen Jahre meiner Abwesenheit hatte, obwohl ich sie zweimal mit demselben Manne sah. Der Beweis sollte ja erbracht werden. Gegen vier Uhr führte ich sie in mein Schlafzimmer. »Ich habe Angst,« sagte sie, »liebst du mich wirklich?« »Ich liebe dich,« erwiderte ich, »wie ich noch niemanden in meinem Leben geliebt habe – ich bin dein. Tu mit mir, was du willst.« – »Das ist ein großes Versprechen.« – »Ich werde es halten.« Sie lächelte: »Gehen Sie weg, mein Herr, und kommen Sie in zehn Minuten zurück.«

Als ich zurückkehrte und ans Bett stürzte, war ich mir einer vollkommenen Ehrfurcht bewußt. Wenn nur der furchtbare Zweifel nicht in mir rumort hätte, wäre es reinste Anbetung gewesen. Als ich ihr Hemd abstreifte, sah ich den schönsten Körper vor mir, aber trotz meiner ganzen Anbetung für plastische Schönheit warf ich nur einen Blick auf ihre vollkommene Gestalt und schloß sie verlangend in die Arme. Ihr ganzer Leib erzitterte wie im Krampf ...

Nun war ich sicher, daß sie sich in diesem verdammten Jahre jemand anderem gegeben hatte. Sie war keine Jungfrau mehr. Es war nicht ihre erste Umarmung. Aber sie hatte auch nicht viel geliebt – warum? War sie schwanger gewesen und hatte sich das Kind abgetrieben? Das würde ihre blassen Lippen erklären – das arme Mädel – wenn sie nur Vertrauen zu mir haben würde und mir alles erzählen wollte, würde ich sie heiraten, wenn nicht –.

Sie schauerte. Ich nahm sie in die Arme. Ich sah, daß ihre Gestalt nicht vollkommen war, aber selbst die Fehler wurden zu Vorteilen in meinen Augen. Ihr Nacken war ein wenig zu kurz, aber ihre Brüste waren so klein wie bei einem Mädchen von dreizehn Jahren. Ihre Hüften waren vollkommen, mit einem fast flachen Leib und langen Beinen. »Ich konnte es mir gar nicht vorstellen,« sagte sie, »daß man eine solche Intensität des Gefühls erleben kann. Es nahm mir den Atem, und dann schlug mein Herz in der Kehle und würgte mich –.« Diese Worte waren mein schönster Lohn.

Ich weiß nicht mehr, wie wir uns anzogen, aber als wir durch das Eßzimmer kamen, spürte ich einen verzweifelten Hunger, und auch Laura gestand mir, wie hungrig sie war, und so setzten wir uns noch einmal zum Essen.

Warum bedeutete Laura mir soviel mehr als andere Frauen? Sie gab mir nicht soviel Lust wie Topsy. In meinem Leben hat es mindestens zwei Frauen gegeben, die ihr in den Künsten der Liebe überlegen waren, und mindestens zwei andere, von denen ich Beweise einer viel leidenschaftlicheren Zuneigung bekam. Ihre königliche Persönlichkeit, ihre Intelligenz waren vielleicht die Ursache ihres Zaubers. Sie fand sicherlich unvergeßliche Worte. An diesem ersten Tage, als wir das Schlafzimmer verließen, blieb sie plötzlich stehen und legte mir die Hände auf die Schulter. »Non di scordare di me«, und dann schlang sie mir den Arm um den Hals. »Wir waren eins, nicht wahr?«, und sie küßte mich mit haftenden Lippen.

Und wenn es nicht ein Wort war, das mich entzückte, so war es eine Gebärde von geheiligter Kühnheit. Als sie allmählich begriff, wie mich ihre Gestalt begeisterte, legte sie alle Schamhaftigkeit ab und zeigte mir, daß die schwedische Gymnastik, die sie täglich übte, ihrem köstlichen Körper die verblüffendste Schmiegsamkeit verliehen hatte. Sie konnte mit dem Rücken gegen die Wand stehen und sich so weit nach rückwärts beugen, daß ihr Kopf sich beinah auf demselben Niveau mit ihren Hüften befand und sie die Wand mit den Lippen berührte. Ihr Rückgrat war so elastisch wie ein Bogen. Sie war für mich die faszinierendste Geliebte und ein Kamerad von unendlicher Anziehungskraft.

Ich wurde immer sicherer, daß sie sich meinem amerikanischen Rivalen gegeben hatte. Wenn sie nur offen mit mir gewesen wäre, mir die ganze Wahrheit erzählt hätte, würde ich ihr alles verziehen haben, und die letzte Schranke wäre zwischen uns gefallen. Aber es sollte nicht sein. Sie zweifelte noch, vielleicht an meinem Erfolg im Leben, vielleicht daran, ob ich von Sieg zu Sieg schreiten würde. In der Demut der Liebe wollte ich ihr die Gründe meines Erfolges zeigen, erzählte ihr, wie ich von den Zeitungsjungen gelernt hatte, und vergaß dabei in meiner Albernheit, daß für Frauen, die das Leben nicht kennen, Erfolg allein von Bedeutung ist, nur seine äußeren und sichtbaren Zeichen. Sie brauchte Jahre, um zu lernen, daß ich imstande war, überall zu gewinnen, wo ich wollte, auf der Börse sogar noch leichter als im Journalismus. Und ihre Mutter war immer gegen mich, wie sie später erzählte. »Er kann reden, aber das können auch andere Menschen«, pflegte sie mit einem Seitenblick auf ihren irischen Gatten zu sagen, dessen Reden zu nichts geführt hatten. Aber obwohl unsere unmittelbare Umgebung ungünstig und voller Zweifel war, gelang es uns, sobald wir zusammen waren, wunderbare Stunden zu verbringen. Und jetzt, wenn ich an sie denke, erinnere ich mich an Worte aus dem reinsten Geiste der Liebe geboren und Gebärden ihres köstlichen Körpers, die mich in Entzücken erschauern lassen.

Monat nach Monat verging. Wir trafen uns im geheimen mindestens einmal in der Woche, und ungefähr einmal in vierzehn Tagen lud ich Mutter und Tochter ins Theater und zum Abendessen ein.

In diesem Sommer kaufte ich ein Haus in Kensington-Gore, gegenüber dem Hydepark, in der Nähe der Sassoonschen Villa. Dieses kleine Haus verlieh mir eine Stellung in der Londoner Gesellschaft. Ich gab gelegentlich Empfänge, bei denen mir Lord Folkestone, Arthur Balfour und seine Frau halfen und die sehr erfolgreich ausfielen. Ich erinnere mich, wie mir einst Frau Walter den Rat gab, einen neuen Klavierspieler einzuladen, dem sie eine große Zukunft prophezeite. Als ich ihn einmal getroffen hatte, arrangierte ich einen Abend für ihn. Ich lud ungefähr hundert Leute der Londoner Gesellschaft ein, die als seine enthusiastischen Bewunderer weggingen. Es war Paderewski bei seinem ersten Besuche in London, und er hat zuerst in meinem Hause gespielt. Selbstverständlich hätte ich Laura gern dabeigehabt, aber es war für sie schwierig, am Abend ohne ihre Mutter auszugehen, und ich konnte die Mutter nicht leiden.

Sie machte sich zum Mittelpunkt jeder Gesellschaft, wenn durch nichts anderes, so durch ihre Schroffheit, und Laura vertrug nicht ein einziges absprechendes Wort über sie. Ich erinnere mich, wie ich ihr einmal sagte: »Du hast deine ganze Schönheit und deinen Charme von deinem Vater geerbt«, und sie mir verstimmt zur Antwort gab: »Den Teint habe ich von meiner Mutter und auch mein Haar und mein Herz, was für Sie vielleicht nicht ohne Interesse ist, mein Herr.« Und sie setzte eine Miene von einer köstlichen Schalkhaftigkeit auf, die mich ebenso bezauberte wie ihre kindliche Treue. Die Mädchen ziehen meist die Mütter ihren Vätern vor, warum?

Eines Abends kamen Laura und ihre Mutter zu einer kleinen Gesellschaft, die ich im Kensington-Gore gab, an der auch Frau Lynn Linton, meine große Freundin und Anhängerin, anwesend war. Laura sang uns vor. Sie hatte bei Lamperti in Mailand, den ich auch gut kannte, gelernt. Aber sie hatte nur eine kleine Stimme, und ihr Gesang ging nicht über das Salonniveau hinaus. Als ich fühlte, daß sie unter dem mangelnden Beifall litt, brachte ich sie dazu, eine Szene aus der »Phaedra« zu spielen, und sie setzte jeden in Erstaunen. Sie war eine geborene Schauspielerin von allerhöchstem Range. Sie erregte allgemeine Bewunderung, trotzdem ihre Mutter eine gekränkte und mißbilligende Miene aufsetzte, da sie sich immer gegen Lauras Bühnenabsichten auflehnte. Frau Lynn Linton nahm mich beiseite und gab mir den Rat, die Mutter abzuschütteln. »Sie ist unmöglich, das Mädel ist wunderbar und sehr gut aussehend, Sie Lothario, Sie. Aber wollen Sie sie denn heiraten?«

»Heiraten? Sicherlich!« erwiderte ich, denn Laura war in Hörweite. – »Da müssen Sie erst die Mutter loswerden,« riet mir Frau Lynn Linton, »sie ist Ihnen keineswegs freundlich gesinnt. Man sieht das auf den ersten Blick. Was haben Sie da verbrochen?« Ich zuckte die Achseln. »Haben Vorlieben und Abneigungen irgendeinen erkennbaren Grund?«

Es war schwierig, ja unmöglich, mit Laura über geschlechtliche Dinge zu sprechen. Wie die meisten Mädchen mit dem Einschlag irischen Blutes lehnte sie jedes Gespräch darüber ab. Ich fragte sie einmal, wann sie sich zuerst der geschlechtlichen Dinge bewußt geworden war. »Ich weiß wirklich nicht,« erwiderte sie, »die Mädchen in der Schule reden, irgendein älteres Mädel erzählt dies oder jenes einem jüngeren, die es einer Kollegin mitteilt, und so kommt man zu den Kenntnissen.« –

Meine Ehrfurcht vor ihr war so groß, daß ich nicht wagte, ihr Fragen zu stellen. Wenn ich sie manchmal nach etwas Intimerem fragte, nahm sie mich in die Arme, verschloß mir die Lippen mit Küssen, während ihre Augen belustigt tanzten. Und wenn ich weiter belustigt in sie drang, bekam ich höchstens zur Antwort: »Sie haben mich ja, mein Herr, mit Leib und Seele, was wünschen Sie mehr?«

Einmal fragte ich sie über das Tanzen aus. Ich wurde eifersüchtig, als ich sie beobachtete. Sie wurde immer von den besten Tänzern bei jeder Gesellschaft aufgefordert, und die sinnliche Grazie ihrer Bewegungen rief allgemeine Bewunderung hervor. Sie übertrieb keineswegs die sinnliche Hingabe, sie deutete sie im Gegenteil nur hie und da an und erinnerte mich unwiderstehlich an Kate Vaughan, die ich für die unvergleichlichste, graziöseste Tänzerin auf der Bühne halte. Laura bewegte sich mit demselben leichten, köstlichen Rhythmus – ein Gedicht in Bewegung. Aber sie leugnete immer, daß der Tanz sie sinnlich erregte. »Es ist die Musik, die ich liebe,« pflegte sie zu sagen, »der Rhythmus, die wogende Harmonie der Schritte. Es ist ein ebensolcher Rausch wie sinnliche Hingabe.«

»Aber als sich eure Knie berührten,« drang ich in sie ein, »mußt du doch den Schauer empfunden haben?« Sie zuckte die Achseln und gab keine Antwort. Ich begann von neuem: »Du weißt doch, wie empfindsam du bist – selbst deine Brüste erzittern, sobald meine Lippen sie berühren – du mußt doch die Nähe des andern Körpers empfunden haben. Diese gelegentliche Berührung fügt doch den unvergleichlichen Schauer der Grazie deiner Bewegung zu.« Zuerst schien sie zu zögern, dann sagte sie versonnen –:

»Das scheint mir der große Unterschied zwischen der Liebe eines Mannes und der einer Frau zu sein. Aus dem, was du sagst, wird mir klar, daß die Berührung der Beine oder der Brüste einer Frau dich erregen würde, selbst wenn sie dir gleichgültig wäre, vielleicht sogar wenn du eine Abneigung gegen sie hättest. Aber eine solche Berührung erregt eine Frau nicht im geringsten, wenn sie einen Mann nicht liebt. Aber wenn sie ihn liebt, zuckt sie zusammen, sobald er in ihre Nähe kommt. Und wenn er den Arm um sie legt, wird sie von Gefühlen geschüttelt. Bei uns Frauen ist alles eine Frage der Liebe. Bei euch Männern nimmt die Sinnlichkeit die Stelle der Liebe ein und bringt euch oft dazu, euch selbst und uns zu betrügen.«

»Es mag stimmen,« sagte ich, »in jedem Falle ist es die tiefste Einsicht, die ich je in diesen Dingen aussprechen hörte, und ich bin dir dafür unendlich dankbar. Die Liebe intensiviert eure Empfindungen, während es oft bei uns die Stärke unserer Sensationen ist, die unsere Liebe vertieft.«

»Ihr Männer also«, schloß sie, »habt sicherlich eine niedrigere und materiellere Natur.«

Im tiefsten Herzen mußte ich zugeben, daß sie recht hatte. Sooft wir lange zusammen waren, wirkte ihre Anziehungskraft in so überwältigender Weise auf mich, daß sie mein Mißtrauen erregte – ich weiß nicht, warum. Ich stelle nur die Tatsache fest. Ich war ihrer Liebe nie sicher.

Zeilen aus einem alten deutschen Volkslied kamen mir oft in den Sinn:

Laura

Sie hat zwei Äuglein, die sind braun,
Hüt' du dich!
Sie werden dich überzwerch anschaun,
Hüt' du dich! Hüt' du dich!
Vertrau' ihr nicht, sie narret dich.

Sie hat ein lichtgoldfarbnes Haar,
Hüt' du dich!
Und was sie red't, das ist nicht wahr,
Hüt' du dich! Hüt' du dich!
Vertrau' ihr nicht, sie narret dich!

Ihre so widerspruchsvolle Schönheit, ihre haselnußbraunen Augen, ihr goldenes Haar und ihre köstliche Gestalt schienen mir zuzurufen: »Vertrau' ihr nicht, sie narret dich!«


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